Tatsächlich konnten klassische Entzugserscheinungen wie ein deutlich gesteigertes Verlangen, Langeweile sowie ein Einfluss auf positive und negative Stimmungslagen identifiziert werden. Am überraschendsten war jedoch, dass es 90 von 152 Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht einmal schafften, die sieben Tage Social Media-Abstinenz durchzuhalten, ohne "rückfällig" zu werden.
Nomen est omen: Social Media sind für sehr viele Menschen Teil ihres Sozialverhaltens – und damit ihres Alltags – geworden. Wie und wann Menschen Social Media nutzen, wurde daher bereits umfassend untersucht. Wenig weiß man jedoch über die Reaktion solcher Nutzerinnen und Nutzer auf eine Abstinenzphase. Wie sehr fehlt ihnen die Nutzung – und was sind die Konsequenzen eines solchen "Entzugs"? Genau diesen Fragen sind zwei Wissenschafter der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems (KL Krems) und der Universität Wien, Österreich, nachgegangen – und fanden aus der Suchtforschung bekannte Antworten.
ABHÄNGIGKEIT
"Tatsächlich führte schon ein siebentägiger Verzicht auf Social Media bei den Probandinnen und Probanden zu leichten Entzugserscheinungen, wie wir sie vom Suchtmittelgebrauch kennen" erklärt einer der Studienautoren, Prof. Stefan Stieger vom Department Psychologie und Psychodynamik der KL Krems. "Insbesondere stieg das Verlangen – die Gier – nach der Nutzung von Social Media in der Abstinenzphase stark an. Ein Effekt, der sogar dann noch messbar war, als Social Media bereits wieder genutzt werden durften." Auch Langeweile und das Empfinden eines signifikant gesteigerten sozialen Drucks, die Nutzung von Social Media wiederaufzunehmen, traten ein. Letzteres entstand aus dem Gefühl heraus, dass Freundinnen und Freunde den Austausch auf Social Media von einem erwarten würden bzw. dass man etwas verpassen könnte. "Das Spüren eines sozialen Drucks", erläutert Prof. Stieger, "ist umso erstaunlicher, als es den Probandinnen und Probanden erlaubt war, andere Kommunikationskanäle wie SMS und Email zu nutzen."
Insgesamt nahmen an der Studie 152 Personen im Alter von 18 bis 80 Jahren teil – davon 70% Frauen. Die Tatsache, dass über 1.000 Personen die Einladung zur Teilnahme wahrgenommen haben, davon aber nur ca. 30 Prozent überhaupt Interesse zeigten und schlussendlich nur knapp 15 Prozent sich zur Social Media-Abstinenz bereit erklärten, kommentiert Prof. Stieger so: "Es liegt die Vermutung nahe, dass sich eher solche Personen zur Teilnahme meldeten, denen der Verzicht auf Social Media leichter fällt – und deren Entzugserscheinungen somit vielleicht auch milder ausfielen als bei anderen. Die Auswirkungen könnten für andere Personen also noch ausgeprägter sein."
OFT KOMMT'S ANDERS…
Ein intuitiven Vermutungen widersprechende Beobachtung machte das Wissenschafter-Duo bei den Auswirkungen auf die Stimmung der Probanden. Zwar ergab die spätere Auswertung, dass diese Beobachtungen keine statistische Signifikanz aufwiesen, dennoch fiel auf, dass bei einigen Probanden nicht nur das Empfinden positiver Stimmungen – erwartungsgemäß – vermindert wurde, sondern auch das Erleben negativer sich reduzierte. Das war unerwartet, überraschend und entspricht nicht den klassischen Entzugserscheinungen, die ein stärkeres Empfinden negativer Stimmung erwarten lassen würden. Ebenso überraschend war die hohe Anzahl an Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern, die "schwach" wurden und in der siebentägigen Abstinenzphase dennoch Social Media nutzen. Zwar passierte dies selten (im Durchschnitt weniger als zweimal) und kurz (durchschnittlich 3 Minuten), insgesamt waren es aber doch fast 60 Prozent der Probandinnen und Probanden, die "schummelten". Für Prof. Stieger ein Hinweis darauf, wie sehr Social Media in den Alltag integriert sind und wie schwer es dadurch selbst zur Abstinenz bereiten Menschen fällt, dieses Vorhaben konsequent umzusetzen.
Die international publizierte Studie nutzt erneut ein von Prof. Stieger für Anwendungen in der Psychologie stetig optimiertes Erhebungsverfahren. Dieses basiert auf Nutzung einer – für das jeweilige Projekt individualisierten – Smartphone App, die eine Datenerhebung in der gewohnten Lebensumwelt der Probanden erlaubt. Artefakte durch Laborumgebungen o.ä. sind somit ausgeschlossen. Die KL Krems bestätigt damit erneut ihre innovativen Ansätze zum Erkenntnisgewinn in wichtigen Brückendisziplinen wie u.a. der Medizintechnik, der Psychologie und Psychodynamik.