CGM im Alltag
Kontinuierliches Glukosemonitoring (CGM) kommt zunehmend im Alltag von Patienten mit Diabetes an, d.h. die bisher übliche Messung der kapillären Blutglukose (SMBG) mit kleinen Handmessgeräten wird durch verschiedene CGM-Ansätze ersetzt. Dabei hat ein CGM-System eine weite Verbreitung gefunden (>150.000 Nutzer), bei dem keine Kalibrierung durch SMBG-Messungen mehr notwendig ist und das relativ günstig ist, das aber keinen unmittelbaren Alarm gibt, da zum Auslesen der Messwerte das Anzeigegerät in die Nähe des am Oberarm fixierten Glukosesensors gehalten werden muss („intermittent scanning CGM“; iscCGM). Es gibt vier verschiedene CGM-Systeme auf dem Markt, die beim Erreichen von vordefinierten Grenzen Alarm geben („real-timeCGM“; rtCGM), bei drei Systemen müssen die Glukosesensoren in regelmäßigen Abständen von einigen Tagen neu in die Haut eingestochen werden, bei einem anderen wird der eigentlichen Sensor unter die Haut implantiert und kann dort für einige Monate verbleiben.
Im Vergleich zur SMBG, die üblicherweise nur einige wenige Messwerte pro Tag liefert, die primär für die Anpassung der Insulintherapie an den aktuellen Bedarf dienen, stellt CGM einen vollständigen Überblick über den Glukoseverlauf während des Tages zur Verfügung. Damit gibt es keine „weißen“ Flecken mehr während der Nacht oder nach Mahlzeiten. Dadurch wird nicht nur eine bessere Anpassung der Insulintherapie an den sich ändernden Bedarf z.B. nach Mahlzeiten ermöglicht, auch unter Sicherheitsaspekten ist dies von Vorteil: Die Anzeige des aktuellen Glukosewerts, die Alarme, der Trendpfeil und die Sichtbarkeit des Glukoseverlaufs bieten ein wesentliches Mehr an Informationen. Gerade unter vielen beruflichen Aspekten ist die Vermeidung von „Blindflügen“ essenziell, d.h., die Patienten können während der Arbeit ständig überprüfen, wie ihre aktuelle Glukosekontrolle ist, oder sie werden durch Alarme auf akute Risiken hingewiesen. Durch die Kopplung dieser diagnostischen Option mit der therapeutischen Option der Insulinpumpe ergeben sich weitere Möglichkeiten, die bis zum Closed-Loop-System reichen. Wenn die Insulingabe vollautomatisch unter allen Bedingungen funktioniert (aktuell gibt es ein solches System noch nicht!), dann liefert diese „technische Heilung“ des Diabetes auch eine Antwort auf alle Aspekte die sich aus den beruflichen Tätigkeiten von Patienten mit Diabetes ergeben.
Aktuell gibt es auf dem deutschen Markt verschiedene CGM-Systeme und Insulinpumpen die mehr oder weniger intensiv miteinander interagieren. Die Entwicklung und zu erwartende weitere Perfektionierung sowie auch die Kostenübernahme von CGM-Systemen mit closed-loop-nahen Eigenschaften revolutioniert die Diabetestherapie und wird die Stoffwechseleinstellung von Menschen mit Diabetes weiter optimieren und dabei das Hypoglykämierisiko nahezu eliminieren.
Diese rasante Entwicklung hat die Erwartungshaltung der Menschen mit Diabetes zu Recht inspiriert, so dass nun private Aktivitäten (z.B. Sport) und Arbeitsbereiche durch diese Technik erschlossen werden, die bislang mit einem inakzeptablen und schlecht vorhersehbaren Risiko verbunden waren (Biester et al. 2017). Die Fähigkeit, trotz der Diagnose eines Typ-1-Diabetes Spitzensport treiben zu können, ist bekannt. Als arbeitsmedizinisch interessantes, aber auch diskussionswürdiges Beispiel ist die Zulassung von Menschen mit Typ-1-Diabetes als Piloten von Linienmaschinen durch die UK Civil Aviation Authority zu nennen (Medical Department, 01/2015, v4.0: UK CAA Policy for the Medical Certification of Pilots and ATCOs with Diabetes).
CGM im beruflichen Setting
Limitationen des Einsatzes der neuen Techniken gibt es aber weiterhin in bestimmten Arbeitsbereichen. Danach ergeben sich die Einschränkungen durch verschiedene zu berücksichtigende krankheits- und tätigkeitsbezogene Aspekte (siehe Infokasten).
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INFO:
A. Krankheits- und therapiebezogene Aspekte
1. Physiologie der Hypoglykämie
a) Adrenerges Fenster wird bei normoglykämienaher Einstellung kleiner
b) Wiederherstellung der kognitiven Funktionen verzögert (20 bis 40 Minuten)
c) Beeinflussung der Erkennung einer Hypoglykämie durch Medikamente, Genussmittel
2. Physiologie der Gewebsglukosemessung vs. Blutglukosemessung
a) Nahrungsmittelabhängige Verzögerung der Gewebsglukoseschwankung vs. Blutglukoseschwankung um bis zu 30 Minuten (Siegmund et al. 2017)
3. Aktueller Stand der Technik der Closed-loop-Systeme
a) Differenzierte Abschaltfunktionen für Insulin-Injektionen
b) Angemessener Modus der Trendberechnung
c) Allergische Reaktionen der Sensorenkleber vs. geminderte Haftung
B. Tätigkeitsbezogene Aspekte:
1. Ist die Technik unter den Arbeitsplatzbedingungen sicher einsetzbar und ohne Störungen durch äußere Einflüsse (mechanisch, elektromagnetisch, thermisch)?
2. Ist die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter in der Lage, unter den Arbeitsplatzbedingungen eine Hypoglykämie zu erkennen?
3. Ist der Mitarbeiter unter den Arbeitsplatzbedingungen in der Lage, auf eine Hypoglykämie adäquat zur reagieren, z.B. durch schnell resorbierbare Kohlenhydrate?
4. Gibt es ggf. Kompensationsmechanismen, z.B. durch die Kontrolle durch Kolleginnen/Kollegen und ggf. Übernahme/Übergabe der Aufgaben oder Teilaufgaben bis zur Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit?
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Kompensationsmöglichkeiten als entscheidendes Kriterium
Nach dem biopsychosozialen Modell der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) können Einschränkungen der Körperfunktionen und die so genannten Kontextfaktoren moduliert werden, so dass es bei positiver Beeinflussung zu keiner oder zumindest zu keiner relevanten Einschränkung der körperlichen und/oder psychischen Aktivitäten kommt. Entscheidend sind somit auch für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in Hochrisikobereichen die Kontextfaktoren im Sinne von Kompensationsmöglichkeiten. Sind diese Kompensationsmöglichkeiten nicht ausreichend gegeben, liegt eine Einschränkung der Teilhabe und im arbeitsmedizinischen Setting der Arbeitsfähigkeit vor. Dies ist übertragbar auf das bekannte Belastungs- Beanspruchungs-Konzept bzw. auf die Übertragung der arbeitsplatz- und personenspezifischen Erkenntnisse in Profilvergleichssystemen für das Anforderungs- und Fähigkeitsprofil.
Diese Bewertungsalgorithmen werden bei den verschiedenen arbeitsmedizinischen Empfehlungen mit unterschiedlicher Stringenz angewandt. Die Einzelfallbeurteilung obliegt immer der/dem zuständigen Betriebsärztin/Betriebsarzt, die sich jedoch an der verfügbaren Literatur orientieren müssen (DGUV 2017, s. „Weitere Infos“).
Ein inakzeptables Risiko liegt dann vor, wenn die krankheits-, therapie- und arbeitsplatzbezogenen Risiken in ihrem Zusammenwirken nicht kompensierbar sind, also die jeweilige Toleranzschwelle überschreiten und entweder unkalkulierbar in Häufigkeit und/oder Ausmaß auftreten oder akut lebensbedrohlich sein können, auch für Dritte. Das Vorhandensein einer realistischen und effektiven Kompensation ist also der Schlüssel und damit das entscheidende Prüfkriterium.
Eine Lösung liegt in der Aufteilung der Tätigkeit in verschiedene Arbeitsbereiche mit unterschiedlichen Risikograden. So liegt beispielsweise für die Tätigkeit eines Feuerwehrmannes ein nicht kompensierbares Risiko im Bereich der unmittelbaren Brandbekämpfung vor. Dies ergibt sich aus den unter A und B genannten Aspekten. Bei einer Differenzierung der Arbeitsbereiche kann aber sehr wohl eine Eignung unter bestimmten Voraussetzungen für eine Tätigkeit außerhalb des Gefahrenbereichs (ohne Notwendigkeit des Tragens von schwerem Atemschutz) vorliegen.
Eine pauschale Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von insulinbehandelten Menschen im Sinne einer vollen Eignung als Feuerwehrmann, Berufstaucher, Soldat, Polizist, Pilot oder Tätigkeiten in anderen Hochrisikobereichen ist daher nicht gegeben, da aus ärztlicher Sicht gesundheitliche Einschränkungen durch technisch-apparative therapeutische Maßnahmen nicht hinreichend sicher zu kompensieren sind. Dies stellt eine Gefährdung der zu beurteilenden Personen und Dritter (sowohl Beschäftigter als auch Hilfebedürftiger) dar. Die pauschale gesundheitliche Beurteilung von Menschen mit Diabetes für ganze Berufsgruppierungen ist damit nicht sachgerecht (Institut der Deutschen Wirtschaft 2017, s. „Weitere Infos“).
Haftungsfragen
Dazu seien noch Aspekte der Haftung ergänzt: Wir bewegen uns in der Diskussion nicht im Bereich des Hobbysports mit durchaus extremen, aber in der Regel kalkulierbaren Varianten und Kompensationsmöglichkeiten, sondern, wie ausgeführt, im Bereich des Arbeitsschutzes mit den Kennzeichen potenzielle Extrembelastungen ohne Kompensationsmöglichkeiten, aber relevante Haftungsfragen.
Es ist also zu klären, ob die Hersteller die Garantie für die Funktionsfähigkeit der Geräte bzw. Sensoren unter den Belastungen des Feuerwehreinsatzes übernehmen können. Diese Belastungen zeichnen sich aus durch erhebliche mechanische und thermische Belastungen, aber auch durch starke Schweißbildung, unvorhersehbare Belastungsdauer und fehlende Korrekturmöglichkeit bei Fehlfunktion (bedingt durch die zwingende Notwendigkeit des Tragens der Schutzausrüstung).
In der Beurteilung der Eignung ist diese Fragestellung ebenso zu berücksichtigen wie die relevanten pathophysiologischen Überlegungen bei unleugbarem technischen Fortschritt. Es geht also nicht um pauschale „Berufsverbote“, sondern um den Gesundheitsschutz der Beteiligten und Klärung der Haftungsfragen, damit am Ende der Beschäftigte nicht der Geschädigte und der Schuldige ist. Diese Fragen sind durch die Hersteller verbindlich zu beantworten und eine der relevanten Voraussetzung für mögliche neue Regelungen.
Literatur
Biester T et al.: „Lass doch mal die Pumpe machen“: Hohe Zufriedenheit dank weniger Hypoglykämien bei prädiktiver Hypoglykämieabschaltung – Eine multizentrische Anwendungsbeobachtung des SmartGuard-Algorithmus. Diabetologie 2017; 12: 286–293.
Siegmund T et al.: Discrepancies between blood glucose an interstitial glucose. Technological artifacts or physiology: Implications for selection of the appropriate therapeutic target. J Diabetes Sci Technol 2017; 11: 766–772.
Weitere Infos
DGUV: Diabetes und Beruf, Leitfaden für Betriebsärzte
Institut der Deutschen Wirtschaft: Ich bin doch nicht aus Zucker, Reha-Dat
Für die Autoren
Dr. med. Kurt Rinnert
Stadt Köln
Betriebsärztlicher Dienst
Ebertplatz 2
50668 Köln
kurt.rinnert@stadt-koeln.de
Info
„Closed-Loop-System“ bezeichnet in der Diabetologie ein geschlossenes, sich selbst steuerndes Regelkreissystem. Ein Closed-Loop-System besteht aus dem Sensor, der nahezu kontinuierlich die (Gewebs-)Glukose misst, und einer Insulinpumpe. Beide Geräte kommunizieren über ein Steuerungsprogramm miteinander, das die Insulinabgabe durch die Pumpe regelt.
Info
A. Krankheits- und therapiebezogene Aspekte
- Physiologie der Hypoglykämie
- Adrenerges Fenster wird bei normoglykämienaher Einstellung kleiner
- Wiederherstellung der kognitiven Funktionen verzögert (20 bis 40 Minuten)
- Beeinflussung der Erkennung einer Hypoglykämie durch Medikamente, Genussmittel
- Physiologie der Gewebsglukosemessung vs. Blutglukosemessung
- Nahrungsmittelabhängige Verzögerung der Gewebsglukoseschwankung vs. Blutglukoseschwankung um bis zu 30 Minuten (Siegmund et al. 2017)
- Aktueller Stand der Technik der Closed-loop-Systeme
- Differenzierte Abschaltfunktionen für Insulin-Injektionen
- Angemessener Modus der Trendberechnung
- Allergische Reaktionen der Sensorenkleber vs. geminderte Haftung
B. Tätigkeitsbezogene Aspekte:
- Ist die Technik unter den Arbeitsplatzbedingungen sicher einsetzbar und ohne Störungen durch äußere Einflüsse (mechanisch, elektromagnetisch, thermisch)?
- Ist die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter in der Lage, unter den Arbeitsplatzbedingungen eine Hypoglykämie zu erkennen?
- Ist der Mitarbeiter unter den Arbeitsplatzbedingungen in der Lage, auf eine Hypoglykämie adäquat zur reagieren, z. B. durch schnell resorbierbare Kohlenhydrate?
- Gibt es ggf. Kompensationsmechanismen, z. B. durch die Kontrolle durch Kolleginnen/Kollegen und ggf. Übernahme/Übergabe der Aufgaben oder Teilaufgaben bis zur Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit?
Weitere Infos
DGUV: Diabetes und Beruf, Leitfaden für Betriebsärzte
Institut der Deutschen Wirtschaft: Ich bin doch nicht aus Zucker, Reha-Dat
Für die Autoren
Dr. med. Kurt Rinnert
Stadt Köln
Betriebsärztlicher Dienst
Ebertplatz 2
50668 Köln