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Originalia

Betriebsärztebefragung zur Umsetzung der Novelle der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)

Betriebsärztebefragung zur Umsetzung der Novelle der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)

Einleitung: Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) konkretisiert die Pflichten der Arbeitgeber und Betriebsärzte sowie die Rechte der Beschäftigten bei der Vorsorge nach dem Arbeitsschutzgesetz. Sie wurde im Jahr 2013 novelliert, um das grundrechtlich verankerte Recht der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung zu stärken. Betriebsärzte aus dem Gesundheitswesen und aus anderen Branchen wurden zur Umsetzung der Novelle befragt.

Methoden: Im Jahr 2015 wurden 1430 Betriebsärzte direkt angeschrieben und gebeten, einen dreiseitigen, anonymisierten Fragebogen auszufüllen mit Angaben zur eigenen Person (Altersgruppe, Berufserfahrung, Ausbildung, Beschäftigungsverhältnis), zum wichtigsten Betrieb bzw. Kunden (Betriebsform, Branche), zum Umgang der Beschäftigten mit Beratungs- und Untersuchungsangeboten, zu der Häufigkeit und den Gründen für eine betriebsärztliche Empfehlung zur Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz, zu weiteren arbeitsmedizinischen Tätigkeitsfeldern sowie zu Einschätzungen über die Gefährdung der Arbeitnehmer und zur eigenen Arbeitszufriedenheit.

Ergebnisse: Die Rücklaufquote betrug 45 %. Von den 644 Teilnehmern betreuten 261 (40,5 %) Hauptkunden aus dem Gesundheitswesen (GW). In den unterschiedlichen Branchen wurden die Vorgaben der ArbMedVV zum größten Teil umgesetzt, z.B. verwenden 86,8 % neue Bescheinigungen. Etwa die Hälfte der Betriebsärzte berichtete, dass während der Vorsorge zusätzliche Leistungen von den Probanden eingefordert worden seien, wie allgemein empfohlene Impfungen oder verschiedene Labortests. Es gab signifikante Abweichungen bei der Akzeptanz von ärztlichen Untersuchungen, bei Eignungsuntersuchungen und Maßnahmen der sekundären Prävention zwischen Betrieben aus dem GW und den übrigen Branchen. Unterschiede bei der Zunahme der Eigen- (21,1 versus 19,1 %) oder Fremdgefährdung (19,9 versus 17,4 %) und bei der Arbeitszufriedenheit der Betriebsärzte gab es nicht.

Schlussfolgerung: Die Trennung von Vorsorge und Eignungsuntersuchungen erfolgt in fast allen Betrieben. Untersuchungen werden nur selten abgelehnt, im GW etwas häufiger als in anderen Branchen. Ein Fünftel der Betriebsärzte gibt an, dass die Fremd- und Eigengefährdung zugenommen habe. Deshalb sollte die Umsetzung der ArbMedVV weiterhin beobachtet werden.

Schlüsselwörter: Betriebsärzte im Gesundheitswesen – Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge – Akzeptanz von Untersuchungen – Maßnahmen der Sekundärprävention

Survey of company doctors on implementation of the amendment to the Ordinance on Occupational Healthcare (ArbMedVV)

Introduction: The Ordinance on Occupational Healthcare (ArbMedVV) specifies the obligations of employers and company doctors and the rights of employees to healthcare on the basis of the Occupational Health and Safety Act. It was amended in 2013 to strengthen the constitutional right of employees to informational self-determination. Company doctors and medical officers in healthcare and other sectors were interviewed on how the amendment was being implemented.

Methods: In 2015, 1,430 company doctors were written to directly and asked to fill in a three-page anonymised questionnaire, including personal details (their age group, professional experience, career training and employment status), about their most important company or client (company form, sector), about how employees dealt with consulting and examination services, about the frequency and reasons for a recommendation by a company doctor for them to be transferred to another job, about other areas of occupational medicine activity and about assessments of the risks faced by employees and about their own job satisfaction.

Results: The response rate was 45%. Of the 644 respondents, 261 (40.5%) looked after principal clients in the healthcare sector. The provisions of the Ordinance were for the most part implemented across the different sectors, with new certificates being issued in 86.8% of cases, for example. About half of the company doctors reported that test persons demanded additional services, such as generally recommended vaccinations or various laboratory tests. There were significant disparities in the acceptance of medical checks and of aptitude tests and secondary prevention measures between healthcare facilities and other sectors. There were no differences in the greater risk to workers themselves (21.1% compared with 19.1%) or to others (19.9% compared with 17.4%) and in the job satisfaction of company doctors.

Conclusion: Medical checks and aptitude tests are kept separate in nearly all places of work. Medical checks are seldom declined, but in healthcare more frequently than in other sectors. One in five company doctors reported an increase in risk to workers and others. That was why implementation of the Ordinance requires further observation.

Keywords: company doctors – Ordinance on Occupational Healthcare – acceptance of medical checks – secondary prevention measures

J. Stranzinger1

A. Nienhaus1,2

(eingegangen am 13. 10. 2017, angenommen am 07. 12. 2017)

Einleitung

Im Jahr 2008 wurde durch die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) eine neue gesetzliche Grundlage für die arbeitsmedizinische Beratung und Untersuchung geschaffen. Die ArbMedVV regelt seither die Pflichten von Arbeitgebern und Betriebsärzten sowie die Rechte der Beschäftigten bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Durch die Änderungsverordnung im Jahr 2013 wurde die informationelle Selbstbestimmung des Beschäftigten gegenüber seinem Arbeitgeber gestärkt, indem die ärztliche Schweigepflicht bzw. die Trennung von Eignungsuntersuchungen und Vorsorge betont wurde. Intendiert waren außerdem eine bessere Verzahnung der Vorsorge mit der Gefährdungsbeurteilung sowie eine Stärkung der Beratung und der Wunschvorsorge. Die Wunschvorsorge war bereits im Jahr 1996 durch den § 11 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in deutsches Recht umgesetzt worden. Danach hatte der Arbeitgeber dem Beschäftigten auf seinen Wunsch hin zu ermöglichen, sich arbeitsmedizinisch beraten und untersuchen zu lassen, wenn aufgrund der Gefährdungsbeurteilung und der getroffenen Schutzmaßnahmen ein Gesundheitsschaden nicht auszuschließen war. Mit der Wunschvorsorge wollte der Gesetzgeber ein zusätzliches Arbeitsschutzinstrument für Anlässe schaffen, die nicht im Anhang der ArbMedVV aufgeführt sind, wie zum Beispiel psychische Belastungen. Da sich Betriebsärzte bei der Vorsorge nur noch gegenüber dem Arbeitnehmer, aber nicht mehr gegenüber dem Arbeitgeber zur Eignung äußern können, bestand die Befürchtung, dass es in der Folge zu einer Zunahme der Eigen- und Fremdgefährdung kommen könnte. Deshalb wurde im Herbst 2014 die erste Befragung zum Stand der Umsetzung der ArbMedVV durchgeführt (Stranzinger et al. 2015, 2016). Diese Befragung wurde ein Jahr später wiederholt. Über die Ergebnisse der zweiten Befragung wird hier berichtet.

Methodik

Im Jahr 2015 wurden 1430 Betriebsärzte aus der Adressdatei der BGW-Fortbildungsteilnehmer angeschrieben. Sie wurden gebeten, einen neu konzipierten, dreiseitigen, anonymisierten Fragebogen auszufüllen zu folgenden Aspekten:

  • soziodemografische Daten zur eigenen Person (Altersgruppe, Berufserfahrung, Ausbildung, Beschäftigungsverhältnis),
  • Angaben zum wichtigsten Betrieb bzw. Kunden (Betriebsform, Branche),
  • Umgang der Beschäftigten mit Beratungs- und Untersuchungsangeboten bezogen auf die arbeitsmedizinische Vorsorge,
  • Angaben zu Informations- und Schweigepflichten gegenüber dem Arbeitgeber,
  • weitere arbeitsmedizinische Tätigkeitsfelder (Betriebliches Eingliederungsmanagement, Beratung zur altersgerechten Arbeitsplatzgestaltung, Eignungsuntersuchungen),
  • persönliche Einschätzung der Eigen- und Fremdgefährdung,
  • vermutlicher Beitrag der ArbMedVV zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit einer alternden Belegschaft,
  • Meldeverhalten beim Verdacht auf Berufskrankheit,
  • eigene Arbeitszufriedenheit und
  • veränderte Forderungen der Betriebe bezüglich der betriebsärztlichen Aufgaben.

Es wurden nur die Teilnehmer berücksichtigt, die zum Zeitpunkt der Befragung noch tätig waren. Die Antworten der Gruppe, die ihren Hauptkunden in Branchen des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege („Gesundheitswesen“, GW) hatte, wurden mit denjenigen der übrigen Branchen („andere Branchen“) verglichen.

Für die Gründe von abgelehnten Untersuchungen, der Verwendung von veralteten Vorsorgeformularen, betriebsärztlichen Empfehlungen zum Arbeitsplatzwechsel, Anlässen für die Wunschvorsorge und veränderter Arbeitszufriedenheit waren Mehrfachnennungen im Freitextformat möglich. Die einzelnen Nennungen wurden thematischen Obergruppen zugeordnet. Hier erfolgte keine getrennte Auswertung nach Branchen, da die Art der Datenerfassung eine getrennte Auswertung nicht erlaubte.

Die Daten wurden anhand deskriptiver Analysemethoden beschrieben. Die Wahrscheinlichkeit von Zusammenhängen zwischen einzelnen Variablen wurde mittels Chi-Quadrat-Test untersucht. Das Signifikanzniveau wurde auf p 

Ergebnisse

Soziodemografische Daten und Angaben zu den betreuten Betrieben

Es wurden 644 vollständige Datensätze von insgesamt 679 Rückläufen in die Auswertung einbezogen (Rücklaufquote 45 %). Im GW waren 40,5 % der Teilnehmer tätig. Die Mehrheit der Befragten (58,7 %) war älter als 55 Jahre, 15,8 % älter als 65 Jahre. Etwa zwei Drittel der Studienteilnehmer waren männlich. Über die Hälfte waren Fachärzte für Arbeitsmedizin, über 90 % verfügten über eine Berufserfahrung von mehr als zehn Jahren. Ein signifikanter Unterschied zwischen den Betriebsarztgruppen fand sich bei der Größe des betreuten Betriebs; im GW gab es anteilig mehr Betriebe mit einer Beschäftigtenzahl von Tabelle 1).

Angaben zu Vorsorge und Beratungen

Über alle Branchen hinweg wurden körperliche Untersuchungen von Probanden weniger oft abgelehnt als Blutabnahmen oder Impfungen („Kommt vor, dass“: 35,9 vs. 52,8 %). Die Häufigkeitsangaben schwankten dabei zwischen einer Person im Lauf von 15 Jahren und 1 % der Probanden jährlich. Die häufigsten Gründe für die Ablehnung der Laboruntersuchungen waren vor kurzem erfolgte hausärztliche Untersuchungen und Angst vor Blutentnahmen und Spritzen. Die Frage, ob Probanden zusätzliche Leistungen wünschten, bejahten 49,1 % der Betriebsärzte.

Die neuen Vorsorgebescheinigungen wurden von 86,8 % benutzt. Als Begründung für die weitere Verwendung der ungültigen Vorsorgebescheinigungen gab es in einigen Fällen widersprüchliche Beschreibungen der Untersuchungsanlässe, die inhaltlich eher einer Eignungsfeststellung als einer Vorsorge nach ArbMedVV entsprachen. 51,4 % der Betriebsärzte hatten innerhalb des vorangegangenen Jahres mit Einverständnis der Beschäftigten einen Arbeitsplatzwechsel vorgeschlagen. Die häufigsten Gründe für eine Versetzung an einen geeigneten Arbeitsplatz waren schwere Allgemeinerkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats, deutlich seltener wurden Depressionen und Burnout oder Hauterkrankungen genannt ( Abb. 1). In 68,5 % der Betriebe wurde zu verschiedenen Anlässen eine Wunschvorsorge ermöglicht. Als häufigster Anlass dafür wurde die Beratung von Beschäftigten im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden am Arbeitsplatz angegeben, gefolgt von Anlässen, die entweder die Bedingungen einer Angebotsvorsorge nicht erfüllten, weil in der Gefährdungsanalyse die Auslösekriterien nicht erreicht wurden (zum Beispiel bei Lärm Abb. 2).

Der überwiegende Teil der Betriebsärzte beriet im vorangegangenen Jahr zur altersgerechten Arbeitsplatzgestaltung oder zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (78,3 und 88,4 %). Bei der alternden Belegschaft sahen 15,6 % der Betriebsärzte positive Veränderungen im Vergleich zu 2013.

Es zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Angaben der Betriebsärzte im GW und der Betriebsärzte anderer Branchen: Die Akzeptanz körperlicher Untersuchungen war im GW geringer. Dort gab es außerdem etwas weniger Beratungen zur altersgerechten Arbeitsplatzgestaltung und es wurden bei der Vorsorge tendenziell häufiger Zusatzleistungen eingefordert ( Tabelle 2).

Einstellungs- und Eignungsuntersuchungen sowie Eigen- und Fremdgefährdung

Eignungsuntersuchungen führten 84,6 % der Betriebsärzte durch. Sie bedienten sich bei Angaben zu den Anlässen durchweg der Codes der gewohnten G-Ziffern zur Bezeichnung verschiedener berufsgenossenschaftlicher Untersuchungsgrundsätze. Dabei lag G25 (Fahr-, Steuer- und Lenkungstätigkeiten) mit zwei Dritteln der Angaben weit vorne, gefolgt von G41 (Tätigkeiten mit Absturzgefahr; keine Tabelle). In 46,2 % der Betriebe wurden die Eignungsuntersuchungen getrennt von der Vorsorge angeboten. Der überwiegende Anteil der Betriebsärzte schätzte die Eigengefährdung der Beschäftigten bzw. die Fremdgefährdung unverändert im Vergleich zum Stand von 2013 ein (80,9 bzw. 82,6 %). Von 123 Betriebsärzten, die eine Zunahme der Eigengefährdung angaben, nahmen 59 % auch eine Zunahme der Drittgefährdung wahr. Dagegen nahmen von den 439 Betriebsärzten, die keine Zunahme der Eigengefährdung angaben, nur 6,6 % (n = 29) eine Zunahme der Drittgefährdung wahr (p = 0,000; keine Tabelle). 58,4 % aller Betriebsärzte meldeten im vorangegangenen Jahr einen Berufskrankheitenverdacht an die Unfallversicherungsträger. Zusätzlich haben 59,9 % Maßnahmen nach § 3 Berufskrankheitenverordnung (BKV) eingeleitet.

Im Unterschied zu Betriebsärzten des GW führten Betriebsärzte anderer Branchen signifikant häufiger Eignungsuntersuchungen durch. Im GW wurden dagegen signifikant häufiger Maßnahmen zur Verhütung einer Berufskrankheit bei Unfallversicherungsträgern beantragt (Hautarztverfahren 64,4 vs. 47,3 % und Rückensprechstunde 26,1 vs. 9,7 %;  Tabelle 3).

Arbeitszufriedenheit der Betriebsärzte

Bei 70,3 % der Betriebsärzte war die Arbeitszufriedenheit im Jahr 2015 unverändert oder hatte sich verbessert im Vergleich zu 2013. Die gruppierten Gründe für eine Veränderung in positiver und negativer Richtung sind in den Abbildungen 3 und 4 dargestellt. Die häufigsten Gründe für eine Zunahme der Arbeitszufriedenheit waren eine höhere Akzeptanz durch mehr Eigenverantwortung der Arbeitnehmer sowie Rechtssicherheit und Transparenz für den Arbeitgeber ( Abb. 3). Die beiden am häufigsten genannten Gründe für die berufliche Unzufriedenheit im Zusammenhang mit der ArbmedVV waren die Zunahme an Bürokratie und das Unverständnis der Betriebe hinsichtlich der neuen Vorsorgesystematik ( Abb. 4).

Die Forderungen der Betriebe an die Betriebsärzte blieben bei 69,1 % unverändert. Die geringsten Veränderungen beschrieben die über 65-Jährigen (22,3 %; keine Tabelle). Die Betriebe forderten u.a. mehr systemische Beratung beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM), beim Betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement (BEM), bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung und bei Eignungsuntersuchungen (keine Tabelle). Sowohl bei der Arbeitszufriedenheit als auch bei den Anforderungen der Betriebe bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Betriebsarztgruppen (Tabelle 4).

Diskussion

Die Erhebung zur Umsetzung der ArMedVV zeigt, dass die Novelle in den meisten Betrieben umgesetzt wurde und nun Eignungsuntersuchungen von der Vorsorge getrennt werden. Die Befürchtungen, dass Untersuchungen vermehrt abgelehnt werden, haben sich nicht bestätigt. Zu einer wesentlichen Stärkung der Betriebsmedizin scheint es aber nicht gekommen zu sein, auch wenn manche Betriebsärzte eine Veränderung ihrer Aufgaben angaben.

Alters- und Geschlechtsverteilung

Die Altersverteilung der Teilnehmer entspricht im Wesentlichen der allgemein bekannten Altersverteilung bei Ärzten. 58,7 % der Betriebsärzte waren älter als 55 Jahre und 15,8 % älter als 65 Jahre. Das Durchschnittsalter kann aus unseren Ergebnissen nicht berechnet werden. Innerhalb der gesamten Ärzteschaft gibt es mehr 50- bis 59-Jährige als 40- bis 49-Jährige. Vertragsärzte der Gesetzlichen Krankenkassenverbände (GKV) sind im Durchschnitt 53,8 Jahre alt (Stichtag 31.12.2015; Bundesärztekammer 2015). Das GW wird tendenziell häufiger von Frauen betreut, insgesamt sind jedoch Frauen in dieser Befragung mit einem Anteil von 35 % in der Minderheit.

Neue Vorsorgebescheinigungen

Kennzeichnend für die Neugestaltung der Bescheinigung ist, dass seit 2013 keine Hinweise mehr auf die Eignung der Beschäftigten enthalten sein dürfen. Über diesen markanten Einschnitt in die betriebliche Praxis wurde zwischen 2013 und 2015 heftig diskutiert. Die Einführung datenschutzkonformer Bescheinigungen stagnierte zwischen der ersten Befragung im Jahr 2014 und der jetzigen Befragung (85 vs. 87 %; Stranzinger et al. 2016). Als Begründung für die weitere Verwendung der ungültigen Vorsorgebescheinigungen gab es in einigen Fällen widersprüchliche Beschreibungen der Untersuchungsanlässe. Sie entsprachen inhaltlich eher einer Eignungsuntersuchung als einer Vorsorge nach der ArbMedVV.

Im GW wurde in diesem Zusammenhang über den sachgerechten Umgang mit infektiösen Mitarbeitern diskutiert. Hier müssen die Schweigepflicht des Betriebsarztes, die Persönlichkeitsrechte des Beschäftigten und das Recht der Patienten auf Schutz vor nosokomialen Infektionen sowie das Infektionsschutzgesetz berücksichtigt werden. Als geeignetes Instrument zur individuellen Bearbeitung dieser problematischen Fälle bieten sich Fallkonferenzen mit dem Gesundheitsamt an (Hofmann 2015).

Wunschvorsorge

Die betriebliche Verankerung von Wunschvorsorgemaßnahmen ist ein weiterer Indikator für die Effizienz des betrieblichen Arbeitsschutzes. Es ist bekannt, dass sich Arbeitnehmer zu wenig betriebsärztlich betreut fühlen (Brucks et al. 2002). Die Wunschvorsorge wurde 2015 in etwa zwei Dritteln der Betriebe vorgehalten, ein Jahr zuvor war lediglich ein relativer Zuwachs von 4 % gegenüber der Zeit vor der Novelle angegeben worden (Stranzinger et al. 2016). Damit kam der überwiegende Anteil der Betriebe der Forderung des § 11 des ArbSchG nach. Die Angaben zu den jeweiligen Anlässen lassen jedoch vermuten, dass neben nachvollziehbaren Gründen (wie Nichterreichen einer Auslöseschwelle für die Angebots- oder Pflichtvorsorge) gelegentlich noch ein Defizit bei der Differenzierung zwischen Angebots- und Wunschvorsorge bestand (zum Beispiel bei Beschwerden des Bewegungsapparats im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz und gefährdender Tätigkeit). Es wurden außerdem Eignungsuntersuchungen als Wunschvorsorge angeboten. Die neue arbeitsmedizinische Empfehlung (AME) zur Wunschvorsorge beschreibt einige ihrer Indikationen. Sie soll eine Praxishilfe sein (Ausschuss für Arbeitsmedizin 2015; BAuA o. J.).

Eignungsuntersuchungen und gesetzlichen Grundlagen im schriftlichen Auftrag des Arbeitgebers

Die individuelle arbeitsmedizinische Vorsorge nach der ArbMedVV zählt im Gegensatz zu den Eignungsuntersuchungen zu den betriebsspezifischen Einsatzzeiten nach Vorschrift 2 des Dachverbands der gesetzlichen Unfallversicherer (DGUV V2; BGW 2012). Eignungsuntersuchungen erfordern dagegen besondere betriebliche Vorkehrungen wie arbeitsvertragliche Regelungen oder Betriebsvereinbarungen und für Betriebsärzte außerdem Zusatzvereinbarungen zur Einsatzzeit. Sie erfolgen prinzipiell außerhalb der betriebsärztlichen Einsatzzeiten nach DGUV V2. Die Betriebsärzte gaben mehrheitlich an, dass sie Eignungsuntersuchungen durchführten, im GW jedoch signifikant weniger als in anderen Branchen (89 % vs. 78,2 %). Ob diese Untersuchungen im Rahmen der Einsatzzeiten erfolgten, wurde nicht erhoben. Im GW sind Eignungsuntersuchungen zum Beispiel durch das Strahlenschutzgesetz und spezielle Qualitätsanforderungen zum Patientenschutz erforderlich. Immerhin werden fast in der Hälfte der Betriebe Vorsorge und Eignungsuntersuchungen getrennt angeboten. Es wurde jedoch beklagt, dass dies neben der höheren Transparenz für die Probanden mit mehr Bürokratie sowie einem erhöhten Aufwand an Wege- und Untersuchungszeiten verbunden sei.

Konsequenzen der Vorsorge, Beratungen zum BEM und Maßnahmen zur Verhütung einer Berufskrankheit durch den Unfallversicherungsträger

Arbeitsmedizinische Präventionsmaßnahmen müssen sich genauso wie andere auf ihre Effizienz und Nachhaltigkeit hin überprüfen lassen, wenn dies von Betriebsärzten als Belastung empfunden wird (Gensch 2016). Ein Kriterium für die Effizienz der Vorsorge könnte die Häufigkeit von betriebsärztlichen Empfehlungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zum Arbeitsplatzwechsel aus gesundheitlichen Gründen sein. Für Empfehlungen zum Arbeitsplatzwechsel muss das untersuchte Kollektiv allerdings Krankheitszeichen aufweisen und der Betrieb alternative Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten. Die genannten Gründe für eine Empfehlung zum Arbeitsplatzwechsel waren zum überwiegenden Teil berufsunabhängige Allgemeinerkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats. Auch wenn BEM, Schichtdienst, medizinische Eignungsfeststellung und der Schutz werdender Mütter am Arbeitsplatz anderen Rechtsgebieten als der ArbMedVV zugeordnet werden müssen, gaben auch sie in relevantem Umfang Anlass zu betriebsärztlichen Beratungen und Empfehlungen zum Arbeitsplatzwechsel (s. Abb. 1). Tatsächlich gehen meist weniger drastische Maßnahmen wie Empfehlungen zu Verbesserungen am Arbeitsplatz einer derartig einschneidenden Empfehlung voraus. Diese Handlungsoption zur Verbesserung der Arbeitsplatzsituation nutzten 75 % Betriebsärzte. Gleichzeitig ist der überwiegende Anteil der Betriebsärzte im BEM tätig und setzt sich für die Wiedereingliederung langzeiterkrankter Beschäftigter ein. In diesem Zusammenhang muss man auch auf die hohe Zahl der Anträge auf § 3-BKV-Maßnahmen verweisen, die von Betriebsärzten initiiert wurden. Die Angaben zum BEM waren 2014 um ein Drittel gestiegen (Stranzinger et al. 2016); 2015 waren 88 % der Betriebsärzte im BEM unabhängig von den betreuten Branchen engagiert. Dieses Tätigkeitsfeld wurde offensichtlich für den Großteil der Betriebsärzte zunehmend wichtig.

Die Angaben der Betriebsärzte im GW unterschieden sich deutlich von denen anderer Branchen bei der Frage, wie häufig sie in den vergangenen 12 Monaten eine oder mehrere Maßnahmen zur Verhütung einer Berufskrankheit bei Unfallversicherungsträgern beantragt hätten (71 vs. 53 %). Sie veranlassten signifikant häufiger Hautarztverfahren oder Rückensprechstunden. Es ist möglich, dass im GW häufiger Hauterkrankungen vorkommen, aber auch dass die Betriebsärzte mit den entsprechenden Angeboten der Unfallversicherungsträger besser vertraut sind.

Arbeitszufriedenheit der Betriebsärzte

In der Vergangenheit wurde im GW traditionell die mangelnde Akzeptanz der Betriebsärzte unter der ärztlichen Kollegenschaft in Einrichtungen zur Patientenversorgung beklagt und deshalb eine geringere Arbeitszufriedenheit der Betriebsärzte im GW vermutet (Preißl et al. 2016). Beim Großteil der Betriebsärzte im GW wie in anderen Branchen blieb die Arbeitszufriedenheit im Vergleich zu der Zeit vor 2013 gleich oder verbesserte sich aus den unterschiedlichsten Gründen. Dieser Trend zeichnete sich im GW sogar etwas stärker ab als in anderen Branchen (GW 74 % vs. andere 67,8 %, n. s.). Die zunehmende Bürokratie und Komplexität der Abläufe in der betriebsärztlichen Praxis sowie u. a. der damit verbundene erhöhte Aufwand bei der Beratung der Unternehmens- und Personalverantwortlichen führten 2015 bei 30 % der Betriebsärzte neben anderen Ursachen zur Unzufriedenheit. Es soll in diesem Zusammenhang betont werden, dass eine negative Arbeitszufriedenheit nicht mit Resignation oder Desinteresse gleichgesetzt werden darf. Vielmehr ist eine progressive Komponente bei den Unzufriedenen oft konstruktiv nutzbar (Bruggemann et al. 1975).

Die Teilnehmer aus dieser Studie wurden aus Besuchern von Fortbildungsveranstaltungen ausgewählt. Ferner betrug die Responserate 45 %. Deshalb sind Selektionseffekte nicht auszuschließen. Die große Anzahl der Teilnehmer an dieser Befragung (n = 644) macht es allerdings wahrscheinlich, dass die Ergebnisse auf die Mehrzahl der Betriebsärzte in Deutschland bezogen werden können.

Schlussfolgerungen

Die Novelle der ArbMedVV scheint in den meisten Betrieben praxisgerecht umgesetzt zu werden. Das Aufgabenspektrum der Betriebsärzte war breit und reichte bei den meisten von Einstellungs- und Eignungsuntersuchungen, Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz, Beratung des Arbeitgebers bei der Beschäftigung spezieller Personengruppen und Schwangerer bis zur Beratung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer beim BEM, der altersgerechten Arbeitplatzgestaltung und der Gesundheitsförderung. In Teilaspekten wie der Abgrenzung zu Eignungsuntersuchungen scheint es teilweise noch Klärungs- und Informationsbedarf zu geben. Außerdem sollte hinterfragt werden, warum Betriebsärzte im GW häufiger § 3-BKV-Maßnahmen zur Sekundärprävention anbieten als Betriebsärzte mit Hauptkunden in anderen Branchen. Die Faktoren für die Arbeitszufriedenheit von Betriebsärzten im GW zu untersuchen, wäre zudem ein lohnendes Projekt.

Literatur

Ausschuss für Arbeitsmedizin: Wunschvorsorge – Arbeitsmedizinische Empfehlung. 2015. www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/a458-ame-wunschvorsorge.html [zuletzt aufgerufen 01.09.2017].

BAuA: Arbeitsmedizinische Regeln (AMR). www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Ausschuesse/AfAMed/AMR/AMR.html [zuletzt aufgerufen 01.09.2017].

BGW (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege): Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ – DGUV Vorschrift 2. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (Hrsg.). Hamburg: BGW, 2012, S. 4–71.

Brucks U, Schmidt U, Wahl W-B, Dietze J, Dzuck M, Haufe E, Neumann M, Scheuch K: Erwartungen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Betriebsräten an Betriebsärzte. BAuA F 5154; Forschungsbericht Fb, 2002.

Bruggemann A, Großkurt P, Ulich E: Arbeitszufriedenheit. Bern: Huber, 1975.

Bundesärztekammer: Ärztestatistik 2015: Medizinischer Versorgungsbedarf steigt schneller als die Zahl der Ärzte. 2016 4/8/2015. www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/aerztestatistik/aerztestatistik-2015/ [zuletzt aufgerufen 01.08.2016].

Gensch RW. Die Wirksamkeitsprüfung – das Stiefmütterchen des betrieblichen Arbeitsschutzes. In: Hofmann F et al. (Hrsg.): Arbeitsmedizin im Gesundheitsdienst, Band 29. Freiburg im Breisgau: edizion FFAS, 2016.

Hofmann F: Zur nosokomialen Übertragung von Hepatitis B-, Hepatitis C- und HI-Viren durch Beschäftigte im Gesundheitsdienst. In: Hofmann F et al. (Hrsg.): Arbeitsmedizin im Gesundheitsdienst, Band 28. Freiburg im Breisgau: edizion FFAS, 2015.

Preißl S, Hopfgartner L, Seubert Ch, Glaser J, Sachse P: Arbeitsmedizin im Wandel – Bestandsaufnahme der Arbeitssituation von Arbeitsmedizinern. Psychol Everyday Activity 2016; 9: 1.

Stranzinger J, Henning M, Nienhaus A: Betriebsärztebefragung zur Novelle der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Stand der Umsetzung nach einem Jahr. Zentralbl Arbeitsmed Arbeitssch Ergonomie 2016; 66: 181–187.

Stranzinger J, Henning M, Nienhaus A: Betriebsärztebefragung zur Novelle der Arbeitsmedizinischen Vorsorgeverordnung (ArbMedVV) – Stand der Umsetzung ein Jahr nach der Novelle. In: Nienhaus A (Hrsg.): RiRe – Risiken und Ressourcen in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (Band 2).Landsberg am Lech: ecomed Medizin, 2015, S. 61–74.

Ethikantrag: Es wurde kein Ethikantrag gestellt, da keine medizinischen Daten erhoben wurden. Der Datenschutz wurde eingehalten.

Interessenskonflikt: Die Autoren haben keinen Interessenskonflikt.

Finanzierung der Studie: Für die Studie erfolgte keine Finanzierung.

Beiträge der Autoren: JS und AN haben die Studie konzipiert. JS hat die Datenerhebung durchgeführt und das Manuskript erstellt. AN hat die Datenauswertung geleitet und das Manuskript überarbeitet. Beide Autoren haben der finalen Version des Manuskripts zugestimmt.

Für die Verfasser

Dr. med Johanna Stranzinger

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege

Grundlagen der Prävention und Rehabilitation – Fachbereich Gesundheitsschutz – Pappelallee 33/35/3722089 Hamburg

johanna.stranzinger@bgw-online.de

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 39–45

doi: 10.17147/ASU.2018-01-04-03

Fußnoten

1 Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Grundlagen der Prävention und Rehabilitation, Hamburg

2 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare)