Chancen und Risiken für den Einsatz von Exoskeletten in der betrieblichen Praxis – Erkenntnisse aus einer Feldstudie mit einem Exoskelett zur Rückenunterstützung
Zielstellung: Ziel der vorliegenden Feldstudie war, das Laevo-Exoskelett unter realen Arbeitsbedingungen hinsichtlich seines Einsatzpotenzials in der Automobilindustrie zu untersuchen, wobei neben Diskomfort, Usability und Nutzungsakzeptanz insbesondere auch die wahrgenommene Entlastung des unteren Rückens im Fokus stand. Im Rahmen der subjektiven Evaluation wurden hierfür sowohl Tätigkeiten mit statischer Haltungsarbeit (in vorgebeugter Körperhaltung) sowie dynamische Tätigkeiten der Lastenmanipulation untersucht.
Methoden: An der vierwöchigen Feldstudie beteiligten sich 30 Probanden an acht verschiedenen Arbeitsplätzen. Um Aussagen über die Entlastung durch das Laevo-Exoskelett treffen zu können, schätzten die Probanden sowohl vor als auch nach dem Test die tätigkeitsbedingten Beschwerden auf Basis der Body Part Discomofort Scale (Corlett u. Bishop 1976) ein. Die gleiche Skala wurde genutzt, um den wahrgenommenen Diskomfort zu bewerten. Mithilfe einer 7-Punkte-Likert-Skala wurden zudem die Gebrauchstauglichkeit (UMUX lite – Lewis 2013) sowie die Nutzungsintention (TAM2 – Davis 1989) untersucht, um die Nutzerakzeptanz zu bewerten.
Ergebnisse: Die Entlastung im Bereich des unteren Rückens konnte im Vorher-Nachher-Vergleich anhand sinkender tätigkeitsbedingter Beschwerden bestätigt werden. Zugleich reklamierten die Probanden Diskomfort, maßgeblich im Bereich von Brust und Oberschenkeln, was Ausdruck der Lastumverteilung ist. Der Diskomfort wurde bei statischen Tätigkeiten niedriger eingeschätzt als bei dynamischen. Die Gebrauchstauglichkeit ist im Verlauf des vierwöchigen Tests deutlich gesunken und damit einhergehend auch die Nutzerakzeptanz.
Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse der Feldstudie zeichnen ein weitestgehend positives Bild des Exoskeletts bezüglich wahrgenommener Beanspruchungsreduktion im unteren Rücken. Weiterführende arbeitsphysiologische Untersuchungen könnten helfen, den ergonomischen Benefit objektiv anhand arbeitsphysiologischer Parameter zu validieren. Darüber hinaus wäre es notwendig, auch die Lastumverteilung zu untersuchen, um Verbesserungspotenzial aufzuzeigen und die Nutzerakzeptanz zu erhöhen.
Schlüsselwörter: Exoskelette – Haltungsarbeit – Lastenmanipulation – Assistenzsystem – Muskel-Skelett-Erkrankungen
Opportunities and risks arising from the use of exoskeletons in industrial practice – Findings of a field study with an exoskeleton for back support
Objective: The aim of this field study was to investigate the potential use of the Laevo exoskeleton in the automotive industry under real-life working conditions, whereby the focus was not only on discomfort, usability and user acceptance, but also the perceived relief on the lower back. Activities in the workplace with a static posture (bent forward) and dynamic activities involving the handling of loads were studied within the scope of a subjective evaluation for this purpose.
Methods: Thirty test persons participated in the four-week field study, which was conducted at eight different types of workplace. Before and after the pilot run, participants were asked about work-related symptoms so that statements could be made about the relief provided by the exoskeleton. This was based on the Body Part Discomfort Scale (Corlett and Bishop 1976). The same scale was used to rate the perceived discomfort, whilst a 7-point Likert scale was also used to rate usability (UMUX lite – Lewis 2013) as well as intention to use (TAM2 - Davis 1989) in order to assess the user acceptance.
Results: It was possible to verify the lower back relief in a before-and-after comparison showing a drop in work-related symptoms. At the same time, the test subjects complained about significant discomfort in the chest and thigh areas, which is a reflection of load redistribution. The discomfort level was assessed as lower in static rather than dynamic working situations. The usability, and hence user acceptance, of the exoskeleton decreased significantly during the four-week test period.
Conclusions: The results of the field study paint a largely positive picture of the exoskeleton in terms of a perceived reduction in strain on the lower back. Additional occupational physiology studies could help to validate the ergonomic benefit objectively with the help of occupational physiology parameters. It would also be necessary to examine the load redistribution in order to identify the potential for improvement and increase user acceptance.
Keywords: exoskeletons – static work – load handling – assistance system – musculoskeletal disorders
Einleitung
Exoskelette kommen in der medizinischen Rehabilitation in Form von (körperumschließenden beziehungsweise -anliegenden) Orthesen schon lange zum Einsatz. In ihrer mechanischen Funktion können sie sowohl Gliedmaßen als auch den Rumpf stabilisieren, entlasten, ruhigstellen, führen, korrigieren, (im)mobilisieren oder sogar ausgefallene Körperfunktionen ersetzen (Gutsfeld et al. 2016). Darüber hinaus wurden in jüngster Vergangenheit auch Systeme für den militärischen Einsatz entwickelt, mit dem Ziel, die Leistung von Soldaten zu steigern, um sie beim Transport schwerer Lasten aktiv zu unterstützen (de Looze et al. 2016). Mittlerweile versuchen jedoch auch Unternehmen, sich die Potenziale aktiver und passiver Exoskelette als unterstützende Assistenzsysteme in ersten Applikationsszenarien zu erschließen, um die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter zu verbessern.
Obgleich sich in der Literatur keine einheitliche Definition findet, besteht Einigkeit darin, dass es sich bei Exoskeletten um körpergetragene mechanische Strukturen handelt (Herr 2009; de Looze 2016). Diese lassen sich weiterhin je nach Wirkmechanismus, unterstützter Körperregion und Einsatzzweck differenzieren. Um Anwendungsszenarien, Zielstellungen und Einsatzprämissen für die Implementierung industrieller Exoskelette zu präzisieren, wurde bei der AUDI AG daher der Begriff des Ergoskelettes geprägt und wie folgt definiert:
„Als Ergoskelette werden bei Audi körpergetragene Assistenzsysteme verstanden, die durch eine mechanische Einwirkung auf den Körper die Beanspruchung der Mitarbeiter bei physischer Arbeit optimieren, wenn technische und organisatorische Gestaltungsmittel ausgeschöpft sind“ (Hensel et al. 2018).
Dem TOP-Prinzip des Arbeitsschutzes (§ 4 ArbSchG) folgend, werden Exoskelette bei Audi als innovativer Ansatz betrachtet, durch deren zielgerichteten Einsatz zusätzlich zu technischen und organisatorischen Gestaltungsmaßnahmen sich die physische Beanspruchung der Mitarbeiter in Produktion und Logistik reduzieren lässt. Ferner bieten sie im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung oder Inklusion das Potenzial, Mitarbeiter mit Leistungseinschränkungen zu unterstützen.
Die arbeitswissenschaftliche Begleitforschung hält mit der Entwicklungsgeschwindigkeit auf dem Gebiet der Exoskelette nur schwer Schritt und der Verbreitung von Exoskeletten in der betrieblichen Praxis steht eine Vielzahl offener Fragestellungen entgegen. Vielmehr findet das Themenfeld Exoskelette in der Arbeitswissenschaft aktuell nur wenig Beachtung; dem steht jedoch ein steigender Bedarf aus der Industrie entgegen, was die dezidierte Bearbeitung des Themenfeldes notwendig macht, um dem Betriebspraktiker Hilfestellung bei Pilotierung und Implementierung von Exoskeletten zu geben. Der vorliegende Beitrag soll diese Lücke schließen, indem vor dem Hintergrund des betriebspraktischen Erfahrungswissens der AUDI AG bei der Pilotierung des Laevo-Exoskeletts, ergonomische, physiologische, arbeitssicherheitstechnische und arbeitspsychologische Anforderungen zusammengetragen werden. Hierfür werden insbesondere die Ergebnisse einer Interventionsstudie vorgestellt, in der das Laevo-Exoskelett unter realen Arbeitsbedingungen hinsichtlich seines Einsatzpotenzials in der Automobilindustrie untersucht wurde, wobei neben Diskomfort, Usability und Nutzungsakzeptanz vor allem auch die wahrgenommene Entlastung im Fokus stand.
Zielstellung
Belastungen des unteren Rückens, bedingt durch Lastenmanipulation oder Tätigkeiten in statischen Körperhaltungen, stellen mit 43 % die häufigste Belastungsursache in Produktion und Logistik bei der AUDI AG dar. Da arbeitsmedizinische Studien belegen, dass bei Mitarbeitern, die über längeren Zeitraum in den beschriebenen Belastungssituationen arbeiten, mit einer Lebenszeitprävalenz von 80 % Erkrankungen des unteren Rückens entstehen können (Garg et al. 2014), wird bei Audi großes Augenmerk auf die Gestaltung ergonomischer Arbeitsplätze gelegt. Da dies im Kontext des demografischen Wandels in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird (Keil et al. 2010), gilt es, geeignete Ergonomiewerkzeuge zu entwickeln, zu pilotieren und in der industriellen Praxis zu implementieren.
Das passive Exoskelett des Herstellers Laevo kann in diesem Kontext helfen, sowohl bei dynamischen Umsetzvorgängen als bei auch statischer Haltungsarbeit in vorgebeugter Körperhaltung die Belastung des unteren Rückens zu reduzieren. Hierzu wird ein Teil des wirkenden (Last)Gewichtes über ein Brustpad aufgenommen und über eine Federstruktur mit Gasdruckdämpfern an Rücken und Hüfte vorbei, über Oberschenkelauflagen in die Beine eingeleitet. Zugleich unterstützt die Rückstellkraft des Federdämpfersystems auch das Aufrichten des Oberkörpers. Das System lässt sich sowohl an die anthropometrischen Gegebenheiten der Nutzer als auch an die spezifische Arbeitssituation anpassen, da Unterstützungswinkel respektive Unterstützungsgrad variabel sind und sich der Federmechanismus (de)aktivieren lässt.
Nachdem der ergonomische Nutzen des Laevo bereits in arbeitsphysiologischen Laborstudien (Bosch et al. 2016; Baltrusch et al. 2018) bestätigt wurde, war es notwendig, das System im Rahmen einer Feldstudie auch subjektiv zu evaluieren, um die Nutzerakzeptanz für eine erfolgreiche Implementierung sicherzustellen. Dem Technologieakzeptanzmodell (Davis 1998) zufolge wird diese maßgeblich vom wahrgenommenen Nutzen („perceived usefulness“), das heißt der subjektiv wahrgenommenen Entlastung durch das Exoskelett, und der Einfachheit der Nutzung („perceived ease of use“), aber auch von der Gebrauchstauglichkeit sowohl beim An- und Ablegen als auch während der Nutzung etwa bei Haupt- und Nebentätigkeiten, bestimmt. Vor diesem Hintergrund wurden folgende drei Hypothesen formuliert:
- Mit der Nutzung des Laevo-Exoskeletts durch den Mitarbeiter wird die Beanspruchung des unteren Rückens signifikant reduziert.
- Bei Nutzung des Laevo-Exoskeletts findet eine Lastumverteilung in andere Körperbereiche statt, die dementsprechend stärker beansprucht werden.
- Wahrgenommene Entlastung, Diskomfort und Gebrauchstauglichkeit des Laevo-Exoskelettes bestimmen maßgeblich die Nutzungsintention des Mitarbeiters.
Methoden
Probanden- und Arbeitsplatzauswahl
Ziel der Feldstudie war, allgemeine Aussagen über die ergonomische Wirkungsweise und den Nutzen des Laevo-Exoskeletts zu treffen. Aufgrund der Besonderheiten der weiblichen Anatomie war jedoch ein erhöhter Diskomfort im Brustbereich (bedingt durch das Brustpad des Laevos) zu erwarten, weswegen ausschließlich männliche Probanden in die Untersuchung einbezogen wurden, um die Anzahl an unabhängigen Variablen zugunsten repräsentativer Ergebnisse zu limitieren. Insgesamt haben sich 51 freiwillige Testpersonen zur Teilnahme an der Studie bereiterklärt, wobei die Stichprobe letztlich lediglich 30 Mitarbeiter umfasste, nachdem vier Personen nach der medizinischen Voruntersuchung aufgrund von Kontraindikationen ausschieden, drei Mitarbeiter versetzt wurden und 14 den Test abbrachen. Das Durchschnittsalter der Probanden betrug 29,2 (SD = ±10,6) Jahre, das durchschnittliche Körpergewicht 76 (SD = ±9) kg und die durchschnittliche Körpergröße 175,3 (SD = ±6,5) cm. Die Testpersonen verfügten über eine Arbeitserfahrung von mindestens drei Monaten, im Durchschnitt jedoch von 56,7 (SD = ±78,9) Monaten, an diesen Arbeitsplätzen. Die Teilnehmer wurden im Vorfeld über Inhalt und Ablauf der Feldstudie aufgeklärt und stimmten dem in einer persönlichen Einwilligung zu. Die transparente Kommunikation sowohl über Ziele und Vorgehensweise der Feldstudie, insbesondere jedoch auch über den Nutzen des Exoskeletts, hat sich als wesentlicher Erfolgsfaktor für das Testvorhaben erwiesen. Die Feldstudie wurde zum einen vom Audi-Betriebsrat auf die Einhaltung ethischer Standards überprüft und freigegeben, zum anderen von Seiten der Arbeitssicherheit und des Gesundheitswesens begleitet.
Mit dem Ziel, den ergonomischen Benefit des Laevos zur Beanspruchungsreduktion sowohl bei Tätigkeiten mit statischer Haltungsarbeit als auch bei dynamischen Umsetzvorgängen zu evaluieren, wurden im Rahmen der Feldstudie Arbeitssituationen beider Belastungsfälle untersucht.
Auf Basis der Ergonomiebewertung wurden insgesamt fünf Arbeitsplätze in Montage und Presswerk mit Tätigkeiten in statischer Körperhaltung ausgewählt, bei denen die Mitarbeiter schwerpunktmäßig stark vornübergebeugt arbeiten. Das Laevo-Exoskelett wurde am Arbeitsplatz „Masseverschraubung im Fußraum“ (AP1) an der Montagelinie des Audi A4 in Ingolstadt von fünf Mitarbeitern sowie an den Arbeitsplätzen „Kofferraumdämmung“ (AP2) und „Einbau Leitungssatz“ (AP3) an der Montagelinie des Audi A8 in Neckarsulm mit jeweils zwei Mitarbeitern erprobt. An allen drei Arbeitsplätzen nutzten die Probanden das Exoskelett täglich entsprechend der Rotationssystematik etwa zwei Stunden lang. Die Taktzeiten schwanken an den Arbeitsplätzen je nach Derivat mit entsprechender Varianz an Arbeitsinhalten zwischen etwa 1,4 und 5,4 Minuten. Bei der Auswahl der Arbeitsplätze wurde darauf geachtet, dass der Zugang zum Verbauort sowohl in symmetrischer als auch in asymmetrischer Körperhaltung erfolgt, um auch den Unterstützungsgrad bei Körperdrehungen abbilden zu können. Im Presswerk wurden insgesamt neun Mitarbeiter aus den Gruppen der Wartung der Presswerkzeuge (AP4) und der Instandhaltung mit Rüsttätigkeiten (AP5) als Probanden akquiriert, die das Laevo immer temporär bei relevanten belastenden Tätigkeiten trugen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Testarbeitsplätze und deren spezifische Rahmenbedingungen. Während die Zeitanteile aus der im Fertigungsplan hinterlegten Zeitanalyse extrahiert wurden, sind Beugewinkel und Körperdrehung Bestandteil der ergonomischen Arbeitsplatzbewertung auf Basis des Audi-eigenen Bewertungsverfahrens APSA (Arbeitsplatzstrukturanalyse) (Bogus u. Dorn 2010), die wiederum direkt aus dem Arbeitsplatzlayout resultieren und durch Beobachtung beziehungsweise durch Messung gewonnen werden konnten.
Zur Nutzenevaluation für Tätigkeiten mit dynamischen Umsetzvorgängen wurden drei repräsentative Arbeitsplätze mit starker Oberkörperflexion in der Logistik ausgewählt. Dies umfasste zwei Arbeitsplätze im Bereich der Verpackung von Teilesätzen für die CKD-Montage (Completely Knocked Down) am Standort Ingolstadt und einen Arbeitsplatz in der Serienlogistik des Audi A8 am Standort Neckarsulm, wobei die Probanden das Laevo im freiwilligen Rahmen ganztägig nutzten. An den Arbeitsplätzen (AP6 und AP7) in der CKD-Verpackung erprobten acht Mitarbeiter das Laevo-Exoskelett für vier Wochen beim Entnehmen und Verpacken von Komponenten unterschiedlichen Gewichts aus Ladungsträgern. Am Kommissionierarbeitsplatz der Serienlogistik des Audi A8 (AP8) testeten vier Mitarbeiter das Laevo-Exoskelett für jeweils eine komplette Woche (mit steigender Nutzungsdauer) beim Sequenzieren von Bremssätteln und Bremsscheiben (mit Gewichten von ca, 5 bis 15 kg). Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Testarbeitsplätze in der Logistik und deren spezifische Rahmenbedingungen.
Abbildung 1 zeigt exemplarisch einige der untersuchten Arbeitsplätze.
Untersuchungsdesign
Die Überprüfung der Hypothesen erfolgte in einer empirischen Fragebogenuntersuchung im Vorher-Nachher-Vergleich. Hierfür wurde ein standardisiertes Erhebungsinstrument erarbeitet, dessen Validität durch die Nutzung existierender Skalen sichergestellt wurde. Somit wurde erstmals ein Fragebogen speziell für die subjektive Evaluation körpergetragener Assistenzsysteme entwickelt, der unabhängig vom spezifischen System eingesetzt werden kann, und die Möglichkeit bietet, verschiedene Exoskelette miteinander zu vergleichen. Einem modularen Aufbau folgend lässt er sich sowohl für passive als auch für aktive Systeme nutzen. Ergänzend erfolgten versuchsbegleitend arbeitsmedizinische Untersuchungen: im Vorfeld der Feldstudie zur Probandenauswahl unter Berücksichtigung medizinischer Ausschlusskriterien (wie stattgehabte Operationen oder Vorerkrankungen im Bereich des Rückens, maßgeblich der Lendenwirbelsäule, der Knie oder der Haut im Bereich der Kontaktflächen)sowie während und nach dem Test, um eventuell auftretende körperliche Beschwerden durch die Nutzung des Exoskeletts zu erfassen. Zur Wahrung des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht erfolgte die Erhebung anonym.
Mithilfe der Body Part Discomfort Scale (nach Corlett u. Bishop 1976) wurden in Kombination mit einer 7-Punkte-Likert-Skala im Vorfeld des Tests die körperlichen Beschwerden aus der Arbeitstätigkeit ermittelt. Sowohl im Verlauf als auch im Nachgang der Untersuchung diente dieselbe Skala dem Monitoring des Beschwerdebildes, beispielsweise in den Schultern, dem unteren Rücken, der Brust, den Knien oder den Oberschenkeln, um einerseits die Verbesserung bestehender Beschwerden, andererseits aber auch die Lastumverteilung und das subjektive Diskomfortempfinden bewerten zu können. Der statistische Vergleich der gepaarten Stichproben aus der Befragung vor und nach dem Test erfolgte anhand des zweiseitigen Wilcoxon-Vorzeichen-Rangtests mit einem Signifikanzniveau von = 10 %, was vor dem Hintergrund der vergleichsweise niedrigen Probandenzahl und fehlender Normalverteilung ausreichend genau erscheint. Auf diese Weise ist es möglich, generell den relativen Nutzen körpergetragener Assistenzsysteme zu eruieren.
Die (wahrgenommene) Gebrauchstauglichkeit des Laevo-Exoskeletts wurde auf Basis der beiden Usability-Items (Erfüllung der Anforderungen und Einfachheit der Nutzung) des UMUX-Lite (Usability Metric for User Experience) nach Lewis (2013) beurteilt. Im Fokus standen hierbei die Anforderungen und die Benutzbarkeit sowohl beim An- und Ablegen als auch dem Einsatz des Exoskeletts während der Tätigkeit. Um auch Aussagen über die Veränderung der Akzeptanz über den Test hinweg treffen zu können, wurde die Gebrauchstauglichkeit zu Beginn und nach dem Test erhoben.
Mit dem Ziel, die Einstellungsakzeptanz zu untersuchen, wurde auf Basis des Technologieakzeptanzmodells (TAM 2) von Davis (1989) die Dimension der Nutzungsintention ermittelt, die die Probanden ebenfalls auf Basis einer 7-Punkte-Likert-Skala bewerteten. Der statistische Zusammenhang zwischen Entlastung beziehungsweise Diskomfort und Nutzungsintention einerseits sowie Usability und Nutzungsintention andererseits wurde mithilfe einer Spearman’s Rangkorrelation überprüft, um den Einfluss auf die Nutzungsintention zu bestimmen. Die Interpretation der Effektstärken erfolgt auf Basis der Einteilung von Gignac u. Szodorai (2016), wonach 0,1 als niedrig, 0,2 als mittel und 0,3 als hoch zu beurteilen ist. Die Probanden wurden zudem zum aktiven Feedback angeregt, indem sie die Möglichkeit hatten, ihre positiven und negativen Erfahrungen bei der Nutzung des Laevo-Exoskeletts wiederzugeben. Das Ziel hierbei war, weitere Punkte, die aus Benutzersicht wichtig sind und bisher unberücksichtigt blieben, aufzugreifen, um dem Hersteller Feedback für die Weiterentwicklung des Assistenzsystems geben zu können.
Ergebnisse
Abbildung 2 veranschaulicht die Ergebnisse der Untersuchungen (aus erster und zweiter Befragung, vor und nach dem Test) an den Arbeitsplätzen mit statischer Körperhaltung in Montage und Presswerk mithilfe von Box-Plot-Diagrammen. Tätigkeitsbedingte Beschwerden und Diskomfort wurden auf einer 7-Punkte-Likert-Skala zwischen 1 (sehr niedrig) und 7 (sehr hoch) bewertet, Usability und Nutzungsintention zwischen 1 (sehr niedrig) und 7 (sehr hoch). Aus der Veränderung des Beschwerdebildes wurde auf die wahrgenommene Entlastung geschlossen. Mithilfe eines zweiseitigen Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests wurde diese im Bereich des unteren Rückens sowie der Handgelenke (durch fehlendes Abstützen beim Vorbeugen) als signifikant beurteilt. Mithilfe des zweiseitigen Hypothesentests konnte ferner eine Zunahme der Beanspruchung anderer Körperbereiche nachgewiesen werden. So spürten die Probanden eine Zunahme der Beschwerden mit hoher Effektstärke in der Brustregion (r = 0,3) sowie mit kleiner Effektstärke (r = 0,1) an den Oberschenkeln. Obgleich das Resultat nicht als signifikant bewertet werden kann, spricht es doch für die in Hypothese 2 vermutete Lastumverteilung, was auch von den Ergebnissen der Diskomfortbefragung gestützt wird. Demnach kritisierten die Probanden über die Nutzungsdauer steigenden Diskomfort, insbesondere im Bereich der Brust, Oberschenkel und Knie (durch Überstreckung) mit einer hohen Effektstärke von r = 0,4. Die Usability beim An- und Ausziehen sowie bei Ausführung der Tätigkeit wurde zu Beginn als sehr hoch bewertet, sank jedoch signifikant über die Nutzungsdauer. Gleichzeitig sank auch die Nutzungsintention signifikant, die anfänglich ebenfalls äußerst hoch bewertet wurde.
Abbildung 3 visualisiert die Ergebnisse der Untersuchungen an den Logistikarbeitsplätzen mit dynamischer Lastenmanipulation im Vorher-Nachher-Vergleich. Zwischen den beiden Befragungsstufen zeigt sich eine Verbesserung des Beanspruchungsempfindens im unteren Rücken, die zwar nicht als signifikant bewertet werden kann, aber dennoch für eine Entlastung durch die Nutzung des Systems spricht. Die Zunahme der Beschwerden in der Nacken-, Schulter- und Brustregion ist deutlich erkennbar, jedoch nicht signifikant. Die Veränderung der Beanspruchung im Bereich von Brust und Schultern weist mit r = 0,4 eine hohe, in der Nackenregion eine mittlere (r = 0,2), und in den Oberschenkeln eine niedrige (r = 0,1) Effektstärke auf. Das Diskomfortempfinden im Bereich der Brust stieg signifikant, im Bereich der Knie und Schultern (aufgrund der Tragegurte) mit hoher Effektstärke (r = 0,3). Die Bewertung der Gebrauchstauglichkeit beim An- und Ablegen blieb im Vergleich zu den statischen Arbeitssituationen relativ stabil, bei denen die Mitarbeiter das System entsprechend der Rotationssystematik öfter an- und ablegen mussten. Die Usability sank indes beim Ausführen der Tätigkeit signifikant, aufgrund der Behinderung bei Nebentätigkeiten (r = 0,4), wie dem An- und Abkoppeln der Trolleys oder dem Fahren des Routenzuges. Trotz spürbarer Entlastung des unteren Rückens sank die Nutzungsintention signifikant, obwohl sie zu Beginn wiederum als sehr hoch eingeschätzt wurde.
Diskussion
Aus den Ergebnissen ergibt sich insgesamt ein positives Bild der wahrgenommenen Entlastung im unteren Rücken durch das Laevo, wobei diese für statische Tätigkeiten allerdings signifikant höher bewertet wurde, als für dynamische. Insofern decken sich die Resultate zum Entlastungsempfinden mit den Ergebnissen der arbeitsphysiologischen Studie von Bosch et al. (2016), die anhand elektromyographischer Messungen die Entlastung der Rückenmuskulatur nachwies. Die Hypothese 1 wurde demnach mithilfe des Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests bestätigt. Zudem wurde der positive Einfluss des Entlastungsempfindens auf die Nutzungsintention mithilfe von Spearman’s Rangkorrelationskoeffizienten nachgewiesen ( = 0,303).
Die statistischen Ergebnisse der Befragung weisen jedoch auch auf einen Anstieg der Beanspruchung in anderen Körperregionen und damit eine Lastumverteilung hin, maßgeblich in der Brustregion (r 0,4) sowie im Bereich der Oberschenkel (r = 0,1). Insbesondere beim Einsatz in der Logistik nahmen die Probanden zudem eine zusätzliche Beanspruchung im Bereich von Schultern und Nacken (r = 0,4) wahr, die entsprechend des Feedbacks der Mitarbeiter durch die Schultergurte ausgelöst wurde (und im Gegensatz zu den statischen Tätigkeiten erst nach längeren Tragedauer wirksam wurde.) Unterstützt werden diese Ergebnisse durch die Diskomfortbefragung, sodass Hypothese 2 aufgrund der zum Teil hohen Effektstärken trotz fehlender Signifikanz des zweiseitigen Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests als bestätigt betrachtet werden kann.
Ferner wurde auf Basis der Spearman-Rangkorrelation statistisch bestätigt, dass mit sinkender Gebrauchstauglichkeit und steigendem Diskomfortempfinden die Nutzerakzeptanz sinkt. Demnach beeinflusst der Diskomfort im Bereich der Körperkontaktstellen die Nutzungsintention negativ ( = –0,385), während die wahrgenommene Gebrauchstauglichkeit die Nutzungsintention positiv ( = 0,389) bestimmt. Hypothese 3 konnte somit ebenfalls bestätigt werden.
Im Rahmen der Feldstudie konnten erstmals die akzeptanzförderlichen Effekte der wahrgenommenen Entlastung durch die Nutzung des Exoskeletts und der Gebrauchstauglichkeit sowie die der negative Einfluss des Diskomforts auf die Nutzerakzeptanz statistisch nachgewiesen werden.
Die Feldstudie zeigt somit zwar einerseits das Potenzial des Laevo-Exoskeletts zur Rückenunterstützung auf, offenbart aber zugleich Verbesserungspotenzial bezüglich der konstruktiven Weiterentwicklung des Produktes, da der Diskomfort aktuell der Nutzerakzeptanz und damit dem erfolgreichen Einsatz entgegensteht. An den dynamischen Arbeitsplätzen wurde der Diskomfort höher eingeschätzt, was sich einerseits mit der Frequenz der Beugevorgänge und andererseits mit der ganzschichtigen Tragedauer begründen lässt. Die Ergebnisse der subjektiven Evaluation des Laevo-Exoskeletts sollten im nächsten Schritt auf ein breiteres Probandenkollektiv ausgeweitet werden, um auch Erkenntnisse bei der Nutzung durch weibliche Probanden zu sammeln. Überdies wäre es notwendig, den ergonomischen Benefit im Rahmen einer Laborstudie objektiv anhand arbeitsphysiologischer Parameter zu validieren. Nachdem der Beitrag des Laevo-Exoskeletts zur Reduktion der Muskelbelastung bereits wissenschaftlich nachgewiesen wurde (Bosch et al. 2016; Baltrusch et al. 2018), könnten über eine Wirbelsäulensimulation beispielsweise sogar die mechanischen Einwirkungen des Systems auf Wirbelkörper und Bandscheiben modelliert werden. Zudem wäre es möglich, das durch das Brustpad ausgelöste Diskomfortempfinden über eine Druckverteilungsmessung im Brustbereich detaillierter zu untersuchen.
Schlussfolgerungen für den Betriebspraktiker
Die Untersuchungsergebnisse der vorgestellten Feldstudie offenbaren das Potenzial von Exoskeletten als ergonomische Unterstützungssysteme zur Entlastung der Mitarbeiter in körperlichen Engpassregionen, wie dem Rücken, in belastenden Arbeitssituationen. Anhand des Laevo-Exoskeletts konnte der positive Einfluss der wahrgenommenen Entlastung des unteren Rückens auf die Nutzungsintention nachgewiesen werden. Dieser steht jedoch der wahrgenommene Diskomfort entgegen, der sich vor allem im Bereich der Körperkontaktstellen an Schultern, Brust und Oberschenkeln in Form von Schwitzen, Reibung und Druckempfinden sowie durch das Eigengewicht des Systems ergibt. Der Diskomfort scheint insbesondere bei längerer (bis zu ganzschichtiger) Tragedauer schwerer zu wiegen. Überdies zeugen die Ergebnisse von einer Lastumverteilung, insbesondere in Brust, Oberschenkel und Knie, weswegen von dauerhafter Nutzung abzuraten ist, um möglichen negativen Langzeitfolgen entgegenzuwirken.
Der wahrgenommene Nutzen resultiert vordergründig aus dem relativen Vorteil des Exoskeletts, den der Nutzer durch die Gegenüberstellung von Entlastung und zusätzlicher Belastung (durch Diskomfort, Gewicht, Zeitaufwand beim An- und Ausziehen, reduzierte Arbeitsgeschwindigkeit) bewertet, was zumeist konstruktiv bedingt ist. In der Feldstudie hat sich beispielsweise die Behinderung bei der Ausführung von Nebentätigkeiten als Akzeptanzhindernis herausgestellt.
Neben der Entlastung wurde für das Laevo-Exoskelett in der subjektiven Evaluation eine Lastumverteilung nachgewiesen. Diese ist aufgrund der mechanischen Einwirkung von Exoskeletten auf den menschlichen Körper generell zu vermuten und kann negative Langzeitfolgen, wie muskuläre Dysbalancen, bedingen. Aber auch psychische Aspekte der Nutzung von Exoskeletten werden in Wissenschaft und Praxis bislang nicht berücksichtigt. Erkenntnisse aus Prothetik und Orthetik lassen indes sowohl negative Effekte, beispielsweise durch den Verlust der Selbstwirksamkeitserwartung, als auch positive Effekte, etwa durch erfolgreiche Inklusion, vermuten (Desmond et al. 2002; Dannehl 2013). Etwaige adverse Effekte lassen sich allerdings nur bedingt im Rahmen von Feldstudien oder arbeitsphysiologischen Laborstudien identifizieren. Vielmehr ist nach der Implementierung von Exoskeletten im Praxiseinsatz eine dezidierte arbeitsmedizinische Begleitung der Anwender in Nutzungs- und Nachnutzungsphase notwendig. Diese ermöglichen es einerseits, in Längsschnittstudien abgesicherte Erfahrungen zum Nutzen sowie zu möglichen negativen Langfristfolgen sammeln zu können. Andererseits ermöglichen sie auch, frühzeitig erste Anzeichen negativer gesundheitlicher Folgen zu erkennen, um muskuloskelettalen Erkrankungen vorbeugen zu können.
Die Industrie steht dem Einsatz von Exoskeletten nicht zuletzt aufgrund von Unklarheiten bezüglich (arbeits)sicherheitstechnischer Anforderungen zögerlich gegenüber. Diese werden maßgeblich vom konkreten Einsatzzweck bestimmt und nehmen gleichermaßen Hersteller und Betreiber in die Verantwortung und spannen somit den Rahmen für rechtliche Risiken und Haftungskausalitäten auf.
Anders als passive Exoskelette verfügen aktive Systeme über bewegliche Teile sowie ein Antriebssystem und werden damit entsprechend der Maschinenrichtlinie (RL 2006/42/EG) als bewegungsunterstützende (Assistenz)Roboter klassifiziert. Doch auch passive Exoskelette fallen unter diese Kategorie, wenn sie als Hebehilfe die menschliche Kraft als Antrieb nutzen oder mittels Energiespeichers auch ohne direkte menschliche Krafteinwirkung funktionieren. Damit sind die Hersteller solcher Systeme aufgefordert, durch eine Risikobeurteilung (nach DIN EN ISO 12100) Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter auszuschließen und dies mittels entsprechender Konformitätserklärung nachzuweisen. Zugleich verlangen Arbeitsschutzgesetz (§ 5 ArbSchG) und Arbeitsstättenverordnung (§ 3 ArbStättV) vom Betreiber die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen, um Arbeitsplatz-spezifische Gefährdungen durch den Einsatz von Exoskeletten zu beurteilen und gegebenenfalls Maßnahmen abzuleiten respektive umzusetzen. Überdies kommen dem Unternehmen Dokumentations- und Unterweisungspflichten zu.
Ferner können Exoskelette als persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur präventiven Vermeidung von Gesundheitsgefahren durch Überbelastung (etwa durch Lastenhandhabung oder Tätigkeiten in Zwangshaltungen) dienen. Während das Arbeitsschutzgesetz mit dem TOP-Prinzip den rechtlichen Rahmen vorgibt, spezifiziert die PSA-Verordnung 2016/425 die Anforderungen und verlangt vom Hersteller eine dezidierte Risikobeurteilung, die neben bestimmungsgemäßem Gebrauch auch die vorhersehbare Verwendung berücksichtigt. Zudem stellt die PSA-Verordnung Mindestanforderungen an individuelle Anpassbarkeit, Hygiene und Zurverfügungstellung, die vom Betreiber der Systeme sicherzustellen sind. Gleichwohl hat er für Unterweisung, Wartung, Reparatur, Ersatzmaßnahmen und Lagerung Sorge zu tragen.
Demgegenüber wären aktive oder passive (respektive nichtaktive) Exoskelette (aufgrund ihrer physikalischen Hauptwirkung) als Medizinprodukt (nach EU-Richtlinie 93/42/EWG) zu klassifizieren, wenn diese indikationsbasiert als medizinische Hilfsmittel zu therapeutischen Zwecken (Heilung, Symptomlinderung oder Funktionswiederherstellung) im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung oder Inklusion dienen. Der Hersteller ist wiederum aufgefordert, eine Risikobeurteilung durchzuführen, um mittelbare oder unmittelbare Gefährdungen für die Sicherheit und Gesundheit der Anwender auszuschließen. Auf Basis wissenschaftlicher Tests muss vor dem Einsatz am Patienten sichergestellt sein, dass das Produkt seine Zweckbestimmung erfüllt und bei zweckbestimmungsgemäßem Gebrauch sicher zum Wohle des Patienten anwendbar ist. Ein eventuell verbleibendes Restrisiko muss immer kleiner sein als der Nutzen für den Patienten. Das Medizinproduktegesetz stellt jedoch auch klare rechtliche Anforderungen an den Betreiber von Medizinprodukten, dies umfasst neben Melde- und Dokumentationspflichten auch die strukturierte Langzeitbeobachtung (Leitgeb 2015).
Aus den vorgestellten rechtlichen und normativen Anforderungen lassen sich für den Betriebspraktiker Rahmenbedingungen an die konstruktive Umsetzung sowie die Inbetriebnahme und den Betrieb von Exoskeletten ableiten. So wurde bei Audi ein dezidierter Geschäftsprozess für die Pilotierung und Implementierung von Exoskeletten etabliert sowie unternehmensinterne Leitlinien für deren industriellen Einsatz erstellt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Exoskelette einen vielversprechenden Ansatz darstellen, um die ergonomischen Bedingungen der Mitarbeiter zu verbessern und tätigkeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen vorzubeugen. Passive Systeme sind aktiven Systemen hinsichtlich des Produktreifegrads weit voraus und befinden sich bereits im Rahmen zahlreicher Pilotierungsvorhaben im Einsatz. Mit dem Chairless Chair hat die AUDI AG als erster deutscher Automobilhersteller ein passives Exoskelett in den produktiven Einsatz gebracht, das bei Stehtätigkeiten entlasten soll, etwa um muskuloskelettalen und venösen Erkrankungen vorzubeugen. Die Entwicklung von Exoskeletten scheint primär technologisch getrieben zu sein, da der Fokus stark auf der mechanischen Wirksamkeit der Systeme liegt. Jedoch muss der Nutzer in den Mittelpunkt sowohl der Entwicklung als auch der Pilotierung und Implementierung von Exoskeletten rücken. Für die Implementierung industrieller Exoskelette als menschzentrierte, ergonomische Assistenzsysteme müssen neben deren biomechanischer Fundierung vor allem Aspekte wie Ergonomie, Komfort, Usability, Sicherheit, Nutzerakzeptanz und psychische Belastung adäquat berücksichtigt werden. Einem partizipativen Prozess folgend sollten gleichberechtigt Ergonomen, Betriebsmediziner, Arbeitssicherheit, Arbeitnehmervertretung (unter Berücksichtigung der Mitbestimmungsrechte nach BetrVG) und vor allem die betroffenen Mitarbeiter frühzeitig in die Pilotierung und den Rollout einbezogen werden. Diese haben an der Weiterentwicklung der Exoskelette teil, indem sie mit ihrem Feedback aus den Feldstudien aktiv zur Verbesserung der Exoskelette betragen. In diesem Zusammenhang stellt ein transparenter Kommunikationsprozess einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die Pilotierung und Implementierung von Exoskeletten dar. Die arbeitsmedizinische Begleitung der Exoskelettnutzer in der Nutzungsphase ist hierbei unerlässlich, da sich aktuell keine Aussagen zu etwaigen Langzeitfolgen treffen lassen.
Literatur
Baltrusch SJ, van Dieën JH, van Bennekom CAM, Houdijk H: The effect of a passive trunk exoskeleton on functional performance in healthy individuals. Appl Ergon 2018; 72: 94–106.
Bogus T, Dorn R: Berücksichtigung des Arbeitsplatzbedarfs für einsatzkritische leistungsgewandelte Mitarbeiter im Planungsprozess. In Tagungsband des 57. Frühjahrskongresses der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft. Dortmund: GfA-Press, 2010, S. 265–268.
Bosch T, van Eck J, Knitel K, de Looze M: The effects of a passive exoskeleton on muscle activity, discomfort and endurance time in forward bending work. Appl Ergon 2016; 54: 212–217.
Corlett EN, Bishop RP: A technique for measuring postural discomfort. Ergonomics 1976; 19: 175–182.
Davis FD: Perceived usefulness, perceived ease of use, and user acceptance of information technology. Computer and Information Systems Graduate School of Business Administration, Michigan, 1989.
Dannehl SD; Prospektiv-nutzergerechte Gestaltung von Medizinprodukten. Berlin: De Gruyter, 2013.
De Looze MP, Bosch T, Krause F, Stadler KS, O’Sullivan LW: Exoskeletons for industrial application and their potential effects on physical work load. Ergonomics 2016; 59: 671–681.
Desmond D, Maclachlan M: Psychosocial Issues in the Field of Prosthetics and Orthotics. Prosthet Orthot Int 2002; 14: 19–22.
European Agency for Safety and Health at Work (OSHA): OSH in figures: Work-related musculoskeletal disorders in the EU – Facts and figures. Luxembourg: Publications Office of the European Union, 2010.
Garg A, Boda S, Hegmann KT et al.: The NIOSH lifting equation and low-back pain, Part 1: Association with low-back pain in the backworks prospective cohort study. Hum Factors 2014; 56: 6–28.
Gignac GE, Szodorai ET: Effect size guidelines for individual differences researchers. Personal Individ Differ 2016; 102: 74–78.
Gutsfeld P, Simmel S, Benning E, Brand A, Augat P: Orthesen in der Unfallchirurgie. Trauma Berufskrankh 2016; 18: 116–124.
Hensel R, Keil M, Bawin S: Feldstudie zur Untersuchung des Laevo- Ergoskelettes hinsichtlich Usability, Diskomfort und Nutzungsintention. In Tagungsband des 64. Frühjahrskongresses der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft. Dortmund: GfA-Press, 2018.
Herr H: Exoskeletons and orthoses: classification, design challenges and future directions. J Neuroeng Rehabil 2009; 6: 21.
Keil, M, Hensel R, Spanner-Ulmer B: Fähigkeitsgerechte Prozessmodellbausteine zur Generierung altersdifferenzierter Beanspruchungsprofile. Z Arb Wiss 2010; 64: 205–215.
Kuiper J, Burdorf A, Frings-Dresen M, Kuijer P, Spreeuwers D, Lötters F, Miedema H: Assessing the work-relatedness of nonspecific low-back pain. Scand J Work Environ Health 2005; 31: 237–243.
Leitgeb N: Sicherheit von Medizingeräten. Recht, Risiko, Chancen. Heidelberg: Springer, 2015.
Lewis JR, Utesch BS, Maher DE: UMUX-LITE: when there’s no time for the SUS. In: Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems (2099–2102). New York: ACM, 2013.
Punnett L, Fine LJ, Keyserling WM, Herrin GD, Chan DB: Back disorders and nonneutral trunk postures of automobile assembly workers. Scand J Work Environ Health 1991; 17: 337–346.
Rogers E: Diffusion of innovations. New York: Free Press, 2003.
Erklärung zur Autorenschaft: Alle Autoren waren gleichwertig am Erstellen des Beitrags beteiligt.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Für die Verfasser
Dr.-Ing. Ralph Hensel
AUDI AG
Industrial Engineering Methoden
Ettinger Straße
85045 Ingolstadt
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 654–661
Fußnoten
1AUDI AG, Industrial Engineering Methoden, Ingolstadt, 2AUDI AG, Gesundheitswesen, Ingolstadt