Telematik und eHealth – worüber sprechen wir?
Unter der sachkundigen Moderation von Prof. Dr. med. Hanns Wildgans referierte zunächst Frau Dr. med. Christiane Groß in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Ärztlichen Beirats zur Begleitung des Aufbaus einer Telematik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen, der bereits verschiedene Empfehlungen und Stellungnahmen abgegeben hat (zu Einzelheiten siehe „Weitere Infos, Ärztekammer Nordrhein).
Sie differenzierte zwischen eCare (Telemedizin), eAdministration, ePrevention, eResearch und eLearning. Telemedizin ist bislang in der Wahrnehmung besonders von Bedeutung als Teleradiologie, -neurologie und -kardiologie; auch der „Tele-Notarzt“ wurde erwähnt. Allgemein geht es um ärztliche Versorgungskonzepte u. a. zu Diagnostik, Therapie sowie Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen oder zeitlichen Versatz.
Telemedizin wird nicht als eigenständiges Fachgebiet, sondern als integraler Bestandteil nahezu jeden Fachgebiets verstanden. Überregionales Expertenwissen kann selbst im häuslichen Umfeld der Patientinnen und Patienten genutzt werden. Als unverzichtbar dafür stellte Frau Dr. Groß zum Beispiel klare rechtliche Rahmenbedingungen und eine verlässliche Infrastruktur dar. Thematisiert wurde eine Aufhebung des „Fernbehandlungsverbots“.
Das „E-Health-Gesetz“ (siehe „Weitere Infos“) setzt den Rahmen für „sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“. Über Patientennutzen und -selbstbestimmung zu Stammdatenmanagement, medizinischen Notfalldaten, Medikationsplan, elektronischen Arztbriefen und Patientenakten etc. wird weiter intensiv diskutiert. So ist für den elektronischen Arztbrief z. B. die Klärung von Verantwortlichkeiten (elektronische Signatur, Zeitstempel) zu fordern. Für den Medikationsplan wurde „ganz oder gar nicht“ gefordert; Risiken durch unvollständige Eintragungen seien zu vermeiden.
Patientennutzen am Beispiel Dermatologie auf Dauer nur mit Begleitforschung
Prof. Dr. med. Hans Drexler stellte (anstelle des im Programm genannten Herrn Prof. Dr. med. Stephan Letzel) als Ordinarius für Arbeitsmedizin in Erlangen, Präsident der DGAUM und als Dermatologe eindrucksvolle Beispiele unter der Überschrift „Telemedizin: Modell für die Arbeitsmedizin der Zukunft?“ vor.
Mit Verweis auf die Bundesärztekammer betonte er: „Telemedizinische Verfahren sollen nur dann zur Anwendung kommen, wenn konventionelle Methoden unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderung des Verfahrens, des Orts und der Zeit der Inanspruchnahme nicht verfügbar sind oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verfügbar gemacht werden können.“ Neben dem Anspruch auf Facharztstandard steht die Forderung nach qualitätssichernden Systemen. Gemäß § 7 (1) ArbMedVV (s. „Weitere Infos“) gilt: „Verfügt der Arzt oder die Ärztin nach Satz 1 für bestimmte Untersuchungsmethoden nicht über die erforderlichen Fachkenntnisse oder die speziellen Anerkennungen oder Ausrüstungen, so hat er oder sie Ärzte oder Ärztinnen hinzuzuziehen, die diese Anforderungen erfüllen.“ Hier eröffnen sich Ansatzpunkte z. B. für „dermatologische Konsile“. Die betriebsärztliche Tätigkeit ist weit mehr als nur die „Arbeitsmedizinische Vorsorge“ und Letztere umfasst bei Weitem nicht nur die Untersuchung der Beschäftigten. Allgemein sollen Präventionsstrategie und -kultur auch kleine und mittlere Unternehmen erreichen. Die Arbeitsmedizin sollte die Vorteile der Telemedizin nutzen; betont wurde die Notwendigkeit der Projektförderung für Begleitforschung.
Bedeutsam auch für den Berufsverband
Für das Präsidium des VDBW stellte Frau Dr. med. Wiete Schramm dessen „Leitsätze Telearbeitsmedizin“ vor mit Bezug auf die Digitalisierung der Arbeitswelt insgesamt (s. „Weitere Infos“). Telearbeitsmedizin sei bedeutsam mit persönlichem Bezug zum Beschäftigten wie auch im Rahmen weiterer betriebsärztlicher Aufgaben (Arbeitsschutzausschuss, Begehungen, Beratungen). Rechtlich sei zu beachten, dass bestimmte Vorgehensweisen bei bislang unbekannten Patienten berufsrechtswidrig sein können. Und eine ausschließliche Beratung via technische Hilfsmittel erfülle nicht die Anforderungen an eine qualitätsgerechte Betreuung. Die Wahrung der Privatsphäre müsse gegeben sein.
Datenschutz schafft rechtskonform Möglichkeiten
Ausgewiesener Experte zu „eHealth und Big Data – eine Herausforderung für den Datenschutz“ ist Dr. iur. Thilo Weichert als Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein a. D. und aktuell Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e. V. Er spannte einen weiten Rahmen von den Grundrechten bis zur ab 25.05.2018 gültigen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Als technisch-organisatorische Schutzziele benannte er die Vertraulichkeit (z. B. Verschlüsselung), Integrität/Authentizität (z. B. digitale Signatur), Verfügbarkeit (z. B. Backup, Stromversorgung), Intervenierbarkeit (Löschen, Sperren, Berichtigen), Transparenz/Revisionsfähigkeit (Protokolle, Dokumentation) sowie die Nichtverkettbarkeit (z. B. Mandantentrennung, Rollenkonzept). Für rechtlich wirksame Einwilligungen bei „medizinischem Big Data“ müssten die Erklärungen bewusst, informiert, freiwillig (ohne Abhängigkeit) und widerrufbar sein.
Der neueste Stand in IT und praktischer Anwendung
Frau Dipl.-Ing. Antje Niemeyer, IBM Watson Health Business Lead – DACH, beantwortete mit Bezug auf „WATSON“ (s. „Weitere Infos“) Fragen zu „Bessere Entscheidungen durch künstliche Intelligenz?“ und betonte zunächst den großen Umfang gesundheitsrelevanter Daten heute außerhalb des Gesundheitssystems. Kognitive Systeme seien dazu da, menschliche Intelligenz zu unterstützen; sie schmiedeten „eine neue Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine“ auf der Basis von 50 zugrunde liegenden Technologien. „Watson Health Lösungen“ stünden zur Verfügung z. B. für Ärzte, die Pharma-Industrie und Versicherungen.
„Telemedizin bei der Siemens AG am Beispiel von Offshore-Arbeitsplätzen“ stellte Dr. med. Ralf Franke (Head of Environmental Protection, Health Management and Safety bei dem Unternehmen) vor mit Darstellung der zunehmenden Bedeutung der Offshore-Windkraft in den vergangenen mehr als 25 Jahren und zunehmend großer Entfernung von Windparks von der Küste. Wenn der Transport zur Arbeitsstelle über eine Stunde dauern kann, Arbeiten in Höhe von ca. 120 m verrichtet werden und das Bewegen schwerer Teile als Unfallgefahr besteht, ist Telemedizin Teil des „Offshore-Notfallkonzepts“.
Es sollen z. B. umfassende, angemessene, leitlinienkonforme Versorgung für alle Plattformen sichergestellt, Zeitverluste in den Abläufen der Offshore-Rettung minimiert, existierende Komponenten der Rettung auf See verlässlich verbunden und medizinische, logistische und rechtliche Fragestellungen geklärt werden. Betont wurden die Herausforderungen durch medizinische, logistische und rechtliche Fragestellungen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) jenseits des Küstenmeeres.
Fazit
Durch die Vorträge zu Grundlagen, aus verschiedenen Perspektiven der Arbeitsmedizin (einschließlich Berufsverband und Wissenschaftlicher Fachgesellschaft), aus Sicht der fortgeschrittenen praktischen Anwendung und des Datenschutzes und durch die mögliche Diskussion im Rahmen des Panels konnten für die Teilnehmenden viele Fragen beantwortet werden. Es wurde auch offensichtlich, dass umfassende Herausforderungen bleiben, die anzugehen sind.
Weitere Infos
Ärztekammer Nordrhein: Ärztlicher Beirat zur Begleitung des Aufbaus einer Telematik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen
https://www.aekno.de/page.asp?pageID=9177
E-Health-Gesetz
Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV):§ 7 Anforderungen an den Arzt oder die Ärztin
https://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/__7.html
VDBW: Leitsätze Telearbeitsmedizin“
IBM: WATSON