Konzeptions- und Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung von Anreizsystemen zur Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit
Zielstellungen: Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie ein betriebliches Anreizsystem unter Berücksichtigung wichtiger Faktoren und Strukturen gestaltet sein sollte, damit sich die Sicherheits- und Gesundheitsperformance im Betrieb verbessert und Vorgesetzte und Beschäftigte langfristig für das Thema Sicherheit und Gesundheit motiviert werden können.
Während sich technische und organisatorische Strukturen durch Konzepte und Veränderungsprozesse anstoßen und bestimmen lassen, erweist sich menschliches Denken und Handeln als nur sehr schwer steuer- und beeinflussbar. Menschliches Denken und Handeln lässt sich auch nicht von Technik und Organisation separieren, sondern muss immer als Gesamtheit betrachtet werden.
Ergebnisse: Hierzu wird im ersten Teil der Arbeit auf die theoretischen Grundlagen von Motivation, Lernen bzw. Verhaltensbeeinflussung und Anreizsysteme thematisch eingegangen sowie die für die Konzeption erforderlichen rechtlichen, wirtschaftlichen und betrieblichen Anforderungen. Der zweite Teil diskutiert Steuerungsgrößen und Grundlagen für die Planung und Einführung von Anreizsystemen zur Verbesserung der Sicherheitsperformance.
Schlussfolgerungen: Im letzten Teil der Arbeit werden Möglichkeiten der betrieblichen Umsetzung von Anreizsystemen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit dargestellt und aufgezeigt, unter welchen Voraussetzungen Anreizsysteme eine nützliche Rolle bei der Sicherheits- und Gesundheitsarbeit darstellen können.
Schlüsselwörter: betriebliches Anreizsystem – Sicherheits- und Gesundheitsperformance – Steuerungsgrößen
Possible concepts and courses of action for incentive systems designed to improve the health and safety of employees at work
Objectives: The present thesis focuses on the question of how to design an internal incentive system with consideration for important factors and structures to improve the safety and health performance of a company and to ensure that supervisors and employees are motivated about safety and health in the long term. While technical and organisational structures can be initiated and determined by concepts and change processes, human thoughts and actions are difficult to manage and influence. In addition, human thoughts and actions cannot be separated from technology and organisation, but must always be considered as a whole.
Results: To this end, the first part of the thesis discusses the theoretical foundations of motivation, learning or influencing behaviour, and incentive systems and describes the necessary legal, economic, and operational requirements for such concepts. The second part explores control parameters and foundations for planning and introducing incentive systems for the improvement of safety performance.
Conclusions: The thesis concludes with an analysis of options for the operational implementation of safety and health-related incentive systems and defines the conditions under which incentive systems can play a useful role in promoting occupational safety and health.
Keywords: internal incentive system – safety and health performance – control parameters
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 768–770 doi: 10.17147/ASU.2017-10-02-01
Einleitung
Durch rechtliche Regelungen und betriebliche Zielsetzungen sind Betriebe angehalten, die Zahl der betrieblichen Unfälle bei Beschäftigten zu reduzieren und zugleich Sicherheit und Gesundheit zu fördern.
In Anbetracht des vorangeschrittenen Standes der Ausprägung von Sicherheit und Gesundheit in betrieblichen Systemen, indem Arbeitsmittel, Anlagen und Arbeitssysteme technisch sicher gestaltet worden sind, sowie in Anbetracht der verstärkten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, in denen viele Betriebe organisatorische Defizite durch ein integriertes Managementsystem weitestgehend ausgeschlossen haben, rückten in den vergangenen Jahren in Betrieben vermehrt die Diskussionen um das persönliche sicherheitsgerechte Verhalten bzw. Beschäftigtenverhalten und dessen Verbesserung in den Vordergrund.
Zielstellung
Während sich technische und organisatorische Strukturen durch Konzepte und Veränderungsprozesse anstoßen und bestimmen lassen, erweist sich menschliches Denken und Handeln als nur sehr schwer steuer- und beeinflussbar. Menschliches Denken und Handeln lässt sich auch nicht von der Technik und Organisation separieren, sondern muss immer als Gesamtheit betrachtet werden. Der Fokus einer betrieblichen Sicherheitskultur muss demnach auf technische, organisatorische und persönliche Faktoren gerichtet werden. Ziel des Betriebs muss es sein, Verhältnis- und Verhaltensprävention zu betreiben und das Arbeitssystem ganzheitlich zu betrachten (Vogel 2017).
Ergebnisse
Eine entscheidende Stellschraube zur Verbesserung der Verhaltensprävention stellt die Motivation der Beschäftigten zur sicheren und gesunden Arbeit dar. Motivation kann allgemein als aktivierte Verhaltensbereitschaft eines Individuums im Hinblick auf die Erreichung bestimmter Ziele verstanden werden. Sie wird von der individuellen, überdauernden und relativ konstanten Wertungsdisposition gegenüber einer bestimmten Situation geprägt (vgl. Lindert 2001, S. 57–63). Motivierte Beschäftigte sind für Sicherheit und Gesundheit offen. Motivation kommt und geht nicht einfach, sondern sie muss gefördert und aufrechterhalten werden.
Der Arbeitgeber ist also aufgefordert, eine Verbindung zwischen der inneren Motivation der Beschäftigten sowie deren Interessen und den betrieblichen Zielen bezüglich Sicherheit und Gesundheit herzustellen. Anreize geben dabei einen punktuellen Anstoß und Ansporn, indem der Beschäftigte dazu gebracht werden soll, entsprechend den Unternehmenszielen zu handeln. Vereinzelte und unregelmäßige Anreize reichen jedoch nicht aus, um langfristig Motivation für Sicherheit und Gesundheit zu erzeugen. Es muss vielmehr ein Anreizsystem auf Grundlage der vorherrschenden Sicherheitskultur entwickelt werden. Um das Verhalten der Beschäftigten hin zum sicheren und gesunden Verhalten weiterzuentwickeln, muss durch die Betriebsführung ein Veränderungsprozess im Verhalten angestoßen werden. Ohne den Einbezug umweltbedingter Faktoren können Anreize nicht die erhoffte Wirkung erzielen.
Um einen Veränderungsprozess im Bereich Sicherheit und Gesundheit zu erzielen, reicht also der alleinige Fokus auf das Anreizsystem nicht aus, es müssen vielmehr die Elemente
- Kommunikation,
- Qualifikation,
- Führung und Vorbildfunktion,
- Anreizsysteme als formelle Methoden,
betrachtet werden ( Abb. 1).
Die Elemente können hierbei nicht für sich alleine analysiert werden, sondern stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. Die vier Elemente bilden die Basis für die Konzeptionierung von Anreizsystemen. Erst im gemeinsamen und ganzheitlichen Verbund der Elemente kann ein Veränderungsprozess im Bereich Sicherheit und Gesundheit erreicht werden.
Führung, Kommunikation, Qualifikation und formelle Methoden wie Anreizsysteme sind dabei Steuerungsgrößen im Betrieb, um langfristig sicheres und gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern. Auf der betrieblichen Seite müssen demnach gewisse Strukturen zu den Schwerpunkten Kommunikation, Führung und Qualifikation aufgebaut werden, damit die Beschäftigten sich in der gewünschten Intensität in den Betrieb einbringen. Der Aufwand und die Aufrechterhaltung der Betriebsstrukturen können in Abhängigkeit von der Betriebsgröße unterschiedlich herausfordernd sein (Lawson u. Price 2003).
Diskussion
Um wirksame Anreizsysteme etablieren zu können, müssen gewisse Parameter bzw. Steuerungsgrößen ermittelt werden. Als ein entscheidender Faktor ist hier die vorherrschende Sicherheitskultur im Betrieb zu nennen. Sie wird durch Ansichtsweisen, Vorgaben und Verhaltensmuster der obersten Leitung beeinflusst und zeigt den Führungskräften und Beschäftigten beispielsweise, welche Verhaltensweisen im Betrieb erwünscht sind bzw. welche sanktioniert werden (Sozialisationsprozess). Die Vorgaben, wie sich eine Kultur entwickeln soll, hängen immer mit dem momentanen Sicherheitsstandard im Betrieb zusammen. Sie setzen sich aus den Vorgaben des obersten Managements und den Arbeitssystemen zusammen. Um die Sicherheitskultur als Bewertungs- bzw. Steuerungsgröße heranzuziehen, muss das Management Anforderungen und Ziele an das Anreizsystem formulieren, die als Weisungs- und Orientierungsgröße zur Beurteilung der Sicherheitskultur dienen.
Anreizsysteme sollten auf die unterschiedlichen Hierarchieebenen, Herkunft, Ziele oder auf das persönliche Umfeld angepasst und gewährt werden. Die unterschiedlichen Ebenen sollten in Anreizsystemen sinnhaft gestaltet sein, um so die notwendige Überzeugung zu entwickeln, das gewünschte Verhalten auch ohne die Gewährung von Anreizen zu zeigen. Somit können gleiche Anreize auf den unterschiedlichen Ebenen gewährt sein, jedoch können verfolgte Ziele auch sehr unterschiedlich gestaltet sein.
Anreize können durch extrinsische Motivation geschaffen werden. Der Vorgesetzte kann hierbei bewusst das Verhalten des Beschäftigten positiv steuern, indem der Beschäftigte für sicheres und gesundheitsbewusstes Verhalten einen Anreiz erhält. Dies können soziale Anreize sein, wie Anerkennung, Lob, Förderung von Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit, Feedback oder Förderung von Wissen (Fach- und Methodenkompetenz). Vor allem Lob und Anerkennung haben starke Wirkung auf die Motivation des Beschäftigten.
Neben den sozialen Anreizen kann der Vorgesetzte noch auf monetäre Anreize, wie zum Beispiel Incentives oder Prämien, zurückgreifen. Materielle Anreize sind nahezu immer einsetzbar und wirken nachweislich motivationssteigernd. Allerdings ist ihre Wirkung in der Regel sehr kurzzeitig. Schnell tritt bei dem Beschäftigten das Gefühl auf, dass das höhere Gehalt/Entgelt eine Selbstverständlichkeit darstellt und es damit zur Gewohnheit wird, so dass der Ansporn nachlässt. Anreize sollten vielmehr auf bestehende Motivation aufbauen, um eine erhöhte Sicherheits- und Gesundheitsperformance zu erreichen.
Schlussfolgerungen
Es muss ein Zusammenspiel von Anreiz‑/Motivationsinstrumenten vorliegen, wozu beispielsweise auch die immateriellen Anreize gehören. Eine reine Fokussierung auf materielle Anreize, wie ein finanzielles Belohnungssystem, sollte vermieden werden. Betriebe konzentrieren sich gern auf extrinsische Belohnung, da sie hierauf besser einwirken können. Jedoch ist die Zufriedenheit und somit die innere Motivation bei der Gewährung intrinsischer Anreize höher und stärker als durch äußere Motivation.
Zunehmend ist davon auszugehen, dass Anreizsysteme eine immer größere Rolle in der betrieblichen Organisation spielen werden. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels reichen allein für die Bindung und Gewinnung neuer Fachkräfte monetäre Faktoren nicht mehr aus. Vermehrt spielen für die Beschäftigten intrinsische Anreize wie beispielsweise Autonomie, Mitbestimmung oder Verantwortung eine entscheidende Rolle.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Anreizsysteme eine nützliche Rolle im Arbeitssystem spielen können, ihre Ausgestaltung allerdings von der Sicherheitskultur abhängig ist. Ist ein Anreizsystem ordnungsgemäß und nachhaltig vorbereitet und eingeführt worden, können Beschäftigte aktiviert, motiviert, gesteuert und informiert werden.
Literatur
Jentsch S: Campus der Möglichkeiten. Mensch und Büro 2013; 3.
Lindert K: Anreizsysteme und Unternehmenssteuerung. München/Mering: Rainer Hampp, 2001.
Schanz G: Handbuch Anreizsysteme. Stuttgart: Poeschel, 1991.
Vogel DA: Konzeptions- und Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung von betrieblichen Anreizsystemen zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit. Hrsg.: Institut ASER e.V., Forschungsbericht – Nr. 35. Wuppertal: ASER Eigenverlag, 2017 ( www.institut-aser.de/out.php?idart=1700 , Zugriff 03.08.2017).
Lawson E, Price C: The psychology of change management. Article McKinsey Quarterly, June 2003 ( www.mckinsey.com/business-functions/organization/our-insights/the-psychology-of-change-management , Zugriff: 02.04.2016).
Verfasser
Dr. rer. sec. Dipl.-Ing. Alexander Vogel
Becklemer Straße 31
44581 Castrop-Rauxel
Deutschland
Fußnoten
Castrop-Rauxel
Info
Der vorliegende ASER-Forschungsbericht – Nr. 35 mit dem Titel „Konzeptions- und Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung von betrieblichen Anreizsystemen zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit“ ist die von der Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik der Bergischen Universität Wuppertal zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Sicherheitswissenschaften (Dr. rer. sec.) genehmigte Dissertation von Daniel Alexander Vogel. Die Dissertation entstand nebenberuflich und wurde von Prof. Dr. rer. pol. Ralf Pieper (Fachgebiet Sicherheits- und Qualitätsrecht) betreut.
Dr. Daniel Alexander Vogel hat in den 2000er Jahren Sicherheitstechnik auf Diplom II (Ingenieurwissenschaften) mit der Vertiefung Brand- und Explosionsschutz und Arbeitssicherheit in der Bergischen Universität Wuppertal studiert (Abschluss: Diplom-Ingenieur). Im Anschluss war er als Sicherheitsingenieur in der Abteilung Umwelt, Sicherheit und Gesundheit der Evonik Goldschmidt GmbH beschäftigt. Heute ist er Abteilungsleiter Arbeitssicherheit und Brandschutz der Evonik Technology & Infrastructure GmbH am Standort Essen und koordiniert die Arbeitssicherheit auf Konzernebene.