Das Befolgen hygienischer Regeln bei ärzt-lichen Handlungen sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Offenbar ist es dies nicht immer – dies zeigen mit hübscher Regelhaftigkeit von den Medien aufbereitete „Hygieneskandale“ in der Medizin und die darauf aktuell reagierende, umfangreiche und offenbar keinesfalls beendete Gesetzgebungsaktivität des Bundes und der Länder. Die letzte große Novelle des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) im August 2011 und die in der Folge in allen Bundesländern neu eingeführten oder überarbeiteten Landes-hygieneverordnungen hatten zumeist umfassende Auswirkungen auf das Hygiene-geschehen in Arztpraxen. Allerdings wurde der Geltungsbereich nicht in allen Bundesländern auf jegliche Arztpraxen ausgedehnt; eine Übersicht hierzu findet sich bei Kramer et al. (2013). Auch von der Seite des Arbeits-schutzes selbst wurde reagiert – die Novel-len der Biostoffverordnung im Juli 2013 und der TRBA 250 im März 2014 haben den Umfang notwendiger hygienischer Schutzmaßnahmen deutlich konkretisiert.
Eine Quintessenz dieser Vorgaben sei vorangestellt: die Betriebsarztpraxis unter-scheidet sich diesbezüglich nicht von ande-ren Arztpraxen. Es gilt, Patienten wie Mitarbeiter vor der Übertragung von Erregern oder deren toxischen bzw. allergenen Inhalts-stoffen zu schützen. Dabei wird das spezifische Risiko der typischerweise gesunden Mitarbeiter der Praxis durch die Häufigkeit und Dauer der Exposition gegenüber etwaigen Krankheitserregern, das der Patienten durch häufig vorhandene, das Immunsystem affizierende Grunderkrankungen und die Invasivität der an ihnen verrichteten medizinischen Maßnahmen bestimmt.
Hygieneplan: Alle Praxen wie auch größere medizinische Einrichtungen müssen daher eine auf die eigene Situation angepasste nor-mative Grundlage schaffen und diese regelmäßig an Veränderungen der Organisation und Abläufe anpassen. Im Fall der Praxis-hygiene ist dies der Hygieneplan (§§ 9 (3), 11 (1–5) BioStoffV sowie an unterschiedlichen Stellen in der Mehrzahl der Landeshygieneverordnungen), in dem jegliche hygienische Handlungen in der Praxis schematisch beschrieben werden.
Dafür müssen zunächst das für die eigene Einrichtung spezifische Erregerpotenzial und die typischen Übertragungswege bekannt sein. Im Abgleich mit den medizini-schen Handlungen sowie den Bewegungsmustern der Patienten und Praxismitarbei-ter in der Praxis werden sowohl die Orte als auch die Handlungen identifiziert, an/bei denen es zu Übertragungen kommen kann. Das sind die Stellen, an denen hygienische Prävention wirken muss.
Erreger und Übertragung: In einer Betriebsarzt-praxis ist die Auswahl potentieller bedroh-licher Erreger kleiner als in anderen Arztpraxen, da die Patienten in aller Regel nicht mit akuten Infektionen vorstellig werden. Es gilt sich also insbesondere mit dem Gefahren-potenzial von asymptomatischen Keimträ-gern und chronisch infizierten Patienten zu beschäftigen. Typische mit diesen Situatio-nen assoziierte Erreger sind in Tabelle 1 aufgelistet. Die prinzipiell möglichen Übertragungswege, sprich direkte oder indirekte Kontakte, beispielsweise mit kontaminierter (Schleim-)Haut, Oberflächen bzw. Gegenständen, Luftübertragung von Tröpfchen und Aerosolen sowie Verletzungen im Rah-men invasiver Diagnostik unterscheiden sich nicht von anderen Arztpraxen, beschränken sich aber deutlich mehr als in anderen Arztpraxen auf die gut beherrschbaren Kontaktübertragungen.
Händehygiene: Die Hände sind das maßgebliche Vehikel bei Kontaktübertragungen. Insofern ist – wie auch in allen anderen medizinischen Bereichen – eine gute Hände-hygiene das A und O eines erfolgreichen Hygieneregimes. Die Durchführung ist zwar einfach, wird jedoch immer wieder vernach-lässigt oder falsch gemacht.
Zu einer guten Händehygiene gehört erstens das Beherrschen der Technik – eine typischerweise über 30 Sekunden durchzuführende Abfolge von Wasch- und Reibe-bewegungen, in die auch die Daumen, Fingerkuppen, Zwischenfingerbereiche sowie Handgelenke einbezogen werden. Zweitens bedarf es eines wirksamen Desinfektionsmittels – alkoholische Mittel mit dem Wirkungsbereich A reichen für den Normalfall, Mittel mit dem Wirkungsbereich B, wenn unbehüllte Viren (z. B. Adenoviren bei apparativen Visusprüfungen, Noro- und Rotaviren in der Wintersaison) bekämpft werden sollen. Drittens sind die Indikationen für die Durchführung zu wissen – vor jedem direk-ten Patientenkontakt, dem Umgang mit Dia-gnostika und Medikamenten, nach jedem direkten Patientenkontakt sowie nach Kontakt mit Patientenmaterialien bzw. kontaminierten Gegenständen.
Wie alle wichtigen Themen der Praxis-hygiene sind auch die Details der Hände-hygiene inklusive einer ausführlichen wissen-schaftlichen Begründung in der einschlägi-gen Empfehlung der „Kommission für Kran-kenhaushygiene und Infektionsprävention“ (KRINKO) am Robert Koch-Institut (RKI) nachzulesen. Die KRINKO-Empfehlungen sind jederzeit in ihrer aktuellen Version über die RKI-Homepage einzusehen.
In diesem Zusammenhang kommt eine Vorgabe der TRBA 250 zum Tragen: Finger- und Handgelenksschmuck wie z. B. jegliche Ringe, künstliche Fingernägel, Frenching, Nagellack usw. beeinträchtigt den Erfolg der Händedesinfektion und potenziell die Intaktheit von Schutzhandschuhen und sind deshalb für Personal mit Patientenkontakt untersagt.
Flächenhygiene: Weniger entscheidend für den Erfolg des Hygieneregimes, weil durch die Händehygiene im Zweifelsfall kompensiert, ist die Flächenhygiene. Auch wenn es keinen guten Beleg für deren Wirksamkeit außerhalb von Ausbruchssituationen gibt, so ist es doch ratsam, die entsprechenden KRINKO-Vorgaben zu befolgen. Dabei wird auch das einzige für die Patienten gut sichtbare Kriterium einer für sie akzeptablen Praxishygiene erfüllt!
Auch hier sind wieder die zu behandeln-den Flächen zu kennen – alle tatsächlich oder auch nur möglicherweise vom Personal und vom Patienten während einer Konsultation berührten Oberflächen. Ferner sind die richtigen Mittel zu benutzen – im Normalfall genügen quarternäre Substanzen (auch gegen die Mehrzahl der in Tabelle 1 aufgeführten Erreger), zur Bekämpfung von gegen diese Substanzen resistente Mikroorganismen oder deren besondere Daseinsformen (Sporen!) kommen besser sauerstoffabspaltende Präparate zum Einsatz.
Ob diese Mittel in der Praxis selbst aus Konzentraten hergestellt und mit Einweglappen ausgebracht oder Fertiggebinde mit vorgetränkten Tüchern benutzt werden, ist eine Frage der Praktikabilität und des Preises, hinreichend wirkungsvoll sind beide Vorgehensweisen.
Ferner sind auch hier wieder die Indika-tionen der Anwendung zu beachten – nach jedem Patienten sind die Hand- bzw. Haut-kontaktflächen, die Ablageflächen für Medikamente und Medizinprodukte sowie mit Patientenmaterialien/-ausscheidungen sicht-bar kontaminierten Gegenstände desinfizie-rend zu reinigen. Alle anderen (potenziellen) Kontaktoberflächen im Behandlungsraum, Labor, Wartezimmer und Empfangsbereich sind dagegen mindestens einmal täglich zu desinfizieren. Fußböden brauchen dagegen nur im Behandlungsraum und im Labor des-infizierend gereinigt zu werden.
Instrumentenhygiene: Schließlich gehört zum im Hygieneplan festgelegten Prozedere noch die Instrumentenhygiene. Diese betrifft alle neuen Medizinprodukte, die in aller Regel steril, so wie vom Hersteller geliefert, verwendet werden. Darüber hinaus betrifft es die Medizinprodukte (MP), die wiederholt an verschiedenen Patienten zum Einsatz kommen sollen und dafür nach jeder Anwendung aufbereitet werden müssen. In der Betriebsarztpraxis sind dies typischerweise Teile von Geräten zur Prüfung der Herz- und Lungenfunktion sowie zur Visus- und Ge-hörprüfung. Im Fall von Laboruntersuchungen innerhalb der eigenen Praxis betrifft dies außerdem – maßgeblich unter dem Aspekt des Personalschutzes – Utensilien für Blut- und Urinuntersuchungen. Zu der fachlichen Voraussetzung des damit betrauten Personals, zur Organisation, den baulichen und gerätetechnischen Voraussetzungen sowie zu Handhabungsdetails bei der Durchführung der Aufbereitung existiert ein spezifisches und extrem detailliertes Regelwerk der KRINKO, das wiederum im Medizinproduktegesetz (MPG) und der MP-Betreiber-verordnung verankert ist. Entscheidende Kriterien für die Art der Aufbereitung sind, wie das MP zur Anwendung kam und wie es nach der Aufbereitung zur Anwendung kommen wird. Hier werden unkritische, semikritische und kritische MP unterschieden, je nachdem ob diese Kontakt mit der Haut, der Schleimhaut bzw. krankhaft veränderten Haut oder dem Blut bzw. Geweben des Körperinneren der Patienten haben. Zudem ist noch die äußere und innere Beschaffenheit des MP relevant, je nachdem ob dessen Oberflächen leicht zugänglich sind oder besondere Anforderungen an die Aufbereitung stellen. All diese Parameter entscheiden darüber, ob ein MP ohne oder mit desinfizierender Vorreinigung letztlich desinfiziert oder sterilisiert werden muss. Wegen der Komplexizität der Vorgaben und der gesundheitlichen und juristischen Relevanz von deren Einhaltung sei an dieser Stelle für Detailinformationen auf die RKI-Empfehlung sowie Informationsschriften der Deutschen Gesellschaft für Sterilgutversorgung (DGSV) verwiesen.
Spezifische Praxishygiene: Ebenfalls neuralgische Punkte für eine gute Praxishygiene sind invasive Untersuchungen. Durch das Durchbrechen eines effizienten Teils der Körperabwehr, nämlich der intakten Haut- und Schleimhautoberflächen, können auch verschleppte Keime aus der physiologischen (Schleim-)Hautflora eine pathogene Bedeutung bekommen. Deswegen sind hier die Vorgaben der spezifischen Praxishygiene zu beachten. Die entsprechenden Regelwerke z. B. zur Durchführung von Untersuchungen mit Kathetern und Endoskopen finden sich wiederum auf der RKI-Homepage.
Persönliche Schutzausrüstung: Flankiert wer-den die o. g. Schutzmaßnahmen durch die aufgabenbezogene Anwendung der persön-lichen Schutzausrüstung. Diese dient in Arzt-praxen vornehmlich dem Selbstschutz der Praxismitarbeiter gegenüber Infektionser-regern und Chemikalien. Sie hat zusätzlich aber auch sehr wohl Effekte auf die Weiterverbreitung von Keimen des Personals und anderer Patienten.
Sonstige Hygieneaspekte: Weitere grundlegend zu lösende Probleme mit hygieni-schem Begleitaspekt sind der Umgang mit der in der Praxis anfallenden Wäsche (Berufskleidung darf nicht mit der häuslichen Wäsche gewaschen werden!) und dem Praxismüll.
Typischerweise nicht in den Standardhygieneplänen enthalten sind Fragen des Um-gangs mit Problemerreger-tragenden Patien-ten (s. Tabelle 1). Dabei dürften dem Betriebs-arzt die persönlichen Schutzmaßnahmen beim direkten Umgang mit diesen Patienten am ehesten geläufig sein. Wichtig für alle Per-sonen in der Praxis ist aber auch, wie mit sol-chen Patienten an der Empfangstheke durch das Praxisteam und bei deren Aufenthalt im Wartezimmer verfahren wird. Ist es nötig, für solche Patienten besondere Vorkehrung zur Toilettennutzung zu etablieren? Sind Ver-fahren und Mittel vorhanden, um mit größeren Mengen erregerhaltigem Materials (z. B. Erbrechen, Durchfall, Blutung) auch außerhalb des eigentlichen Behandlungsraums umgehen zu können? Solche Fragen geht man erfahrungsgemäß in Form von prakti-schen Übungen mit dem Praxisteam an. Da auch zum Thema Hygiene i. d. R. jährliche Fortbildungen durchgeführt werden müssen, bietet sich diese Plattform dafür an. Aus eigener Erfahrung wissen wir zu berichten: Es wird bestimmt nicht langweilig!
Protokollierung und Kontrolle: Die besten Regelwerke nützen nichts, wenn nicht deren Einhaltung sichergestellt und der darauf fußende Erfolg dokumentiert wird. Ersteres geschieht durch eine sinnvolle, sprich im handhabbaren Umfang die kritische Punkte erfassende bzw. im Fall der MP-Aufbereitung durch eine gesetzlich gebotene Protokollierung zur Durchführung der indizierten Handlungen. Ob dies auf Papier oder per Software elektronisch vorgenommen wird, ist der Entscheidung des Praxisbetreibers vorbehalten. Audits sind ein weiteres sehr hilfreiches Prüfinstrument, machen aber innerhalb eines kleinen Praxisteams wenig Sinn. Hier kann man sich professioneller Hilfe von außen bedienen oder, kostengüns-tiger, sich durch Absprache mit Praxen der Region gegenseitig prüfen. Für letzteres Vor-gehen ist dann allerdings eine Auditorenschulung für mindestens je ein Mitglied der Praxisteams sinnvoll. Eine Erfolgskontrolle ist ggf. über das Instrument des Krankenhausinfektions-Surveillance-System (KISS) des Nationalen Referenzzentrums in Berlin möglich. Das Modul „Ambu-KISS“ kann je nach Aufgabenspektrum auch in Betriebsarztpraxen wertvolle Aussagen für das hygienische Qualitätsmanagement einer Praxis liefern.
Fazit: Wenn Sie in Ihrer Praxis die o. g. Hin-weise in die Tat umsetzen, können Sie sicher sein, dass bei Ihnen weder Patienten noch Mitarbeiter unnötigen Gefahren ausgesetzt sind.
Literatur
Kramer A, Assadian O, Helfrich J et al.: Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes durch die Landes-hygieneverordnungen. Hygiene & Medizin 2013; 38: 427–432.
Für die Autoren
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Andreas Podbielski
Institut für Medizinische Mikro-biologie, Virologie und Hygiene
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 70 – 18057 Rostock