Ohne Vielfalt geht es nicht
Eine der prominentesten Professoren für Personalmanagement im deutschsprachigen Raum, Prof. Dr. Jutta Rump von der Hochschule Ludwigshafen, stellte Diversity Management als Schlüssel zu einer neuen Präventionskultur in den Mittelpunkt ihres Eröffnungsvortrags. „Ohne Vielfalt geht es nicht“, war ihr Credo. Da sich die Rahmenbedingungen nicht nur in der Arbeitswelt verändern, bekomme die Prävention ganz automatisch eine neue Bedeutung, vor allem auch vor dem Hintergrund der Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Das In-Balance-Bleiben und das Haushalten mit den eigenen Ressourcen ist für sie ein ganz zentrales Thema. Die Trends in der Arbeitswelt wie beispielsweise Arbeiten 4.0, Digitalisierung, Individualisierung, Feminisierung oder auch Wettbewerbsentwicklungen, aber auch der steigende Bedarf an Fachkräften, führen nach ihrer Beobachtung zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Prävention wird daher zum strategischen Erfolgsfaktor.
Gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Vortragsthema von Franz Knieps, Vorstand des BKK-Dachverbandes, war es, darzustellen, welchen Beitrag die gesetzlichen Krankenkassen zur betrieblichen Prävention leisten. Er betonte eingangs, dass eines der Grundübel des Gesundheits- und Sozialwesens darin liege, dass es als reines „Reparatursystem“ betrieben werde. Zudem fehle es an vielen Stellen an Kommunikation und Kooperation, um beispielsweise die streng sektorale Gliederung des Gesundheitswesens zu überwinden. Daran könne auch das Präventionsgesetz leider nichts ändern.
Prävention ist für Knieps nicht allein Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern gesamtgesellschaftliche Obliegenheit. Es sei in Deutschland bislang kein Problem gewesen, große Betriebe für die Prävention zu begeistern. Dennoch erreiche man damit nur eine Minderheit, denn kleine und mittlere Unternehmen stünden der Prävention nach wie vor skeptisch gegenüber. Doch kassenartenübergreifend würden zunehmend Mittel und Wege gefunden, die betriebliche Gesundheitsförderung zu etablieren. Die wettbewerblichen Verhältnisse der Krankenkassen untereinander dürfen dabei nach Knieps’ Worten keinesfalls dem gemeinsamen präventiven Ansatz entgegenstehen. Zudem sei er überzeugt, dass betriebliche Prävention in den nächsten Jahrzehnten eine völlig neue Bedeutung erlangen werde.
Migration und Arbeitsschutz
Im Jahr 2015 sind 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, von denen viele auf den Arbeitsmarkt drängen. Katrin Boege vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung fragte, ob vor diesem Hintergrund ein besonderes Präventionsangebot für Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund benötigt wird.
Hauptproblem für die fehlende Umsetzung von Präventionsmaßnahmen in Betrieben sind nach aktuellen Untersuchungen vor allem Sprachprobleme der Migranten. Frau Boege stellte ein Projekt vor, bei dem mit vereinfachten Betriebsanweisungen und Seminaren zum Thema Migration für Fach- und Führungskräfte deutliche Verbesserungen erzielt werden konnten.
Schon heute existieren zahlreiche Ideen für die Verbesserung von betrieblicher Prävention bei Migranten: Denkbar ist beispielsweise, schon bei der Personalauswahl die Deutschkenntnisse zu prüfen beziehungsweise diese als Voraussetzung für eine spätere Einstellung des Bewerbers festzulegen. Auch Deutschkurse für die Belegschaft, die während der Arbeitszeit stattfinden, haben sich als sehr hilfreich erwiesen. Jemanden aus der Migrantengruppe mit hohem Ansehen in sicherheitsrelevanten Themen auszubilden, der dann seine Peergruppe in der eigenen Sprache informiert, lässt Prävention lebendiger werden und stellt sicher, dass die Inhalte „ankommen“.
Zur Überwindung der Sprachbarriere sind vor allem Betriebsanweisungen hilfreich, die zuvor modular, didaktisch, arbeitsorganisatorisch und sprachlich vereinfacht wurden. Ein weiteres Beispiel für Erfolg versprechende Maßnahmen sind mehrsprachige Unterweisungsmaterialien oder auch bildgestützte Hinweise (z. B. Filme, Piktogramme). Frau Boege wies auch auf die DGUV-Handlungshilfen für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen hin, die im Internet heruntergeladen werden können. Zudem hat die „Initiative gesund arbeiten“ Materialien veröffentlicht wie zum Beispiel „Arbeiten im Ramadan“ oder „Interkulturelles betriebliches Gesundheitsmanagement“. Nicht zuletzt bietet auch die DGUV passende Seminare für Unternehmensvertreter. Abschließend wies Frau Boege darauf hin, dass Präventionsangebote kultur- und sprachsensibel sein müssen und – ganz wichtig – Teilhabe gewährleisten sollten.
Gesundheit und Sicherheit
In vier parallel stattfindenden Think Tanks widmeten sich die Teilnehmer unterschiedlichen Aspekten von Gesundheit und Sicherheit. So bot beispielsweise Prof. Dr. Michael Falkenstein vom Institut für Arbeiten, Lernen, Altern einen Einblick in Alters- und alternsgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen. Er bezog sich dabei auf die Schwächen Älterer wie beispielsweise die Abnahme von Sinneswahrnehmung, die Veränderung von Psychomotorik oder von fluiden kognitiven Funktionen. Veränderungen am Bewegungsapparat machen Sturzprävention und Krafttraining notwendig, betonte Prof. Falkenstein. Veränderungen der Psychomotorik sind beispielsweise an einer Reduktion der Handgeschicklichkeit oder abnehmender Multitasking-Fähigkeit erkennbar.
Auch die Abnahme der Sensorik spielt beim Altern eine entscheidende Rolle. Für das Sehen am Arbeitsplatz ist mit zunehmendem Alter die korrekte Ausleuchtung des Arbeitsplatzes besonders wichtig. Und beim Hören geht es nicht allein um den Hochtonverlust oder Störungen des Sprachverständnisses unter ungünstigen Bedingungen. Bedenkenswert ist auch, dass das Arbeitsgedächtnis im Alter relativ früh beeinträchtigt wird. Handlungsspielräume verbessern nach den Worten von Prof. Falkenstein die Arbeitszufriedenheit und dadurch auch die Arbeitsqualität. Sie führen zu einer besseren mentalen Gesundheit im Rentenalter. Anfordernde Arbeit führe zu einer Verbesserung der kognitiven Leistung. Daher sollte Arbeit variabler gemacht werden, nicht zuletzt weil Arbeitsunfähigkeit durch langfristige einseitige Belastung hervorgerufen wird.
Sag ich’s oder sag ich’s nicht?
Bei einer chronischen Erkrankung, die die berufliche Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Arbeitszufriedenheit beeinflusst, stellt sich für den Betroffenen häufig die Frage, ob er seine Erkrankung dem Arbeitgeber offenlegt. Dieses sog. „Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma“ geht mit der Gefahr der sozialen Beschneidung bis hin zur Kündigung einher. Prof. Dr. Mathilde Niehaus von der Universität Köln wies darauf hin, dass dadurch erhebliche Belastungssituationen entstehen können. Denn es bestehe die Gefahr sozialer Unsicherheit, Diskriminierung oder negativer Zuschreibungen. Die beruflichen Chancen würden dadurch häufig negativ beeinträchtigt.
Die Entscheidung des Offenbarens hängt häufig ab von der Art der Erkrankung, der Art der Behinderung, dem Wissen des Betroffenen über seine Krankheit, der Unternehmenskultur und dem Teamklima, möglichen Stigmaerfahrungen und dem Selbstbild des Betroffenen. Psychische Erkrankungen gelten dabei nach den Worten von Prof. Niehaus als besonders kritisch.
Das Offenbaren hängt aber nicht nur von den äußeren Verhältnissen ab, sondern vor allem auch vom Selbstbewusstsein des Betroffenen. Wichtig für die Entscheidungsfindung seien nach den Worten von Prof. Niehaus vor allem die antizipierten, erwünschten und unerwünschten Folgen. Klar sein müsse, dass jede Offenbarung die Überschreitung des „point of no return“ bedeute. Es gehe also um eine selbstbestimmte informierte Entscheidung. Reflexionshilfe sollte beispielsweise auch der Betriebsarzt geben können.
Delegation an Assistenzberufe
Dr. med. Annegret Schoeller von der Bundesärztekammer wies in ihrem Vortrag auf den in Deutschland geltenden Arztvorbehalt hin. Die Leistungserbringung müsse allerdings nicht „höchstpersönlich“ erfolgen: Manche Tätigkeiten dürfen delegiert werden, was der „persönlichen“ Leistungserbringung entspreche. Die Gesamtverantwortung liegt immer beim Arzt. „Delegation an Medizinische Fachangestellte (MFA) oder andere Gesundheitsberufe kann deutlich den Aktionsradius des Betriebsarztes erhöhen“, betonte Dr. Schoeller. Durch das neue Fortbildungscurriculum der Bundesärztekammer für MFA und Arzthelferinnen erhielten die nichtärztlichen Mitarbeiter vermehrte Handlungskompetenzen. So könne die MFA den Betriebsarzt im Wege der Delegation unter anderem beim Arbeitsschutzmanagement, beim betrieblichen Eingliederungs- und Gesundheitsmanagement, bei der Gefährdungsanalyse sowie bei Koordinationsaufgaben sinnvoll unterstützen.
Impulse geben – Prozesse beginnen
Der fachliche Austausch und die vielfältigen Diskussionen in- und außerhalb des ganztägigen Kongressprogramms setzten zahlreiche Impulse. Hinzu kam ein Sommer-Barbecue am ersten Kongressabend, bei dem die Teilnehmer nicht nur die kulinarischen Highlights, sondern auch die lockere Atmosphäre sehr lobten. Die vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten boten den Teilnehmern an beiden Tagen Gelegenheit zum Beginn von Veränderungsprozessen, die sicherlich weit über die Kernzielgruppe der Betriebs- und Arbeitsmediziner hinausgehen. Das Kongressmotto „Impulse geben – Prozesse beginnen“ wurde zu jeder Zeit seinem Ziel gerecht.