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Zum Beitrag von Dr. Johanna Stranzinger et al.

“Konsenspapier zur Nachsorge von Stich- und Schnittverletzungen mit infektiösem Material“

In: Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53(4): 248–255

Das Ansinnen, eine bundesweit einheitliche Vorgehensweise zu veröffentlichen, ist sehr zu begrüßen. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist nach der langen Vorbereitungszeit jedoch denkbar ungünstig, da beispielsweise die neue S3-Leitlinie Hepatitis C und die neue S2-Leitlinie HIV-PEP nicht berücksichtigt wurden. Ebenso wird die neue S3-Leitlinie Hepatitis B zeitnah erscheinen. Hier wäre eine Abstimmung mit den in dem Kontext der Nadelstichverletzungen wichtigen Fachgesellschaften und deren Leitlinien sicher hilfreich und erforderlich gewesen. Leider ist neben dem Zeitpunkt der Veröffentlichung auch der Aufbau des Dokuments mit „Einleitung, Methode, Ergebnisse und Diskussion“ analog einer Originalarbeit für die Zielerreichung „zeitgerechte und evidenzbasierte Nachsorge von NSV“ nicht geeignet. Zudem finden sich in der Diskussion viele inhaltliche Wiederholungen aus dem Ergebnisteil. Der Schwerpunkt liegt auf einer virusbezogenen Darstellung, die im „Akutfall“ wenig anwenderfreundlich sein wird. Kein D-Arzt oder Arzt in der Notfallambulanz wird die Zeit haben, ein achtseitiges Konsenspapier zu lesen, um alle notwendigen Informationen zu bekommen. Hier wäre beispielsweise ein übersichtliches Flow-Chart der erforderlichen Maßnahmen für die Praxis sehr hilfreich gewesen.

Folgende Punkte sollten vor der endgültigen Fertigstellung ergänzt bzw. abgeändert werden:

Definition der NSV

Als Nadelstichverletzung (NSV) bezeichnet man Stich-, Schnitt- oder Kratzverletzungen mit scharfen oder spitzen medizinischen Instrumenten (wie beispielsweise Kanülen, Lanzetten, Skalpelle), die durch Blut oder andere Körperflüssigkeiten des Patienten verunreinigt sein können sowie Blutkontakte mit nichtintakter Haut und Schleimhautkontakte (Auge, Mund, Nase).

Vermeidung von Abweichungen zu aktuellen Empfehlungen (S3-Leitlinie Hepatitis C, STIKO-Empfehlung)

In der S3-Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-C-Virus-Infektion findet sich der Unterpunkt „2.1 Hepatitis C und Nadelstich“.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich ein Konsenspapier nicht an die in der S3-Leitlinie gegebene Empfehlung hält (Konsensstärke 97 %, starker Konsens!):

S3-Leitlinie:

  • „Im Verlauf sollte nach 2–4 Wochen eine Bestimmung der HCV-RNA erfolgen (II/B). Falls negativ, kann diese Untersuchung 6–8 Wochen nach Exposition wiederholt werden (II/C).
  • Nach 12 und 24 Wochen sollte eine Bestimmung von anti-HCV und ALT durchgeführt werden, wobei sich bei pathologischen Werten eine HCV-RNA Untersuchung anschließen sollte (II/B).“

Berücksichtigung der neuen Leitlinie

(S3-Leitlinie Hepatitis B, S2-Leitlinie HIV-PEP – Aktualisierung der Tabelle 1 ist erforderlich)

Auf Seite 251 wird unter dem Abschnitt „Hepatitis-B-Impfung“ eine Differenzierung zwischen „sicherem Schutz“ und „Langzeitschutz oder Vollschutz“ vorgenommen und mit > 10 bzw. > 100 IE/L verbunden. Es ist fraglich, ob das zielführend ist, zumal es weder STIKO-Nomenklatur, noch inhaltlich gerechtfertigt ist. Insgesamt liest sich der gesamte Abschnitt schwer und ist nach unserem Ermessen keine gute Anleitung für die Praxis. Das Fließschema und der Begleittext der STIKO-PEP-Empfehlung erscheinen wesentlich praxisnäher.

Auch die regelmäßige Booster-Impfung ist weder STIKO- noch S3-Leitlinien-konform.

Seite 252: Hier empfiehlt sich wegen der besseren Übersichtlichkeit die STIKO-Tabelle bzw. das Flow-Chart zur Gabe von HBV-Impfstoff bzw. Immunglobulin.

Seite 252 (HCV-Diagnostik): Hier wird dringend die Umsetzung der HCV-Leitlinie empfohlen.

Seite 252: Eine HIV-PEP sollte natürlich so schnell wie möglich verabreicht werden, unter speziellen Rahmenbedingungen kann ein Therapiebeginn später als 24 Stunden nach Exposition jedoch noch indiziert sein.

„Zeitbezogenes“ prägnantes Ablaufschema

Die Informationen aus Tabellen 2 und 3 sollten zusammengeführt und durch Informationen über Zeitfenster von Postexpositionsprophylaxe und Immunglobulingabe, Vorgehen bei Low- und Nonrespondern, weitere ärztliche Aufgaben wie Veranlassung des Screenings beim Indexpatienten, Zusammenführung der Befunde, Beratung zur Nachsorge ergänzt werden.

Klare Aufgabenzuordnung für D-Arzt und Betriebsarzt

Erstversorgung D-Arzt oder Betriebsarzt, Nachsorge abhängig von der Versorgungsstruktur, in größeren Häusern meist Betriebsarzt. Das Konsenspapier sollte nicht nur als Empfehlung für D-Ärzte gesehen werden, sondern die gesamte Nachsorgekette darstellen und für beide Arztgruppen eine Sicherheit bei der Leistungsabrechnung geben.

Ergänzend sei noch erwähnt, dass im Rahmen der Erstbehandlung von NSV auf die STIKO-konforme Tdap-Kombinationsimpfung geachtet werden sollte. Hier ist auch im Hinblick auf die Kostenerstattung eine einheitliche und dauerhafte Regelung der Unfallversicherungsträger erforderlich.

Klare Darstellung der Abrechnungswege

Welche Leistungen sind durch wen auf welchem Wege und wie abrechenbar, wie ist insbesondere die Abrechnung der Leistungen bezüglich des Indexpatienten vorzunehmen?

Inhaltlich nicht nachvollziehbare bzw. nicht exakte Aussagen

Seite 248: Ein HIV-Screeningtest der vierten Generation nach sechs Wochen schließt eine HIV-Infektion „mit großer Sicherheit“ aus. Das von den Autoren verwendete „zuverlässig“ ist nicht ganz korrekt.

Seite 251: Anti-HBc „Es hat eine hohe diagnostische Sicherheit“ – cave: Anti-HBc gehört zu den Labortesten, die immer mal wieder falsch-/unspezifisch positiv reagieren. Hier sollte unbedingt der Messwert berücksichtigt werden (wenngleich viele Labore nur ein qualitatives Ergebnis angeben – in diesen Fällen kann es sich jedoch lohnen nachzufragen, wie hoch der eigentliche Messwert war), da abhängig vom Messwert falsch-positive Ergebnisse auftreten können.

Seite 252: Der erwähnte HIV-Test weist die Übertragung frühestens nach 18 Tagen und nicht wie erwähnt nach zwei Wochen nach.

Seite 253:„Nationale Impfkommission“ – also die Ständige Impfkommission (STIKO)

Seite 254 (Hepatitis C): „Es kann jedoch zu diesem frühen Zeitpunkt möglicherweise noch zu falsch-negativen Befunden kommen“ – cave: nicht der Test versagt, sondern der Patient hat noch nicht genügend Virus pro Milliliter, so dass die Nachweisgrenze der PCR noch unterschritten wird.

„Die diagnostische Sicherheit eines HCV-NAT ist nach 6 Wochen deutlich höher, deshalb stellt eine Blutentnahme zu einem früheren Zeitpunkt möglicherweise eine unnötige Zusatzbelastung dar“.

Fall 1: HCV-NAT ist bereits nach 2–3 Wochen positiv: Die „Zeit der Ungewissheit“ des Mitarbeiters ist kürzer. Fall 2: HCV-NAT ist nach 2–3 Wochen negativ: Test wird nach 6–8 Wochen wiederholt, der Mitarbeiter ist in der gleichen Situation, wie wenn der erste Test nicht durchgeführt worden wäre. Eine „Zusatzbelastung“ durch eine erste Testung nach 2–3 Wochen bei positivem Indexpatient ist nicht erkennbar.

„Es bestand weitgehend Konsens, dass man im Allgemeinen bei aktiv Berufstätigen von immunkompetenten Personen aus gehen kann …“.

Auch im Gesundheitsdienst findet sich eine nicht unerhebliche Anzahl mit Mitarbeitern mit beispielsweise Autoimmunerkrankungen, Tumorerkrankungen, HIV-Infektionen etc., die durch die Erkrankung selbst oder durch immunsuppressive Therapien eine Einschränkung ihres Immunsystems aufweisen können. Eine Einschätzung, dass „man im Allgemeinen bei aktiv Berufstätigen von immunkompetenten Personen ausgehen kann“ deckt sich weder mit unserer täglichen Praxis noch mit Daten aus der Literatur, die zeigen, dass ca. 20 % der Beschäftigten eine kontrollbedürftige, medikamentenpflichtige chronische Krankheit aufweisen.

„Auf nationaler Ebene wird Personen nach infektionsgefährdenden Vorkommnissen eher zu vorsichtigen Verhalten und zur zukünftigen Meidung von verletzungsträchtigen Tätigkeiten geraten“.

Eine Umsetzung dieser Empfehlung ist aus Sicht der Unterzeichnenden realitätsfern und inhaltlich nicht belegbar und in der täglichen Praxis im Gesundheitswesen nicht durchführbar.

Weitere Ergänzungsempfehlungen

Eine HIV PEP, begonnen 15 Minuten nach Stichereignis, hat im Vergleich zum Beginn nach 2 Stunden eine bessere Wirkung.

Wichtig wäre auch ein differenzierter Hinweis auf das „diagnostische Fenster“ beim serologischen Screening von Indexpatienten. Deshalb sollte immer auch die Anamnese des Indexpatienten bekannt sein (Zugehörigkeit zu Risikogruppen? Immunsuppression? Infektionsmöglichkeit innerhalb der letzten Wochen?).

Verfasserinnen

Dr. Uta Ochmann

Prof. Dr. Sabine Wicker

für das Netzwerk der Leitenden Betriebsärzte der Universitätsklinika Deutschlands

Unterzeichner/innen in alphabetischer Reihenfolge

Dr. med. Ingrid-Ursula Aster-Schenck, MME, Universitätsklinikum Würzburg; Dr. med. Annekatrin Bergmann, Universitätsklinikum Halle, Bereich Arbeitsmedizin; Dr. med. Stephanie Bornmann, Universitätsklinikum Jena; Dr. med. Peter Czeschinski, Universitätsklinikum Münster; Dr. med. Andrea Dahlhausen, RWTH Aachen, Hochschulärztliche Einrichtung; Dr. med. Urte Diederich, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg; Dr. med. Birgit Doßow, Universitätsklinikum Magdeburg; Dr. med. Birgit Emmert, Betriebsärztlicher Dienst, Institut für Präventivmedizin (IPM), Rostock; Dr. med. Sabine Ewerbeck, Universitätsklinikum Heidelberg; Rolf Hartmann, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein; Dr. med. Doris Keller, RWTH Aachen, Hochschulärztliche Einrichtung; Susanne H. Liebe, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden; Dr. med. Tanja Menting, Universitätsklinikum Bonn; Dr. med. Dieter Müller, Universitätsmedizin Göttingen; Dr. med. Uta Ochmann, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität München; Dr. med. Andrea Otto, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg; Marion Predikant, Universitätsklinikum Heidelberg; Dr. med. Karin Reimers, Universitätsmedizin Göttingen; Dr. med. Stephan Schlösser, Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bochum; Prof. Dr. med. Klaus Schmid, Universität Erlangen-Nürnberg; Dr. med. Daniel Steinmann, Universitätsklinikum Freiburg; Dr. med. Peter Stommel, Universitätsklinikum Essen; Dr. med. Andrea Wawer, Betriebsmedizin MRI, TUM, München; Dr. med. Melanie Weiss MBA, Universitätsklinikum Leipzig; Prof. Dr. Dr. med. Sabine Wicker, Universitätsklinikum Frankfurt

Replik der Autoren

Wir bedanken uns für die umfangreiche Kommentierung unseres Aufsatzes zur Nachsorge nach Nadelstichverletzungen (NSV) und für wichtige Anregungen. Im Folgenden möchten wir stellvertretend für das Autorenteam einige Kritikpunkte von Dr. Ochmann und Prof. Wicker aufgreifen.

Die Autorinnen, die federführend für einen Teil der Leitenden Betriebsärzte der Universitätskliniken Deutschlands den Leserbrief verfasst haben, kritisieren unter anderem den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Sie weisen darauf hin, dass relevante Leitlinien kurz vor der Veröffentlichung stehen. Allerdings stellte Prof. Wicker bereits 2015 fest, dass „eine Überarbeitung der deutschen Empfehlungen seitens der Fachgesellschaften und Unfallversicherungsträger (UVT) dringend erforderlich ist“ (Wicker et al. 2015). Wir werden sicherlich nach Erscheinen von Leitlinien zur Hepatitis B (HBV), Hepatitis C (HCV) und HIV regelmäßig prüfen, ob an den Standards der UVT Anpassungen vorgenommen werden müssen. Wenn die versorgenden Ärzte wegen individueller Besonderheiten im Einzelfall Abweichungen vom Standard-Laborprogramm für notwendig erachten und fachlich begründen können, ist die Kostenübernahme meist problemlos möglich. Zugleich möchten wir an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Tätigkeit von D-Ärzten und Betriebsärzten sich in den gesetzlichen Grundlagen, Aufgabenkatalogen und Vertragsgestaltungen mit den Unfallversicherungsträgern (UVT) unterscheiden. Im Zentrum unserer Ausführungen stehen die Aufgaben von D-Ärzten sowie der UVT, definiert im SGB VII. Betriebsärzte sollten sich vorher beim UVT eine Übersicht verschaffen, welche Leistungen übernommen werden.

Bevor wir auf die einzelnen blutübertragbaren Virusinfektionen eingehen, sei an dieser Stelle noch einmal an den Charakter des Konsenspapiers erinnert. Es stellt die Zusammenfassung einer Diskussion und Abstimmung innerhalb der am häufigsten betroffen UVT dar. So eine Abstimmung war dringend notwendig, da es zwischen den UVT Unterschiede bei der Kostenregulation nach NSV gab. Es ist bisher kein von allen UVT und der DGUV konzertiertes Paper. Insofern sind wir für die Anregungen dankbar. Dieses Konsenspapier ist auch keine Leitlinie im Sinne der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Wenn diese Publikation zur Entwicklung so einer AWMF-Leitlinie anregen würde, wäre das sehr in unserem Sinne.

Zu HBV

Die Autorinnen kritisieren die Komplexität der Veröffentlichung. Unsere Publikation ist tatsächlich in der jetzigen Form wenig geeignet für einen raschen Überblick beim akut zu versorgenden Fall. Die Tabellen 2 und 3 bieten jedoch eine erste Orientierung. Zu Recht weisen Dr. Ochmann und Prof. Wicker auf das komplexe Fließschema der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Hepatitis B-PEP hin. Die Empfehlungen der STIKO am Robert Koch-Institut (RKI) stellen trotz kritischer Diskussion die Basis zur Hepatitis B-PEP (Postexpositionsprophylaxe) dar.

Zu Anti-HBc: Die Aussage „Anti-HBc hat eine hohe diagnostische Sicherheit“ impliziert, dass es bei dieser Untersuchung falsch-negative wie auch falsch-positive Befunde geben kann. Im Einzelfall sollte bei fraglich falscher/unspezifisch positiver Reaktion immer eine Nachfrage im Labor erfolgen.

Zu HCV

Die Autorinnen fordern die zusätzliche Bestimmung von ALT (oder ALAT für Alanin-Aminotransferase) und HCV-NAT (HCV-Nukleinsäureamplifikationstest) nach zwei Wochen (S3-Leitlinie Hepatitis C).

ALT: eine Bestimmung von ALT trägt nicht zur Diagnose einer HCV-Infektion bei und wurde deshalb nicht in das Standardprogramm der UVT aufgenommen.

HCV-NAT: Wir haben außerdem auf eine flächendeckende HCV-NAT-Bestimmung nach 2 Wochen im Standardprogramm verzichtet, da bei einem Großteil der NSV nach individueller, ärztlicher Risikoabschätzung keine Hepatitis-C-Infektionsgefahr besteht. Wenn immer möglich, kann die Befragung und Untersuchung der Indexperson eine bessere Einschätzung des Infektionsrisikos bringen. An über 30 % der bei 50.000 jährlich bei der BGW gemeldeten NSV sind Insulinpens oder andere subkutane Injektionsnadelns beteiligt, bei denen bisher keine Hepatitis-C-Übertragung sicher nachgewiesen werden konnte (Dulon et al. 2017, 2018). Bei einer zu geringen Viruslast (unter der Nachweisgrenze) muss die Untersuchung bei einem negativen Befund nach sechs Wochen wiederholt werden (Wicker et al. 2015). Da in der Praxis bei der großen Mehrheit der Testungen negative Befunde erhoben werden, würde dieses Vorgehen eine regelhafte HCV-NAT Doppeltestung nach 2–3 und 6–8 Wochen bedeuten. Alternativ könnte allerdings eine einmalige HCV-NAT ab der vierten Woche gut begründet werden. Auch das CDC empfiehlt nur einen Test frühestens drei Wochen nach Exposition mit einem HCV-positiven oder unbekanntem Spender (Donor bzw. Indexperson) (CDC 4/2018). Davon abweichend spielen bei der Wahl des Zeitpunktes der HCV-Diagnostik noch andere Aspekte wie die psychische Belastung oder der Schutz von Dritten eine Rolle (z.B. Patientenschutz bei Chirurgen). In Ausnahmefällen und mit Begründung kann deshalb nach Exposition mit Blut von einem HCV-positiven oder unbekannten Spender eine HCV-NAT-Bestimmung schon zwei bis vier Wochen nach NSV sinnvoll sein. Sollte es in Zukunft eine „HCV-Frühtherapie“ analog zur heute obsoleten Interferontherapie geben, wäre dann eine frühest mögliche Diagnostik anzustreben. Aktuell gibt es aber keine Empfehlung für diese Therapiestrategie.

Wir danken für den wichtigen Hinweis auf die nicht unerhebliche Gruppe von 20 % der Beschäftigten im Gesundheitsdienst, die eine kontrollbedürftige, medikamentenpflichtige, chronische Krankheit aufweisen. Ist bei einer verletzten Person anamnestisch gleichzeitig eine Immundefizienz (unabhängig von der Ursache) bekannt, muss nach einer NSV ein negativer Antikörper-Befund immer kritisch bewertet werden. Je nach Schwere der immunologischen Störung sollte bei entsprechender Indikation in diesen Fällen zu den Zeitpunkten 0, 6 Wochen und 3 Monate alternativ zur Antikörperdiagnostik eine HCV-NAT-Bestimmung erfolgen. Für die Kostenübernahme durch den Unfallversicherungsträger muss in diesen seltenen Fällen das Vorgehen entsprechend begründet werden.

Zu HIV

Wir stimmen zu, dass die Einnahme der ersten Dosis einer HIV-PEP entsprechend der Deutsch-Österreichischen Leitlinie nach einem gefährdenden Kontakt schnellst möglich erfolgen soll. Es gilt: „Je früher – desto wirksamer“. Eine HIV-PEP, begonnen 15 Minuten nach Stichereignis, hat im Vergleich zum Beginn nach zwei Stunden eine bessere Wirkung. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass es nach 24 Stunden zur ersten Bildung von Viruspartikeln kommt. Deshalb wird die Wirkung einer PEP ab diesem Zeitpunkt eingeschränkt sein.

Problematisch sind jedoch im Einzelfall die schnelle Indikationsstellung und der Zugriff auf die Medikation, besonders außerhalb von Krankenhäusern. Der rasche Zugriff auf die Medikamente ist mit Ausschleusen aus dem Operationssaal und ggf. Aufsuchen einer Ambulanz verbunden. Dies ist nur selten innerhalb von 15–30 Minuten realisierbar – andererseits gibt es keine Alternative.

Die Abstimmung mit der koordinierenden Stelle der S2-Leitlinie HIV-PEP zur begleitenden HIV-Labordiagnostik wurde von unserer Seite angestrebt, allerdings hatte die uns zugängliche Version des Leitlinienentwurfs keine detaillierten Aussagen zum Laborprogramm enthalten.

Zur Tetanus-Diphtherie-Pertussis (TdaP)-Impfung

Bei der Tdap-Impfung nach Arbeitsunfällen hat die DGUV eine Kostenübernahme zugesagt, wenn aus unfallchirurgischer Sicht eine postexpositionelle Impfung indiziert ist (DGUV 2017). Die Kostenträger für allgemeine Impfindikationen sind die Krankenkassen. Wir erhoffen uns in der Umsetzung des Präventionsgesetzes für die Betriebsärzte praktikablere Abrechnungswege mit den Kassen. Für die D-Ärzte mit Kassenvertrag sollte das heute schon problemlos möglich sein.

Zu Risikogruppen

Die geplanten epidemiologischen Erläuterungen zu Risikogruppen mussten wegen der Überlänge der ursprünglichen Textversion gestrichen werden.

Interessant wäre aus unserer Sicht eine weitere Fachdiskussion zur Hepatitis-B-Immunglobulingabe bei Low-Respondern, die in internationalen Leitlinien so nicht vorzukommen scheint (Ridell et al. 2015; Schillie et al. 2013).

Literatur

CDC: Information for Healthcare Personnel Potentially Exposed to Hepatitis C Virus (HCV). Recommended Testing and Follow-up. BloodProductsAdvisoryCommittee (4/2018) ( https://www.cdc.gov/hepatitis/pdfs/testing-followup-exposed-hc-personnel.pdf ).

DGUV: Kostenübernahme für Tetanus-Kombiimpfungen nach Arbeitsunfällen. Rundschreiben an die Mitglieder der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung 0298/2017 vom 31.07.2017 ( https://rundschreiben.dguv.de/rd/0298/2017 ).

Dulon M, Lisiak B, Wendeler D, Nienhaus A: Unfallmeldungen zu Nadelstichverletzungen bei Beschäftigten in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen. Gesundheitswesen 2017; 80: 176–182.

Dulon M, Wendeler D, Nienhaus A: Seroconversion after needlestick injuries – analyses of statutory accident insurance claims in Germany. GMS Hyg Infect Control 2018; 13: Doc05

Empfehlung des Arbeitskreises Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF: Prävention blutübertragbarer Virusinfektionen. Hyg Med 2018; 43–44.

Rose DM: Schutzimpfungen durch Betriebsärzte. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 429–431.

Sarrazin C, Zimmermann T, Berg T, Neumann U, Schirmacher P, Schmitt HH, Spengler U, Timm J, Wedemeyer H, Wirth S, Zeuzem S: S3-Leitlinie, Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-C-Virus (HCV)-Infektion. AWMF-Register-Nr.: 021/012. Z Gastroenterol 2018; 56: e53–e115.

Wicker S, Rabenau HF: Update Nadelstichverletzungen. Dtsch Ärztebl 2015; 112: A-1883 / B-1557 / C-1515

Für die Autorengruppe

J. Stranzinger

W. Wunderle

A. Nienhaus

Kontakt:

johanna.stranzinger@bgw-online.de