Sehr geehrte Kollegin Kindel,
mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel in ASU über Zytomegalie gelesen und auch meinen Kolleginnen und meinem Chef vorgestellt. Seitdem gibt es viele Diskussionen und wir können uns nicht einigen, wie wir praktisch damit umgehen sollen.
Wir betreuen viele Erzieherinnen, die mit Kindern unter 3 Jahren arbeiten und somit einem potenziellen Risiko ausgesetzt sind, wenn sie schwanger werden. Nach Ihren Angaben erfolgt in 1,4 % eine transplazenale Infektion bei Zytomegalie-positiven Schwangeren. Was bedeutet das? Doch nur, dass man sich die Antikörperbestimmung sparen kann, da es ja egal ist, ob die Schwan-gere seronegativ oder seropositiv ist! Und weiter, dass man jede Schwangere, die mit unter 3-Jährigen arbeitet, immer mit einem Beschäftigungsverbot ausstatten muss!? Andererseits schreiben Sie, dass man sero-negative Erzieherinnen in einen anderen Bereich mit größeren Kindern versetzen soll. Warum denn jetzt nur die Seronegativen? Nach ihren Angaben vorher sind doch auch die Seropositiven gefährdet? Entweder eine Gefährdung ist vorhanden und man zieht die Erzieherinnen dann aus der Gefährdung mithilfe eines Beschäftigungsverbotes oder nicht.
Die Kitas hier im Kreis sind alle mit un-ter 3-jährigen Kindern ausgestattet und ein Wechsel in eine Gruppe mit größeren Kindern ist nie möglich (behaupten zumindest die Leiterinnen).
Wo kann man Ihre Daten nachlesen? Alle Literatur, die wir vorliegen haben, auch z. B. von der Landesanstalt für Arbeitsschutz NRW, berichtet immer nur von einer Gefährdung bei seronegativen Schwangeren. Wenn es so ist, wie Sie schreiben, müsste man das doch deutschlandweit ändern?
Herzlichen Dank für eine Antwort.
Dr. med. Anita Verbovsek
Fachärztin für Allgemeinmedizin
Fachärztin für Arbeitsmedizin
Stellungnahme der Autorin
Liebe Frau Kollegin Verbovsek,
es freut mich, dass mein Artikel eine so intensive Diskussion ausgelöst hat.
Mein Artikel in der ASU war die Zusam-menfassung einer sehr interessanten Veranstaltung u. a. zum Thema Zytomegalie im März 2013 in Hamburg (Vortrag von Herrn Prof. Dr. Steinmann, Hamburg). 2014 hat das RKI Leitlinien veröffentlicht, die alle relevanten Informationen zusammenfassen. Literatur findet sich auch bei Frau Prof. Enders, Stuttgart, wie unten angegeben.
Zusammenfassend gilt, dass es transplazentare Infektionen bei seronegativen wie auch selten bei seropositiven Schwangeren geben kann. Bei seropositiven Personen handelt es sich überwiegend um eine Reaktivierung einer früher durchgemachten Infektion; die Säuglinge sind bis auf wenige Ausnahmen fast immer asymptomatisch. Dennoch bleibt eine Unsicherheit, da ja auch eine Neuinfektion mit einem anderen Virustyp vorliegen kann. Die Bestimmung des Titers ist sinnvoll, da das Risiko für das ungeborene Kind zwischen Seropositivität und Negativität der Mutter deutlich unterschiedlich ist.
Im Arbeitsschutz ist die Gefährdungsbeurteilung immer der zentrale Punkt der Beratung. Sollte bei einer Tätigkeit eine er-höhte Gefährdung für eine Infektion bestehen, so sind organisatorische und technische Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Ein generelles Tätigkeitsverbot kann nur als letzte Möglichkeit betrachtet werden.
Maßnahmen zur Verhinderung der CMV-Übertragung beruhen im Wesentlichen auf einer peniblen Händehygiene und Vermeidung intensiver Körperkontakte zwischen Schwangeren und Kleinkindern, wie auch Frau Prof. Wicker aus Frankfurt im ArbMedNet 2011 ausführte. Die Erkrankung wird nicht aerogen durch eine Tröpfcheninfektion übertragen, sondern durch Körpersekrete.
Durch die eingeführten Schutzmaßnahmen besteht z. B. in einem Kinderkrankenhaus keine erhöhte Gefährdung gegenüber der allgemeinen Bevölkerung. Die derzeit laufenden Untersuchungen der BGW zur Prävalenz der Seropositivität zeigen, dass die Schutzmaßnahmen greifen. Im Gegensatz dazu ist es z. B. in einem Kinderhort immer noch nicht denkbar, mit Handschuhen zu wickeln oder diese Tätigkeit in der Schwangerschaft ganz zu unterlassen.
Eine Empfehlung für alle Schwangeren könnte beispielsweise von arbeitsmedizinischer Seite sein: kein Wickeln von Kindern unter drei Jahren. Bei Mahlzeiten keine Benutzung des Geschirrs der Kinder durch die Schwangere.
Ein generelles Beschäftigungsverbot für alle Schwangeren sollte gegebenenfalls mit der Gewerbeaufsicht/dem Amt für Arbeitsschutz abgestimmt werden. Wenn die Umsetzung der Maßnahmen in einer Kita nicht möglich ist, kann auch der Arbeitgeber ein institutionelles Beschäftigungsverbot aussprechen. Primär ist das nicht die Aufgabe des Arbeitsmediziners.
Zusammenfassend können auch seronegative Schwangere unter strenger Einhaltung der Schutzmaßnahmen weiter mit Kleinkindern arbeiten. Für Physiotherapeuten, Musikpädagogen etc. gibt es auch bei CMV-Negativität keine Gründe für ein Beschäftigungsverbot.
Letztendlich ist es aber ein gesellschaftlicher Prozess, wie mit dieser Frage umgegangen wird.
Dr. med. Jutta Kindel
Fachärztin für Innere Medizin
Fachärztin für Arbeitsmedizin
Literatur
Enders G, Daiminger A, Lindemann L, Knotek F, Bäder U, Exler S, Enders M: Cytomegalovirus (CMV) seroprevalence in pregnant women, bone marrow donors and adolescents in Germany, 1996–2010. Med Microbiol Immunol. 2012 Aug; 201(3): 303–9.
Adler SP, Baggett, Wilson M, Lawrence L, McVoy M: Molecular epidemiology of cytomegaliovirus in a nursery: Lack of evidence for nosocomial transmission. J Pediatr 1986; 108: 117–123
RKI: Zytomegalievirus-Infektion, RKI-Ratgeber für Ärzte. Direkter Link: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Zytomegalie-virus.html