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Leserzuschrift

Zum Schwerpunkt “Der ältere Arbeitsnehmer – Ausnahmeregelungen im Betrieb“

RA Reinhard Holtstraeter, Hamburg

Mit großem Interesse habe ich in Heft 1 die drei Beiträge zu Ausnahmegenehmigungen (AG) gelesen. Meines Erachtens leidet besonders der juristische Beitrag darunter, dass der Begriff einer AG bzw. Ausnahmeentscheidung nicht definiert oder zumindest nach seinen Anwendungsbereich konkretisiert wird. Aus dem Kontext der ärztlichen Beiträge entnehme ich, dass es im weitesten Sinne um Genehmigung der Arbeitseinsätze von Arbeitnehmer, also um Teilhabe geht.

Man mag es mir als Jurist verzeihen, aber der Begriff einer AG ist mir mit Bezug zur Teilhabe bzw. betriebsmedizinischen Einschätzung der Einsatzfähigkeit eines Menschen nicht geläufig. Auf der Suche danach, diese Wissenslücke zu schließen, half auch „Googlen“ u. Ä. nicht weiter. Wohl ein Indiz dafür, dass es sich nicht um einen eingeführten Begriff handelt. Der Begriff gehört m. E. in die Maschinen- und Geräteprüfung und sollte zur Leistungs- und Einsatzbewertung von Arbeitnehmern allenfalls in sehr eng definierten Sonderfragen Anwendung finden.

Dergestalt fällt es nicht nur schwer, die Aussagen zur Verantwortlichkeit für die Entscheidung/Genehmigung nachzuvollziehen. Es fragt sich neben den haftungsrechtlichen Aspekten in arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher sowie ethischer Hinsicht, was und wer hier zur Ausnahme mit Sondergenehmigungsbedarf erklärt werden könnte.

Begriffsnotwendig beinhaltet die Ausnahme stets eine Regel- bzw. Standardabweichung (Über- oder Unterschreitung). Die Frage, ob eine Regelabweichung gegeben, ist immer eine Frage der Tatbestandes bzw. – soweit hier interessant – der ärztlichen Einschätzung. Je nach Feststellungsinhalt auf der Tatbestandsseite lautet dann die Rechtsfolgefolge Genehmigung, Genehmigung unter Auflagen oder Verbot. Wird der Proband innerhalb einer komplexen Eignungsprüfung einzelnen (Teil-)Regeln oder Standards nicht gerecht, können diese Abweichungen indes durch andere Fähigkeiten oder Eigenschaften kompensiert werden – liegt also bei ganzheitlicher Betrachtung eine positive Einschätzung (= genehmigungsfähig) auf der Tatbestandsseite vor –, wird der Arzt hier insgesamt einen regelhaften, genehmigungsfähigen Tatbestand attestieren können. Das Regelungsziel wird mithin in diesen Fällen tatbestandsseitig erreicht und es bedarf keiner Ausnahmeregelung auf Rechtsfolgenseite. Aus dem ärztlich festgestellten Tatbestand bzw. seiner Prognose folgt mangels ergebnisrelevanter Regelabweichung in direkter Rechtsfolge die Genehmigungsfähigkeit. Ähnlich wird zu werten sein, falls der Sollzustand einer Regel oder ein Beurteilungsziel durch Auflagen oder Bedingungen gesichert werden kann.

Im umgekehrten Fall steht auf der Tatbestandseite nach ärztlicher Einschätzung eine nicht kompensierbare Regelabweichung fest. Die damit verbundene negative Prognose bzw. das entsprechende Risiko bedingt auf der Rechtsfolgeseite ein Verbot. Wer soll bzw. wer darf in dieser Situation zur Vermeidung des Verbotes eine Ausnahme genehmigen? Unter Fürsorgeaspekten und haftungsrechtlichen Gesichtspunkten – auch gegenüber Dritten – wird man keinem Arbeitsgeber in diesen Fällen zur Ausnahme raten können. Eine AG des Arbeitgebers wird es danach kaum geben (dürfen). Der betroffene Arbeitnehmer könnte sich eine AG auf eigenes Risiko geben, was aber zumindest haftungsrechtlich gleichfalls nicht befriedigend lösbar wäre.

Für mich ergeben sich aus dem oben Genannten vier Schlussfolgerungen:

  • In den drei Beiträgen geht es weniger um Ausnahmegenehmigungen als vielmehr um die Frage der Genehmigung bei medizinisch grenzwertigen Sachverhalten bzw. bei Standardabweichungen in Einzelparametern.
  • Die in den Beiträgen angesprochenen betriebsärztlichen (Ausnahme-)Probleme liegen im Schwerpunkt auf der Tatbestandsseite einer Genehmigung, nicht auf deren Rechtsfolgenseite. Die Dinge sind daher in der rechtlichen Betrachtung des betriebsärztlichen Mitwirkens nicht so klar, wie es nach dem Beitrag der Kollegin RA‘in Hellmann scheint. Es ist grob vereinfachend, festzustellen, die AG würden immer vom Arbeitgeber erteilt. Mag auch der Arzt nicht die Entscheidung verkünden, so entscheidet er doch allein über das Ja/Nein einer (betriebs-)medizinische Regelabweichungen auf der Tatbestandsseite. Es sind (betriebs-)medizinische Parameter über deren Bedeutung für das Beurteilungsziel regelmäßig nur der Arzt im Rahmen seiner medizinischen Stellungnahme ober Beratung befinden kann. Das ist zweifelsohne aktives Tun. Es stellen sich mithin kaum die Fragen der Garantenstellung sondern diejenigen der evtl. Schlechterfüllung im Rahmen der ärztlichen Untersuchung oder Beratung.
  • Der Arbeitsgeber kommt haftungsrechtlich erst dann in den Fokus, falls er von dem Beratungsergebnis des Arztes abweicht. Dazu könnte man ihm nur bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit des ärztlichen Ergebnisses raten. Mithin versteckt sich an dieser Stelle eine ganz andere Problematik der Teilhabe, nämlich die Gefahr zu restriktiver Genehmigungsempfehlung aus vermeintlichen Haftungsgründen. Dem muss unbedingt entgegengewirkt werden. Prof. Dr. Hartmann hat hierzu wichtige Wege gewiesen. Zudem sollten Beurteilungsspielräume und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten (Arbeitgeber, Arzt, Arbeitnehmer) differenzierter betrachtet werden.
  • Der Begriff der Ausnahmegenehmigung (AG) sollte aus der Arbeitswelt verbannt werden bzw. auf technische Fragestellungen beschränkt bleiben. Auch insoweit weist Prof. Dr. Hartmann den Weg: „Kurz gesagt: Bei arbeitsmedizinischer Vorsorge sind „Ausnahmegenehmigungen“ nicht vorgesehen und es gibt auch hier diesen Rechtsbegriff nicht.“ Wir sollten teilhabesuchende Menschen nicht von AG abhängig machen. Es ist insbesondere für ältere oder behinderte Menschen belastend genug, wenn sie der Genehmigung bedürfen.

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