Grenzwerte am Arbeitsplatz und in der Umwelt haben eine lange Tradition und haben viel zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen und zur Verminderung von Umweltbelastungen beigetragen. Ohne Kenntnis der Zielsetzung und Philosophie der jeweiligen Grenzwerte können die reinen Zahlen allerdings nicht sachgerecht interpretiert werden. Gerade in der aktuellen Diskussion, beispielsweise um Stickoxide im Zusammenhang mit Dieselmotor-Emissionen, wird oft gefragt, warum Arbeitsplatzgrenzwerte so viel höher sind als Umweltgrenzwerte. Sind etwa Arbeitnehmer weniger schutzbedürftig als andere Personengruppen? Oder anders gefragt: Ist „Gefahr im Verzug“ wenn Grenzwerte überschritten werden? Warum werden Grenzwerte in vielen Fällen im Laufe der Jahre oft drastisch gesenkt, obwohl doch behauptet wird, dass sie vor Gesundheitsgefahren sicher schützen? Nehmen wir wirklich, wie teilweise postuliert wird, jährlich Tausende von Toten durch Umweltverschmutzung in Kauf, wenn Grenzwerte nicht innerhalb kürzester Zeit umgesetzt und eingehalten werden?
Grenzwerte am Arbeitsplatz: eine lange Tradition
Im Herbst 2015 feierte die Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (MAK-Kommission) ihr 60-jähriges Bestehen. Als größte der DFG-Senatskommissionen nimmt sie einen zentralen Aufgabenbereich der DFG, die Politikberatung, wahr. Ihre am deutlichsten sichtbare, jedoch längst nicht einzige Tätigkeit besteht in der jährlichen Herausgabe einer aktualisierten MAK- und BAT-Werte-Liste, gefolgt von den detaillierten wissenschaftlichen Begründungen für die jeweiligen Bewertungen der Chemikalien oder Stäube, die an Arbeitsplätzen zum Einsatz kommen. Auch die Erarbeitung und Prüfung analytischer Methoden für den Nachweis dieser Stoffe in der Luft oder im biologischen Material zählen dazu.
Die MAK-Kommission setzt sich aus fast 40 Mitgliedern, unter anderem aus den Fachgebieten Toxikologie, Arbeitsmedizin, Dermatologie, Pulmologie, Allergologie, Pathologie, Epidemiologie und Analytik, zusammen. Sie wird unterstützt durch sog. „Ständige Gäste“ aus den zu beratenden Institutionen wie BAuA, BfR oder der DGUV sowie durch zahlreiche weitere Experten aus den verschiedensten Fachgebieten. Ein wissenschaftlicher Stab von Mitarbeitern steht den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern und Gästen zur Seite und bereitet sowohl organisatorisch wie auch inhaltlich die Beratungen und Entscheidungen der Kommission vor.
Der Ableitung von Grenzwerten gehen stets umfangreiche Beratungen voraus, der immer auch konzeptionelle Arbeiten zugrunde liegen. Hierbei muss auch berücksichtigt werden, dass die Grenzwerte anhand immer empfindlicherer Reaktionen abgeleitet werden. Waren es früher häufig akute adverse Effekte und manifeste Krankheiten, vor denen geschützt werden sollte, sind es heutzutage eher sehr frühzeitige, i. d. R. subklinische Reaktionen des Körpers, für die sehr intensiv diskutiert wird, ab wann sie bei chronischer Belastung zu Krankheiten führen könnten. Dies ist auch die positive Botschaft: Das Schutzziel bezüglich des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz (und auch in der Umwelt) ist im Laufe der Jahre immer höher geworden; dabei spielen Grenzwerte eine wichtige Rolle, indem sie Vorgaben für langfristige Verminderungen von Expositionen liefern. Hervorzuheben ist ein zweistufiges Verfahren in Deutschland und auch auf europäischer Ebene: So schlagen Expertengremien wie die MAK-Kommission in Deutschland und das „Scientific Committee for Occupational Exposure Limits“ (SCOEL) auf europäischer Ebene gesundheitsbasierte Grenzwerte vor, die eine Richtung angeben. Bei der Übernahme als gesetzliche Vorgaben im Ausschuss für Gefahrstoffe (oder in entsprechenden Gremien auf europäischer Ebene) spielen hingegen immer auch sozioökonomische Faktoren eine Rolle, die beispielsweise berücksichtigen, in welchem Zeitrahmen Maßnahmen umgesetzt werden können.
Diese „Arbeitsteilung“ ist extrem wichtig, um zu gewährleisten, dass einerseits die Ableitung von Grenzwerten frei von sozioökonomischen Aspekten erfolgen kann, und andererseits die Umsetzung geplant und sozialverträglich verläuft. Ein Beispiel sind krebserzeugende Metallverbindungen: Galten hier bis 2005 noch so genannte Technische Richtkonzentrationen (TRK-Werte), die sich an technischen Gegebenheiten orientierten und je nach Stoff mit ganz unterschiedlichen Risiken verbunden waren, werden seither sukzessive risikobasierte Werte abgeleitet (Exposition-Risiko-Beziehungen), die die früheren TRK-Werte teilweise um den Faktor 100 unterschreiten. Die Umsetzung erfordert je nach Arbeitsbereich große Anstrengungen, die nicht von heute auf morgen realisierbar sind, aber die Richtung vorgeben und bereits zu erheblichen Reduzierungen der Belastungen geführt haben und noch weiter führen werden.
Grenzwerte im Umwelt- und Lebensmittelbereich
Wie sieht es nun aber im Umweltbereich aus? Zunächst ist auffällig, dass hier Grenzwerte oftmals deutlich niedriger sind als am Arbeitsplatz. Hierfür ist der derzeit in allen Medien im Zusammenhang mit Emissionen aus Dieselfahrzeugen diskutierte NO2-Grenzwert ein gutes Beispiel: Während für die Außenluft ein Jahresmittelwert von 40 µg/m3 gilt, liegt dieser für die Luft am Arbeitsplatz bei 950 µg/m3, also mehr als 20fach höher. Wie kann das sein? Arbeitsplatzgrenzwerte werden für überwiegend gesunde Personen im arbeitsfähigen Alter aufgestellt; dies ist ein viel homogeneres Kollektiv im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, wo auch Kinder, ältere Personen sowie ein höherer Anteil an gesundheitlich eingeschränkten/vorgeschädigten Personen mit berücksichtigt werden müssen. Dies resultiert generell in wesentlich höheren „Unsicherheitsfaktoren“ bei der Ableitung von Grenzwerten für die Allgemeinbevölkerung. Außerdem sind Grenzwerte am Arbeitsplatz für die Exposition gegenüber einem einzelnen Stoff konzipiert. Liegen z. B. mehrere Stoffe mit ähnlicher Wirkungscharakteristik vor, müssen die Expositionen entsprechend der Anzahl der Stoffe reduziert werden. Zudem ist die zugrunde gelegte Expositionszeit am Arbeitsplatz mit 40 Stunden pro Woche, 40 Jahre lang, deutlich geringer als die theoretische Exposition in der Umwelt. Konkret wurde der Grenzwert für NO2 von 40 µg/ m3 ursprünglich anhand einer statistisch erhöhten Krankheitsanfälligkeit von Kindern abgeleitet, in deren Wohnhäusern u. a. Gasherde im Vergleich zu elektrischen Herden verwendet wurden und die dadurch gegenüber höheren Konzentrationen an NO2 exponiert waren.
Obwohl eine kurzfristige Überschreitung des Grenzwerts keine akute Gesundheitsgefahr bedeutet, ist er zur Vermeidung von chronischen Gesundheitsschäden für die Allgemeinbevölkerung durchaus plausibel und sinnvoll, wäre aber für den Arbeitsplatz nicht adäquat. Glücklicherweise ist die Belastung der Außenluft in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich zurückgegangen, so dass dieser Wert in fast allen Regionen eingehalten und auch deutlich unterschritten wird. Um diesen Trend zu unterstützen und fortzuführen, sind eher langfristige Konzepte nötig, wie die Expositionen auch in den verbleibenden „Hotspots“ weiter gesenkt werden können. Aber auch hierfür gilt: Gefragt sind Konzepte, die alle Expositionsquellen berücksichtigen sowie auch eine toxikologische Gesamtbilanz der avisierten Alternativen beinhalten. So ist es für komplexe Umweltexpositionen aus toxikologischer Sicht nicht ausreichend nur einen Schadstoff zu bewerten, sondern es müssen alle Koexpositionen, insbesondere auch Partikelemissionen wie PM10 berücksichtigt werden. Zudem sind solche Expositionen kritisch zu bewerten, die umgekehrt aus einzelnen Verboten und Beschränkungen resultieren würden, beispielsweise durch alternative Antriebstechnologien in der Automobilindustrie. Tagespolitischer Aktionismus führt nicht nur bei toxikologischen Fragestellungen selten zum Erfolg.
Auch im Lebensmittelbereich tauchen immer wieder Schlagzeilen auf, die auf neue „Skandale“ hinweisen; aktuell ist es Fipronil in Eiern und im Hühnerfleisch. Fipronil hat in Eiern absolut nichts zu suchen, und die Verwendung Fipronil-haltiger Reinigungsmittel ist verboten und muss geahndet werden. Dennoch wirkt die Vernichtung von Millionen von Eiern eher verstörend. Grenzwerte im Lebensmittelbereich werden in der Regel mit hohen Sicherheitsfaktoren abgeleitet (bei Bezug auf Tierversuche mit dem Faktor 100 bezogen auf die Dosis, die keine nachteiligen Effekte mehr bewirkt). Eine Bewertung erfolgt zudem anhand der höchsten Konzentrationen, die gemessen wurden; dies ist aus Vorsorgegründen absolut gerechtfertigt. Dies bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass zum einen der Verzehr von Eiern, in denen Fipronil in Konzentrationen unterhalb des Grenzwerts gefunden wurde, nach derzeitigem Kenntnisstand zu keiner Gesundheitsschädigung führt und zum anderen, dass selbst bei kurzfristiger Überschreitung eines Grenzwerts keine „Gefahr im Verzug“ ist, sofern die tatsächliche Exposition noch ausreichend weit vom akut wirksamen Dosisbereich entfernt ist.
Fazit
Zusammenfassend sind Grenzwerte in allen Bereichen ein wichtiges Instrumentarium zur Reduktion von Schadstoffbelastungen, die zu erheblichen Verbesserungen im Gesundheitsschutz sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Umwelt geführt haben; dies ist für alle Bereiche deutlich belegt. Diesen Trend gilt es fortzusetzen. Voraussetzung hierfür ist einerseits eine umfassende Dokumentation, anhand welcher Kriterien die Werte abgeleitet werden, und andererseits ein wohl überlegtes Maßnahmenpaket zu ihrer Umsetzung.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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