Beanspruchung bei Erzieherinnen und Erziehern an Tagen mit und ohne Nachtarbeit unter besonderer Berücksichtigung der Herzratenvariabilität
Ziel: In letzter Zeit werden gehäuft psychische Belastungen und Erkrankungen von Arbeitnehmern registriert, gerade in Sozialberufen. Von Erzieher/-innen in Kinderheimen sind vermehrt Klagen über zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz zu verzeichnen, speziell an Tagen mit anschließender Bereitschaft, an denen die Erzieher/-innen 24 Stunden im Dienst sind. Die Studie hat das Ziel, die Beanspruchung der Erzieher/-innen und Sozialpädagogen/-innen der Kinder- und Jugendnothilfe der Freien Hansestadt Hamburg zu untersuchen.
Methoden: Bei 30 Erzieher/-innen wurde geprüft, inwieweit sich geäußerte Beschwerden über die Belastung mittels Herzratenvariabilität (HRV) als einen gängigen physiologischen Beanspruchungsparameter objektivieren lassen. Zudem wurden Zusammenhänge von objektiv gemessenen physiologischen Beanspruchungsparametern und subjektiven Beschwerden untersucht.
Ergebnisse: Die HRV-Analyse selbst ergab nur geringe Unterschiede im intraindividuellen Vergleich. Statistisch signifikante Differenzen waren nur im TagNacht-Vergleich an den Untersuchungstagen zu verzeichnen. Eine Zunahme der HRV-Beanspruchungsparameter wurde am Tag deutlich. Im Vergleich der unterschiedlichen Tage waren keine signifikanten Differenzen festzustellen. Auffällig war aber, dass die LF/HF-Ratio bei den Erziehern sowohl am Schicht- als auch am Vergleichstag im Vergleich zu Normwerten erhöht war. Laut Fragebogenauswertungen fühlten sich die Erzieher am Schichttag deutlich müder und unruhiger. Ein Zusammenhang konnte zwischen Beschwerden und Beanspruchungsparametern nachgewiesen werden. Je ruhiger und wacher die Erzieher/-innen sich fühlten, desto höher war die HRV ausgeprägt.
Schlussfolgerungen: Insgesamt sprechen die Ergebnisse der HRV-Analyse dafür, dass die Erzieher/-innen die Belastung noch gut kompensieren können. Die gehäuft geäußerten Beschwerden müssen jedoch ernst genommen werden, eine Gesundheitsfürsorge ist auch bei Erzieher/-innen angeraten. Insgesamt gesehen sind die Ergebnisse weniger gravierend als befürchtet, dennoch sind weitere Untersuchungen bei Erzieher/-innen mit Nachtdienst wichtig, um das Risiko für die Entstehung sowohl von Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch von psychischen Störungen zu senken.
Schlüsselwörter: psychische Belastung – Erzieherberuf – Herzratenvariabilität
Stress on educators on days with and without night work with special consideration of heart rate variability
Aim: In recent years mental strain and disorders of employees have been frequently registered, in particular in social professions. Educators in children’s homes increasingly complain of excessive stress at the workplace, especially on days with subsequent stand-by duty, when the educators are on duty for 24 hours. The aim of this study is to investigate psychic strain on educators and social pedagogues of the children’s and youth emergency aid of the Free Hanseatic City of Hamburg.
Methods: For 30 educators it was investigated to what extend complaints about stress might be objectified by means of the analysis of the heart rate variability (HRV) as a common physiological strain parameter. Additionally, correlations between objectively measured physiological strain parameters and subjective statements in questionnaires were investigated.
Results: The HRV analysis revealed only small differences in the intra-individual comparison. Statistically significant differences were found only for the day-night comparison on the examination days. An increase of HRV stress parameters during daytime became obvious. No significant differences could be found between the different working days. But it was conspicuous that the LF/HF ratio of the educators was elevated on shift days as well as on reference days when compared to reference values. The analysis of the surveys revealed that the educators felt clearly more tired and restive on shift days. A correlation of the survey data with the stress parameters was confirmed. The calmer and more awake the educators felt, the higher the HRV was.
Conclusions: The study showed that the educators are currently capable of coping with the strain, although the increasing number of complaints has to be taken seriously. Preventive measures for educators in the sense of health-care measures are recommended. Currently, the results are less dramatic than was expected. Nevertheless, further investigations of educators with stand-by duty are important to minimize the risk of mental disorders or cardiovascular diseases.
Keywords: mental stress – educators – heart rate variability
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2013; 48: 397–402
Einleitung
In der heutigen modernen Arbeitswelt ist die physische Arbeit durch immer stärker werdende psychische Belastungen und Beanspruchungen zurückgedrängt worden. Psychische Belastung ist nach der Norm EN ISO 10075 „die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken“. Sie ist dabei als neutraler Begriff aufzufassen. Psychische Beanspruchung entsprechend dieser Norm ist dagegen die „individuelle, zeitlich unmittelbare sowie nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastungen im Menschen“ und ist abhängig von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand.
Noch vor 10 Jahren geriet das Berufsbild der Lehrer mit den spezifischen Belastungen und Beanspruchungen zunehmend in den Fokus der Arbeitsmediziner, da immer weniger Lehrkräfte aufgrund von Frühpensionierungen das reguläre Rentenalter erreichen. Diese krankheitsbedingten Frühpensionierungen stellten sowohl ein volkswirtschaftliches als auch ein sozialmedizinisches Problem dar, da sie im Schnitt 10 Jahre vor der Regelaltersgrenze erfolgt (Weber et al. 2003). Zwar sind die Zahlen zur Frühverrentung bei Lehrern aufgrund von Dienstunfähigkeit seit der Einführung von Abschlägen bei der Pensionierung rückläufig (siehe Gehrmann 2013), trotzdem zeigen viele Untersuchungen bei Lehrern höhere Erkrankungszahlen für psychische und neurotische Krankheiten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sowie Zusammenhänge von Arbeitsbedingungen der Lehrer und einer Zunahme des Burnout-Syndroms (Bauer et al. 2003, 2006; Unterbrink et al. 2007; Scheuch et al. 2010). Nicht zuletzt auf Empfehlung von Prof. Dr. Letzel wurde speziell ein Institut für Lehrergesundheit gegründet, dass dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz angegliedert ist und im Januar 2011 seine Arbeit aufnahm (Dudenhöffer et al. 2011).
Zu den Arbeitsbedingungen bei Erzieher/-innen in Kindertagesstätten existieren Studien, die die überdurchschnittlich hohen psychischen und physischen Belastungen aufzeigen (Rudow 2004). Hier sind insbesondere der hohe Lärmpegel [durchschnittlich etwa 80 dB (A)] sowie die hohe Zahl der Arbeitsaufgaben (Betreuungs-, Erziehungs-, Verwaltungs- und Bildungsaufgaben) zu nennen. Aber auch die (zu) hohe Zahl der zu betreuenden Kinder in den Gruppen spielt eine Rolle, da eine effektive Arbeit mit einzelnen Kindern so kaum möglich ist.
Wenig hingegen wurde die Belastung und Beanspruchung von Erzieherinnen und Erziehern in Kinderheimen mit Betreuung von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen im Schichtdienst untersucht. Im Blickpunkt standen bisher nur physische und psychische Belastungen in Kindertagesstätten ohne Schichtarbeit (Eysel-Gosepath et al. 2010; Schoppe et al. 2010). Gerade aber in Einrichtungen der Kinder- und Jugendnothilfe ist die dort notwendige Schichtarbeit mit Nachtdienst neben anderen Problemen auch mit enormen psychischen Belastungen verbunden, da aufgrund von Personalabbau die Erzieher/-innen nachts allein für die Betreuung der zum Teil auch auffälligen Kinder und Jugendlichen zuständig waren.
Ein Anliegen dieser Arbeit war es daher, die subjektiv empfundene Beanspruchung von Erzieher/-innen im Nachtdienst mit physiologischen Parametern zu objektivieren. Als Parameter für die Beanspruchung dienten die Herzrate und die Herzratenvariabilität (HRV), die schon seit langem in Hinblick auf verschiedene Erkrankungen von Bedeutung sind (Kristal-Boneh et al. 1995). Von Interesse ist dabei die HRV als Risiko- und Prognosefaktor für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Verschiedene Studien konnten einen Zusammenhang bzw. eine Vorhersagekraft zwischen einer reduzierten HRV und kardialer Morbidität und Mortalität dokumentieren (u. a. Tsuji et al. 1996; Dekker et al. 1997; Steenland et al. 1997; Kleiger et al. 1987; Malik et al. 1989).
Neben diesem klinischen Einsatz gewinnen die Parameter der HRV-Analyse zunehmend auch in der Arbeitsmedizin als Beanspruchungsindikatoren an Bedeutung. Hier zeigten Untersuchungen von van Amelsvoort et al. (2000) einen Zusammenhang zwischen Belastungen am Arbeitsplatz und reduzierter HRV. Schichtarbeit selbst wird wiederum mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht (Bøggild u. Knutson 1999; Puttonen et al. 2010). In Tabelle 1 sind die gebräuchlichsten Parameter der HRV-Analyse erläutert, die in dieser Arbeit verwendet werden.
Ziel der Studie war die Erfassung der körperlichen Reaktionen der Erzieher/-innen bei verschiedenen Arbeitsbelastungen. Es soll untersucht werden, ob die Belastung und die subjektiv empfundene Beanspruchung mit objektiv messbaren körperlichen Reaktionen wie Blutdruckanstieg oder Veränderungen der Herzrate bzw. der Herzratenvariabilität in direktem Zusammenhang stehen und welche Auswirkungen der Nachtdienst auf diese Parameter hat.
Methodik
An der Studie nahmen Erzieherinnen und Erzieher sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen aus unterschiedlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe der Freien Hansestadt Hamburg freiwillig teil. Die Probanden wurden umfangreich über das Prozedere aufgeklärt und unterschrieben dann folgenden Text: „Ich erkläre mich mit der datentechnischen Erfassung und statistischen Auswertung der während der Felduntersuchung erhobenen Daten und Messwerte einverstanden. Ich bin außerdem damit einverstanden, dass die bei mir erhobenen Untersuchungsergebnisse in einer anonymisierten Form für eine wissenschaftliche Publikation herangezogen werden können.“ Die Studie wurde nach Zustimmung von Personalrat und Arbeitgeber durchgeführt.
Insgesamt wurden 30 Probanden (10 Männer und 20 Frauen) im Alter von 43,9 ± 9,14 Jahren rekrutiert, das durchschnittliche Dienstalter betrug 18,6 ± 9,2 Jahre. Fünf Erzieher/-innen arbeiten für den Jugendnotdienst mit Nachtdienst (ohne Schlafmöglichkeit während des Dienstes), 25 sind in Kinderheimen mit Nachtbereitschaft tätig. Die zu betreuenden Kinder und Jugendlichen in den entsprechenden Einrichtungen sind zwischen 6 und 16 Jahre alt. Die Geschlechterverteilung ist nicht homogen, beschreibt jedoch eine realistische Arbeitssituation in diesem Berufsbild, da im Allgemeinen deutlich mehr Frauen als Männer im Erzieherberuf arbeiten.
Die Studie beinhaltete zwei identische Untersuchungen über jeweils 24 Stunden. Eine Untersuchung wurde über einen Arbeitstag mit Nachtdienst bzw. -bereitschaft durchgeführt. Die zweite Untersuchung erfolgte an einem normalen Arbeitstag ohne Nachtdienst. Die anschließende Freizeit wurde mit berücksichtigt, um einen eventuellen Erholungseffekt zu erfassen. Um einen Gewöhnungseffekt auszuschließen, wurde eine Hälfte der Probanden zuerst an einem Tag mit Nachtdienst untersucht, die andere Hälfte begann die Untersuchungen entsprechend zunächst an einem normalen Arbeitstag mit anschließender Freizeit.
Für die Auswertung war weiterhin von Interesse, ob sich auch Unterschiede zwischen Ruhezeiten (2:00–5:00 Uhr) einerseits und Arbeitszeiten (13:00–16:00 Uhr) andererseits an den jeweiligen Untersuchungstagen feststellen lassen. Zu diesem Zweck wurden die erhaltenen Messdaten in diesen Zeitabschnitten jeweils zu Mittelwerten zusammengefasst.
Vor der eigentlichen Untersuchung erfolgte die Anamneseerhebung mit Erfassung des Alters und Geschlechts der Probanden. Eventuelle Krankheiten wurden ebenso abgefragt wie die Medikamenteneinnahme sowie der Kaffee- und Zigarettenkonsum. Des Weiteren wurden die Arbeitszeiten (Arbeiten mit und ohne Betreute sowie Gesamtarbeitszeit), die Schlafdauer sowohl während der Nachtbereitschaft als auch in der Freizeit sowie die Anzahl der zu leistenden Nachtdienste im Monat erfasst.
Der Langzeitblutdruck wurde mit dem Gerät BR-102 der Firma Schiller Medizintechnik, Ottobrunn, stündlich gemessen. Für die Auswertung wurden die systolischen und diastolischen Blutdruckwerte in den jeweiligen Zeitabschnitten zu Mittelwerten zusammengefasst.
Die Aufzeichnung der Herzaktivität erfolgte mit Geräten der Fa. GeTeMed, Teltow, (CM2000, CM3000) über 24 Stunden. Die Auswertung der NN-Reihe-Daten geschah mit dem Programm Kubios 2.0 (Biosignal Analysis and Medical Imaging Group, Kuopio, Finnland) im Zeit-, Frequenz- und nonlinearen Bereich. Dabei wurde auf die Voraussetzungen einer HRV-Analyse geachtet (Task Force 1996; Pfister et al. 2007; Böckelmann 2012).
Die momentane Befindlichkeit wurde mit Hilfe des Mehrdimensionalen Befindlichkeitsfragebogens (MDBF) nach Steyer et al. (1997) jeweils zu Beginn und nach Arbeitsende abgefragt. Dieses Fragebogenverfahren mit 24 Items ermöglicht es, auf einer bipolaren Skala Aussagen über gute/schlechte Stimmung, Wachheit/Müdigkeit sowie Ruhe/Unruhe zu treffen. Hohe Zahlenwerte bedeuten hierbei ein positives Ergebnis.
Die statistische Auswertung der erhobenen Daten mit Häufigkeitsverteilungen, Mittelwerten (MW) und Standardabweichungen (SD), mit t-Test für verbundene Stichproben und Korrelationsanalysen erfolgte mit den Programmen Statistica 7.0 der Firma Statsoft und SPSS 17.0.
Ergebnisse
Die Anamneseerhebung ergab keinerlei Auffälligkeiten bei den untersuchten Probanden. Die Studienteilnehmer waren klinisch gesund.
Aufgrund der Unterschiede in der Geschlechterverteilung wurde zunächst geprüft, inwieweit sich diese auswirken. Einzig in der Herzfrequenz bzw. in der Herzperiodendauer wurden signifikante Unterschiede zwischen Männern und Frauen gefunden. Die Männer wiesen in der Nacht am Schichttag eine geringere Herzfrequenz bzw. eine längere Herzperiodendauer auf (61,6 ± 8,79 vs. 71,1 ± 9,87 Schläge pro Minute; p < 0,05 bzw. 1003,1 ± 113,93 vs. 870,7 ± 103,91 ms, p < 0,001). In allen anderen untersuchten Parametern fanden wir keine Geschlechterunterschiede, weder in den physiologischen noch den psychologischen Parametern. Ebenso wenig fanden wir Unterschiede zwischen den Erzieher/-innen mit Nachtdienst und denen mit Nachtbereitschaft. Aus diesem Grund führten wir die folgenden statistischen Auswertungen für alle Erzieher/-innen zusammen aus, zumal wir nach intraindividuellen Unterschieden bei verbundenen Stichproben suchten.
Signifikante Unterschiede wurden bei der Tagesgestaltung am Schichtarbeitstag im Vergleich zum Arbeitstag ohne Nachtdienst deutlich. Am Schichttag wurde mehr gearbeitet und die Schlafdauer ist signifikant geringer, die Erzieher/-innen konnten am Schichttag nur knapp 6 Stunden schlafen im Vergleich zu 7,5 Stunden an einem Arbeitstag ohne nächtliche Bereitschaft. Ebenso unterscheidet sich der Kaffeekonsum – am Tag mit Nachtbereitschaft wurden 160 ml mehr Kaffee getrunken. Die Erzieher/-innen leisteten an 5,8 Tagen im Monat Nachtbereitschaft bzw. -dienst.
Die Langzeitblutdruckmessung erbrachte keine signifikanten Unterschiede. Die systolischen und diastolischen Blutdruckwerte am Schichttag sind nur geringfügig höher als am Vergleichstag.
Die HRV-Analyse ergab ebenfalls nur geringe Unterschiede im intraindividuellen Vergleich. Statistisch signifikante Differenzen waren lediglich im Tag-Nacht-Vergleich an den jeweiligen Untersuchungstagen zu verzeichnen. Hier wurde eine Zunahme der Beanspruchungsparameter (Herzrate, LF/HF-Ratio) am Tage deutlich, während diese Werte nachts zurückgingen ( Tabelle 2 und Tabelle 3 ). Am Tage nimmt die sympathische Aktivität signifikant zu und die parasympathische Aktivität ab.
Bei der Gegenüberstellung der jeweiligen Arbeitstage waren dagegen weder im Tages- noch im Nachtvergleich signifikante Differenzen bei den Beanspruchungsparametern festzustellen.
Die Befragung zu subjektiven Beschwerden mithilfe des MDBF ergab signifikante Unterschiede zwischen den Untersuchungstagen. Am Vergleichstag unterschieden sich die Angaben zu Beginn und am Ende des Arbeitstages nicht voneinander. Am Schichttag dagegen sind die Beschäftigten am Ende der Nachtschicht deutlich müder und unruhiger als noch zu Arbeitsbeginn. Auch nimmt die Stimmung erheblich im Verlauf des Arbeitstages ab. Ein Vergleich der Stimmung zu Arbeitsbeginn an beiden Untersuchungstagen ergab keinen signifikanten Unterschied. Die Erzieher/-innen waren aber am Morgen des Vergleichstages wacher und auch ruhiger, wenngleich dieser Unterschied das Signifikanzniveau mit p = 0,056 bzw. p = 0,058 nur knapp verfehlt hatte. Am Ende des Arbeitstages unterschieden sich diese beiden Kategorien an den beiden Untersuchungstagen höchst signifikant (p < 0,001, Abb. 1 ).
Um zu prüfen, ob die im Fragebogen geäußerten Beschwerden mit veränderten physiologischen Parametern im Zusammenhang stehen, wurde eine Korrelationsanalyse nach Spearman durchgeführt.
Im Langzeit-EKG wurde eine positive Korrelation der Schlafdauer am Schichttag mit der Länge der nächtlichen Herzperiodendauer gefunden (r = 0,478; p < 0,05), d. h., je weniger die Erzieher/-innen schlafen konnten, desto geringer war auch die Länge des RR-Intervalls bzw. desto höher war die Herzrate (r = –0,468; p < 0,05).
Die im Mehrdimensionalen Befindlichkeitsfragebogen entdeckten Beeinträchtigungen in der Kategorie „Wach/Müde“ korrelierten am Schichttag positiv mit der Gesamtarbeitszeit (r = 0,573; p < 0,001 vor Arbeitsbeginn und r = 0,411; p < 0,05 nach Arbeitsende). Mit längerer Gesamtarbeitszeit steigt aber auch der Kaffeekonsum (r = 0,379; p < 0,05), der Auswirkungen auf den Ermüdungszustand hat.
Diese Zusammenhänge am Schichttag werden durch die Auswertungen der Langzeit-EKGs bestätigt. Die Angaben im MDBF in der Kategorie „Ruhig/Unruhig“ korrelieren positiv mit den Ergebnissen der HRV-Analyse im Zeit- und auch im Phasenbereich ( Tabelle 4 ). Je kleiner die Werte in der Kategorie „Ruhe/Unruhe“ sind, desto reduzierter sind die Werte, die für die Höhe der Gesamtvariabilität des Herzschlags (SDNN) sprechen. Die Erzieher/-innen mit hohen Werten im Fragebogen wiesen auch eine hohe HRV vor Arbeitsbeginn auf. Nach Schichtende wird dieser Zusammenhang geringer. Ein positiver Zusammenhang fand sich ebenfalls bei den Kategorien „Gute/schlechte Stimmung“ und „Ruhig/Unruhig“ vor Arbeitsbeginn und dem SD1-Wert, der eine spontane, kurzzeitige Variabilität beschreibt.
Diskussion
Die Studie hatte das Ziel, die Beanspruchung aufgrund der zunehmenden Belastung gerade auch während der Nachtdienste von Erzieher/-innen und Sozialpädagogen/-innen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendnothilfe der Freien Hansestadt Hamburg zu untersuchen. Zunehmend als Belastung wird nicht nur die Schichtarbeit an sich angesehen, wegen personeller Unterbesetzung leisten die Erzieher/-innen oft allein Nachtarbeit und fühlen sich dadurch überfordert. Diese psychosoziale Belastung spielt aber gerade auch bei der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine große Rolle (Backé et al. 2012).
Die Beanspruchung der Hamburger Erzieherinnen und Erziehern aus den unterschiedlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe der Freien Hansestadt Hamburg wurde mithilfe des Mehrdimensionalen Befindlichkeitsfragebogen (MDBF) untersucht. Parallel wurden an zwei Arbeitstagen über 24 Stunden der Blutdruck und die Herzrate aufgezeichnet, um die subjektiv geäußerten Beschwerden mittels HRV-Analyse zu objektivieren. Einen Zusammenhang der geäußerten Beschwerden mit objektiven Daten der Blutdruckmessung konnten wir nicht feststellen. Auch die HRV-Analyse zeigte keine Unterschiede in der Beanspruchung an den jeweiligen Untersuchungstagen. Die Auswertungen ergaben, dass die Erzieher/-innen sich sowohl in der Nacht des Vergleichstages als auch nach dem Schichtdienst gut erholen konnten. Allerdings war die Schlafqualität am Schichttag beeinträchtigt, was durch die höhere Herzrate, insbesondere bei den Frauen, belegt wurde.
Auffällig war jedoch, dass die LF/HF-Ratio bei den Erzieher/-innen sowohl am Schichttag als auch am Vergleichstag im Vergleich zu Normwerten erhöht war. Allerdings beziehen sich diese Normwerte der HRV aus dem Frequenzbereich auf die Kurzzeitaufnahmen von 5 Minuten im Liegen (Task Force 1996) und nicht auf die Auswertungen mit einer Aufzeichnungsdauer von 24 h wie in unserer Studie. Die Erhöhung der LF/HF-Ratio spricht dafür, dass die sympathovagale Balance bereits in Richtung der sympathischen Aktivierung verschoben ist. Auch in den einzelnen Leistungsdichtespektren wird deutlich, dass die sympathische Aktivität überwiegt. Dieser Befund steht im Einklang mit Studien, in denen eine gestörte kardiovaskuläre sympathovagale Balance bei Schichtarbeitern gefunden wurde (van Amelsvoort et al. 2000; Mitani et al. 2006; Su et al. 2008). Clays et al. (2011) fanden in einer Studie an über 650 gesunden Industriearbeitern heraus, dass Stress während der Arbeitszeit mit einer Reduzierung der parasympathischen Aktivität einhergeht, dass die LF/HF-Ratio bei hohem Stressfaktor erhöht war. Ebenso ist akuter Schlafmangel mit einer erhöhten sympathischen bzw. verminderten parasympathischen Aktivität verbunden (Zhong et al. 2005). Das steht auch im Einklang zu einer Untersuchung bei Ärzten im Schichtdienst, in der Malmberg et al. (2011) ein Absinken der parasympathischen Aktivität bei Anästhesisten in der Nachtschicht im Vergleich zu HNO- und Kinderärzten feststellten, was sie auf die größere psychische Belastung in dieser Berufsgruppe (z. B. lebensrettende Maßnahmen) zurückführten. Aasa et al. (2006) beobachteten ebenfalls ein Absinken der HRV bei Mitarbeitern in einer Ambulanz während des 24-h-Dienstes im Vergleich zu arbeitsfreien Tagen, sofern diese vermehrt über Beschwerden klagten. Gaben die Mitarbeiter keine Beschwerden an, waren auch die Beanspruchungsparameter im Normbereich. Auch Adams et al. (1998) stellten bei einer Gruppe von Ärzten einen Anstieg der sympathischen Aktivität während des Nachtdienstes fest. Diesen Unterschied konnten wir in unserer Studie nicht feststellen, die HRV-Parameter unterschieden sich nicht an den jeweiligen Untersuchungstagen, was für eine noch erhalten gebliebene Erholungsfähigkeit bei den Erzieher/-innen sprechen könnte.
Die Angaben zu Beschwerden sollten jedoch ernst genommen werden. Zumindest spricht der Zusammenhang von vermehrten Beschwerden und einer verminderten HRV dafür, dass eine Reduzierung der Belastung auch bei Erzieher/-innen angeraten ist, wie sie Bauer et al. (2003) unter anderem für Schulen und Pflegeeinrichtungen vorschlagen. Auch wäre unter Umständen die Änderung von Dienstplänen zu überlegen, damit die Erzieherinnen und Erzieher nicht mehr allein nachts für die Kinder und Jugendlichen verantwortlich sind.
Schlussfolgerungen
Insgesamt gesehen sind die Ergebnisse weniger gravierend als befürchtet, dennoch sind weitere Untersuchungen bei Erzieher/-innen mit Nachtdienst wichtig, um so das Risiko für die Entstehung sowohl von psychischen Störungen als auch von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Diese weiteren Untersuchungen sollten dann an einem größeren, einheitlicheren Kollektiv erfolgen, um so arbeitsbedingte Unterschiede auszuschalten. Unsere Gruppenvergleiche erbrachten zwar weder Unterschiede zwischen den Geschlechtern noch zwischen den Dienstarten. Möglicherweise war unser Studienkollektiv jedoch zu klein (nur 5 Personen mit Nachtdienst), um sichere Aussagen zu treffen. Interessant wäre es außerdem, gerade bei Erzieher/-innen ohne Nachtschlafmöglichkeit die Beanspruchung zu untersuchen.
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Danksagung: Die Autoren bedanken sich bei Frau Dr. Franke für die geleistete Mitarbeit bei der Untersuchung der Probanden.
Für die Verfasser:
Dr. med. Sabine Darius
Bereich Arbeitsmedizin Medizinische Fakultät
Otto-von-Guericke Universität Magdeburg
Leipziger Str. 44 – 39120 Magdeburg
Fußnoten
1Bereich Arbeitsmedizin, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Leiterin: Prof. Dr. med. habil. Irina Böckelmann)
2Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin; Hamburg (Direktor: Prof. Dr. med. Volker Harth)