Fall-Kontroll-Studie zu Bestimmung des Risikos beruflicher Belastungen beim Karpaltunnelsyndrom
Zielstellung: Anliegen der hier vorgestellten Fall-Kontrolle-Studie war es, berufliche und außerberufliche Risikofaktoren für ein inzidentes (operationspflichtiges) Karpaltunnelsyndrom (KTS) der rechten und linken Hand zu untersuchen. Weiterhin sollte versucht werden, den Effekt einer Summation potenzieller handbelastender Faktoren (Hand-Aktivitäts-Level [HAL]) auf die Entstehung des KTS zu evaluieren.
Material und Methode: Die Fallgruppe bestand aus insgesamt 64 Patienten, die Kontrollgruppe aus 134 Patienten. Alle untersuchten Personen wurden bezüglich allgemeiner klinischer Daten, sonstiger Erkrankungen und der beruflichen und außerberuflichen Belastung der Hand befragt.
Ergebnisse: Signifikant häufiger war das KTS bei Frauen, Übergewicht und Adipositas waren bei Frauen signifikante Risikofaktoren für das KTS. Berufliche Belastungen waren vor allem bei Männern signifikante Risikofaktoren. Dies wurde für die weiblichen Probandinnen nur tendenziell bestätigt.
Schlussfolgerungen: In Übereinstimmung mit der Literatur kommen in ver-schiedenen manuellen beruflichen Tätigkeiten Risikofaktoren für dieses Kom-pressionssyndrom vor. Allerdings sind zur Ermittlung von validen Schwellenwerten, die eine Grundlage für die Beurteilung der beruflichen Verursachung im Sinn einer Berufskrankheit sein könnten, prospektive arbeitsmedizinisch begleitete Untersuchungen erforderlich.
Schlüsselwörter: KTS – Karpaltunnelsyndrom – Hand – Risikofaktor – Berufs-krankheit
Case-control study to assess the risk of occupational stress with carpal tunnel syndrome
Aim: The aim of the case-control study presented here was to examine the occupational and non-occupational risk factors for incident (requiring surgery) carpal-tunnel syndrome (CTS) in the right and left hand. The purpose was also to evaluate how the cumulative effect of factors with the potential to exert stress on the hand (hand activity level) affected the development of CTS
Methods: The case group consisted of 64 patients in total, and the control group of 134 patients. All the people examined completed a questionnaire relating to general medical data, other illnesses and occupational and non-occupational stress on their hands.
Results: CTS was significantly more common among women. Excess weight and obesity were significant risk factors for CTS among women. In the main, occupational stresses were the significant risk factors among men. The ten-dency was less marked among the female subjects.
Conclusions: Risk factors for this compression syndrome are present in a variety of manual occupations, thus confirming existing studies on the subject. However, further studies accompanied by the occupational health profession are essential in order to calculate valid threshold values which could form the basis for the evaluation of the possible on-the-job causes of this occupational disease.
Keywords: CTS – carpal-tunnel syndrome – hand – risk factor – occupational disease
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015; 50: 286–293
Einleitung und Zielstellung
Das KTS (Karpaltunnelsyndrom) ist das häufigste periphere Nerven-kompressionssyndrom. In Abhängigkeit von den gewählten Defini-tionskriterien (anamnestischen Angaben von Par- oder Dysästhesie im Versorgungsgebiet des N. medianus, klinischer Untersuchung durch funktionelle Tests wie Tinel-Zeichen oder Phalen-Test, elektrophysio-logische Untersuchungen oder der Notwendigkeit einer operativen Versorgung) beträgt die Inzidenz durchschnittlich 10,4/1000 Personenjahre. Dabei zeigt sich ein Häufigkeitsgipfel zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr (Spahn et al. 2012a).
Das KTS ist pathophysiologisch gekennzeichnet durch eine den N. medianus im Karpalkanal kompromittierende Erhöhung des Gewebsdrucks mit konsekutiver Stase der perineuralen Gefäße. Die-ser beträgt normalerweise 7 mmHg und steigt beim KTS auf bis zu 40 mmHg an (Gelberman et al. 1998). In den meisten Fällen handelt es sich dabei um eine primäre, idiopathische Druckerhöhung. Sekundäre Formen des KTS nach Frakturen, insbesondere nach Radius-frakturen(Bienek et al. 2006; Niver u. Ilyas 2012) oder durch Tumo-ren (Berlund u. Kalamaras 2014; Jalan et al. 2011)sind dagegen eher selten.
Frauen sind häufiger betroffen, ein weiterer potenzieller Risikofaktor ist das Übergewicht bzw. die Adipositas. Dagegen konnte ein Zusammenhang zwischen Handdominanz, Komorbidität mit anderen Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus), Nikotin- und Alkoholkonsum, aber auch sportlicher Aktivität bisher nicht sicher nachgewiesen werden (Spahn et al. 2012a).
Beim primären KTS ist ein ätiologischer Zusammenhang zur beruflichen Belastung des betroffenen Patienten gesichert (Barcenilla et al. 2011; Palmer et al. 2000, 2001; Palmer 2003; Sluiter et al. 2001; Bernard et al. 1994). Daher wurde das KTS bereits im Jahre 2008 aufgrund einer wissenschaftlichen Begründung (Giersiepen u. Spallek 2011; Schürmann u. Hartmann 2008; Spallek, 2009) inzwischen vom Sachverständigenrat zur Aufnahme als Berufskrankheit empfohlen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2009). Dabei spielen weniger der Beruf bzw. die konkrete Tätigkeit des Werktätigen die entscheidende Rolle. Vielmehr bedeutsamer sind bestimmte manuelle Tätigkeiten wie kraftvolles Greifen, Vibration und diese vor allem dann, wenn ein hoher Repetitionsgrad vorliegt.
Für die Beurteilung des Zusammenhangs von KTS und beruflicher Belastung sind also gar nicht die Risiken für bestimmte Berufsgruppen (z. B. schwere körperliche Tätigkeiten von so genannten „blue-collar-worker“ versus so genannten „white-collar-worker“ oder Vergleich bestimmter Kategorien von Tätigkeiten, z. B. Produktionsarbeiter versus Büroangestellte) erforderlich. Allerdings gibt es natürlich Berufe bzw. Berufsgruppen, bei denen gehäuft derartige Belastungen mit hoher Repetition auftreten, z. B. Polsterer, Mitarbeiter auf Schlachthöfen, die mit dem Auslösen von Fleisch im Akkord be-schäftigt sind, Montagearbeiter, Physiotherapeuten, Montagearbei-ter usw. (Spahn et al. 2012b). Vielmehr gilt es, das konkrete Risiko der belasteten Hand (Repetition, Handposition, Kraftausübung und Vibrationsbelastung) in Bezug zur Inzidenz des KTS zu untersuchen. Während der Arbeit ist die Hand in den meisten Fällen kombinierten Belastungsmustern ausgesetzt. Silverstein et al. (1987) fanden eine um das Vielfache erhöhte Prävalenz des KTS bei Werktätigen, die mit hoher Repetition kraftvolle Arbeiten ausführen müssen (Shiri et al. 2009). Der Beschreibung der Schwere der Handbelastung durch kombinierte repetitive Kraftaufwendung trägt der semiquantitative Score für die Hand Activity Level Threshold Limit Values (HAL TLVs®) der ACGIH (American Conference of Governmental Hygienists) Rechnung. Die in diesem angegebenen Schwellenwerte dienen präventiven Gesichtspunkten und stellen keine schädigenden Grenz-werte dar.
Für die Expositionsermittlung entwickelten Hoehne-Hückstädt et al. (2014) einen Algorithmus, der einzelne belastende Risikofaktoren (Repetition, Kraftaufwand, Vibration) aus den Tätigkeiten allein oder auch eine Kombinationsbewertung zulässt.
Anliegen der hier vorgestellten Fall-Kontrolle-Studie war es, Risikofaktoren für ein inzidentes (operationspflichtiges) KTS in Bezug zu beruflichen Risikofaktoren der rechten und linken Hand zu untersuchen. Weiterhin sollte versucht werden, den Effekt einer Summation potenzieller handbelastender Faktoren (Hand-Aktivitäts-Level [HAL]) auf die Entstehung des KTS zu evaluieren.
Material und Methode
Studienablauf
Für die Durchführung der Untersuchungen wurde ein positives Votum einer universitären Ethikkommission (3664-01-13) erteilt.
Die Erhebungen fanden im ersten Halbjahr des Jahres 2013 statt. Die Erkrankungsfälle wurden aus einer hochspezialisierten handchirurgischen Praxis, die regional (Thüringer Landkreis mit insgesamt 127 227 Einwohnern zum Untersuchungszeitpunkt) nahezu alle KTS-Operationen durchführt, rekrutiert. Ausgeschlossen wurden solche Patienten, bei denen Rezidive eines KTS oder sonstige begleitende Handerkrankungen- oder Verletzungen vorlagen.
Von allen neuerkrankten wurden diejenigen ausgewählt, die zum Untersuchungszeitpunkt ein Alter zwischen 30 und 60 Jahren hatten.
Im gleichen Untersuchungszeitraum wurden aus 2 großen allgemeinmedizinischen Praxen ebenso Patienten im Alter zwischen 30 und 60 Jahren ausgewählt, die sich einer routinemäßigen Jahreskontrolluntersuchung unterzogen. Diese Patienten wurden in die Kontrollgruppe dann aufgenommen, wenn keinerlei auf ein KTS hinweisende Symptome vorlagen oder bereits eine Operation erfolgt war ( Tabelle 1).
Evaluation
Allen Patienten wurde anlässlich der Eingangsuntersuchung ein strukturierter Fragebogen ausgehändigt. Dabei wurden Angaben zu Alter, Schulbildung, sozialer Situation, zum Alkohol- und Nikotinabusus, zu den anthropometrischen Daten und zu Erkrankungen, die nicht die Hand betrafen, erhoben.
Zunächst wurden die Probanden bezüglich ihrer derzeitigen Berufstätigkeit befragt und entsprechende Berufsgruppen klassifiziert. Im Hinblick darauf, dass solche Angaben oft ungenau sind, wurden in Anlehnung an die Empfehlungen der ACGIH (American Conference of Governmental Hygienists) getrennt für die rechte und linke Hand konkrete Belastungen erfragt ( Tabelle 2) (ACGIH 2014). In Anlehnung an den HAL wurde ein semiquantitativer Summenscore gebildet. Für die Auswertung wurde dieser folgendermaßen berechnet: [Punkte für Vibrationsbelastung] + [Punkte für Repetition] + [Punkte für Hand-Extension] + [Punkte für Hand-Flexion] + [Punkte für kraftvolle Drehbewegungen] + [Punkte für Klopfen mit dem Handballen].
Darüber hinaus wurden weitere, außerberufliche Handbelastungen erfragt, die als Risikofaktor für ein KTS gelten können (Sport, Freizeitaktivitäten, Hausarbeit, Pflege von Angehörigen).
Statistische Auswertung
Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Programm SPSS Version 23.0 (SPSS, Chicago IL., USA). Die statistische Effektgröße OR (Odds Ratio) wurde deskriptiv mit der Vierfeldertafel errechnet und mit dem Chi-Quadrattest berechnet. Die OR wird jeweils mit dem 95 % CI (95 %-Konfidenzintervall) angegeben. Stetige Variablen wurden nach Prüfung auf Normalverteilung (KW-Anpassungstest) durch ANOVA verglichen. Für alle statistischen Auswertung galt p =
Ergebnisse
Rekrutierung von Fall- und Kontrollgruppe, Altersverteilung und rohe KTS-Inzidenz
Von den insgesamt 120 Neuerkrankungen mit einem als operationspflichtig eingestuften KTS waren 87 Patienten bereit, an der Studie teilzunehmen (72,5 %).
Die inzidenten Fälle hatten einen Altersgipfel von 54 Jahren ( Ta-belle 3, Abb. 1) bei einem durchschnittlichen Alter von 56,3 (95 % CI 53,7–58,8; 22–84) Jahren. Bezogen auf die Bevölkerungszahl der Region schätzten wir die rohe Inzidenz des operationspflichtigen KTS auf 1,9/1000 Personenjahre.
Nach Ausschluss von Patienten jenseits des 60. Lebensjahres bestand die Fallgruppe schließlich aus 64 Patienten; bei diesen war 24-mal die rechte, 12-mal die linke Seite betroffen. Bei insgesamt 28 Patienten lag ein beidseitiges KTS vor (s. Tabelle 3).
Im Untersuchungszeitraum wurden in den allgemeinmedizini-schen Praxen insgesamt 191 potenzielle Studienteilnehmer erfasst. Von diesen waren 156 (81,7 %) bereit, an der Studie teilzunehmen. Nach Beachtung der Ein- und Ausschlusskriterien (Alter, fehlende KTS-Symptomatik oder bereits durchgeführte Operation) wurden schließlich 134 Patienten in die Studie als Kontrollgruppe aufge-nommen (s. Tabelle 1).
Seitenlokalisation des KTS, Händigkeit, Geschlecht und anthropometrische Daten
Bei 24 Patienten lag ein rechtsseitiges und bei 12 Patienten ein links-seitiges KTS vor. Beidseitige Fälle wurden 28-mal erfasst.
Von allen Patienten der Fall- und der Kontrollgruppe zusammen gaben 177 (89,4 %) an, Rechtshänder zu sein. Nur 3 % waren Links-händer (n = 6), insgesamt 15 Patienten waren Beidhänder (7,6 %).
Kein statistischer Bezug bestand zwischen Händigkeit und der Seitenlokalisation des KTS (p = 0,353).
Frauen hatten ein signifikant erhöhtes KTS-Risiko (p
Aufgrund des Unterschiedes wurden alle weiteren Auswertungen getrennt nach männlichem und weiblichem Geschlecht vorgenommen.
Bezüglich der Körpergröße wurden we-der bei den Männern (p = 0,530), noch bei den Frauen (p = 0,210) signifikant Unter-schiede festgestellt. Tendenziell hatten die Männer aus der Fallgruppe ein höheres Kör-pergewicht (p = 0,368) und einen höheren BMI (p = 0,212). Bei den Frauen hatten die KTS-Fälle ein signifikant höheres Körpergewicht (p = 0,039) und einen höheren BMI (p = 0,007). Die daraus berechneten Effektstärken sind in Tabelle 4 dargestellt.
Soziales Umfeld
Weder bei Männern, noch bei Frauen konn-ten Zusammenhänge zwischen Familienstand und der Anzahl der Kinder bzw. der im Haushalt lebenden Kinder und der Inzidenz eines KTS ermittelt werden.
Tendenziell (p = 0,066) war die Häufigkeit des KTS bei Männern, die auf dem Dorf lebten, höher als bei den Stadtbewohnern.
Weiterhin hatten männliche Eigenheim-bewohner tendenziell (p = 0,302) eine höhere Inzidenz als Bewohner von Mietwohnungen. Auch Absolventen einer Haupt- oder Realschule hatten häufiger ein KTS als ehemalige Abiturienten (p = 0,014). Bei den weiblichen Probandinnen konnten solche Zusammenhänge nicht ermittelt werden.
Koinzidenz sonstiger Erkrankungen
Nikotin- oder Alkoholkonsum, aber auch die erfragten Erkrankungen außerhalb des Muskel-Skelett-Systems (Hypertonie, Herz-erkrankungen, Lungenerkrankungen, Ma-gen-Darm-Erkrankungen, Diabetes, Rheu-ma, Gicht oder psychische Erkrankungen) hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Inzidenz des KTS. Auch Erkrankungen der Wirbelsäule, der Schulter und eine Epikondylitis waren nicht mit einer erhöhten Häufigkeit mit einem KTS assoziiert. Ebenso wurden keine signifikant Zusammenhänge zwischen einer erhöhten KTS-Inzidenz und einer Dauermedikation von Schmerz- oder Rheumamitteln, Cortison, oralen Antidiabetika bzw. Insulingabe bei Diabetikern gefunden. Auch die Einnahme oraler Antikonzeptiva bzw. eine Hormonsubstitution bei Frauen zeigte in unseren Untersuchungen keine erhöhte KTS-Inzidenz.
Berufstätigkeit und Handbelastung
Aus den von den Patienten angegebenen aktuellen Berufstätigkei-ten wurden Tätigkeitsgruppen klassifiziert, wobei die erwartbaren Unterschiede bezüglich der Tätigkeit zwischen Männern und Frauen bestanden ( Tabelle 5). Weder bei den Männern (p = 0,310) noch bei den Frauen (p = 0,194) fanden sich signifikante Unterschiede bezüglich der KTS-Inzidenz in Bezug auf die aktuelle Tätigkeit.
Bei den Männern wurden keine Unterschiede in der Häufigkeit des KTS in Bezug auf das aktuelle Arbeitsverhältnis (Tarifvertrag, Leiharbeiter, Selbstständige, Arbeitsuchende) gefunden (p = 0,772). Tendenziell (p = 0,081) hatten jedoch Beschäftigte im Dreischichtsystem mit 36,8 % eine höhere KTS-Häufigkeit im Vergleich zu solchen in Normal (20,0 %) – oder Zweischichtarbeit (28,1 %). Bei den weiblichen Patienten hatten Beschäftigte ohne Tarifvertrag, Leih-arbeiterinnen und Arbeitslose signifikant häufiger ein KTS als die übrigen Werktätigen (p = 0,012).
Bei Männern hatten Arbeiter und einfache Angestellte eine signifikant höhere Inzidenz als leitende Angestellte (p = 0,309). Dies wurde tendenziell (p = 0,423) auch bei den weiblichen Werktätigen beobachtet.
Keinen Einfluss auf die KTS-Inzidenz hatte hingegen der von den Probanden angegebene Leistungsdruck (gering bis unerträglich).
Bei allen Patienten wurden gemäß der in der Tabelle 2 aufgeführ-ten Kriterien unterschiedliche berufliche Belastungsfaktoren getrennt für die rechte und linke Hand erfragt. Insbesondere bei Männern zeigten sich dabei für einige handbelastende Tätigkeiten signifikant der Zusammenhänge zu einem inzidenten KTS. Dies war häufiger für die rechte Hand (4 Belastungsarten gegenüber 2 links) zu finden. Bei Frauen hingegen waren diese Unterschiede gering ausgeprägt. Die auf die jeweilige Belastung adjustierten Effektstärken sind in Tabelle 6 gelistet.
HAL (Hand-Activity-Level)
Der durchschnittliche HAL-Wert bei Männern für die rechte Hand betrug 9,0 (95 % CI 7,4–10,7). Bei den weiblichen Probanden betrug dieser für die rechte Hand 5,9 (95 % CI 4,5–7,3). Dieser Unterschied war mit p = 0,006 signifikant.
Der durchschnittliche HAL-Wert für die linke Hand war sowohl bei Männern (7,4 95 % CI 5,9–8,9) als auch bei Frauen (4,9 95 % CI 3,6–6,3) signifikant niedriger (p
Vergleicht man die von den Patienten gemachten Angaben zu verschiedenen Berufs- oder Tätigkeitsgruppen in Bezug auf den HAL, so ergeben sich signifikante Unterschiede (s. Tabelle 6). So gaben männliche Produktions- und Bauarbeiter die höchsten Hand-belastungen an. Bei den Frauen hingegen waren Hausfrauen und Produktionsarbeiterinnen am stärksten belastet.
Der durchschnittliche HAL war bei Männern mit einem KTS der rechten Hand signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Tendenziell traf dies auch für die linke Hand bei den Männern und für die Hände der Frauen zu ( Tabelle 7).
Sport und andere außerberufliche Belastungsfaktoren
In unserer Untersuchung wurden keine aktiven oder ehemaligen Profi- oder Leistungssportler erfasst. Von allen Männern (Patienten und Kontrollgruppe) gaben 38 % (n = 41) und von den Frauen 40 % (n = 36) an, regelmäßig Sport zu treiben. In der Mehrzahl der angegebenen Sportarten handelt es sich jedoch nicht um handbelastende Aktivitäten. In den meisten Fällen wurden Freizeitsportaktivitäten wie Joggen, Gymnastik oder Rehabilitationssport genannt. Bei nur 4 Männern fanden sich potenziell handbelastende Sportarten (Mountainbike, Kegeln und Volleyball). Allerdings gehörten diese 4 Patienten alle zur symptomfreien Kontrollgruppe. Tendenziell war Sportaktivität sowohl bei den Männern (p = 0,080) als auch bei den Frauen (p = 0,054) mit einer geringeren KTS-Inzidenz assoziiert. Mögliche Ursachen für diesen Zusammenhang konnten aus den vorliegenden Daten jedoch nicht ermittelt werden.
Keine Unterschiede bestanden bezüglich früherer Sportausübung und der Inzidenz eines KTS.
Die durchschnittliche wöchentliche Zeit, die für Haushaltsarbei-ten aufgebracht wurden, gaben Männer mit 4,9 (95 % CI 4,1–5,9) Stunden und die Frauen mit 11, 9 (95 % CI 9,8–14,1) Stunden (p
In der Freizeit nutzten 57,4 % der Männer und 46,7 % der Frauen regelmäßig einen PC. Dabei war in der männlichen Fallgruppe die tägliche PC-Arbeitszeit signifikant (p = 0,020) signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe. In der männlichen Fallgruppe betrug die tägliche PC-Arbeitszeit 0,3 (95 % CI 0,5–0,6) Stunden, in der Kontroll-gruppe hingegen 0,9 (95 % CI 0,7–1,1) Stunden täglich. Auch bei den Frauen zeigte sich bezüglich der KTS-Inzidenz dieser Trend (p = 0,130).
Diejenigen Probanden, die angaben, in der Freizeit Gartenarbeiten oder sonstige Handwerks- oder Bastelarbeiten auszuführen, unterschieden sich bezüglich des KTS-Risikos nicht von denjenigen ohne solche Belastungen.
Diskussion
Anliegen der hier vorgestellten Fall-Kontrolle-Studie war es, berufliche Risikofaktoren für ein inzidentes (operationspflichtiges) KTS unter Trennung zwischen der rechten und linken Hand zu untersuchen. Weiterhin sollte versucht werden, den Effekt einer Summation potenzieller handbelastender Faktoren, deren Erfassung sich anamnestisch an den Kriterien des Hand-Aktivitäts-Levels [HAL) orientiert, auf die Entstehung des KTS zu evaluieren.
Unsere Untersuchung bestätigte die Ergebnisse einer früheren Literaturrecherche (Spahn et al. 2012a), dass das KTS mit einer Inzidenz von 1,9/1000 Personenjahren eine häufige operationspflichtige Erkrankung ist. Die von uns in einer regionalen Studie ermittelte Inzidenz steht im Einklang mit den Ergebnissen aus der Literatur und kann als repräsentativ angesehen werden. Die Erkrankung kommt in Übereinstimmung mit den bekannten Risiko-faktoren auch in unserem Patientengut bei Frauen häufiger vor. Berufliche Einflüsse auf die Entstehung des KTS sind dagegen bei Männern häufiger zu finden.
Die Geschlechtsdominanz der Frauen beim KTS kann verschiedene Ursachen haben. Zu den Ursachen für die generell höhere KTS-Inzidenz bei Frauen zählt ein in der Regel höherer Hand-Handgelenksindex („wrist index”) nach Boz et al. (2004), was eine grazilere Skelettkonstitution zur Folge hat. Frauen haben gegenüber Männern auch im Bereich der Extremitäten einen höheren Körperfettanteil, was eine eine erhöhte KTS-Disposition bedingen kann. Dies erklärt teilweise die signifikant höhere Assoziation von Übergewicht oder Adipositas bei Frauen mit einem KTS. Biomechanisch kann es vor allem in Flexionshaltungen des Handgelenks durch den stärkeren Fettmantel des Unterarms zu einer Kompromittierung des Karpalkanals kommen (Viikari-Juntura u. Silverstein 1999). Auch der Wassergehalt im Gewebe und damit die Neigung zur Ödembildung ist bei Frauen größer. Dies wird vor allem verstärkt während der Schwangerschaften oder durch die orale Antikonzeption, was sich in unserer Untersuchung nicht nachweisen ließ. Weiterhin ist zu bedenken, dass Frauen auch außerberuflich z. B. durch Haushaltsarbeiten und die Pflege von Angehörigen einer höheren Handbelastung ausgesetzt sein können. Allerdings konnte hier kein statistisch valider Zusammenhang nachgewiesen.
In unserer Untersuchung hatten Frauen eine geringere berufliche Handbelastung als ihre männlichen Kollegen. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass Frauen in der Regel leichtere physische Arbeiten ausüben als Männer. Allerdings sind auch Frauen in bestimmten Tätigkeiten durchaus hohen handbelastenden Tätigkeiten, insbesondere einer hohen Repetition (z. B. Montagearbeiterinnen) ausgesetzt. Arbeiten, die eine hohe und wahrscheinlich KTS-auslösende Kraftausübung erfordern, sind jedoch bei Männern häufiger anzutreffen.
Es ist bekannt, dass eine Reihe von Handfunktionen mit einer erhöhten KTS-Inzidenz assoziiert sind. Belastungen durch Hand-Arm-Vibrationen (z. B. Tätigkeiten mit vibrierenden Druckluftge-räten) können zu einer Stase der perineuralen Venengeflächte, aber auch zu direkter Nervenschädigung führen. Solche Tätigkeiten kom-men in Handwerksberufen oder in der Bauwirtschaft vor, wo sie häu-fig über längere Zeiten während einer Schicht solchen Belastungen ausgesetzt sind. Ebenso dürften die Risikofaktoren Repetition, maxi-male Kraftaufwendung und die ständige Beugehaltung im Handgelenk zu einer Stase der perineuralen Venengeflechte beitragen. Ähnlich wie die Vibrationsbelastungen dürften sich Tätigkeiten auf den Nervus medianus auswirken, die eine ständige Stoß- und Druck-belastung im Handballen erfordern, wie z. B. das Festklopfen von Werkteilen mit dem Hohlhandballen. Insbesondere sind es jedoch kumulative Effekte, die eine Nervenschädigung infolge der Druckerhöhung im Karpalkanal bedingen. Dazu gehören ständige kraftvolle Drehungen oder maximale Kraftaufwendungen mit der Hand. Bei manuell belastenden Tätigkeiten ist es häufig die Summation, die schließlich das erhöhte KTS-Risiko bedingt (Shiri et al. 2009). Darauf haben bereits Silverstein et al. (1987) hingewiesen. In Anlehnung an den Hand Activity Level Threshold Limit Values (HAL TLVs®) der ACGIH (American Conference of Governmental Hygienists) haben wir mögliche Faktoren in einem Score zusammengefasst. Dabei zeigte sich, dass Probanden mit einem inzidenten KTS einen signifikant höheren Indexwert haben. Allerdings war es aus unserem Patientengut nicht möglich, hier einen Schwellenwert zu ermitteln.
Weitere Handbelastungen im außerberuflichen Bereich: So hatten männliche Eigenheimbewohner eine tendenziell höhere KTS-Inzidenz als Bewohner von Mietwohnungen. Ebenso hatten Dorfbewohner eine höhere KTS-Inzidenz, die durch zusätzliche außerberufliche Belastungen, z. B. in der privaten Landwirtschaft, bedingt sein könnte. Es ist als Grenze dieser Untersuchung zu werten, dass diese Umstände von uns nicht untersucht wurden und die Vermutungen über Zusammenhänge spekulativ bleiben müssen.
Prinzipiell kann auch die Handbelastung durch verschiedene Sportarten (z. B. Tennis, Tischtennis, Ballsportarten, Wurfsport) ähnliche Belastungen hervorrufen wie sie aus der Arbeitswelt bekannt sind. Solche Belastungen können das KTS-Risiko geringfügig (1,4-fach) erhöhen. Auch zu belastender Sportaktivität können nach unseren Ergebnissen keine treffenden Aussagen gemacht werden.
Unsere Untersuchung hat zahlreiche Limitationen. Zunächst handelt es sich um eine relativ kleine Gruppe von inzidenten KTS-Fällen, darunter nur 20 Männer, die mit einer nicht bevölkerungsbasierten Kontrollgruppe aus zwei allgemeinmedizinischen Praxen verglichen wurde. Unserer Ergebnisse decken sich jedoch auch mit Studien an wesentlich größeren Kollektiven. In einer unlängst an 2474 Werktätigen durchgeführten Untersuchung aus den USA zeig-ten Harris-Adamson et al. (2015), dass die von uns ermittelten Faktoren ähnliche Effektstärken hatten. Allerdings nahmen die Autoren in der Studie keine getrennte Auswertung für Geschlecht und Seite vor. Kritisch ist weiterhin das Fehlen von solchen Beschäftigten, die besonders hohen beruflichen Handbelastungen ausgesetzt sind wie Polsterer, Schlachthofarbeiter oder Masseure. Zudem basierten unserer Erhebungen der Handbelastungen allein auf den subjektiven Angaben der Patienten und Kontrollpersonen. Diese werden von betroffenen und unter den Symptomen leidenden Personen tenden-ziell eher überschätzt. Dennoch ist es möglich, aufgrund unserer Untersuchungen Schlussfolgerungen bezüglich der Pathogenese des KTS in Bezug auf die berufliche Belastung der Hand zu ziehen.
Schlussfolgerungen
In Übereinstimmung mit der Literatur stellen verschiedene manuelle berufliche Tätigkeiten Risikofaktoren für dieses Kompressionssyn-drom dar. Allerdings sind zur weiteren Präzisierung valider Schwellen-werte, die als Grundlage für die Beurteilung einer arbeitsbedingte Verursachung bei einer Berufskrankheit dienen könnten, prospektive arbeitsmedizinisch begleitete Untersuchungen einer deutlich größe-ren Kohorte erforderlich.
Literatur
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Für die Verfasser
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Gunter Spahn
Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Eisenach
Sophienstraße 16, 99817 Eisenach
Fußnoten
1 Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Eisenach
2 Praxis für Allgemeinmedizin, Eisenach
3 Praxis für Allgemeinmedizin, Wutha-Farnroda
4 Praxis für Allgemein-, Hand- und Gefäßchirurgie, Eisenach
5 Sankt Georg Klinikum, Eisenach
6 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Gunther O. Hofmann), Universitätsklinikum Jena und BG-Klinik „Bergmannstrost“ Halle/Saale
7 Institut für Arbeits-, Sozial-, Umweltmedizin und -hygiene (Direktor: Prof. Dr. med. habil. Rainer Schiele), Universitätsklinikum Jena