Neben dem „Handbook of Work Disability“ und dem deutschsprachigen neuen Fachbuch „Return to Work-Arbeit für alle“ ist das jetzt erstmals vorgelegte Handbuch bereits das 3.Standardwerk, das in den letzten zwei Jahren auf den Markt gekommen ist. Ganz offensichtlich besteht bei Zunahme alternder Belegschaften mit chronischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen des erwerbsbezogenen Leistungsvermögens ein wachsendes Interesse an der Thematik und Bedarf an einschlägigem Know-how.
Den Herausgebern, Izabela Z. Schultz, Professorin für Rehabilitationspsychologie an der University of British Columbia in Vancouver, und Robert J. Gatchel, Profe, ist mit über 70 Autorinnen und Autoren aus Nordamerika und Europa (leider ist kein deutscher Vertreter dabei) eine umfassende, einzigartige interdisziplinäre Darstellung des Forschungsgegenstandes und Handlungsfeldes Return to Work (RTW) gelungen. Auch wenn eine allgemein akzeptierte, verbindliche Definition von RTW bis heute fehlt, besteht doch breiter Konsens, dass RTW gleichermaßen einen Prozess (alle Interventionen, die Rückkehr in Arbeit fördern) wie ein zentrales Outcome umfasst (Reintegration in den Arbeitsmarkt). Darüber ist RTW gewissermaßen ein großes interdisziplinäres Vernetzungsprojekt von Gesundheitssystem, sozialer Sicherung, Rehabilitation und Arbeitswelt.
Das Werk ist inhaltlich in fünf große Teile gegliedert und umfasst 37 Kapitel. Teil 1 beschäftigt sich mit Modellen und Konzepten von RTW (u. a. ICF, psychologische, soziale und politische Dimensionen). Teil 2 beschreibt hemmende und fördernde Faktoren sowie Planung, Assessment und Evaluation der Reintegration. In Teil 3 werden u. a. klinische und berufliche Interventionen, Ergonomische Gesichtspunkte, organisationelle Modifikationen und ökonomische Aspekte des Disability Management behandelt. Teil 4 stellt wesentliche Erkenntnisse zu RTW bei wichtigen Diagnosegruppen dar, u. a. psychische und muskuloskelettale Erkrankungen, Verletzungen, Sucht, Krebs und Krampfleiden. Teil 5 fokussiert die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf die praktische Arbeit und ist gewissermaßen das Fazit.
Aus dem großen Fundus der aufgezeigten wissenschaftlichen Erkenntnisse dürften für die deutsche Leserschaft insbesondere folgende Botschaften interessant sein:
- Betroffene sind von Anfang an aktiv in den RTW Prozess einzubinden.
- Um RTW anzustoßen, ist Symptomfreiheit oder völlige gesundheitliche Wiederherstellung nicht nötig.
- RTW-Interventionen können Teil der Rehabilitation sein.
- Medizinische und berufliche Rehabilitationsmaßnahmen müssen besser verzahnt werden (eine alte Forderung deutscher Arbeitsmediziner).
- Ohne Bereitschaft für eine Veränderung im Sinne einer Rückkehr zur Arbeit können Interventionen nicht erforderlich sein (RTW als „Change-Prozess“ im Sinne von Readiness for Return to Work).
- Arbeitgeber sollten eine entsprechende RTW Kultur pflegen, ein betrieblicher Koordinator („Kümmerer“) ist dabei förderlich.
Zusammenfassend bietet das Handbuch dem Leser – jenseits nationaler Besonderheiten sozialer Sicherungssysteme – eindrucksvolle, dabei auch durchaus kritische Perspektiven mit vielen wertvollen Anregungen für Verbesserungen und Weiterentwicklungen. Für alle, die es lieber in Englisch mögen und denen das inhaltlich durchaus ebenbürtige deutschsprachige RTW-Pendant aus dem Gentner-Verlag nicht reicht, kann es – trotz des stolzen Preises – uneingeschränkt empfohlen werden. Dies betrifft neben Psychologen, Rehabilitationswissenschaftlern und Rehamedizinern, betrieblichen Akteuren wie Personalverantwortlichen und Disability Managern insbesondere auch Arbeits- und Sozialmediziner.