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Originalia

Fähigkeitsorientierte Schweregradbeurteilung der geistigen Behinderung mit Hilfe des Disability Assessment Schedules (DAS)

Fähigkeitsorientierte Schweregradbeurteilung der geistigen Behinderung mit Hilfe des Disability Assessment Schedules (DAS)

Ziel: In den neuen diagnostischen Manualen verschiebt sich immer mehr der Fokus der Diagnose einer geistigen Behinderung (gB) weg vom ermittelten IQ-Wert, hin zum Unterstützungsbedarf bei den Fähigkeiten des alltäglichen Lebens. Für den IQ-Wert gibt es standardisierte Messmethoden, die aufwändig und bei der Klientel der Menschen mit einer gB nicht immer gut durchführbar sind. Zur Erfassung der Fähigkeiten des alltäglichen Lebens eignet sich aufgrund seiner einfachen Handhabbarkeit das Disability Assessment Schedule (DAS), das gleichzeitig laut Literatur den ermittelten Unterstützungsbedarf einem Schweregrad der gB zuordnen soll. Sie vorliegende Studie untersucht die Übereinstimmung in der Beurteilung der kognitiven und adaptiven Fähigkeiten und dessen Schweregradzuordnung nach DAS in Bezug auf den durch den IQ determinierten Schweregrad der geistigen Behinderung.

Kollektiv und Methode: In einer retrospektiven Auswertung werden zur Schweregradbeurteilung einer gB der IQ und das Disability Assessment Schedule (DAS) bei stationär aufgenommen Patienten mit einer vordiagnostizierten geistigen Behinderung auf mögliche Zusammenhänge statistisch überprüft.

Ergebnisse: Insgesamt wurden von 314 erfassten Fällen 53 Fälle identifiziert, bei denen sowohl die Ergebnisse eines IQ-Tests und des DAS vorlagen. Der Zusammenhang zwischen IQ und DAS war eher als moderat, allein zwischen der DAS-Unterkategorie „Fertigkeiten“ als hoch anzusehen.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen entgegen zu Vorstudien keinen deutlichen Zusammenhang zwischen dem IQ und der Einteilung des DAS-Werts. Dies wird als Bestätigung der neuen Entwicklung in den Diagnosemanualen bei der Beurteilung des Schweregrades einer gB weg von der IQ-Basierung hin zur Erfassung von Alltagsfähigkeit gewertet. Hierbei stellt sich das DAS als geeignetes Instrument dar.

Schlüsselwörter: geistige Behinderung – Alltagsfertigkeiten – Psychiatrie

Skill-based assessment of the severity of intellectual disability with the help of the Disability Assessment Schedule (DAS)

Aim: In the new diagnostic manuals the focus of the diagnosis of an intellectual disability (ID) is increasingly shifting away from the calculated IQ score and towards the need for support to carry out daily activities. There are standardised methods for measuring IQ which are complex and not always easy to apply with people who have an ID. The Disability Assessment Schedule (DAS) is easy to use and is thus a suitable way of determining the ability to carry out daily activities; at the same time, according to reference literature, it should relate the determined need for support to a degree of severity of the ID. This study examines conformity in the assessment of cognitive and adaptive abilities according to DAS in relation to the severity of intellectual disability determined by the IQ test.

Collective and Method: To assess the severity of an ID, the IQ and Disability Assessment Schedule (DAS) were statistically evaluated for possible correlations in a retrospective analysis of inpatients with a prediagnosed intellectual disability.

Results: Of 314 recorded cases, 53 cases were identified in which the results of both an IQ test and the DAS were available. The correlation between IQ and DAS was seen as moderate, between the DAS “skills” subcategory alone as high.

Conclusions: Contrary to preliminary studies, the findings showed no clear correlation between the IQ and the classification of the DAS score. This is seen as a confirmation of the new development in the diagnostic manuals in the assessment of the severity of an ID, moving away from the IQ basis to the determination of everyday skills. The DAS constitutes an appropriate tool for this purpose.

Keywords: intellectual disability – everyday skills – psychiatry

S. Elstner1,2

E. Kirst3

A. Diefenbacher4

(eingegangen am 14. 06. 2017, angenommen am 08. 11. 2017)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 908–912

doi: 10.17147/ASU.2017-12-04-01

Ziel

In der neuen Version des diagnostischen Manuals DSM 5 der Amerikanischen Psychiatriegesellschaft haben sich in einigen Bereichen im Vergleich zur Vorgängerversion DSM 4 Veränderungen ergeben, die in den Fachzeitschriften breit diskutiert worden sind (American Psychiatric Association 2013; Falkai et al. 2015; Frances et al. 2012; Rief et al. 2014). Auch für den Begriff der „geistigen Behinderung“ erfolgte ein Bedeutungswandel. Zwar stellt weiterhin der IQ-Wert von 70 die diagnostische Grenze dar, unterhalb der eine Intelligenzminderung diagnostiziert werden kann. Allerdings wird für die Beurteilung des Schweregrades einer geistigen Behinderung (GgB) nicht mehr wie bisher das dem IQ-Test-Ergebnis zugeordnete Lebensalter herangezogen (s. Tabelle 1), sondern der Fokus auf die Ausprägung der adaptiven Fähigkeiten, also die Kompetenzen und Fähigkeiten zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben, gelegt (American Psychiatric Association 2013; Falkai et al. 2015). Ein Instrument für eine klare Operationalisierung fehlt. Diese Verschiebung des Schwerpunktes von einer Betrachtung reiner Messwerte hin zu einer Bewertung der Kompetenz zur Durchführung alltagsrelevanter, praktischer Fähigkeiten wird sich wahrscheinlich auch in der neuen, 11. Fassung der International Classification of Diseases (ICD) wiederfinden. Sie rückt somit die sozialmedizinische Perspektive im Sinne der Internationalen Klassifikation der Fähigkeiten und Beeinträchtigungen („ICF“) in den Vordergrund (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2012; Linden 2015). Die ICF erfasst solche Fähigkeiten sehr gut, ist jedoch aufgrund ihrer starken Komplexität nicht für einen regelhaften und umfassenden Einsatz geeignet (Schuntermann 2005). Vereinfachungen in Form von ICF-„Core-Sets“, wie zum Beispiel für ADHD oder Depression, sollen dies praktikabler gestalten helfen (Cieza et al. 2004; de Schipper et al. 2015). Für die allgemeine Erfassung psychologisch relevanter Kompetenzen existiert mit dem Interviewverfahren „Mini-ICF-APP“ eine Art Core-Set, das bereits international übersetzt und validiert wurde (Balestrieri et al. 2013; Linden et al. 2005). Allerdings ist es bisher noch nicht für Menschen mit einer geistigen Behinderung angepasst worden. Somit bleibt das Problem, dass Kompetenzen zur Bewältigung alltagstypischer Situationen bei Menschen mit geistiger Behinderung nicht ausreichend definiert und dadurch schwer zu messen sind (Greenspan et al. 2014).

Mit dem „Verhaltensfragebogen bei Entwicklungsstörungen“ (VFE), der „Vineland Adaptive Behaviour Scale“ und der „Diagnostic Adaptive Behavior Scale” gibt es bereits Skalen zur Erfassung eines solchen adaptiven Verhaltens bei Menschen mit geistiger Behinderung. Allerdings beziehen sich diese speziell auf Problemverhalten oder sind nicht in deutscher Sprache erhältlich (Einfeld et al. 2007; Sparrow et al. 2005; Tassé et al. 2016). Das Disability Assessment Schedule (DAS), das sich als ein valides Instrument erwiesen hat (Holmes et al. 1982), erfasst in verschiedenen Qualitäten adaptives Verhalten. Diese lassen sich in vier Hauptbereiche („Kontinenz“, „Selbsthilfe“, „Kommunikation“ und eher kognitiv orientierte „Fertigkeiten“ wie Lesen und Schreiben) einteilen. Je nach Ausprägungsgrad dieser Fertigkeiten werden Punktwerte vergeben. Insgesamt können minimal 15 Punkte und maximal 71 Punkte erreicht werden. Es erlaubt durch vorgegebene Wertebereiche der Gesamtpunktzahl eine Schweregradbeurteilung der geistigen Behinderung ( Tabelle 1). Dabei erreichen Menschen mit einer schwerstgradigen geistigen Behinderung Punktewerte von 15 bis 30; Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung erzielen Werte von 31 bis 48 Punkten. In den Bereich zwischen 49 und 62 Punkte fallen die Ergebnisse, die für Menschen mit einer mittelgradigen geistigen Behinderung erzielt werden können und darüber befindet sich der Punktebereich für die leichtgradige geistige Behinderung. Meins u. Süssmann (1993) konnten in einer Studie mit vornehmlich schwergradig geistig behinderten Menschen zeigen, dass diese Einteilung sehr gut mit den entsprechenden IQ-Referenzbereichen (s. Tabelle 1) korrespondiert.

Das DAS ist in sich logisch aufgebaut, selbsterklärend und bedarf keiner vorhergehenden Schulung, so dass das Rating von Angehörigen, betreuendem Personal, Pflegepersonal oder jeder anderen medizinischen oder pädagogischen Berufsgruppe vorgenommen werden kann. Die Auswertung durch Summierung der erzielten Punkte ist einfach. Wichtige Voraussetzung ist allerdings, dass die Rater die zu bereuende Person im alltäglichen Umgang kennengelernt haben.

Aus den vorhergehenden Überlegungen ergibt sich folgende Fragestellung: In wie weit korrespondiert die Einschätzung der Alltagsfertigkeiten durch DAS mit dem bisherigen Bezugsmaß der IQ-Werte in dem Patientenkollektiv?

Kollektiv und Methode

Zusammensetzen der Patientenstichprobe

Retrospektiv wurden für den Zeitraum eines Jahres Daten von 314 Patienten mit geistiger Behinderung erfasst, die zur stationären Abklärung und Behandlung psychischer Verhaltensauffälligkeiten in ein auf psychiatrische Diagnostik und Therapie bei Menschen mit geistiger Behinderung spezialisiertes Zentrum eingewiesen wurden.

Von diesen Patienten wurden diejenigen eingeschlossen, bei denen bei Entlassung sowohl ein IQ-Testergebnis als auch eine Einschätzung der Alltagskompetenz nach DAS vorlagen. Hierbei galt für den IQ-Wert, dass entweder bereits in der Vorgeschichte ein IQ-Testergebnis mit einem validen Testverfahren vorlag oder ein IQ-Test noch während des stationären Aufenthalts durchgeführt werden konnte. Im letzten Falle konnte dies nur aussagekräftig geschehen, wenn die Patienten frei von akut-psychiatrischen Symptomen und möglichen krankheitsbedingten Testbeeinträchtigungen waren.

Das DAS erlaubt eine einfache, klar operationalisierte Fremdeinschätzung definierter Verhaltensweisen des Alltags, wie zum Beispiel Kontinenz, Ankleiden oder Grundfertigkeiten wie Schreiben, Lesen oder Rechnen. Die Erfassung erfolgte durch Personen, die sich über einen längeren Zeitraum von mehreren Tagen über die Alltagskompetenzen des jeweiligen Patienten ein ausreichendes Bild machen konnten, wie beispielsweise durch das betreuende Heimpersonal, mit im Haushalt wohnende Angehörige oder Pflegekräfte der Station am Ende des Stationsaufenthalts.

Aufgrund der testpsychologischen Voraussetzungen zur Erzielung eines aussagekräftigen IQ-Testergebnisses (verbale Kommunikationsfähigkeit und allenfalls milde Restpsychopathologie) konnte keine systematische Auswahl einer Patientenstichprobe innerhalb eines akut-psychiatrischen Kliniksettings erfolgen. Somit waren genau diese Bedingungen jedoch auch die einzigen Selektionsparameter. Die Datenerfassung und -dokumentation war Teil des klinischen Routineprozederes. Die Datenauswertung erfolgte anonymisiert mit Verschlüsselung durch eine Studieneinschlussnummer. Verschlüsseler und Datenverarbeiter waren nicht identisch. Dieses Vorgehen ist im Rahmen der allgemeinen klinischen Datenauswertung mit den klinischen ethischen Grundprinzipien in Übereinstimmung.

Statistik

Zur Beschreibung des Patientenkollektivs wurden die Mittelwerte bzw. Mediane für die Parameter Alter, Geschlecht, IQ, DAS und Grad der geistigen Behinderung (GgB) nach IQ bzw. DAS-Einteilung berechnet.

Die Ermittlung möglicher Übereinstimmungen zwischen dem Ergebnis des IQ-Tests und dem Gesamtwert des DAS und seiner Unterkategorien erfolgte mit Hilfe der Korrelationsberechnung nach Pearson. Bei signifikanten Ergebnissen unterhalb einer Zufallswahrscheinlichkeit von 5 % folgte im weiteren Schritt eine Einschätzung der Vorhersagbarkeit des Parameters IQ durch die Parameter mit einer signifikanten Korrelation mittels einer Regressionsrechnung.

Zusammenhang zwischen den Schweregraden der geistigen Behinderung basierend auf IQ und DAS

Parallel hierzu werden in einem anderen Berechnungsweg nicht die Rohwerte, sondern die Einteilung der Schweregrade der geistigen Behinderung, die sich aus den Werten des IQ-Test oder des DAS ergeben, mit Hilfe des Korrelationsberechnung nach Spearman bei ordinal skalierten Zahlen verglichen.

Ergebnisse

Zusammensetzen der Patientenstichprobe

In  Tabelle 2 zeigt sich annähernd eine Gleichverteilung innerhalb der beiden Geschlechter. Es finden sich zum größten Teil Patienten mit einer leichtgradigen geistigen Behinderung und zu einem kleineren Teil Patienten mit einer mittelgradigen geistigen Behinderung. Patienten mit einer schweren oder schwerstgradigen geistigen Behinderung sind nicht vertreten.

Die Einteilung in die beiden Schweregradgruppen variiert jedoch je nach verwendetem System. Nach der Einteilung gemäß der erzielten Werte in einem IQ-Test fallen deutlich mehr Patienten in die Kategorie der leichtgradigen Intelligenzminderung als es gemäß der Einteilung nach DAS erfolgt. Die Grenzwerte für beide Verfahren sind in Tabelle 1 wiedergegeben.

Zusammenhang zwischen IQ und DAS (Gesamtwert und Werte der vier Unterkategorien)

Die Korrelationskoeffizienten zwischen den erzielten IQ-Werten und den DAS-Werten sind unterschiedlich hoch, je nachdem, ob der DAS-Gesamtwert oder einzelne Unterkategorien betrachtet werden. Korrelationen unterhalb einer Zufallswahrscheinlichkeit von 5 % sind zwischen IQ und DAS-Gesamtwert in geringer Ausprägung (r=0,272, p = 0,01) und dem Gesamtwert und der Unterkategorie Skills des DAS in hoher Ausprägung (r = 0,834, p = 0,01) zu finden ( Tabelle 3).

Das Bestimmtheitsmaß für den IQ durch das DAS ist eher gering, bei allerdings signifikantem Ergebnis (R2 = 0,074, p = 0,049), wobei der IQ anscheinend wesentlich höher durch die Ergebnisse der Unterkategorie „Fertigkeiten“ bestimmt wird (R2 = 0,179, p = 0,163) bei einem p-Wert von Tabelle 4).

Betrachtet man die Einteilung der geistigen Behinderung nach Schweregraden auf Basis der Parameter IQ und DAS, so lässt sich eine moderate Korrelation zwischen den Schweregraden, basierend auf IQ und DAS, mit einer Zufallswahrscheinlichkeit von unter 5 % finden (r = 0,602, p = 0,01; s. Tabelle 3).

Schlussfolgerung

Durch die aktuelle Veränderungen der diagnostischen Kriterien für die Schweregradeinteilung der geistigen Behinderung im DSM 5 – weg von der IQ-Basierung und hin zur Erfassung alltagspraktischer Fertigkeiten (American Psychiatric Association 2013) – möchte die vorliegende Studie das DAS als eine Methode untersuchen, die eine Einschätzung dieser Fertigkeiten gut und in unkomplizierter Erhebungsweise erlaubt und dabei gleichzeitig eine Operationalisierung zulässt. In einer früheren Studie konnten Meins u. Süssmann (1993) einen Zusammenhang zwischen der Schweregradeinteilung der geistigen Behinderung nach IQ und des eher alltagspraktische Fähigkeiten abfragenden Schemas DAS aufzeigen (Holmes et al. 1982). Das DAS könnte also eine gute Brücke sein, diese neue Schwerpunktsetzung zu repräsentieren. Allerdings würde eine absolute Übereinstimmung der Ergebnisse der vorliegenden Studie mit den früheren Ergebnissen keinen neuen Aspekt setzen und eher dafür sprechen, die bisherige IQ-orientierte Beurteilung zu belassen. Somit eröffnet sich die Frage, in wie weit die Betonung der Fähigkeiten und die damit verbundene Schweregradbeurteilung der geistigen Behinderung vielleicht sogar besser durch das DAS als durch den IQ charakterisiert wird, so wie es das DSM 5 vorsieht.

In der vorliegenden Studie wurde das Studiendesign von Meins u. Süssmann (1993) weitgehend repliziert und um die Betrachtung der Rohwerte des DAS und des IQ-Tests erweitert. Genau wie beim IQ werden auch beim DAS kognitive Fähigkeiten erfasst. Dies erklärt die hohe Übereinstimmung zwischen den IQ-Werten und der DAS-Unterkategorie „Skills“. Darüber hinaus bezieht das DAS jedoch noch weitere, alltagsrelevante, praktische Kompetenzen wie Hygiene, Selbsthilfe und Kommunikation ein. Diese sind nicht nur durch rein kognitive Fertigkeiten bestimmt. Darin könnte ein Grund für die geringe Übereinstimmung zwischen dem DAS-Gesamtwert und dem IQ zu sehen sein, wie sie sich aus der vorliegenden Studie ergab. Wie bereits erwähnt, wurden in der Studie von Meins u. Süssmann (1993) zu einem großen Anteil Probanden mit schwerer und schwerster geistiger Behinderung erfasst, während in der aktuellen Studie hauptsächlich Patienten mit einer leichtgradigen geistigen Behinderung untersucht wurden. Eine mögliche Interpretation liegt nun in der Überlegung, dass bei Menschen mit einer schweren oder schwerstgradigen geistigen Behinderung im Gegensatz zu Menschen mit leichterer Ausprägung des Behinderungsschweregrades häufig zusätzlich somatische Komorbiditäten zu finden sind. Diese beeinträchtigen zum Beispiel die Bereiche Kontinenz, Kommunikation und Selbsthilfe allgemeiner und gleichmäßiger als es bei Menschen mit leichtgradiger geistiger Behinderung der Fall ist (Havercamp et al. 2015; Lennox et al. 2004) und haben somit aus diesem Grund keine so große Prädiktionskraft mehr auf den IQ. Ein anderer Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse könnte in den Daten und der Datenauswertung selbst liegen: Meins bezog sich in seiner Auswertung nicht auf die Rohwerte direkt, sondern zum Teil auf den Schweregrad der geistigen Behinderung, der sich aus IQ und DAS ableiten ließ. Folgt man diesem Vorgehen, so steigt auch in der aktuellen Studie die Korrelation an. Dies ist jedoch differenziert zu sehen, da durch die Transformation statistisch Informationen im Vergleich zu Verwendung der Rohwerte verloren gehen und somit der Varianzbereich der Ergebnisse deutlich verkleinert wird. Durch diese begrenzte Varianz erhöht sich wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Werte aus IQ-Test und DAS angleichen und zu besseren Korrelationen führen.

Ein weiterer Unterschied zu der früheren Studie kann in dem verwendeten Intelligenztest selbst liegen. Während Meins teilweise Tests für Kinder, wie den Columbia Mental Maturity (Testbatterie für geistig behinderte Kinder; Eggert 1972), oder eher eindimensionale Tests, wie den Raven Coloured Progressive Matritzentest (Raven et al. 2002), verwendet hatte, wurde für die aktuelle Studie eine Testbatterie für Erwachsene in Form des WIE (von Aster et al. 2006) eingesetzt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt in der Zusammensetzung der Patientenstudiengruppe selber. In der vorliegenden Studie trugen zur Einschätzung nach DAS entweder die Betreuer des Patienten oder das Pflegeteam der Station bei. Um mögliche unterschiedliche Sichtweisen zu vermeiden, referierte die Einschätzung immer auf Zeiten, die frei von akut-psychiatrischen Symptomen waren. Dennoch sind unterschiedliche Wahrnehmungen aus den einzelnen Erlebnisbereichen (privates Umfeld versus Krankenhausstation) nicht auszuschließen. Die Probanden der früheren Studie waren alle außerhalb des Klinikkontextes in Heimen rekrutiert worden. Eine besondere Beachtung von gleichzeitig bestehenden psychiatrischen Akutzuständen bestand nicht. Wie bereits beschrieben, bestand für die aktuelle Studie keine spezielle Systematik in der Auswahl der Patientenstichprobe, so dass die Übertragung auf die Gesamtheit nicht uneingeschränkt gegeben ist. Dennoch lassen sich bestimmte Trends erkennen. Es gilt, diese Ergebnisse an einer größeren extramuralen Population zu replizieren.

Zusammenfassung

Das DAS hat sich in einer früheren Studie von Meins u. Süssmann (1993) als ein Instrument erwiesen, das das Vorhandensein und das Ausmaß von bestimmten Alltagsfertigkeiten bewertet und mit der Schweregradeinteilung einer geistigen Behinderung anhand der IQ-Werts gut korrespondiert. Die aktuelle Studie legt nahe, dass dies eher für die schweren Grade einer geistigen Behinderung gilt. In den mittel- bis leichtgradigen Bereichen findet sich nur ein geringer Zusammenhang. Dies unterstützt die Abkehr der aktuellen Diagnosemanuale bei der Schweregradeinteilung von den IQ-Werten und die Hinwendung zu einer Einschätzung und Beurteilung der von einem Individuum gezeigten Alltagsfertigkeiten.

Literatur

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von Aster M, Neubauer A, Horn R: Wechsler Intelligenztest für Erwachsene, WIE – Deutschsprachige Bearbeitung und Adaptation des WAIS-III von David Wechsler. Frankfurt: Pearson Assessment, 2006.

Interessenskonflikt: Die Autoren Samuel Elstner, Erik Kirst und Albert Diefenbacher bestätigen, dass in Zusammenhang mit der Studie keine Interessenskonflikte bestehen.

Deklaration der Autorenaufgaben: SE konzipierte und verfasste die vorliegende Textfassung der Studie, AK war für die statistischen Auswertungen verantwortlich, AD begleitete und supervidierte die Veröffentlichung. Alle drei Autoren sind mit der vorgelegten Endfassung des Manuskripts einverstanden.

Für die Verfasser

Dr. med. Samuel Elstner

Pfeiffersche Stiftungen

Pfeifferstr. 10

39114 Magdeburg

samuel.elstner@gmx.de

Fußnoten

1 Berliner Behandlungszentrum für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung und psychischer Erkrankung, Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, Berlin

2 Pfeiffersche Stiftungen, Magdeburg

3 PHIMEA Methodische und statistische Beratung, Berlin

4 Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, Berlin