Begriffsdefinitionen
Die Pathogenität beschreibt das Ausmaß der krankmachenden Wirkung eines Erregers, diese ist bei Ebola-Viren ohne Zweifel hoch. Die Infektiosität wiederum ist Gradmesser der Übertragungsgefahr, diese ist bei Ebola vergleichsweise niedrig (so sind beispielsweise Influenza und Masern wesentlich in-fektiöser; bei Ebola bedarf es des direkten Kontaktes mit Sekreten, Exkreten und Blut eines klinisch Erkrankten). Die minimale In-fektionsdosis / MID beschreibt jene Menge an Krankheitserregern, die nötig ist, um eine Infektionskrankheit auszulösen. Bei Ebola ist sie von der Konzentration von Viren im jeweiligen Material abhängig, diese ist wie-derum von der jeweiligen Krankheitsphase abhängig. Die Letalität beschreibt die Zahl der Todesfälle bezogen auf die Anzahl der Krankheitsfälle (= Tödlichkeit, case fatality rate / CFR).
Hoch infektiös sind also die Krankheiten, die leicht übertragbar sind, am ehesten also jene, die eine niedrige MID benötigen und aerogen übertragbar sind. Hoch pathogen sind Krankheiten, die bei Infizierten häufig als schwere Krankheit oder gar tödlich verlaufen. Infektiosität und Pathogenität sind somit voneinander völlig unabhängige, d. h. nicht aneinander gekoppelte Kriterien eines Krankheitserregers; die häufig geübte Praxis, aus einer hohen Pathogenität auf eine hohe Infektiosität zu schließen ist also falsch.
Vorsorge
Bei Infektionskrankheiten, vor allem jenen mit schwerem Verlauf, häufigen Komplikationen und einer hohen Tödlichkeit kommt der Vorsorge (= Prophylaxe) eine besonderer Stellenwert zu. Die drei Basisprinzipien lauten: riskante Kontakte (Exposition) mei-den, durch Stimulation des Immunsystems (Veränderung der Disposition durch Impfung) die Empfänglichkeit gegenüber den Krankheitserregern reduzieren und die vor-sorgliche Einnahme anti-infektiöser Medikamente (Chemoprophylaxe). Die Optionen sind je nach Krankheitserreger unterschied-lich, in manchen Fällen (z. B. Meningokokken) stehen alle drei Möglichkeiten zur Verfügung. Bei jenen, wo weder eine Schutzimpfung noch wirksame Medikamente all-gemein verfügbar sind, sind Maßnahmen der Expositionsprophylaxe besonders wichtig: hierzu gehört Ebola. Nicht die hohe Infektiosität, vielmehr die hohe Tödlichkeit im Falle eines „Hygienemangels“ rechtfertigt die maximale Ausreizung expositionsprophylaktischer Methoden. Es ist Aufgabe des Arbeitsgebers, potentiell exponiertes Personal entsprechend zu schulen und für eine entsprechende Infrastruktur (Desinfektion, Entsorgung) und eine ausreichende Versorgung und Bevorratung mit qualitativ hochwertiger persönlicher Schutzausrüstung Sorge zu tragen.
Klinik und Pathogenität
Die Anfangssymptome von Ebola gleichen jenen eines viralen Infekts wie Fieber, Kopf-schmerzen, Muskelschmerzen oder auch Schwächegefühl. Im weiteren Verlauf sind Übelkeit mit Erbrechen, Bauchschmerzen, vor allem aber Symptome der Gerinnungsstörung mit Einblutungen in verschiedene Organe und Extravasate möglich. Kommt es zu einem Multiorganversagen führt die Krankheit häufig zum Tode. Die Aussagen zur Gefährlichkeit des aktuellen Erregers gehen deutlich auseinander: während die CFR – gerechnet an den bewiesenen Ebola-Fällen – im Rahmen der aktuellen Epidemie in Westafrika ca. 70 % erreicht beträgt sie bei Gegenüberstellung aller gemeldeten (Verdachts- und bewiesenen)Fälle weniger als 40 %. Nur zur Klarstellung: bei den bisher dokumentierten Ausbrüchen, darunter auch solche mit dem derzeit grassierenden Stamm „Zaire“, wurde eine Tödlichkeit von bis zu 80 % dokumentiert.
Systematik, Risikogruppen und Epidemiologie
Ebola gehört in die Gruppe der Filoviren (nonsegmented negative-strand = nnsRNA Viren). Klinisch gibt es zahlreiche Erreger viral hämorrhagischer Fieber. Neben den für Afrika ebenfalls bekannten Erregern wie Marburg- und Lassa-Virus gibt es auch asiatische und (süd)amerikanische, ja in Form des Krim-Kongo hämorrhagischen Fieber-Virus auch europäische Vertreter (kommt z. B. im Kosovo vor). Ebola-Epidemien sind im tropischen Afrika keine Seltenheit, seit Entdeckung vor mehr als 30 Jahren sind (zumindest) 30 Ausbrüche dokumentiert. Im Gegensatz zu allen anderen Ausbrüchen (in Dörfern in entlegenen Gegenden Zentral-afrikas, wo die ortsständige Bevölkerung durch Tradition schon über eine entsprechende Erfahrung im Umgang mit dieser Krankheit verfügt) haben einige Faktoren eine offensichtliche negative Auswirkung auf den Verlauf der Ebola-Epidemie in West-Afrika gehabt: erstmalig ereignete sich ein Ausbruch in einem verhältnismäßig dicht besiedelten Gebiet in Grenznähe in Guinea, einem Land, das keinerlei Erfahrung mit dem Management dieser Krankheit hatte. Weiters wurde dieses Problem durch die Grenznähe des Ausbruchsgebietes (und regelmäßige Migrationsströme zwischen den drei erstbetroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone) in kürzester Zeit zu einem internationalen Problem, was eine strukturierte Bekämpfungsstrategie zusätzlich erschwert, ja unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten ohne fremde Hilfe de facto unmöglich gemacht hat.
Das Auftreten in Ballungszentren, Bildungs- und Wissensdefizite, mangelndes Hygieneverständnis, mangelhafte Ausbildung im medizinischen Bereich, eklatante Ausstattungsdefizite, mangelnde Aufklärungsarbeit durch entsprechend geschultes Personal in Abstimmung auf die jeweilige lokale, regionale und nationale Situation, fragwürdige Reaktionszeiten durch natio-nale und internationale Organisationen, Bei-behaltung traditioneller Riten, halbherzige Umsetzung sinnvoller, dringend notwendiger Maßnahmen, limitierte Resourcen, Igno-ranz berechtigter Hilferufe und anfängliche krasse Fehleinschätzungen der Situation durch internationale Organisationen einschließlich der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind ausreichende Gründe für eine Ausbreitung in Form einer noch nie da-gewesenen Epidemie mit dem Ebola-Virus: hierfür muss nicht das Modell eines hochinfektiösen Erregers als Erklärungsversuch strapaziert werden (s. oben). Eine aerogene Übertragung konnte bisher ausgeschlossen werden.
Die Infektionen beim medizinischen Per-sonal konnten innerhalb von Afrika (nicht in den durch Transport von Ebola-Kranken betroffenen Drittländern) mehr oder minder lückenlos auf Hygienemängel außerhalb der Isolierstationen (d. h. im allgemein zugänglichen Patientenversorgungsbereich!) zurückgeführt werden. Dass solche Lücken in Anbetracht des Ausbildungsstandes, von Versorgungsengpässen und auch lokaler Gegebenheiten offensichtlich häufig sind zeigt sich in einer noch nie dagewesenen Erkrankungs- und Sterberate bei medizinischem Personal: mit Stand 7.12.2014 haben sich laut Weltgesundheitsorganisation 639 Personen aus dem medizinischen Bereich („healthcare workers“) mit dem Virus infiziert, von diesen sind 349 verstorben. Somit ist in der Praxis von einem eklatanten berufsbedingten Expositionsrisiko bei diesen Berufsgruppen auszugehen. Aus diesem Grund scheint eine detaillierte Schulung potentieller Kontaktpersonen nicht nur im medizinischen Versorgungsbereich (hier insbesondere beim Ablegen und der Aufbereitung bzw. Entsorgung potentiell kontaminierter persönlicher Schutzausrüstung) mit spezifischer Schärfung des Hygieneverständnisses neben der Schließung erheblicher Versorgungslücken von höchster Bedeutung zu sein.
Aus arbeitsmedizinischer Sicht erstreckt sich das Risiko jedoch über die klassischen Gesundheitsberufe hinaus: so waren beispielsweise auch Fahrer von Krankentransport- und Leichenwagen, Personen, die mit den Bestattungsformalitäten befasst waren wie auch missionarisch tätige Personen (die den schwerkranken Patienten geistlichen Beistand gewähren wollten) unter den Betroffenen und damit dokumentierter Weise einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Im Falle einer Infektion drohen nicht nur Folgen für die erkrankte Person, sondern wie man in der jüngsten Vergangenheit gesehen hat auch für das soziale Umfeld, für die Wirtschaft, die Gesellschaft, das Bildungswesen, die Politik – ja sogar für die innere Sicherheit der betroffenen Region.
Kollaterale Schäden
Überzogene Panikreaktionen sind sachlich unbegründbar, aber dennoch verständlich – insbesondere auch, da diese von unterschiedlichsten Medien durch z. T. unseriöse Berichterstattung in erheblichem Maß gefördert wurden. Trotz der klaren Definition der Übertragungswege und der daraus re-sultierenden Klassifikation in riskante und nicht riskante Kontakte wurden z. T. irrationale Notmaßnahmen wie Grenzsperrungen, Anlegeverbote für Schiffe, Abriegelungen ganzer Stadtbezirke und Landstriche und Fahr- / Lieferverbote verhängt. Diese dürften ihrerseits (unmittelbar und mittelbar) vermutlich mehr Menschenleben gekostet haben als Ebola selbst: so ist es durch diese Maßnahmen u. a. zu einem Mangel an lebenswichtigen Medikamenten gekommen, weswegen grundsätzlich gut behandelbarer Krankheiten (wie z. B. Malaria) vermehrt tödlich verlaufen sind. Oder wie es manchmal spitzfindig formuliert wird: es sind mehr Menschen durch Ebola als an Ebola verstorben!
Versuch einer relativen Gewichtung
Ohne die Dramatik für die Personen vor Ort herunterspielen zu wollen sollte doch Folgendes mitbedacht werden: laut ist der Ruf nach Medikamenten (derzeit befinden sich einige Produkte in Entwicklung, das über die Medien bekannt gewordene Präparat Z-Mapp wurde mit wechselndem Erfolg versuchsweise eingesetzt, in Japan soll im Anlassfall mit Favipiravir ein bereits routinemäßig verwendetes Virostatikum zur Anwendung kommen) und dringlich der Wunsch nach einem Impfstoff (die derzeit hoffnungsvollsten Kandidaten sind Impfstoffe auf der Basis eines Adenovirus mit dem Testnamen cAd3-ZEBOV und eines Vesicular Stomatitis Virus = VSV mit dem Testnamen rVSV-ZEBOV), führte doch Ebola nach ca. einem Jahr (Stand 30. 01. 2015) zu 22 124 dokumentierten Erkrankungsfällen, von denen 8829 verstorben sind. Selbst unter Berücksichtigung einer erheblichen Dunkelziffer erreicht man damit aber nur schwer die Bilanz der jährlichen Meningo-kokken-Epidemien in Afrika – seit einigen Jahren durchgeführte Impfkampagnen ge-gen Meningokokken im Meningokokkengürtel Afrikas (vor allem mit MenAfriVac®, einem monovalenten Meningokokken-A-Impfstoff) verzeichnen erfreuliche Ergebnisse (und die Implementierung der rou-tinemäßigen Meningokokken-C-Impfung in Großbritannien konnte sowohl Krankheits- als auch Todesfälle um ca. 80 % reduzieren). Von den jährlich 100 000en Toten durch Influenza ganz zu schweigen: gerade diese Krankheit wird in z. T. unverantwortlicher Weise verharmlost bzw. vernachlässigt, die Situation ist seit Jahren praktisch unverändert: hier wäre ja bekanntermaßen eine (wenn auch zugegebenermaßen erheblich verbesserungswürdige) Impfmöglichkeit ge-geben (Schutzrate des trivalenten Impfstoffs bestenfalls 70 %), diese wird aber paradoxer-weise weltweit sowohl von der Bevölkerung als auch von der ärztlichen Kollegenschaft weitgehend ignoriert. Ähnlich verhält es sich mit dem Einsatz geeigneter Virostatika.
Ethische Aspekte
Sowohl die genannten Aspekte wie auch – ebenfalls bei Ebola deutlich zu sehen – der Ruf nach nicht zugelassenen Medikamenten (und Impfungen) werfen u. a.erhebliche ethische Fragen auf. So müsste man sich im Falle eines großzügigen Einsatzes nicht zugelassener (und nicht ausreichend getesteter) Medikamente – insbesondere im Falle stärkerer Nebenwirkungen – wohl den Vorwurf gefallen lassen, mit den Notleidenden eine ideale Studienpopulation ausgebeutet und unter dem Druck der Notsituation auch leichtfertig auf die eigentlich verpflichtenden Sicherheitsstandards für Studien mit Medizinprodukten verzichtet zu haben (gibt es doch selbst für das „compassionate use“-Szenario verbindliche gesetzliche Vorgaben). Für Arbeitnehmer (westlicher) Hilfsorganisationen scheint der Zugang zu manchen Präparaten (auch auf Grund rechtlich abge-sicherter Vorgehensweisen) etwas einfacher zu sein. Letztlich ändert dies aber nichts an der grundsätzlichen Problematik des Einsatzes nicht ausreichend getesteter Medizin-produkte wie auch dem allgemeinen ethischen Aspekt der Definition von Reihungskriterien hinsichtlich des Zugangs zu nur sehr limitiert verfügbaren Resourcen.
Zusammenfassende Einschätzung
Ebola ist hochpathogen, aber nicht hochinfektiös: man bekommt es nicht, man holt es sich. Beim aktuellen Ausbruch in Westafrika handelt sich um die größten bisher dokumentierte Epidemie mit diesem Virus, wahrscheinliche Ursachen hierfür sind u. a. mangelnde Erfahrung in den betroffenen Ländern, krasses Fehlverhalten der lokalen Bevölkerung und des medizinischen Perso-nals, eine massive Überforderung regionaler Gesundheitssysteme und einer ebenso massiven Fehleinschätzung nationaler Ein-richtungen und internationaler Organisatio-nen sowie der Ausbruch in einer dicht besiedelten grenznahen Region.
Die fehlerhafte, aber oftmals unwidersprochene Terminologie, mit der Ebola als „hochinfektiös“ bezeichnet wurde und z. T. immer noch wird, hat(te) enorme wirtschaft-liche, aber auch soziale und medizinische Folgen und ist somit maßgeblich und schuld-haft an der Dimension dieser Katastrophe beteiligt. Die durch krasse Fehleinschätzung bedingte Verzögerung der Einleitung von Hilfsmaßnahmen kostet(e) vor Ort tausende Menschenleben, die Weltgemeinschaft enor-me Summen, prolongierte die Epidemie um Monate und erhöht(e) das Risiko einer weiteren Streuung. Mangels Verfügbarkeit von wirksamen Impfungen und Medikamenten kommt einer konsequenten (d. h. peinlich ge-nau einzuhaltenden) Expositionsprophylaxe bei diesen hochpathogenen Krankheitserregern ein besonders hoher Stellenwert zu: dies gilt für alle Berufsgruppen, die in irgend-einer Form direkten Kontakt mit Ebola-Verdächtigen, Ebola-Patienten und an Ebola ver-storbenen Personen haben.
Arbeitsmedizinische Aspekte für Arbeitnehmer in Deutschland: im Falle eines (zukünftigen gezielten und ungezielten) Exportes einzelner Ebola-Patienten nach Deutschland kann bei konsequenter Einhaltung von Standardhygienemaßnahmen die Infektionsübertragung auf Kontaktpersonen wie auch eine epidemische Ausbreitung zuverlässig verhindert werden.
Autor
Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Haditsch
Labor Hannover MVZ GmbH
TravelMedCenterLeonding (Österreich)
m_haditsch@syscomp.de und leonding@travelmed.at