Im Rahmen der Begutachtung einer angezeigten Berufskrankheit nach Nummer 1301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 1301) stehen medizinische Gutachterinnen und Gutachter, Sozialgerichte sowie Sachbearbeitung und Rentenausschüsse der Unfallversicherungsträger vor dem Problem, die Kausalität von (niedrigen) Expositionen gegenüber kanzerogenen aromatischen Aminen bei der Entstehung von Schleimhautveränderungen, Krebs und anderen Neubildungen der ableitenden Harnwege (im Weiteren verkürzt als „Harnblasenkarzinom“ bezeichnet) beurteilen zu müssen, da von der Gesetzgebung für die Anerkennung dieser Berufskrankheit keine bestimmte Dosis kanzerogener aromatischer Amine gefordert wird. Der alleinige Nachweis einer Exposition gegenüber kanzerogenen aromatischen Aminen kann aber nicht belegen, dass ein Harnblasenkarzinom durch die beruflichen Einflüsse wesentlich mitverursacht wurde, da eine ubiquitäre Exposition gegenüber aromatischen Aminen und anderen Harnblasenkanzerogenen gegeben ist. Eine Konvention hinsichtlich der Expositionsabschätzung und Expositionsbewertung kanzerogener aromatischer Amine bei Verdacht auf Vorliegen einer BK 1301 wird angestrebt, um eine möglichst einheitliche und damit gerechte Beurteilung aller betroffenen Versicherten zu gewährleisten.
Nach Begrüßung und kurzer Einführung in die Thematik durch Herrn Professor Drexler, Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (IPASUM) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Präsident der DGAUM, berichtete zunächst Frau Dr. Pucknat von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) über die Einwirkungsermittlung durch die Berufsgenossenschaft bei angezeigter BK 1301, wobei sie unter anderem darauf hinwies, dass keine beziehungsweise nur für einzelne Arbeitsbereiche mit Kontakt zu aromatischen Aminen valide Expositionsdaten vorliegen, die eine Dosisabschätzung erlauben. Frau Dr. Schilling vom IPASUM präsentierte die Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche zur Dosisabschätzung und machte einen Vorschlag zur Dosisableitung für das kanzerogene aromatische Amin o-Toluidin. Das Dosismodell kanzerogener aromatischer Amine bei Verdacht auf BK 1301 (Weiß et al. 2010) wurde von Herrn Dr. Weiß vom Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) in Bochum vorgestellt und über Erfahrungen mit dem Modell aus der gutachterlichen Praxis berichtet. Herr Professor Golka vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) stellte Matrices als Algorithmen zur Abschätzung des beruflich bedingten Harnblasenkarzinomerkrankungsrisikos bei angezeigter BK 1301 vor. Die Problematik der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei beruflich bedingten Harnblasenkarzinomen (u. a. BK 1301 und BK 1321) wurde von Herrn Dr. Schöps, Urologe und beratender Arzt mehrerer Berufsgenossenschaften aus St. Augustin, dargestellt. Im Anschluss an die Vorträge wurden die verschiedenen Ansätze der Expositionsabschätzungen von den Teilnehmenden des Workshops lebhaft diskutiert.
Da valide Expositionsdaten für kanzerogene aromatische Amine weitgehend fehlen, sollen alternative Modelle zur Erfassung der Expositionsbedingungen am Arbeitsplatz definiert werden, die eine für die Anerkennung als Berufskrankheit ausreichende Erhöhung des Erkrankungsrisikos für Harnblasenkarzinome wahrscheinlich machen. Es wurde daher vereinbart, in einer entsprechenden Arbeitsgruppe auf der Grundlage aller vorgestellten Ansätze zur Expositionsabschätzung und Expositionsbewertung (u. a. über epidemiologische Daten und den Vergleich zum Risiko durch das Rauchen) Matrices zur Abschätzung des beruflich bedingten Harnblasenkarzinomerkrankungsrisikos für verschiedene kanzerogene aromatische Amine und exponierte Arbeitsplätze/Expositionsszenarien abzuleiten.
Für Interessierte sind die Präsentationen zum Workshop auf der IPASUM-Homepage zu finden unter:
https://www.ipasum.med.fau.de/berufskrankheiten-kanzerogenese/#collapse…