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Ergebnisse einer Querschnittstudie in einem süddeutschen Landkreis

Prädiktoren der Umsetzung von BGM-Elementen in Betrieben

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

A. Siegel1

A.C. Schenk2

A.T. Neunhöffer1

M.A. Rieger1

(eingegangen am 27.01.2023, angenommen am 17.07.2023)

Predictors of the implementation of workplace health management measures in companies – results of a cross-sectional study in a southern German district

Objective: Workplace health management (WHM) can be divided into four components: occupational safety and health (OSH), workplace reintegration management (WRM), workplace health promotion (WHP) and human resources development (HRD). In order to identify predictors of the degree of implementation of WHM measures in companies, we analysed data from a survey of 222 company managers, each of whom represented a company in the district of Reutlingen.

Method: The data collected included structural data on the company (e.g. number of employees, availability of a company doctor), the implementation of typical WHM measures in the four areas of OSH, WRM, WHP and HRD, as well as opinions and attitudes of the managers on various WHM aspects. Within the framework of multiple regression analyses, we designed the degrees of implementation of WHM measures in the four areas as the four variables to be explained; structural company data such as the number of employees, but also attitudes of managers relevant to WHM were included as explanatory variables. The attitudes in question had previously been formed on the basis of an exploratory factor analysis from the managers’ WHM-related opinions collected by questionnaire.

Results: Three of the four final regression models showed a high explained variance (corrected R2>0.25), one model a moderate explained variance. Three regression models showed the relevance and statistical significance of certain WHM-related attitudes of managers for the implementation of measures in the companies. For example, the attitude “WHM/WHP creates added value for companies” made a considerable contribution to the explained variance of two dependent variables (WHP and HRD scores). The presence of a safety officer in the company had a significant positive influence on the degree of implementation of the respective measures in all four models. In craft enterprises, the degree of implementation (OSH, WHP, HRD scores) was significantly lower than in other enterprises.

Conclusion: In addition to companies’ “objective”, structural operational characteristics, the general attitudes of company managers toward WHM are factors that decisively explain the implementation of WHM elements in companies.

Keywords: workplace health management (WHM) – attitudes of company managers on WHM aspects – cross-sectional study – multiple regression analysis

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2023; 58: 785 –793

doi:10.17147/asu-1-323993

Prädiktoren der Umsetzung von BGM-Elementen in Unternehmen – Ergebnisse einer Querschnittstudie in einem süddeutschen Landkreis

Zielstellung: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lässt sich in vier Komponenten gliedern: Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS), Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und Personalentwicklung (PE).

Methoden: Um Prädiktoren des Umsetzungsgrads von BGM-Elementen in Betrieben herauszufinden, wurden die Daten einer standardisierten Befragung von 222 betrieblichen Führungskräften analysiert, die jeweils ein Unternehmen im Landkreis Reutlingen repräsentierten. Erhoben wurden unter anderem Strukturdaten zum Betrieb (z. B. Beschäftigtenzahl, Verfügbarkeit einer Betriebsärztin/eines Betriebsarztes), die Umsetzung typischer BGM-Elemente in den vier Bereichen AGS, BEM, BGF, PE sowie Meinungen und Einstellungen der Führungskräfte zu verschiedenen Aspekten des BGM. Im Rahmen multipler Regressionsanalysen wurden die Umsetzungsgrade von BGM-Elementen in den genannten vier Bereichen als die vier zu erklärenden Variablen konzipiert; betriebliche Strukturdaten wie zum Beispiel die Beschäftigtenzahl, aber auch BGM-relevante Einstellungsmuster („Haltungen“) der Führungskräfte wurden als erklärende Variablen einbezogen. Die betreffenden Haltungen waren zuvor aus den per Fragebogen erhobenen BGM-bezogenen Meinungen der Führungskräfte auf Basis einer explorativen Faktorenanalyse gebildet worden.

Ergebnisse: Drei der vier finalen Regressionsmodelle wiesen eine hohe erklärte Varianz auf (korrigiertes R2 > 0,25), ein Modell eine moderate erklärte Varianz. In drei Regressionsmodellen zeigte sich die Relevanz und statistische Signifikanz bestimmter BGM-bezogener Haltungen der Führungskräfte für die Umsetzung von BGM-Elementen in den Betrieben. So leistete die Haltung „BGM/BGF schafft einen Mehrwert für Unternehmen“ einen beträchtlichen Beitrag zur Varianzaufklärung zweier abhängiger Variablen (BGF- und PE-Score). Die Präsenz einer/eines Sicherheitsbeauftragten im Betrieb hatte einen in allen vier Modellen signifikanten positiven Einfluss auf den Umsetzungsgrad der jeweiligen Elemente. In Handwerksbetrieben war der Umsetzungsgrad (AGS-, BGF-, PE-Score) signifikant geringer als in anderen Betrieben.

Schlussfolgerung: Generelle Haltungen betrieblicher Führungskräfte zum BGM gehören – neben „objektiven“, strukturellen betrieblichen Merkmalen – zu den Faktoren, die die Umsetzung von BGM-Elementen in Betrieben maßgeblich erklären.

Schlüsselwörter: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) – Einstellungen von Führungskräften zum BGM – Querschnittsstudie – multiple Regressions­analyse

Hintergrund und Fragestellung

Unter dem Terminus „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ (BGM) versteht man üblicherweise die Integration und Steuerung aller betrieblichen Prozesse mit dem Ziel, gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen und die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern (Badura et al. 1999; Drexler et al. 2015; Hoge et al. 2019; Südwestmetall 2020). BGM kann analytisch in die folgenden vier Komponenten zerlegt werden (Hoge et al. 2019):

  • Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS),
  • Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM),
  • Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und
  • Personalentwicklung (PE).
  • In den Bereichen AGS und BEM sind viele Elemente für die Arbeitgeber verpflichtend, wohingegen BGF- und PE-Elemente freiwillig sind (Hoge et al. 2019). Aus bisherigen – auch internationalen – Studien ist bekannt, dass es vor allem in kleinen, aber auch in mittelgroßen Unternehmen beziehungsweise Betrieben (zur Definition vgl. Statistisches Bundesamt o. J.) an einem systematischen BGM mangelt (Linnan et al. 2008; Arocena u. Núñez 2010; Bechmann 2011; Ansmann et al. 2012; Kiesche 2013; McCoy et al. 2014; Ahlers 2015; Beck et al. 2015; Hollederer u. Wießner 2015; Beck u. Lenhardt 2016, 2019; Schaefer et al. 2016; European Agency for Safety and Health at Work 2017; Faller 2018; Hoge et al. 2019; Linnan et al. 2019; Lösch et al. 2022). Darauf weisen auch die Ergebnisse unserer eigenen Befragungsstudie aus dem Jahr 2017 hin (Hoge et al. 2019): Der Umsetzungsgrad von BGM-Elementen in den oben genannten vier Bereichen AGS, BEM, BGF und PE korrelierte durchweg signifikant mit der Betriebsgröße in Form der Beschäftigtenzahl; der Korrelationskoeffizient Pearson’s r lag allerdings nur auf einem geringen bis moderaten Niveau, nämlich zwischen 0,21 (PE) und 0,35 (BEM). Die Betriebsgröße allein erklärte in unserer Stichprobe also nur einen sehr kleinen Teil der Gesamtvarianz des Umsetzungsgrads der BGM-Elemente in den vier Bereichen.

    In der Studie wurden als potenzielle erklärende Variablen des Umsetzungsgrades von BGM-Elementen aber nicht nur die Betriebsgröße und weitere strukturelle Eigenschaften der Betriebe erhoben – wie zum Beispiel die Verfügbarkeit einer Betriebsärztin/eines Betriebsarztes oder einer Fachkraft für Arbeitssicherheit –, sondern auch „subjektive“ Variablen wie Meinungen und Einstellungen betrieblicher Führungskräfte zu verschiedenen Aspekten des BGM. Derlei Meinungen erhoben wir mittels 26 selbstkonstruierter Items, aus denen dann mithilfe einer explorativen Faktorenanalyse sechs Item-übergreifende Einstellungsmuster („Haltungen“) ermittelt wurden (Siegel et al. 2021). Bisher haben wir noch nicht analysiert, in welchem Umfang – auf Basis unserer Studiendaten – der Umsetzungsgrad von BGM-Elementen sich durch jene Haltungen erklären lässt und wie hoch die Erklärungskraft jener Haltungen etwa im Vergleich zu den „strukturellen“ oder „objektiven“ erklärenden Variablen (wie z. B. Betriebsgröße oder Verfügbarkeit einer Betriebsärztin/eines Betriebsarztes) ist. Genau diese Forschungsfrage soll im Folgenden auf Basis einer multiplen Regressionsanalyse beantwortet werden. Meinungen oder Einstellungen betrieblicher Führungskräfte zum BGM in Deutschland wurden vor unserer Studie (Siegel et al. 2021) noch nicht mittels einer explorativen Faktorenanalyse systematisch untersucht; ebenso wenig wurden daraus abgeleitete Einstellungsmuster oder „Haltungen“ bislang in einer multivariaten Perspektive als Prädiktoren der Umsetzung von BGM-Elementen analysiert. Die folgende explorative Untersuchung auf Basis von Querschnittsdaten hat demnach Pioniercharakter.

    Methoden

    Studienpopulation und Datenerhebung

    Bei der Rekrutierung der Probandinnen und Probanden – Führungskräfte aus Unternehmen im Landkreis Reutlingen – kooperierten wir im Jahr 2017 mit zwei Organisationen. Zum einen unterstützte uns die Reutlinger Handwerkskammer bei der Gewinnung von Handwerksunternehmen für die Studie: 277 Handwerksunternehmen konnten so zur Studienteilnahme eingeladen werden. Diese 277 Unternehmen waren jeweils Betriebe mit ≥ 10 Beschäftigten. Um Nicht-Handwerksunternehmen für die Studie zu gewinnen, wurden von der Marketingagentur „Creditreform“ (o. J.) die Adressen von insgesamt 632 Nicht-Handwerksunternehmen im Landkreis erworben, die mindestens 20 Beschäftigte hatten. Sehr kleine Handwerksunternehmen (< 10 Beschäftigte) und sehr kleine sonstige Unternehmen (< 20 Beschäftigte) blieben also von vornherein außer Betracht, da wir vermuteten, dass die meisten BGM-Elemente in solch kleinen Betrieben nicht implementiert waren. Die im Rahmen der Studie ursprünglich angeschriebenen 909 (d. h. 277 + 632) Unternehmen bildeten entsprechend der Vergleichsdaten des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg rund 70 % der 1303 Unternehmen mit 10 oder mehr Beschäftigten im Landkreis (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2021). Da drei Einladungen postalisch nicht zustellbar waren, umfasste die zur Befragung eingeladene Studienpopulation letztlich 906 (Führungskräfte von) Unternehmen. Pro Unternehmen wurde immer nur eine Person befragt.

    Im Juli und Anfang August 2017 erhielten die Geschäftsführungen jener 906 Unternehmen per Post einen standardisierten Fragebogen sowie die Einladung zur Studienteilnahme inklusive sämtlicher Studieninformationen. Mit Letzteren wurden alle Adressatinnen und Adressaten gebeten, den Fragebogen entweder selbst zu beantworten oder einer Führungskraft in der Personalabteilung zum Ausfüllen auszuhändigen. Zwei Wochen nach dem Versand dieser Einladungen erhielten alle 906 Unternehmen ein Erinnerungsschreiben, unabhängig davon, ob sie bis dahin bereits geantwortet hatten.

    Ein Ethikvotum für die Studie war entsprechend der Auskunft der Ethik-Kommission am Universitätsklinikum Tübingen vom 25.11.2014 (Projekt-Nummer 697/2014VF) nicht erforderlich. Alle potenziellen Probandinnen und Probanden wurden in den Studieninformationen über die Freiwilligkeit der Studienteilnahme und über die anonyme Auswertung und Publikation der Studiendaten informiert.

    Erhebungsinstrument

    Zur Datenerhebung wurde ein überwiegend standardisierter Fragebogen eingesetzt. Er wurde von einem multidisziplinären Team entwickelt, dem eine Fachärztin für Arbeitsmedizin (MAR), ein Soziologe und Public-Health-Forscher (AS) sowie eine Medizinstudentin (ACS) angehörten. Die Entwurfsfassung des Fragebogens wurde einem Pretest mit 24 Testpersonen unterzogen, die in den Personalabteilungen von Betrieben der südwestdeutschen Metall- und Elektroindustrie tätig waren (Details bei Hoge et al. 2019; Siegel et al. 2021). Die Endversion des Fragebogens enthielt insgesamt 121 Items (Hoge 2020). Darunter waren Fragen

    a) zur Umsetzung verschiedener BGM-Elemente im Betrieb in den letzten zwei Jahren,

    b) zur Zufriedenheit der Befragten mit dem Status quo der Umsetzung im Betrieb,

    c) zur Einstellung der Befragten zu verschiedenen Aspekten von BGM,

    d) zur Meinung der Befragten, wie bestimmte (z. T. auch hypothetische) betriebliche Gesundheitsangebote finanziert werden sollten,

    e) zu Strukturdaten des betreffenden Unternehmens/Betriebs (z. B. Betriebsgröße, Branche, Verfügbarkeit einer Betriebsärztin/eines Betriebsarztes u.Ä.) und

    f) zur Person, die den Fragebogen ausfüllte (z. B. Alter, Geschlecht, Stellung im Betrieb).

    Antworten der Befragten zum Fragenbereich a) wurden mittels 26 vorgegebener Items erhoben, die typische Elemente in den vier oben genannten BGM-Bereichen abbildeten (AGS: 7 Items, BEM: 8 Items, BGF: 6 Items, PE: 5 Items; der Item-Wortlaut der erfragten Elemente findet sich in Hoge 2020, Hoge et al. 2019 und Siegel et al. 2020). Erfragt wurde jeweils, ob ein bestimmtes BGM-Element in den zurückliegenden zwei Jahren durchgeführt worden war beziehungsweise stattgefunden hatte; vorgegeben waren die Antworten „ja“
    (2 Punkte), „nein, aber in konkreter Planung“ (1 Punkt) und „nein, auch nicht geplant“ (0 Punkte). Für jeden der vier BGM-Bereiche wurde ein Score berechnet, der den jeweiligen Umsetzungsgrad abbildete. Die Scores wurden zunächst als Roh-Summenscores berechnet und anschließend standardisiert. Die standardisierten Scores wurden im Detail wie folgt berechnet: Ein Betrieb konnte im Bereich AGS (7 Items) 0 bis maximal 14 Punkte erreichen, im Bereich BEM (8 Items) 0 bis maximal 16, im Bereich BGF (6 Items) 0 bis maximal 12 und im Bereich PE (5 Items) 0 bis maximal 10 Punkte. Die vier Roh-Summenscores wurden anschließend so standardisiert, dass ein Betrieb in jedem der vier Bereiche 0 bis maximal 10 Punkte erreichen konnte. (So wurde z. B. der Roh-Summenscore für den Bereich PE belassen beziehungsweise mit 1 multipliziert, der Roh-Summenscore für den Bereich AGS hingegen durch den Faktor 1,4 dividiert.)

    Einstellungen der Führungskräfte zu verschiedenen allgemeinen Aspekten von BGM (Fragenbereich c)) wurden mit 26 deklarativen Aussagen (Items) erhoben, denen die Befragten auf Basis einer vierstufigen Likert-Skala mehr oder weniger zustimmen konnten („stimme voll und ganz zu“, „stimme eher zu“, „stimme eher nicht zu“, „stimme überhaupt nicht zu“). Die Items reichten von grundlegenden Aussagen, die wichtige Grundsätze des BGM bestätigten – oder ihnen widersprachen (z. B. „Gesundheit ist Privatsache jedes Beschäftigten“) – bis hin zu Bewertungen von hypothetischen präventiven Angeboten im Betrieb (z. B. „allen Beschäftigten sollten Impfungen für Privatreisen im Betrieb angeboten werden“). Details zur Entwicklung der Items, die teilweise durch die einschlägige Literatur inspiriert waren (z. B. Bechmann 2011 oder Meyer 2008), finden sich in Siegel et al. 2021. Um die 26 deklarativen Aussagen zu verschiedenen Aspekten des BGM auf eine kleinere Zahl an zugrunde liegenden „Faktoren“ (d. h. Einstellungsmuster oder „Haltungen“) zu reduzieren, wurde eine Hauptkomponentenanalyse und eine explorative Faktorenanalyse mit Varimax-Rotation durchgeführt (Tabachnik u. Fidell 1996). Dabei konnten insgesamt sechs unterschiedliche Haltungen differenziert werden (vgl. Tabelle 3; Siegel et al. 2021).

    Statistische Analyse

    Die statistischen Analysen wurden mit dem Programm SPSS, Version 28 (IBM Analytics, IBM Corporation, Armonk, NY, USA) durchgeführt.

    Multivariate Analyse des Zusammenhangs zwischen Umsetzung von BGM-Elementen und möglichen Prädiktoren

    Um erklärende Variablen – das heißt potenzielle Determinanten – des Umsetzungsgrads von BGM-Elementen in den genannten vier Bereichen (AGS, BEM, BGF und PE) zu prüfen, führten wir für jede dieser vier abhängigen Variablen eine multiple Regressionsanalyse mit der Methode „Rückwärts-Ausschluss der unabhängigen Variablen“ durch (in SPSS „Backward“ mit dem Kriterium: Wahrscheinlichkeit des
    F-Werts für den Ausschluss > 0,050). Für alle finalen Regressionsmodelle wurden folgende Kennziffern bestimmt: Determinationskoeffizient (korrigiertes R2), F-Wert und zugehöriger p-Wert für das gesamte finale Regressionsmodell und schließlich standardisierte Regressionskoeffizienten (Beta-Werte) und zugehörige p-Werte für die jeweils statistisch signifikanten Prädiktoren. Alle finalen Modelle wurden daraufhin überprüft, ob die Residuen unabhängig waren (Durbin-Watson-Werte zwischen 1,5 und 2,5) und ob keine problematische Multikollinearität vorlag (Toleranzwerte der Prädiktoren > 0,2; Field 2018). In Anlehnung an Cohen interpretierten wir die Effektstärke der Modelle über die Determinationskoeffizienten, wobei korrigierte R2-Werte von 0,02 bis 0,12 als geringe erklärte Varianz, von 0,13 bis 0,25 als moderate erklärte Varianz und ab 0,26 als hohe erklärte Varianz bewertet wurden (Cohen 1988). Entsprechend der Faustregel Cohens für die Bewertung der Effektstärke über Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten interpretierten wir Beta-Koeffi­zienten von 0,10 bis 0,29 als gering, von 0,30 bis 0,49 als moderat und ab 0,50 als hoch (Cohen 1988).

    In allen vier multiplen Regressionsmodellen wurden die Effekte folgender unabhängiger Variablen untersucht:

    a) Betriebsgröße, das heißt die aktuelle Anzahl der Beschäftigten (metrische Variable);

    b) Art des Betriebs: (0) Nicht-Handwerksbetrieb vs. (1) Handwerksbetrieb (nominale Variable);

    c) arbeitsbedingtes Gesundheitsrisiko in der Branche des Betriebs (Hoge 2020): (0) Branche ohne erhöhtes arbeitsbedingtes Gesundheitsrisiko (Energie- und Wasserversorgung, Handel, Gastgewerbe, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, Banken und Versicherungen, Grundstücks- und Wohnungswesen, Öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht, Dienstleistungen) vs. (1) Branche mit einem entsprechend erhöhten Gesundheitsrisiko (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Fischzucht, Bergbau/Steine/Erden, Produktion/verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe, Instandhaltung und Reparatur, Gesundheits- und Sozialwesen) (nominale Variable); das arbeitsbedingte Gesundheitsrisiko wurde hierbei sehr grob vor dem Hintergrund des Risikos für arbeitsbedingte Erkrankungen oder Berufskrankheiten abgeschätzt;

    d) Verfügbarkeit einer Betriebsärztin/eines Betriebsarztes im Betrieb: (0) nein vs. (1) ja (nominale Variable);

    e) Verfügbarkeit einer Fachkraft für Arbeitssicherheit im Betrieb: (0) nein vs. (1) ja (nominale Variable);

    f) Präsenz eines Sicherheitsbeauftragten im Betrieb: (0) nein vs. (1) ja (nominale Variable) und

    g) Haltungen der befragten Führungskraft zu verschiedenen Aspekten von BGM (metrische Variablen, siehe hierzu die Ausführungen zu Tabelle 3 unten).

    Ergebnisse

    Stichprobenmerkmale

    Der Rücklauf betrug 24,5 % (n = 222/906). Etwas mehr als die Hälfte der Befragungsteilnehmer arbeiteten in der Geschäftsführung (n = 117; 52,7 %), gut ein Drittel in der Personalabteilung (n = 77; 34,7 %); 11,7 % (n = 26) hatten andere Positionen inne. Die Befragten waren überwiegend Männer (n = 120; 54,1 %). Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei knapp über 50 Jahren (Mittelwert 50,3 Jahre; Median 52,0 Jahre) (Hoge et al. 2019). Wichtige Merkmale der Betriebe werden in ➥ Tabelle 1 dargestellt.

    Umsetzung von BGM-Elementen in den Betrieben und Einstellungs­muster (Haltungen) der Führungskräfte zum BGM

    Die Umsetzung von BGM-Elementen in den vier Bereichen AGS, BEM, BGF und PE wurde mittels standardisierter Summenscores quantifiziert – wie in Abschnitt „Erhebungsinstrument“ beschrieben. Die entsprechenden Ergebnisse (➥ Tabelle 2) verdeutlichen, dass typische Elemente aus dem Bereich AGS am häufigsten umgesetzt wurden (Median 7,14; Mittelwert 6,75), gefolgt von Elementen aus dem Bereich PE. Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Elemente aus den Bereichen BEM und BGF.

    Wie in Abschnitt „Multivariate Analyse des Zusammenhangs zwischen Umsetzung von BGM-Elementen und 10 möglichen Prädiktoren“ skizziert, resultierten aus der explorativen Faktorenanalyse der 26 deklarativen Aussagen (Items) zu verschiedenen Aspekten des BGM insgesamt sechs Faktoren, die Einstellungsmuster oder Haltungen zum BGM repräsentieren:

  • Positive Sicht auf allgemeine Gesundheitsvorsorge im Betrieb
  • BGM/BGF schafft einen Mehrwert für Unternehmen
  • Allgemeine BGM-Skepsis
  • Positive Sicht auf Betriebe als Setting für Gesundheitsförderung
  • Positive Sicht auf Arbeitsschutz als gesellschaftlicher Verantwortung der Unternehmen
  • Positive Sicht auf Durchführung kleinerer medizinischer Kontrollen beim Betriebsarzt.
  • Die Zuordnung der einzelnen Items zu den sechs Faktoren (Haltungen) ist in ➥ Tabelle 3 dargestellt.

    In der im Folgenden wiedergegebenen multiplen Regressionsanalyse wurden die ersten fünf in Tabelle 3 wiedergegebenen Faktoren beziehunsgweise Haltungen als unabhängige Variablen – das heißt als potenzielle Prädiktoren – untersucht, und zwar zusätzlich zu den bereits oben aufgeführten unabhängigen Variablen a) bis f). Da der sechste Faktor (Items 6.1 bis 6.2) nur aus zwei Items besteht und daher als nicht hinreichend valide anzusehen ist, wurde er in der multivariaten Regressionsanalyse nicht berücksichtigt.

    Tabelle 2:  Umsetzungsgrad von BGM-Elementen in den vier Bereichen Arbeits- und Gesund­heitsschutz, Betriebliches Eingliederungsmanagement, Betriebliche Gesundheitsförderung und PersonalentwicklungTable 2: Degree of implementation of workplace health management elements in the four areas occupational safety and health, company reintegration management, workplace health promotion, and human resources development)

    Tabelle 2: Umsetzungsgrad von BGM-Elementen in den vier Bereichen Arbeits- und Gesund­heitsschutz, Betriebliches Eingliederungsmanagement, Betriebliche Gesundheitsförderung und Personalentwicklung
    Table 2: Degree of implementation of workplace health management elements in the four areas occupational safety and health, company reintegration management, workplace health promotion, and human resources development)
    Tabelle 3:  Haltungen zum BGM und Zugehörigkeit der einzelnen Items zu den Faktoren (Haltungen)Table 3: Attitudes towards workplace health management issues and attribution of individual items to the factors (attitudes)

    Tabelle 3: Haltungen zum BGM und Zugehörigkeit der einzelnen Items zu den Faktoren (Haltungen)
    Table 3: Attitudes towards workplace health management issues and attribution of individual items to the factors (attitudes)

    Prädiktoren der Umsetzung von BGM-Elementen in Betrieben – Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen

    Um die Aussagekraft der oben aufgeführten potenziellen Prädiktoren zu prüfen, führten wir für jede der vier abhängigen Variablen (Umsetzungsscores in den BGM-Bereichen AGS, BEM, BGF und PE – siehe Tabelle 2) multivariate Regressionsanalysen mit der Methode „Backward“ durch. Die Ergebnisse sind im Detail in ➥ Tabelle 4 dargestellt. Für drei der vier Regressionsmodelle (mit den abhängigen Variablen AGS-Score, BEM-Score und BGF-Score) ergab sich eine hohe erklärte Varianz (korrigiertes R2 > 0,25); lediglich im Modell mit der abhängigen Variablen PE-Score ist die erklärte Varianz als moderat zu interpretieren (korrigiertes R2 = 0,21); alle vier Modelle leisten einen statistisch hoch signifikanten Beitrag zur Erklärung der jeweiligen abhängigen Variablen (p < 0,001). In drei von vier Modellen (mit den abhängigen Variablen AGS-Score, BGF-Score und PE-Score) erwies sich jeweils eine der Haltungen zum BGM als signifikanter Prädiktor. Die statistisch signifikanten standardisierten Regressionskoeffizienten (Prädiktoren) in den einzelnen Regressionsmodellen zeigen geringe bis moderat hohe Werte. Der höchste Beta-Koeffizient findet sich im Regressionsmodell zur Erklärung der abhängigen Variablen BGF-Score: Hier entspricht der Erklärungsbeitrag der Haltung „BGM/BGF schafft einen Mehrwert für Unternehmen“ einem Beta-Wert von 0,44. Dieser positive Beta-Wert ist wie folgt zu interpretieren: Je stärker die den Fragebogen ausfüllende Führungskraft die genannte Haltung vertrat, desto höher war der BGF-Umsetzungsscore im betreffenden Betrieb. Etwas schwächer ist die Assoziation zwischen dieser Haltung und dem PE-Score (ß = 0,29). Der Prädiktor „Präsenz eines Sicherheitsbeauftragten im Betrieb“ ist in allen vier Regressionsmodellen statistisch signifikant, das heißt, in allen vier BGM-Bereichen wurde in einem Betrieb ein höherer Umsetzungsscore erzielt, wenn es einen Sicherheitsbeauftragten im Betrieb gab (Beta-Werte von 0,18 bis 0,30); den größten Erklärungsbeitrag leistet dieser Prädiktor in Bezug auf den AGS-Umsetzungsscore (ß = 0,30). Das Merkmal „Handwerksbetrieb“ ist in drei Regressionsmodellen mit der jeweiligen abhängigen Variablen (hier: AGS-, BGF- und PE-Score) statistisch signifikant assoziiert. Die Assoziation ist in allen drei Fällen gering, das heißt, ihr Betrag ist ß < 0,30; gleichzeitig liegen alle drei Beta-Koeffizienten im negativen Bereich (zwischen –0,17 und –0,28), so dass für unsere Stichprobe gilt: Ist ein Betrieb ein Handwerksbetrieb, werden signifikant geringere AGS-, BGF- und PE-Scorewerte als im Fall eines Nicht-Handwerksbetriebs erreicht. Eine Assoziation mit negativem Vorzeichen resultierte auch zwischen der Haltung „allgemeine BGM-Skepsis“ als Prädiktorvariable und dem AGS-Score als abhängiger Variable (ß = –0,20); das heißt, je höher die allgemeine BGM-Skepsis der Führungskraft, desto geringer der AGS-Umsetzungsscore im Betrieb.

    Tabelle 4:  Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen der abhängigen Variablen AGS-Score, BEM-Score, BGF-Score und PE-ScoreTable 4: Results of the multiple regression analyses of the dependent variables of occupational safety and health score (OSH score), company reintegration management score (CRM score), workplace health promotion score (WHP score), and human resources development score (HRD score)

    Tabelle 4: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen der abhängigen Variablen AGS-Score, BEM-Score, BGF-Score und PE-Score
    Table 4: Results of the multiple regression analyses of the dependent variables of occupational safety and health score (OSH score), company reintegration management score (CRM score), workplace health promotion score (WHP score), and human resources development score (HRD score)

    Diskussion

    Rücklauf und Stichprobe

    In der vorliegenden Studie konnten die Angaben von insgesamt 222 betrieblichen Führungskräften analysiert werden, die jeweils ein im Landkreis Reutlingen ansässiges Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von mindestens 10 Personen repräsentierten. Der Rücklauf liegt mit 24,5 % (222/906) im Rahmen dessen, was bei Studien mit einer ähnlichen Art der Probandenrekrutierung – einer postalischen Befragung mittels standardisiertem Fragebogen ohne weitere Teilnahmeanreize – üblicherweise erreicht wird (vgl. z. B. Völter-Mahlknecht et al. 2015; Michaelis et al. 2016; Junne et al. 2018; Ehmann et al. 2020). Dennoch wirft ein Rücklauf von deutlich unter 50 % Fragen nach Selektionseffekten und der externen Validität der Ergebnisse auf (siehe hierzu Abschnitt „Stärken und Limitationen der Studie“ unten).

    Der Median der Betriebsgröße – gemessen an der aktuellen, von den Befragten genannten Beschäftigtenzahl – liegt in unserer Stichprobe bei 43 Beschäftigten, der Anteil der Kleinbetriebe bei 52,3 % (s. Tabelle 1). Damit wird in der Studie ein ausgeprägter „Mittel- und Großbetriebe-Bias“, das heißt eine sehr starke Überrepräsentation mittlerer und großer Betriebe vermieden; dies ermöglicht eine angemessene Thematisierung von BGM-Elementen und deren Umsetzung auch in Kleinbetrieben.

    Prädiktoren der Umsetzung von BGM-Elementen in Betrieben

    Die zentralen, im vorliegenden Beitrag erstmals publizierten Ergebnisse sind die multivariaten Regressionsanalysen, mit denen Prädiktoren für die Umsetzung von BGM-Elementen in den vier Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS), Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und Personalentwicklung (PE) untersucht wurden. In allen vier Bereichen (AGS, BEM, BGF und PE) wurde der Umsetzungsgrad bereichstypischer Elemente mittels eines Scores quantifiziert (s. Tabelle 2). Diese vier Scores bildeten die abhängigen Variablen in den vier Regressionsmodellen. Als unabhängige Variablen wurden neben sechs betrieblichen Merkmalen – siehe die Merkmale a) bis f) in Abschnitt „Multivariate Analyse des Zusammenhangs ...“ – auch fünf Einstellungsmuster oder Haltungen der befragten Führungskräfte zum Thema BGM untersucht; Konzeption und Operationalisierung dieser Haltungen resultierten aus einer explorativen Faktorenanalyse von ursprünglich 26 Einzel-Items (s. Tabelle 3), mit denen die Meinungen der 222 Führungskräfte zu verschiedenen Aspekten des BGM erhoben worden waren. Für drei der vier finalen Regressionsmodelle ergab sich eine hohe erklärte Varianz (korrigiertes R2 > 0,25), für das vierte Modell resultierte eine moderate erklärte Varianz (korrigiertes R2 = 0,21). Aus den Ergebnissen der multiplen Regressionsanalysen (s. Tabelle 4) ragen unseres Erachtens vier wichtige Aspekte heraus:

  • Die Präsenz einer/eines Sicherheitsbeauftragten im Betrieb bildet in allen vier Regressionsmodellen einen statistisch signifikanten Prädiktor, der stets mit einem erhöhten Umsetzungsgrad von Elementen in den vier Bereichen einhergeht. Die Stärke dieser Assoziationen (Beta-Koeffizienten von 0,18 bis 0,30) ist zwar nur gering bis moderat, die Beständigkeit über alle vier Modelle hinweg ist jedoch erstaunlich. Dieses Ergebnis kann als Hinweis darauf interpretiert werden, dass die (den Befragten bewusste) Präsenz von Sicherheitsbeauftragten eine nicht zu vernachlässigende strukturelle Bedingung für die erfolgreiche Umsetzung von BGM-Elementen in Betrieben darstellt.
  • Einstellungsmuster oder Haltungen zum BGM stellen in drei von vier Regressionsmodellen signifikante Prädiktoren dar. Die Haltung „BGM/BGF schafft einen Mehrwert für Unternehmen“ ist ein mittelstarker Prädiktor (ß = 0,44) für den Umsetzungsgrad von BGF-Elementen und ein schwacher bis mittelstarker Prädiktor (ß = 0,29) für den Umsetzungsgrad von PE-Elementen: Je ausgeprägter also eine Führungskraft jene Haltung vertritt, desto höher ist der von ihr angegebene Umsetzungsgrad in den beiden Bereichen. Eine schwache, aber statistisch signifikante negative Assoziation (ß = –0,20) zeigt sich für die Haltung „allgemeine BGM-Skepsis“ in Bezug auf den AGS-Score: Je ausgeprägter die allgemeine BGM-Skepsis der Führungskraft, desto geringer ist der angegebene Umsetzungsgrad bei AGS-Elementen. Sowohl die beiden positiven als auch die negative Assoziation zwischen den betreffenden Haltungen und den jeweiligen Umsetzungsscores lassen sich inhaltlich plausibel interpretieren: Vertreten maßgebliche betriebliche Führungskräfte eine Haltung, die die Vorzüge von BGM beziehungsweise BGF für Unternehmen betont, führt dies konsequent zu einem höheren Umsetzungsgrad entsprechender Elemente, während eine allgemein BGM-skeptische Haltung einen geringeren Umsetzungsgrad nach sich
    zieht.
  • Auffällig ist, dass das Merkmal „Handwerksbetrieb“ in drei von vier Fällen (AGS-, BGF- und PE-Score) mit einem geringeren Umsetzungsscore assoziiert ist. Die Effektstärke ist zwar als gering beziehungsweise noch gering einzustufen (Beta-Koeffizienten von –0,17 bis –0,28), aber die relativ hohe Beständigkeit eines negativen Effekts scheint zu zeigen, dass eine „BGM-Kultur“ im Handwerk offenbar in geringerem Umfang „Fuß gefasst“ hat als außerhalb des Handwerks. Bemerkenswert ist dabei, dass der Effekt der Variable „Handwerksbetrieb“ weitgehend unabhängig von der Variable „Betriebsgröße“ existiert: In zwei von den drei Fällen, in denen ein signifikanter Effekt des Merkmals „Handwerksbetrieb“ im finalen Regressionsmodell nachweisbar war (mit den abhängigen Variablen AGS- und PE-Score), hatte der Effekt auch dann Bestand, wenn nachträglich ins Modell noch die Variable „Betriebsgröße“ als Moderatorvariable eingeführt wurde. Nur im finalen Modell zur abhängigen Variablen „BGF-Score“ wurde der (zuvor signifikante) Effekt der Variable „Handwerksbetrieb“ durch die nachträgliche Einführung der Moderatorvariable „Betriebsgröße“ so stark moderiert, dass ihr „Netto-Effekt“ auf die abhängige Variable nun merklich geringer und nicht mehr signifikant war (ß = –0,12; p = 0,088 anstatt zuvor ß = –0,17; p = 0,028). Dies zeigt, dass die in den finalen Regressionsmodellen zum AGS- und PE-Score gemessenen Effekte für die Variable „Handwerksbetrieb“ auf genuine Eigenheiten von Handwerksbetrieben zurückzuführen sind und im Wesentlichen nicht als Betriebsgrößeneffekte erklärt werden können.
  • Die Betriebsgröße taucht als statistisch signifikanter Prädiktor lediglich einmal auf, nämlich bei der abhängigen Variable BEM-Score (ß = 0,32). Angesichts dessen, dass in der Literatur die Betriebsgröße sehr häufig als Prädiktor für die Verbreitung von BGM-Elementen in Betrieben identifiziert wird, erstaunt dieses Ergebnis. Möglicherweise ist es darauf zurückzuführen, dass wir in der vorliegenden Studie zahlreiche andere unabhängige Variablen in die Regressionsmodelle einbezogen haben, die die Umsetzung der BGM-Elemente besser erklären, aber in anderen Studien bislang selten oder nicht berücksichtigt wurden.
  • Stärken und Limitationen der Studie

    In der vorliegenden Studie wurde anhand einer Stichprobe von im Landkreis Reutlingen ansässigen Unternehmen die Umsetzung von BGM-Elementen untersucht. Unter den betreffenden Unternehmen waren alle Betriebsgrößen mit Ausnahme von Kleinstunternehmen (bis zu 9 Beschäftigte) vertreten; Kleinunternehmen (10–49 Beschäftigte) bildeten etwas mehr als die Hälfte der in der Studie repräsentierten Unternehmen. Eine besondere Stärke der Studie sehen wir zunächst darin, dass die erhobenen betrieblichen BGM-Elemente in vier Bereiche gegliedert wurden (AGS, BEM, BGF, PE) – Bereiche, die konzeptionell, praxeologisch und rechtlich einen unterschiedlichen Status haben. Vorteilhaft war zudem, dass neben „objektiven“ Merkmalen der Betriebe – wie zum Beispiel die Präsenz einer/eines Sicherheitsbeauftragten oder die Verfügbarkeit einer Fachkraft für Arbeitssicherheit im Betrieb – auch relevante „subjektive“ Merkmale wie beispielsweise BGM-relevante Haltungen der befragten betrieblichen Führungskräfte erhoben und als potenzielle Prädiktoren des Umsetzungsgrads von BGM-Elementen analysiert wurden. Die Studie geht damit über vergleichbare Analysen (z. B. Amler et al. 2019) hinaus. Die relativ hohen Determinationskoeffizienten (korrigierte R2-Werte) der entsprechenden Regressionsmodelle (s. Tabelle 4) scheinen zu bestätigen, dass wir zumindest einen Großteil der praktisch relevanten Einflussfaktoren auf den Umsetzungsgrad von BGM-Elementen erfassten. Überraschend an den Ergebnissen waren in diesem Kontext zwei Aspekte: Sowohl das Merkmal „Handwerksbetrieb“ als auch BGM-bezogene Haltungen der Führungskräfte im Betrieb waren unter den signifikanten Prädiktoren in den Modellen mehrfach vertreten – Prädiktoren, die bisher noch nicht als erklärende Variablen des Umsetzungsgrads von BGM-Elementen im Rahmen multivariater Analysen untersucht wurden.

    Gleichwohl hat die Studie auch Limitationen, weswegen die Ergebnisse auch nur mit Vorsicht interpretiert werden sollten. Angesichts des nur mäßigen Rücklaufs von 24,5 % liegt es nahe, die Existenz von (Selbst-)Selektionseffekten in der Analysestichprobe anzunehmen: Diejenigen Unternehmen, deren Führungskräfte „von Haus aus“ ein größeres Interesse am Thema BGM haben und daher überdurchschnittlich viele BGM-Elemente umsetzen, beteiligten sich – so ist zu vermuten – auch zu einem höheren Anteil an der Befragung als Unternehmen, bei denen dies nicht der Fall ist. Der hieraus möglicherweise resultierende Bias könnte sich also durchaus in einer Überschätzung der Häufigkeit von BGM-Elementen in Betrieben auf Basis unserer Studiendaten niedergeschlagen haben (vgl. die Argumentation in Hoge et al. 2019; Siegel et al. 2021). Ebenfalls in diese Richtung könnte sich ausgewirkt haben, dass im Landkreis Reutlingen offenbar überdurchschnittlich gute Rahmenbedingungen für die Einführung und Aufrechterhaltung eines BGM bestehen (genauer hierzu Hoge et al. 2019; Siegel et al. 2021). Zudem ist nicht auszuschließen, dass die soziale Erwünschtheit von BGM-Angeboten und „BGM-freundlichen“ Haltungen in Betrieben bei den befragten Führungskräften zu einer Verzerrung der Antworten geführt haben könnte: So könnte die Umsetzung von BGM-Elementen und die Ausprägung von BGM-freundlichen Haltungen in den Studiendaten überschätzt und die Ausprägung von BGM-skeptischen Haltungen unterschätzt worden sein. Jedoch ist zu bedenken, dass die Befragungen keine Face-to-face-Befragungen, sondern schriftliche anonyme (bzw. pseudonyme) Befragungen waren, weshalb es allenfalls zu einer „kulturellen sozialen Erwünschtheit“ (Schnell et al. 2018), nicht aber zu einer „situationalen sozialen Erwünschtheit“ (Letzteres durch die direkte Konfrontation der Befragten mit einer sie interviewenden Person (Schnell et al. 2018) kommen konnte. Aus diesem Grund halten wir das Verzerrungspotenzial durch soziale Erwünschtheit in dieser Studie für begrenzt.

    Auch wenn durch die genannten Limitationen in Frage steht, wie hoch die externe Validität der in der Studie ermittelten Umsetzung von BGM-Elementen wirklich ist (vgl. Tabelle 2), so erscheint dieser mögliche Bias für die hier vordringlich interessierenden Ergebnisse (s. Tabelle 4) nicht besonders schwerwiegend: Für die Untersuchung von Prädiktoren des Umsetzungsgrads typischer BGM-Elemente ist es offenbar weniger relevant, wenn der durchschnittliche Umsetzungsgrad in der gesellschaftlichen Wirklichkeit anhand der Studiendaten etwas überschätzt wird, denn die Zusammenhänge zwischen Prädiktoren und Umsetzungsgrad bestimmter Elemente können anhand der Studiendaten dennoch extern valide erfasst sein.

    Etwas problematischer könnten unseres Erachtens folgende Limitationen sein: Zunächst ist festzustellen, dass die befragten Führungskräfte (überwiegend in der Geschäftsführung oder Personalabteilung) in der Studie als Repräsentanten der jeweiligen betrieblichen „BGM-Politik“ betrachtet werden, ohne dass diese Annahme im Einzelnen validiert wurde; deshalb können wir im Einzelfall nicht nachvollziehen, ob die Person, die im Betrieb den Fragebogen ausfüllte, auch tatsächlich diejenige war, die am besten über den betrieblichen Status quo von BGM-Elementen informiert war und auch im Hinblick auf die Einstellungsfragen autorisiert war, „für den Betrieb zu sprechen“. Diese Limitation dürfte jedoch allenfalls bei den etwas größeren Betrieben ins Gewicht fallen, in denen in der Regel nicht die Geschäftsführenden, sondern Führungskräfte aus der Personalabteilung – oder in Einzelfällen auch andere Positionsinhaber wie beispielsweise die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt – den Fragebogen ausfüllten (52,7 % der Responder waren Geschäftsführer, 34,7 % Führungskräfte aus der Personalabteilung und 11,7 % andere – vgl. Abschnitt „Stichprobenmerkmale“). Weiterhin wird in der Studie implizit eine einfache Kausalbeziehung zwischen den als Prädiktoren konzipierten Haltungen der befragten Führungskräfte einerseits und dem Umsetzungsgrad von BGM-Elementen andererseits unterstellt. Nicht völlig auszuschließen ist jedoch eine reverse oder zirkuläre Kausalbeziehung zwischen Haltungen und Umsetzungsgrad: Denkbar ist zum Beispiel, dass eine Geschäftsführerin, die erst seit kurzem in einem Betrieb mit traditionell ausgeprägter „BGM-Kultur“ arbeitet, mehr oder weniger „automatisch“ eine Haltung entwickelt, die der im Betrieb schon länger bestehenden BGM-Kultur entspricht – in diesem Fall wäre also aufgrund der „normativen Kraft des Faktischen“ eine reverse Kausalität zwischen Haltung der Führungskraft und Umsetzungsgrad von BGM-Elementen im Betrieb gegeben.

    Die geäußerten Limitationen und Vorbehalte erscheinen uns jedoch nicht derart weitreichend und zwingend, dass sie unsere oben skizzierte Interpretation der Studienergebnisse hinfällig werden lassen. Die Limitationen sollten jedoch stets im Blick behalten und die Ergebnisse mit entsprechender Vorsicht interpretiert werden.

    Schlussfolgerungen

    Die vorliegende Studie ist die erste multivariate Analyse des Umsetzungsgrads von BGM-Elementen, bei der auch verschiedene Einstellungsmuster oder „Haltungen“ betrieblicher Führungskräfte zum BGM als potenzielle Prädiktoren untersucht wurden. Der Umsetzungsgrad wurde durch vier abhängige Variablen erfasst. Die Regressionsanalysen zeigten dabei die Relevanz (und statistische Signifikanz) bestimmter BGM-bezogener Haltungen für die Umsetzung von BGM-Elementen. So leistete die Haltung „BGM/BGF schafft einen Mehrwert für Unternehmen“ einen beträchtlichen Beitrag zur Varianzaufklärung zweier abhängiger Variablen. Die Präsenz einer/eines Sicherheitsbeauftragten im Betrieb hat einen in allen vier Regressionsmodellen signifikanten positiven Einfluss auf den Umsetzungsgrad von BGM-Elementen. In Handwerksbetrieben war der Umsetzungsgrad in drei von vier Regressionsmodellen signifikant geringer als in anderen Betrieben.

    Danksagung und Interessenkonflikt: Die zugrunde liegende Studie wurde durch Eigenmittel des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Tübingen, finanziert. Das Institut erhält eine institutionelle Förderung durch den Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall). Alle Autorinnen und Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Angaben zu den Autorenschaften: MAR, ACS und AS konzipierten das Studiendesign, gestalteten den Fragebogen und organisierten die Datenerhebung. ACS, ATN und AS werteten die Daten aus. AS erstellte die Entwurfsfassung des Manuskripts; MAR, ACS, ATN diskutierten die Entwurfsfassung des Manuskripts und beteiligten sich an der finalen Überarbeitung des Manuskripts.

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    Kontakt

    Dr. Achim Siegel

    Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung
    Universitätsklinikum Tübingen
    Wilhelmstraße 27, 72074 Tübingen
    achim.siegel@med.uni-tuebingen.de