Die retrospektive Beurteilung einer gezielten betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahme für körperlich schwer arbeitende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Allgemeinen Krankenhaus Wien
doi:10.17147/asu-1-399189
How to stay healthy in a physically demanding workplace – The retrospective assessment of a targeted occupational health promotion measure for employees doing physically demanding work at Vienna General Hospital
Aim: Heavy physical work is one of the key factors in the development of spinal overload syndromes. Workplace health promotion (WHP) measures aim to minimize the harmful effects of heavy physical work as much as possible through personal measures. If generalized WHP measures are not possible, they should be carried out in a way that is tailored to specific professional groups. This paper presents such a targeted WHP measure for the patient transport services at Vienna General Hospital and its retrospective assessment by the participants.
Methods: After participation in the targeted WHP measure, a validated questionnaire, the Comprehensibility of Health Education Programs (COHEP), was used.
Results: The COHEP dimensions “comprehension-fostering behaviour of program trainers” (mean 16,3 ± 5,9), “transferability to everyday life” (mean 12,5 ± 4,0) and “comprehensibility of medical information” (mean 7,6 ± 2,2) were rated as very good. The COHEP dimension “amount of information” (mean 12,6 ± 6,8) was rated as average.
Conclusion: The WHP project presented here was rated very highly in terms of comprehension-fostering behaviour, transferability to everyday life and comprehensibility of medical information. The amount of information, however, was rated as tending to be too extensive.
Keywords: workplace health promotion – back health – manual material handling – weightlifting
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2023; 59: 710–714
How to stay healthy in a physically demanding workplace – Die retrospektive Beurteilung einer gezielten betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahme für körperlich schwer arbeitende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Allgemeinen Krankenhaus Wien
Zielstellung: Körperliche Schwerarbeit zählt zu den zentralen Faktoren bei der Entwicklung von Überlastungssyndromen an der Wirbelsäule. Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) zielen darauf ab, über personenbezogene Maßnahmen die gesundheitsschädlichen Effekte schwerer körperlicher Arbeit soweit wie möglich zu minimieren. BGF-Maßnahmen sollen, wenn nicht generalisiert möglich, spezialisiert auf Berufsgruppen abgestimmt durchgeführt werden. Im vorliegenden Fall wird eine derartig gezielte BGF-Maßnahme für die Patiententransportdienste im Allgemeinen Krankenhaus Wien und ihre retrospektive Einschätzung der Verständlichkeit durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dargestellt.
Methoden: Nach der Teilnahme an der gezielten BGF-Maßnahme wurde ein validierter Fragebogen zur Verständlichkeit von Patientenschulungen, der Comprehensibility of Health Education Programs (COHEP) verwendet.
Ergebnisse: An der BGF-Maßnahme nahmen 67 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teil. Von diesen wurden 61 auswertbare COHEP-Fragebögen retourniert. Die COHEP-Dimensionen „Verständnisförderndes Verhalten des Schulungsleiters“ (Mittelwert 16,3 ± 5,9), „Übertragbarkeit der Informationen auf den Alltag“ (Mittelwert 12,5 ± 4,0) und „Verständlichkeit der medizinischen Informationen“ (Mittelwert 7,6 ± 2,2) wurden sehr gut bewertet. Die COHEP-Dimension „Menge an Informationen“ (Mittelwert 12,6 ± 6,8) wurde als durchschnittlich bewertet.
Schlussfolgerung: Das hier dargestellte BGF-Projekt wurde hinsichtlich des Verständnis fördernden Verhaltens, der Übertragbarkeit in den Alltag und der Verständlichkeit medizinischer Informationen sehr gut bewertet. Die Menge an Informationen wurde hingegen als tendenziell zu umfangreich bewertet.
Schlüsselwörter: betriebliche Gesundheitsförderung – Rückengesundheit – Lastenhandhabung – Gewichtheben
Einleitung
Schwere körperliche Arbeit ist ein zentraler Risikofaktor für das Auftreten von Rückenschmerzen bei Beschäftigten (da Costa u. Vieira 2010).
Dabei wirkt sich die schwere körperliche Arbeit nicht nur unmittelbar via erhöhter erkrankungsbedingter Absenzen aus (Watanabe et al. 2018), sondern sie beeinflusst auch langfristig die Rückengesundheit, selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt keine körperliche Schwerarbeit mehr geleistet wird (Bláfoss et al. 2020). Gut ein Viertel aller körperlich Arbeitenden leidet einmal im Jahr unter zumindest leichten Rückenschmerzen (Ferguson et al. 2019). Rückenschmerzen stellen nicht nur auf persönlicher Ebene ein ernsthaftes Gesundheitsproblem dar, sondern belasten auch aus sozioökonomischer Sicht ganze Volkswirtschaften. Dabei entfällt etwa ein Drittel der Kosten auf sogenannte direkte Kosten, also Kosten, die mit der medizinischen Behandlung der Rückenschmerzen assoziiert sind, und zwei Drittel auf sogenannte indirekte Kosten, also alle Kosten, die mit dem Arbeitsausfall assoziiert sind (Katz 2006). Entsprechend hoch ist das wirtschaftliche Interesse von Betrieben, die eigenen Beschäftigten gesund zu halten (Russo et al. 2021).
Die Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderungsmaßnahmen ist ein wichtiger Stellhebel für Arbeitgeber, um Gesundheit, Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden zu erhalten (Gasevic et al. 2022). Einen Teil der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) stellen Maßnahmen gegen muskuloskelettale Probleme dar, deren Entstehung sowohl durch sitzende Tätigkeiten (Bontrup et al. 2019), aber insbesondere auch durch schwere körperliche Arbeit (Heuch et al. 2017) begünstigt werden. Oftmals bedeutet das, dass als BGF-Maßnahme das körperliche Aktivitätsverhalten gefördert wird (Keadle et al. 2017).
Paradoxerweise jedoch stellt körperliche Aktivität, die in der Freizeit durchgeführt wird, einen gesundheitsförderlichen Faktor dar, während körperliche Aktivität im Berufsumfeld schädlich wirken kann (Holtermann et al. 2012; Jordakieva et al. 2023). Entsprechend wichtig ist die individuelle, auf das betriebliche Arbeitsumfeld abgestimmte Planung einer jeden BGF-Maßnahme zur Erhaltung der Rückengesundheit (Seidler et al. 2008) sowie das Einbeziehen des Freizeitverhaltens (Hasenoehrl et al. 2024).
Dieser Ansatz wurde sehr erfolgreich von Hasenoehrl et al. (2024) bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitswesens im Allgemeinen Krankenhaus Wien (AKH) im Rahmen einer BGF-
Maßnahme unter dem Titel „Rückengesundheit 24/7/365“ umgesetzt. Ziel dieser BGF-Maßnahme war, die Gesundheitskompetenz von AKH-Mitarbeitenden in mehreren Schulungen zu verschiedenen Rückenschmerz-assoziierten Themen zu entwickeln und zu zeigen, dass eine derartige Methode unabhängig von den Arbeitsplatzanforderungen gleichermaßen für alle Teilnehmenden wirkt. Die Schulungsinhalte wurden dabei in Kleingruppen in einem modularen System, bestehend aus einer videobasierten Theorieschulung und drei Praxismodulen, gelehrt.
Die Evaluierung dieser BGF-Intervention zeigte nach sechs Monaten unabhängig vom Ausmaß der körperlichen Belastung am Arbeitsplatz signifikante Verbesserungen bei Rückenschmerzen sowie bei der körperlicher Funktions- und der Leistungsfähigkeit (Hasenoehrl et al. 2024).
Allerdings konnten nicht alle Berufsgruppen mit diesem Projekt gleichermaßen erreicht werden. Eine Berufsgruppe, die der Patiententransportdienste, stach dahingehend hervor, dass deren Abteilungsleiterin sich im Rahmen des BGF-Projekts „Rückengesundheit 24/7/365“ direkt an die Klinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin wandte, weil es dort großen Schulungsbedarf gab, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Berufsgruppe aber nicht an dem regulären BGF-Projekt teilnehmen konnte, weil ein derartig großer Zeitaufwand aufgrund der dienstlichen Verpflichtungen nicht machbar gewesen ist. Die Mitarbeitenden der Patiententransportdienste sind verantwortlich für den Transport von Patientinnen und Patienten, die innerhalb des AKH zwischen den verschiedenen Kliniken und Abteilungen transportiert werden müssen. Diese Arbeit schließt vom Schieben eines Rollstuhls, über das vorsichtige Bewegen einer Patientin/eines Patienten im entsprechend schweren Patientenbett, bis zum Patiententransfer mit schwerem Heben und Tragen alles ein. Diese Beschäftigten sind in einem typischen Dienst zudem den ganzen Tag auf den Beinen und gehen über 20.000 Schritte pro Dienst. Die Arbeit ist in einem Dienstrad mit kleinen Teams aus sieben Mitarbeitenden organisiert. Entsprechend kann ein ganzes Team für maximal 90 Minuten aus einem Dienstrad freigespielt werden, ohne dass der Dienstbetrieb beeinträchtigt ist. Diese Zeitvorgabe und die Rahmenbedingungen, also 90 Minuten mit einer Kleingruppe aus sieben Personen, waren damit der Zeitrahmen, mit dem nun eine auf die Patiententransportdienste abgestimmte BGF-Maßnahme als Ersatz für die nicht mögliche Teilnahme am umfassenden BGF-Projekt „Rückengesundheit 24/7/365“ zusammengestellt
wurde.
Zielstellung
Das Ziel des gegenwärtigen BGF-Projekts war es, die Verständlichkeit einer auf den Arbeitsplatz spezifisch abgestimmten Schulung zur Rückengesundheit abzufragen.
Methoden
BGF-Intervention
In der ursprünglichen Variante wurden die Handhabung schwerer Lasten, Kompensationstraining für sitzende Tätigkeiten sowie allgemeine Rumpfkraftübungen in drei jeweils 90-minütigen Kleingruppenschulungen geschult. Darüber hinaus gab es eine halbstündige Videoschulung zur Anatomie der Wirbelsäule, zum Zusammenhang von Psyche und Rückenschmerzen, zu den Möglichkeiten, mit
Ernährung Einfluss zu nehmen und zur leitliniengerechten Behandlung von Rückenschmerzen (Hasenoehrl et al. 2024). Die an dieser Stelle dargestellte BGF-Intervention war eine „abgespeckte“ Variante des ursprünglichen BGF-Projekts „Rückengesundheit 24/7/365“ und sah zum Einstieg eine zehnminütige Videopräsentation von Expertinnen und Experten in ihrem Gebiet zur medizinischen, psychologischen, sportwissenschaftlichen sowie der betrieblichen Gesundheitsförderungsperspektive vor. Danach wurden Aufbau, Belastbarkeit und Verletzbarkeit der Wirbelsäule mit Hilfe eines Wirbelsäulenmodells praktisch vorgezeigt und erklärt. Auf Basis der vorab gelehrten Theorie zur mechanischen Belastbarkeit der Wirbelsäule folgte dann eine verständnisbasierte Hebeschulung mit einem zentralen Fokus auf Basisübungen aus dem Gewichtheben (Hip Hinge, Deadlift). Danach wurde das Thema Rumpfstabilität behandelt. Alle praktischen Übungen wurden mit einem direkten Bezug auf reale Arbeitsplatzbelastungen der Mitarbeitenden der Patiententransportdienste gelehrt. Zentral war aber die Schulung des grundsätzlichen Verständnisses dafür, wie externe Belastungen über die Wirbelsäule abgeleitet werden und wie man einerseits seine Haltung anpassen und andererseits die Muskulatur optimal zur Stabilisierung nutzen kann. Zum Abschluss wurden ausgewählte Auflockerungs-, Mobilisations- und Dehnübungen für die Wirbelsäule sowie die Hüft- und Rückenmuskulatur gezeigt und praktisch geübt. Diese Übungen waren danach ausgewählt, dass sie durch muskuläre Fehl- und Überbelastung entstehende unspezifische Rückenschmerzen unmittelbar erleichtern können sollten. Die Schulungen wurden im Dezember 2023 und Jänner 2024 in zehn einzelnen Kleingruppenschulungen durchgeführt. Nach Abschluss der Schulungen wurde den Teilnehmenden ein Handout mit den beigebrachten Übungen und den wichtigsten theoretischen Inputs übermittelt.
Evaluierung
Zur Evaluierung wurde die subjektive Einschätzung der BGF-Intervention mittels eines validierten Fragebogens zur Verständlichkeit von Patientenschulungen, dem Comprehensibility of Health Education Programs (COHEP), im Nachhinein erfasst (Farin et al. 2013). Dieser Fragebogen wurde einmalig, direkt nach Abschluss der Schulungen erhoben. Der COHEP-Fragebogen besteht aus 30 Fragen, die in vier Dimensionen unterteilt sind und als Summenscores der jeweiligen Antworten gebildet werden. Die Dimension „Verständnisförderndes Verhalten des Schulungsleiters“ wird in elf Items abgebildet, die Dimension „Übertragbarkeit der Informationen auf den Alltag“ in neun Items, die Dimension „Verständlichkeit der medizinischen Informationen“ in sechs Items und die Dimension „Menge an Informationen“ wird in vier Items abgebildet. Diese Dimension ist auch die einzige, bei der ein niedriger Score ein schlechtes und ein hoher Score ein gutes Ergebnis darstellt. Alle vier Dimensionen weisen mit Cronbach’s Alpha-Werten zwischen 0,82 und 0,94 eine hohe Reliabilität auf und alle Dimensionen korrelieren signifikant sowohl mit Personenfaktoren, als auch, nach Adjustierung der Personenfaktoren, mit Kontextfaktoren, was die Validität des COHEP Fragebogens bestätigt (Farin et al. 2013).
Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt deskriptiv.
Ergebnisse
67 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Patiententransportdienste im AKH Wien nahmen an der spezifisch auf ihren Arbeitsplatz abgestimmten BGF-Intervention teil. Von diesen 67 Teilnehmenden schickten 62 ihren COHEP-Fragebogen zurück und davon waren 61 Fragebögen auswertbar. Die Ergebnisse sind in ➥ Tabelle 1 dargestellt.
Damit wurden die drei Dimensionen verständnisförderndes Verhalten des Schulungsleiters, Übertragbarkeit der Informationen auf den Alltag und Verständlichkeit der medizinischen Informationen sehr gut und eine Dimension, die Menge an Informationen, durchschnittlich bewertet.
Diskussion
Ein BGF-Projekt ist nur so gut, wie es genutzt wird. Das in Hasenoehrl et al. (2024) dargestellte und für unsere Begriffe optimal zusammengestellte BGF-Projekt, das für Krankenhauspersonal im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Wien durchgeführt und detailliert wissenschaftlich evaluiert wurde, bestand aus einer Theorieschulung zu 30 Minuten und drei praktischen Schulungen zu jeweils 90 Minuten (Hasenoehrl et al. 2024). Wie sich in der Praxis gezeigt hat, war ein derartiger Aufwand nicht für alle Beschäftigten im AKH Wien machbar, weshalb die gegenwärtig geschilderte BGF-Maßnahme entwickelt und in weniger als einem Drittel der Zeit implementiert wurde. Subjektiv wurde die Maßnahme sehr positiv angenommen und bewertet, einzig die Menge an Informationen wurde nicht sehr gut, sondern nur durchschnittlich bewertet. Dass hier das Thema Zeitknappheit immer präsent war und in den zur Verfügung stehenden 90 Minuten alle wichtigen Inhalte transportiert werden sollten, war mit Sicherheit ursächlich dafür, dass diese Dimension nicht besser bewertet wurde.
Bei Angestellten im Gesundheitswesen ist die Förderung von Rückengesundheit jedenfalls ein hoch relevantes Thema, zeigt doch eine rezente Arbeit von Haddas et al. (2023) mit mehr als 3000 Angestellten eines Gesundheitszentrums, dass 77 % der Befragten über unspezifische Rückenschmerzen geklagt haben. In dieser Studie war ein zentraler Teil der Datenerhebung die Erstellung eines individuellen Leistungsprofils, auf dessen Basis dann bei 313 Probandinnen und Probanden ein individualisiertes Rehabilitationsprogramm durchgeführt wurde und signifikante Verbesserungen der körperlichen Funktionsfähigkeit verzeichnet werden konnten (Haddas et al. 2023). Im Gegensatz zu dem hier von uns vorgestellten BGF-Projekt, wurde dieses Projekt unabhängig vom Belastungsprofil des Arbeitsplatzes, dafür aber mit einem hohen Ausmaß an Individualisierung durchgeführt. Das bringt einen großen zeitlichen, personellen und damit automatisch auch finanziellen Aufwand mit sich, der in dem hier von uns vorgestellten Projekt nicht realisierbar gewesen wäre.
Einen komplett anderen und gänzlich unspezifischen Ansatz in der betrieblichen Gesundheitsförderung bei Krankenhausbeschäftigten haben Barene et al. (2014) gewählt. Sie haben Krankenhausbeschäftigten über 40 Wochen an Fußball- und Zumba-Trainingseinheiten teilnehmen lassen und danach signifikante Verbesserungen bei Schulter-Nacken-Schmerzen festgestellt (Barene et al. 2014). Ein derartig unspezifischer Ansatz zeigt zwar das generelle Potenzial von Bewegung und Sport auf die Rückengesundheit im Vergleich zum Nichtstun, durch den fehlenden Vergleich zu einer spezifischen Intervention kann aber nicht quantifiziert werden, was in einem vergleichbaren Zeitraum mit einer spezifischen Intervention möglich gewesen wäre. Außerdem ändert eine derartige Intervention nicht das Gesundheitsverhalten am Arbeitsplatz und benötigt zudem einen zusätzlichen Zeitaufwand außerhalb des Arbeitsplatzes, während eine gezielte BGF-Maßnahme, wie sie hier beschrieben ist, darauf ausgelegt ist, eine Verhaltensänderung am Arbeitsplatz zu bewirken und von den Probandinnen und Probanden keine zusätzlichen Zeitressourcen einfordert.
Bei Betrachtung der gegenwärtigen wissenschaftlichen Evidenz zum Thema Hebeschulungen am Arbeitsplatz, muss die Anwendung derartiger BGF-Maßnahmen grundsätzlich kritisch hinterfragt werden. Eine Reihe derartiger Maßnahmen zeigt nämlich nicht den erwarteten Erfolg. Das dürfte einerseits auf die Art und Weise der Umsetzung sowie die Rahmenbedingungen zurückzuführen sein (Denis et al. 2020). Es scheint sich zu zeigen, dass ein alleiniger Fokus auf Verhaltensprävention ohne ausreichende Verhältnisprävention eben nicht zu dem gewünschten nachhaltigen Erfolg führt, eine Strategie, die der Österreichischen Arbeitswelt durch das gesetzlich verankerte „STOP-Prinzip“ von vorhinein ausgeschlossen ist (AG1 – Verbesserung von Arbeitsplatzevaluierungen und Gefahrenbewusstsein 2017). In Österreich regelt der § 7 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) die Grundsätze der Gefahrenverhütung am Arbeitsplatz. Es gilt, das „STOP-Prinzip“ anzuwenden, das die Reihenfolge der arbeitsmedizinischen Schutzmaßnahmen zur Gefahrenverhütung regelt. STOP ist hierbei ein Akronym für Substitution (Kann eine Gefahr beseitigt oder durch eine weniger gefährliche ersetzt werden?), Technik (Kann durch eine technische Maßnahme die Gefahr minimiert werden?), Organisation (Kann durch eine organisatorische Maßnahme die Gefahr minimiert werden?) und personenbezogen (Kann durch Schulungsmaßnahmen die Gefahr minimiert werden?). Ziel ist die Risikominimierung für Beschäftigte am Arbeitsplatz und personenbezogene Maßnahmen sollen erst dann etabliert werden, wenn alle Stufen davor bereits ausgeschöpft wurden (AG1 – Verbesserung von Arbeitsplatzevaluierungen und Gefahrenbewusstsein 2017).
In Frankreich gelten zum Beispiel andere Leitlinien für das Management von Rückenschmerzen an Arbeitsplätzen, wo schwere körperliche Arbeit verrichtet wird. Hier soll nach einer dreistufigen Hierarchie vorgegangen werden, wo an erster Stelle die Risikoidentifikation – die systematische Detektion von für die Rückengesundheit gefährlichen Arbeitssituationen – steht. Im zweiten Schritt soll das Ausmaß der Gefährdung eingeschätzt werden und an dritter Stelle sollen, für den Fall, dass im zweiten Schritt das Maß der Rückengefährdung nicht ausreichend klar beurteilt werden konnte, komplexe Arbeitssituationen analysiert werden (Petit et al. 2016).
Wie immer man zu den französischen Empfehlungen, die einen erheblichen Fokus auf die Arbeitsplatzanalyse legt, steht, in Österreich ist dieser Weg gesetzlich vorgegeben und es bleibt die berechtigte Kritik, dass sich Hebeschulungen inhaltlich und methodisch unterscheiden und damit nicht eins zu eins in miteinander verglichen werden dürfen (Denis et al. 2020). Hier sehen sehen wir das gegenwärtige Projekt, das individuell auf die Zielgruppe hin entwickelt wurde, aufgrund der Überzahl der positiven Rückmeldungen voll bestätigt.
Als Limitierung dieser BGF-Evaluierung müssen hingegen das Fehlen objektiver Messgrößen sowie das Design als rein retrospektive Erhebung angeführt werden. Ein zentrales Thema bei der wissenschaftlichen Evaluierung derartiger Maßnahmen stellt die Sprachbarriere dar. Gerade bei körperlich schwer Arbeitenden ist die Anzahl der Beschäftigten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, verhältnismäßig hoch. Zudem war das Thema Zeitknappheit gerade bei dieser Berufsgruppe immer präsent. Entsprechend war eine komplexe Analyse der Studienpopulation nicht möglich und das BGF-Projekt wurde nur in der vorliegenden Form evaluiert. Das gewählte Evaluierungswerkzeug, der COHEP-Fragebogen, ist spezifisch für rein retrospektive Analysen entwickelt, was das Fehlen eines Prä-Post-Vergleichs etwas abmildern soll.
Schlussfolgerungen
Das in der gegenwärtigen Form durchgeführte und an den Arbeitsplatz angepasste BGF-Projekt wurde hinsichtlich des verständnisfördernden Verhaltens, der Übertragbarkeit in den Alltag und der Verständlichkeit medizinischer Informationen überaus gut bewertet. Die Menge an Informationen war hingegen tendenziell zu umfangreich.
Für zukünftige Forschungsprojekte empfiehlt sich die Verwendung von sprachunabhängigen Messparametern und Fragebögen, die in verschiedenen Sprachen validiert sind, um auch in sprachlich heterogenen Testgruppen Prä-Post-Vergleiche implementieren zu können.
Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Beiträge der Autorinnen und Autoren: Konzeption – RC; Design – TH, MS; Durchführung – TH, BS, MG; Datenerhebung – TH, BS; Datenanalyse – TH; Interpretation – TH, RC; schriftlicher Entwurf der Publikation – TH; kritische Durchsicht inklusive Einbringung wichtigen intellektuellen Inhalts – GJ, RC; abschließende Zustimmung zur eingereichten und veröffentlichten Version des Manuskripts – TH, BS, MS, MG, GJ, RC.
Literatur
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KONTAKT
Univ.-Prof. Dr. Richard Crevenna, MBA, MMSc
Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien
richard.crevenna@meduniwien.ac.at
Anhang: COHEP-Itemliste
Die Schulungen …
In den Schulungen …
Die Schulungsleiter …
In den Schulungen wurden zu viele Informationen vermittelt.
Der Stoff, der in den Schulungen vermittelt wurde, war zu umfangreich.
In den Schulungen wurden zu viele detaillierte Informationen vermittelt.
In den Schulungen wurden so viele Informationen vermittelt, dass man überfordert war.
Antwortmöglichkeiten zu jedem Item: