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Pilotstudie zur arbeitsmedizinischen Online-Vorsorge bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten

F. Darstein*

M. Letzel*

F. Gössler

P. Kegel

*geteilte Erstautorenschaft

(eingegangen am 16.08.2022, angenommen am 26.09.2022)

Pilot study of online occupational healthcare for workers using visual display units (VDUs)

Objective: Public employees at state schools in Rhineland-Palatinate use visual display units in the course of their work. For the doctors at the Institute for Teacher Health, the question arose as to whether a medical consultation leading to appropriate occupational health interventions for workers using VDUs according to “ArbMedVV” could be held online. To test this idea, the study was to apply an orienting online eye test and evaluate it with regard to practicability and benefit.

Method: School staff who had applied for special visual aids for use with VDUs were offered advice via online video consultation including an orien­ting online eye test. A standardised questionnaire served as an interview guide for the purposes of ascertaining medical history and for documentation. The results of the questionnaire and the orienting online eye test were managed in a database and evaluated descriptively for this paper.

Results: Thirty consultations (26 online video consultations, 4 telephone consultations) were held during the evaluation period (22.12.2021 to 26.07.2022). Employees of vocational colleges were the most frequent participants (27 %). All employees reported complaints when working with screens. The combination of visual and shoulder/neck complaints was the most common complaint constellation (16 people, 53 %). In the majority of cases (70 %), the employees achieved a good to very good result in the orienting online eye test. Based on the comprehensive anamnesis and observations made during the video consultation, all persons received detailed advice and an occupational medical recommendation for special visual aids for their work with VDUs.

Conclusion: Online occupational healthcare for VDU workers via online video consultations including an online eye test has proven to be practicable in the group presented here. A standardised questionnaire for anamnesis and documentation has demonstrated its worth. The orienting online eye test provided important information, especially through observating the employees during the procedure. The value of the orienting online eye test should be validated in comparison with conventional eye tests according to Occupational Medical Rule (AMR) 14.1.

Keywords: occupational healthcare (ArbMedVV) – online eye test – school staff – visual display units

doi:10.17147/asu-1-233018

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2022; 57: 712–719

Pilotstudie zur arbeitsmedizinischen Online-Vorsorge bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten

Frage- und Zielstellung: Landesbedienstete an staatlichen Schulen in Rheinland-Pfalz nutzen im Rahmen ihrer Tätigkeit Bildschirmgeräte. Für die Betriebsärztinnen und -ärzte des Instituts für Lehrergesundheit stellte sich die Frage, ob eine arbeitsmedizinische Beratung und Sprechstunde im Sinne einer Vorsorge für Tätigkeiten an Bildschirmgeräten gemäß Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) auch telemedizinisch erfolgen kann. In diesem Rahmen sollte ein orientierender Online-Sehtest versuchsweise angewendet und bezüglich Praktikabilität und Nutzen bewertet werden.

Methode: Schulbediensteten, die eine spezielle Sehhilfe für ihre Tätigkeit am Bildschirmgerät beantragt hatten, wurde eine Beratung via Online-Videosprechstunde inklusive orientierendem Online-Sehtest angeboten. Ein standardisierter Fragebogen diente als Gesprächsleitfaden für die ärztliche Anamneseerhebung und zur Dokumentation. Die Ergebnisse des Frage­bogens und des orientierenden Online-Sehtests wurden in einer Datenbank verwaltet und für die vorliegende Arbeit deskriptiv ausgewertet.

Ergebnisse: Im Auswertungszeitraum (22.12.2021 bis 26.07.2022) wurden 30 Sprechstunden durchgeführt (26 Online-Videosprechstunden, 4 Telefonsprechstunden). Am häufigsten (27 %) nahmen Bedienstete von berufsbildenden Schulen teil. Alle Bediensteten gaben Beschwerden bei der Bildschirmarbeit an. Mit 16 Personen (53 %) war die Kombination aus Seh- und Schulter-/Nackenbeschwerden die häufigste Beschwerdekonstellation. In der Mehrzahl der Fälle (70 %) erzielten die Bediensteten ein gutes bis sehr gutes Ergebnis im orientierenden Online-Sehtest. Auf Grundlage der ausführlichen Anamnese und der Beobachtungen während der Videosprechstunde erhielten alle Personen eine ausführliche Beratung und eine arbeitsmedizinische Empfehlung für eine spezielle Sehhilfe für ihre Arbeit an Bildschirmgeräten.

Schlussfolgerung: Eine arbeitsmedizinische Beratung bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten via Online-Videosprechstunde hat sich in dem hier vorgestellten Kollektiv als praktikabel erwiesen. Ein standardisierter Fragebogen zur Anamneseerhebung und Dokumentation hat sich bewährt. Der orientierende Online-Sehtest lieferte insbesondere durch die Beobachtung der Bediensteten während der Durchführung wichtige Informationen. Die Wertigkeit des orientierenden Online-Sehtests sollte im Vergleich mit Sehtests nach Arbeitsmedizinischer Regel (AMR) 14.1 validiert werden.

Schlüsselwörter: Arbeitsmedizinische Vorsorge (ArbMedVV) – Online-Sehtest – Schulbedienstete – Bildschirmgeräte

Einleitung

Das Institut für Lehrergesundheit in Mainz (IfL) übernimmt den gesetzlichen Auftrag der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung der Landesbediensteten an Schulen in Rheinland-Pfalz (ca. 45.000 Personen an ca. 1600 Schulen). Dienstherr beziehungsweise Arbeitgeber der Landesbediensteten sowie Lehramtsanwärterinnen und -anwärter an staatlichen Schulen in Rheinland-Pfalz ist das Ministerium für Bildung.

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat zu zeitweisem Aussetzen des Präsenzunterrichts geführt (Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz 2020). In diesen Phasen konnte der Lehrbetrieb mittels Wechsel- und Fernunterricht aufrechterhalten werden. In diesem Zusammenhang ist die digitale Infrastruktur in der rheinland-pfälzischen Schullandschaft deutlich ausgebaut worden: Videokonferenzdienste ermöglichen, Teile des Präsenzunterrichts online abzuhalten, digitale Lernplattformen erlauben einen Austausch von Arbeitsmateria­lien und Aufträgen sowie den Einsatz interaktiver Lehrmethoden. Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern sowie dem pädagogischen Personal ist über E-Mail, Foren und Chats möglich (Pädagogisches Landesinstitut Rheinland-Pfalz 2020).

Der Wandel zu einer digitalen Lern- und Arbeitswelt an Schulen bedingt den vermehrten Einsatz digitaler Endgeräte und elektronischer Kommunikationsmittel (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019). Hierbei kommen in rheinland-pfälzischen Schulen neben freistehenden PCs auch Laptops, Tablets, interaktive Whiteboards sowie Kombinationen davon zum Einsatz.

Der Verordnungsgeber sieht bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten eine arbeitsmedizinische Angebotsvorsorge für Bedienstete vor (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2022). Ziel dieser Vorsorge ist es, Beschwerden, die durch Tätigkeiten am Bildschirm verursacht oder verstärkt werden, zu verhindern beziehungsweise abzumildern. Zudem soll die arbeitsmedizinische Vorsorge generell einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes leisten. Typische Gesundheits­beschwerden bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten betreffen den Bewegungsapparat, der durch ungünstige beziehungsweise einseitige ergonomische Bedingungen belastet werden kann. Ferner kann ein gestörtes Sehvermögen zu Beschwerden führen oder Fehlhaltungen bedingen, die sich insbesondere ebenfalls in Beschwerden des Bewegungsapparats manifestieren können. Insofern ist die arbeitsmedizinische Anamnese und Beratung für die Diagnostik Bildschirmarbeit-assoziierter Gesundheitsprobleme essentiell.

Der Dienstherr beziehungsweise Arbeitgeber ist verpflichtet, eine arbeitsmedizinische Angebotsvorsorge bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten regelmäßig anzubieten. Nach der ersten Vorsorge ist die zweite spätestens nach 12 Monaten, jede weitere spätestens nach 36 Monaten anzubieten (Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS] 2016, 2022). Entsprechend arbeitsmedizinischer Empfehlung können die Untersuchungsfristen auch verkürzt werden.

Die Vorsorge umfasst ein ärztliches Beratungsgespräch unter Berücksichtigung der Anamnese einschließlich der Arbeitsanamnese sowie gemäß ArbMedVV die „angemessene Untersuchung der Augen und des Sehvermögens“. Die Arbeitsmedizinische Regel (AMR) 14.1 konkretisiert diese angemessene Untersuchung dahingehend, dass der Sehtest eine Sehschärfebestimmung für den Nah- und Fernbereich (unter Berücksichtigung arbeitsplatzrelevanter Sehabstände), eine Prüfung der Stellung der Augen, eine Prüfung des zentralen Gesichtsfelds und eine Prüfung des Farbsinns beinhalten soll (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin [BAuA] 2013).

Sofern im Rahmen der Vorsorge festgestellt wird, dass eine spezielle Sehhilfe für die Tätigkeit am Bildschirmgerät notwendig ist, ist diese durch den Dienstherrn beziehungsweise Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen.

Mit Blick auf die vom Land Rheinland-Pfalz geplanten weiteren Digitalisierungsschritte fällt nahezu das gesamte pädagogische Personal unter die Vorgaben der ArbMedVV in Bezug auf Bildschirmtätigkeit (Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz, o. J.).

Bisweilen beantragen Schulbedienstete die Anschaffung einer speziellen Sehhilfe für den Bildschirmarbeitsplatz ohne vorherige arbeitsmedizinische Vorsorge. In diesen Fällen sind die Beantragenden gehalten, sich für eine arbeitsmedizinische Sprechstunde an das Institut für Lehrergesundheit zu wenden. Dieses führt die arbeitsmedizinische Sprechstunde im Sinne einer arbeitsmedizinischen Vorsorge als Online-Videosprechstunde mit ausführlicher Beratung inklusive eines orientierenden Online-Sehtests durch.

Frage- und Zielstellung

Grundsätzlich stellte sich für das IfL die Frage, welche Teilaspekte der arbeitsmedizinischen Tätigkeit sich durch telemedizinische Prozesse wie zum Beispiel die Online-Videosprechstunde adäquat abbilden lassen. Die Beratung zu Tätigkeiten an Bildschirmgeräten erschien hier prädestiniert, da sich die Bediensteten hierzu direkt am entsprechenden Gerät befinden können. Aus den gewonnenen Erfahrungen und Daten sollten folgende Fragen beantwortet werden:

  • Ist die Durchführung der Beratung zu Bildschirmarbeit via Online-Videosprechstunde praktikabel?
  • Kann diese anhand eines Fragebogens strukturiert durchgeführt und dokumentiert werden?
  • Ist die Durchführung eines orientierenden Online-Sehtests im Rahmen der Online-Videosprechstunde praktikabel?
  • Ergeben sich aus einem orientierenden Online-Sehtest relevante Erkenntnisse für die Beratung?
  • Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, ob die Entwicklung von einer anlassbezogenen Beratung bezüglich einer speziellen Sehhilfe am Bildschirmarbeitsplatz („Bildschirmbrille“) hin zu einer möglicherweise vollständigen Angebotsvorsorge bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten gemäß ArbMedVV als Online-Videosprechstunde mit orientierendem Online-Sehtest möglich sein könnte. Damit soll ein Beitrag zur von den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) und des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) formulierten Forderung nach Festlegung von Qualitätsanforderungen an die Telearbeitsmedizin geleistet werden (Kraus u. Panter 2021). Erste Ergebnisse werden deskriptiv dargestellt.

    Material und Methoden

    Online-Videosprechstunden werden den Landesbediensteten im Schuldienst in Rheinland-Pfalz durch das IfL schon seit mehreren Jahren regelhaft angeboten. Im Rahmen der Corona-Pandemie wurde dieses Angebot weiter ausgebaut.

    Ab Dezember 2021 erfolgte ausschließlich auf explizite Anfrage der Landesbediensteten im Schuldienst an die personalführende Schulaufsichtsbehörde (ADD) bezüglich der Kostenübernahme für eine Bildschirmbrille die Einladung zur Online-Videosprechstunde durch das IfL.

    In der im betreffenden Zeitraum durch vier Ärztinnen und Ärzte durchgeführten Online-Videosprechstunde erfolgte zunächst die übliche Vorstellung der Personen sowie eine Aufklärung über die formalen Rahmenbedingungen. Die Landesbediensteten hatten die Möglichkeit, ihr Anliegen und mögliche Unklarheiten frei zu formulieren. Danach wurde durch die Ärztinnen und Ärzte des IfL anhand eines strukturierten Fragebogens die Anamnese durchgeführt und dokumentiert. Der Fragebogen beruhte zunächst auf den bisherigen persönlichen oder telefonischen Beratungen zu Bildschirmarbeit und Bildschirmbrillen durch das IfL. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den Videosprechstunden wurde dieser kontinuierlich angepasst. Der zu Beginn in Papierform genutzte Fragebogen wurde im Verlauf digitalisiert und in einem Datenmanagementsystem angelegt. Der Fragebogen umfasste in seiner letzten Fassung 50 Hauptfragen mit 25 präzisierenden Nachfragen, die nur bei entsprechender Antwort auf die Hauptfrage gestellt wurden. Zum Abschluss der Video-Sprechstunde erfolgte eine ausführliche und umfassende arbeitsmedizinische Beratung. Es folgten 21 Abfragen zur Dokumentation der durchgeführten Beratung und des orientierenden Online-Sehtests.

    Initial stand die Frage nach der betriebsärztlichen Einschätzung zur Klärung der Kostenübernahme für eine spezielle Sehhilfe durch den Arbeitgeber im Vordergrund der Konsultation. Im Verlauf entwickelte sich die Beratung mehr und mehr zu einer umfassenden Sprechstunde zur Tätigkeit an Bildschirmgeräten mit den Schwerpunkten allgemeine Anamnese, umfassende Arbeitsanamnese und Beschwerdebild. Der orientierende Online-Sehtest war für den eigentlichen Beratungsanlass „Bildschirmbrille“ von nachgeordneter Bedeutung.

    Prozessbeschreibung

    Es wurde der folgende Prozess entwickelt:

    Vor der Sprechstunde:

  • Die Bediensteten melden sich bei der personalführenden Schulaufsichtsbehörde mit Fragen zu einer „Bildschirmbrille“.
  • Information der Bediensteten bezüglich der formalen Rahmenbedingungen durch die personalführende Schulaufsichtsbehörde und Verweis an das IfL zur arbeitsmedizinischen Beratung.
  • Die Bediensteten wenden sich mit ihrem Anliegen an das IfL und erhalten weitere Informationen zur Online-Videosprechstunde.
  • Online-Terminvereinbarung der Videosprechstunde durch die Bediensteten an von den Ärztinnen und Ärzten des IfL zuvor freigegebenen Terminen.
  • Während der Sprechstunde:

  • Ärztliche Anamnese einschließlich allgemeiner Anamnese, umfassender Arbeitsanamnese und Beschwerden anhand des digitalen, strukturierten Fragebogens mit Dokumentation der Antworten.
  • Ausführliche arbeitsmedizinische Beratung.
  • Durchführung des orientierenden Online-Sehtests mit Dokumentation.
  • Besprechung der gewonnenen Erkenntnisse und des weiteren Ablaufs.
  • Bei (technischen) Problemen: Wechsel auf eine Telefonsprechstunde (ohne Online-Sehtest).
  • Nach der Sprechstunde:

  • Abschließende Dokumentation.
  • Gegebenenfalls Besprechung der Fälle im Rahmen einer ärztlichen Fallkonferenz (bestehend aus ärztlichen Mitarbeitenden und ärztlicher Leitung des IfL).
  • Gegebenenfalls Erstellung und Zusendung einer arbeitsmedizinischen Stellungnahme bezüglich der Empfehlung einer speziellen Sehhilfe am Bildschirmarbeitsplatz durch das IfL an die Bediensteten zur Weiterleitung an die personalführende Schulaufsichtsbehörde.
  • Durch Optikerin/Optiker oder Augenärztin/-arzt erfolgen im Anschluss der gegebenenfalls notwendige Sehtest und die Refraktionsbestimmung im Zuge der Anpassung einer speziellen Sehhilfe für den Bildschirmarbeitsplatz (Bildschirmbrille).
  • Online-Videosprechstunde und Online-Terminvereinbarung

    Die Auswahl eines geeigneten Anbieters für eine Online-Videosprechstunde erfolgte auf Basis der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung veröffentlichten Liste zertifizierter Anbieter (KBV 2022). Der Anbieter stellt auch ein Programm zur Online-Terminvereinbarung zur Verfügung. Durch Online-Buchung des Termins wird die entsprechende Online-Videosprechstunde automatisch angelegt und kann von der zuständigen Ärztin oder dem zuständigen Arzt eröffnet werden. Die Vorgaben zum Datenschutz werden beachtet.

    Standardisierter Fragebogen

    Der angepasste Fragebogen umfasste in seiner letzten Fassung 50 Hauptfragen mit 25 präzisierenden Nachfragen, die nur bei entsprechender Antwort auf die Hauptfrage gestellt wurden. Es schlossen sich 21 Angaben zur Dokumentation des Online-Sehtests und der Beratungsinhalte an. Für die vorliegende Arbeit wurden die in ➥ Tabelle 1 aufgeführten ausgewählten Fragen und Angaben ausgewertet. Der Fragebogen diente sowohl zur standardisierten Daten­erhebung als auch als Gesprächsleitfaden für die entsprechende Ärztin/den entsprechenden Arzt.

    Orientierender Online-Sehtest

    Im Rahmen der Online-Videosprechstunde bestand die Möglichkeit, durch Freigabe des eigenen Bildschirms Dokumente oder Programme über die gesicherte Verbindung miteinander zu teilen. Diese Funktion wurde genutzt, um im Rahmen der Online-Videosprechstunden einen orientierenden Online-Sehtest durchzuführen. Dieser sollte im Sinne einer Screening-Untersuchung dabei unterstützen, einen Hinweis auf relevante Visuseinschränkungen in Bildschirmdistanz zu erhalten.

    Zunächst erfolgte eine Größenkalibrierung anhand einer regulären Scheckkarte. Hierzu wurde das Bild einer Scheckkarte von der Untersucherin/vom Untersucher im Rahmen der Online-Videosprechstunde mit den Bediensteten geteilt. Das Bild einer Scheckkarte war nun auf deren Monitor zu sehen. Die Bediensteten legten daraufhin eine reale Karte im Scheckkartenformat auf die entsprechende Stelle des Bildschirms. Daraufhin wurde die virtuell geteilte Scheckkarte durch die untersuchende Person so lange in der Größe angepasst, bis die Ausmaße der virtuellen und realen Karte nach Rückmeldung der Bediensteten übereinstimmten. Im Anschluss wurden Landolt-Ringe in verschiedenen Größen durch die Untersucherin/den Untersucher aufgerufen und geteilt. Die Antwort der Bediensteten wurde entsprechend dokumentiert. Je nach richtig erkannter kleinster Ringgröße wurde das Ergebnis „< 0,5“; „0,5“; „0,7“; „0,8“ oder „1,0“ ausgegeben. Es handelt sich hierbei um eine orientierende Angabe, die aber aufgrund nicht vorhandener Standardisierung nicht direkt mit der des Visus gleichgesetzt werden kann. Während der gesamten Durchführung konnten die Ärztinnen und Ärzte die Bediensteten über die Kameraübertragung beobachten. Somit konnten Besonderheiten bei der Durchführung wie auffällige Kopf- oder Augenbewegungen sowie einer Veränderung des Sehabstands erkannt und dokumentiert werden. Die Bediensteten wurden angehalten, den Sehtest mit der Sehhilfe durchzuführen, die sie im Rahmen der Bildschirmarbeit üblicherweise nutzen.

    Datenerfassung und -auswertung

    Der Fragebogen diente nicht nur als strukturierter Gesprächsleitfaden, sondern beinhaltet gleichzeitig die Dokumentation der Sprechstunden zum Thema Bildschirmarbeit in einer Datenbank. Die vorliegenden Daten wurden deskriptiv ausgewertet.

    Für diese Arbeit wurden die Daten von der ersten dokumentierten Online-Videosprechstunde in diesem Kontext am 22.12.2021 bis zum Stichtag der Auswertung am 26.07.2022 verwendet.

    Ergebnisse

    Im Zeitraum 22.12.2021 bis 26.07.2022 wurden 30 arbeitsmedizinische Sprechstunden zu Bildschirmarbeit und Bildschirmbrille erfasst. In vier Fällen war die Durchführung als Videosprechstunde aufgrund von technischen oder anwenderbedingten Problemen auf Seiten der Bediensteten nicht möglich und es erfolgte eine Telefonsprechstunde.

    Tabelle 2:  Studienkollektivbeschreibung (n = 30) nach Geschlecht, Alter, Schulform und vorhandener SehhilfeTable 2: Description of the study population (n = 30) by gender, age, school type, and existing visual aid

    Tabelle 2: Studienkollektivbeschreibung (n = 30) nach Geschlecht, Alter, Schulform und vorhandener Sehhilfe
    Table 2: Description of the study population (n = 30) by gender, age, school type, and existing visual aid

    Studienkollektiv

    Die Beschreibung des Studienkollektivs nach Geschlecht, Alter, Schulform und vorhandener Sehhilfe ist in ➥ Tabelle 2 dargestellt.

    Das Geschlechterverhältnis war ausgeglichen. Es zeigte sich eine Verteilung über alle Schulformen. Alle Bediensteten nutzten eine Sehhilfe.

    Abb. 1: Darstellung der Angabe des Studienkollektives zu der Frage „Was sind Ihre Haupttätigkeiten am Bildschirmgerät?“. Eine Mehrfachnennung war möglich (n = 30)
    Fig. 1: Results from the question “What are your main screen-related activities?”. Multiple answers were possible (n = 30)

    Abb. 2: Wie viele Stunden arbeiten Sie täglich dienstlich in der Schule bzw. zu Hause an einem Bildschirmgerät?“ (n = 30)
    Fig. 2: “How many hours a day do you spend working at a visual display unit in school and at home?” (n = 30)

    Abb. 3: Verteilung der Ergebnisse des orientierenden Online-Sehtests
    in absoluten Zahlen und Prozenten des Studienkollektivs (n = 30)
    Fig. 3: Distribution of the results of the orienting online eye test in absolute numbers and percentages of the study group (n = 30)

    Tätigkeitsbeschreibung

    Bei der Frage nach den hauptsächlich am Bildschirmgerät ausgeübten Tätigkeiten (Mehrfachnennung möglich) wurden administrative Tätigkeiten (19; 63 %) und Unterrichtsvorbereitung (16; 53 %) am häufigsten genannt. Unterrichten wurde etwas seltener angegeben (12; 40 %) und die Teilnahme an Konferenzen wurde sechsmal (20 %) angegeben (➥ Abb. 1).

    26 Personen (90 %) gaben an, dass die Dateneingabe aus einer Vorlage (z. B. Eingabe von Noten) Bestandteil der Bildschirmarbeit sei. 23 Personen (79 %) gaben an, dass sie parallel zur Bildschirmarbeit in einer anderen Distanz fokussieren müssten (z. B. aufgrund von Personenkontakt).

    Die angegebene durchschnittliche tägliche dienstliche Arbeitszeit an Bildschirmgeräten ist in ➥ Abb. 2 dargestellt. Im Durchschnitt betrug diese nach Angaben der Bediensteten 3,5 Stunden in der Schule (Median 4 Stunden) und 1,6 Stunden zu Hause (Median 1 Stunde). Die einzelnen Zeitangaben der Bediensteten lagen jeweils zwischen 0 und 7 Stunden.

    Beschwerden

    27 Personen (90 % des Studienkollektivs) gaben an, unter unscharfem Sehen und/oder unter Schulter-/Nackenbeschwerden zu leiden. Bei den drei übrigen Personen bestanden andere asthenopische Beschwerden wie trockene Augen, Augenbrennen, Augenschmerzen oder eine Ermüdung der Augen bei der Bildschirmarbeit. Die Angaben bezüglich unscharfem Sehen und Schulter-/Nackenbeschwerden sind in ➥ Tabelle 3 als Vierfeldertafel dargestellt.

    23 (77 %) Bedienstete gaben an, unter Schulter-/Nackenbeschwerden zu leiden, 20 (66 %) gaben anamnestisch „unscharfes Sehen“ als Beschwerde an. Über die Hälfte der Befragten (16; 53 %) berichtete sowohl von Schulter-/Nackenbeschwerden und von unscharfem Sehen.

    Nur vier (13 %) der Bediensteten berichteten ausschließlich von unscharfem Sehen. Ausschließlich Schulter-/Nackenbeschwerden wurden von sieben (23 %) Bediensteten angegeben.

    Zwölf der 27 (44 %) von Beschwerden betroffenen Bediensteten gaben an, in den Schulwochen im Vergleich zu den Ferien mehr unter Beschwerden zu leiden. Von den 20 Personen, die unscharfes Sehen angaben, berichteten 19 (95 %), dies betreffe die „Bildschirmdistanz“. Unscharfes Sehen beim Lesen in der Nähe wurde von 17 der 20 Personen (85 %) angegeben. Die Fernsicht war bei sechs der 20 Personen (30 %) vom unscharfen Sehen betroffen.

    Weitere asthenopische Beschwerden wurden erst im Verlauf systematisch erfasst und sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.

    Orientierender Online-Sehtest

    Die Ergebnisse des orientierenden Online-Sehtests sind in ➥ Abb. 3 dargestellt. Insgesamt wurde der orientierende Online-Sehtest 26-mal durchgeführt, viermal konnte der Test aufgrund von technischen Problemen der Bediensteten nicht durchgeführt werden. Das Ergebnis wurde am häufigsten mit „1“ und „0,8“ (10; 33 % bzw. 11; 37 %) ausgegeben. Es folgten nach Häufigkeit die Ergebnisse „0,7“ (4; 13 %) und „0,5“ (1; 4 %).

    Empfehlung

    In allen Fällen wurde eine arbeitsmedizinische Empfehlung für eine spezielle Sehhilfe am Bildschirmarbeitsplatz ausgesprochen und den Bediensteten zugesandt. Die Empfehlung erfolgte im Wesentlichen auf Grundlage der im Rahmen der ärztlichen Anamneseerhebung geschilderten typischen Beschwerden sowie auf der ärztlichen Beobachtung der Person während der Online-Sprechstunde. Bei 28 Personen (93 %) erfolgte die Empfehlung einer „Raumkomfortbrille“. In zwei Fällen (7 %) wurde eine Brille mit Einstärkengläsern empfohlen. Empfehlungen zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung wurden erst im Verlauf systematisch dokumentiert und sind somit nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

    Tabelle 3:  Anamnestische Beschwerden des Studienkollektives (n = 30)Table 3: Anamnestic complaints of the study group (n = 30)

    Tabelle 3: Anamnestische Beschwerden des Studienkollektives (n = 30)
    Table 3: Anamnestic complaints of the study group (n = 30)

    Diskussion

    Die vorliegende Arbeit beschreibt Erfahrungen und Ergebnisse einer Pilotstudie zur Online-Vorsorge bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten bei Bediensteten an Schulen in Rheinland-Pfalz. Hierbei konnten zum Stichtag Daten von 30 Bediensteten ausgewertet werden. Diese hatten bei ihrer personalführenden Stelle (ADD) einen Antrag auf eine spezielle Sehhilfe für den Bildschirmarbeitsplatz gestellt. Daraufhin erfolgte eine arbeitsmedizinische Sprechstunde im Sinne einer arbeitsmedizinischen Vorsorge mittels Online-Sprechstunde inklusive orientierendem Online-Sehtest durch das IfL. Der Schwerpunkt lag auf der arbeitsmedizinischen Beratung der Bediensteten. Es handelte sich um ein kleines, stark selektiertes Studienkollektiv. Alle Bediensteten hatten eigeninitiativ bei ihrem Arbeitgeber die Kostenübernahme für eine spezielle Sehhilfe (Neuantrag oder Folgeantrag) am Bildschirmarbeitsplatz angefragt und waren mit einer aktuellen Alltagssehhilfe versorgt. In den meisten Fällen lag ein aktueller Sehtest oder eine entsprechende Empfehlung für eine Bildschirmbrille durch eine Augenärztin/einen Augenarzt oder eine Augenoptikerin/einen Augenoptiker vor. Abgesehen von zwei Ausnahmen waren alle Bediensteten älter als 45 Jahre und somit in einem Alter, in dem die Akkommodationsfähigkeit des Auges deutlich abnimmt und spezielle Sehhilfen am Arbeitsplatz notwendig werden können. Das Studienkollektiv war dadurch gut geeignet, um sich wissenschaftlich mit den generellen Möglichkeiten und Limitationen von Telemedizin und Online-Videosprechstunden in Hinblick auf arbeitsmedizinische Vorsorge auseinanderzusetzen. Die Erkenntnisse sind aufgrund der beschriebenen Einschränkungen nicht ohne weiteres auf die herkömmliche Angebotsvorsorge bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten nach ArbMedVV übertragbar. Nach pflichtgemäßem arbeitsmedizinischem Handeln (§ 3 ASiG) sind unter anderem die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten. Daher sollen hier die spezielle Vorgehensweise und die Untersuchungsergebnisse dargestellt und zur Diskussion gestellt werden.

    Anfragen nach „Bildschirmarbeitsplatzbrillen“ bei Bediensteten gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Im Rahmen der SARS-CoV2-Pandemie kam es allerdings zu einer deutlichen Zunahme dieser Anfragen. Wenn auch schon vor der Pandemie Tätigkeiten an Bildschirmgeräten bei Bediensteten an Schulen im Zuge der Vor- und Nachbereitung von Unterrichtsinhalten, Korrekturen und anderer Tätigkeiten eine Rolle spielten, so intensivierte die Pandemie die Nutzung digitaler Endgeräte auf verschiedene Art und Weise deutlich (Huber et al. 2020). Diese pandemiebedingte Notwendigkeit führte auch dazu, dass sich bis dahin eher unerfahrene oder den digitalen Möglichkeiten eher ablehnend gegenüberstehende Menschen mit der Anwendung von digitalen Endgeräten auseinandersetzen mussten. Auch im Bereich des Gesundheitswesens führte die Pandemie zu einem Schub in der Entwicklung und Anwendung telemedizinischer Verfahren (Golinelli et al. 2020). In vielen Bereichen der kurativen Medizin sind telemedizinische Konzepte wie die Online-Videosprechstunde oder telemedizinische Konsile,
    Teledermatologie oder Teleradiologie bereits seit Längerem etabliert oder in Erprobung. In der Arbeitsmedizin ist ein regelhafter und flächendeckender Einsatz noch nicht etabliert (Kraus u. Panter 2021).

    Die hier beschriebene Pilotstudie leistet einen Beitrag zur Frage, ob sich telemedizinische Verfahren in der arbeitsmedizinischen Vorsorge bewähren

    Das Geschlechterverhältnis im Studienkollektiv war ausgewogen und Frauen somit im Vergleich zu ihrem Anteil an der Grundgesamtheit der Bediensteten im staatlichen Schuldienst in Rheinland-Pfalz (71 %) unterrepräsentiert (Institut für Lehrergesundheit 2019).

    Bezüglich der Schulart ergaben sich folgende Unterschiede: am häufigsten nahmen Bedienstete von berufsbildenden Schulen (BBS [27 %]), gefolgt von Grundschulen (23 %) und Gymnasien (20 %) teil. Insgesamt sind in Rheinland-Pfalz über 60 % der Bediensteten an Grundschulen, 10 % an Gymnasien und weniger als 5 % an BBS tätig (Institut für Lehrergesundheit 2019). Somit waren insbesondere BBS im Vergleich zur Grundgesamtheit über- und Grundschulen unterrepräsentiert.

    93 % der Bediensteten waren älter als 45 Jahre. Somit war der weit überwiegende Anteil in dem typischen Alter, in dem eine relevante Einschränkung der Akkommodationsfähigkeit auftritt und eine spezielle Sehhilfe nötig werden kann (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. [DGUV] 2022).

    Es wurde nach der durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit an einem Bildschirmgerät gefragt. Im untersuchten Kollektiv arbeiteten die Bediensteten im Median vier Stunden in der Schule und etwa eine Stunde zu Hause an einem Bildschirmgerät. Auffällig war die große Spannweite der Angaben (0–7 Stunden in der Schule bzw. 0–6 Stunden zu Hause). Dies zeigt, dass es große Unterschiede in den Arbeitszeiten am Bildschirm gibt. Mögliche Einflussgrößen könnten beispielsweise Schulart oder dienstliche Aufgaben sowie persönliche Eigenschaften sein. In jedem Fall wird deutlich, dass eine individuelle Anamnese und Beurteilung erforderlich ist.

    Bei der Frage nach den Haupttätigkeiten am Bildschirmgerät wurden „administrative Tätigkeiten“ am häufigsten genannt. Dies deutet darauf hin, dass Bedienstete mit Zusatzfunktionen und Aufgaben im administrativen Bereich einen besonderen Beratungsbedarf bezüglich Bildschirmarbeit haben könnten. Am zweithäufigsten wurde „Unterrichtsvorbereitung“ genannt. Ob diese gegebenenfalls vermehrt zu Hause verrichtet wird und eine entsprechend angepasste Beratung zu mobiler Arbeit wichtig sein könnte, sollte in zukünftigen Auswertungen berücksichtigt werden. Das Unterrichten selbst (online, Computerraum etc.) und die Teilnahme an Konferenzen wurde weniger häufig als Haupttätigkeit genannt und könnte bezüglich Beschwerden bei der Bildschirmarbeit weniger relevant sein. Der Großteil der Bediensteten gab an, parallel zur Bildschirmarbeit auch in anderer Distanz fokussieren zu müssen (z. B. Personenkontakt, Nutzung eines Bildschirmgeräts im Präsenzunterricht) und Eingaben aus Vorlagen vorzunehmen. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um Tätigkeiten wie das Eingeben von Noten oder Daten aus Papiervorlagen in digitale Endgeräte. Sollten sich diese Beobachtungen bestätigen, könnte eine Monofokalbrille für die meisten Bediensteten, die eine spezielle Sehhilfe benötigen, nicht ausreichen. „Raumkomfortbrillen“ wären in diesem Fall – wie in unserem Kollektiv – für Tätigkeiten mit Personenkontakt und Eingaben aus Vorlagen weit überwiegend zu empfehlen. In der aktuell meist vorherrschenden Unterrichtssituation sollten in der Regel Alltagssehhilfen weiterhin besser geeignet sein.

    Die meisten Bediensteten (63 %) hatten eine Gleitsichtbrille. Lesebrille, Fernbrille und Kontaktlinsen folgten in abnehmender Häufigkeit. Somit hatten im vorliegenden Kollektiv insbesondere Personen mit Gleitsichtbrille Bedarf an einer Beratung bezüglich der Tätigkeit an Bildschirmgeräten. Unser kleines Kollektiv lässt zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar noch keine finalen Rückschlüsse oder Korrelationsanalysen zu, allerdings ist es plausibel und vielfach beschrieben, dass Nutzende von Gleitsichtbrillen gehäuft an Beschwerden an Bildschirmarbeitsplätzen leiden. Dies liegt meist an einer Zwangshaltung mit Hyperlordosierung der Halswirbelsäule (HWS), die Personen einnehmen, um den Bildschirm durch den Nahteil/Leseteil der Universalgleitsichtbrille zu betrachten. Ein längeres Arbeiten in dieser Position mit angespannter Nackenmuskulatur kann zu muskulären Verspannung führen (Sánchez-Brau et al. 2021; Kittel 2017). Nichtsdestotrotz können viele Arten schlecht oder nicht korrigierter Sehfehler zu Beschwerden am Bildschirmarbeitsplatz führen. Unter Umständen kann eine Beratung zu einer augenärztlichen Konsultation und Durchführung einer umfassenden Untersuchung notwendig sein.

    In der Anamnese gaben 27 der 30 Bediensteten (90 %) an, unter unscharfem Sehen und/oder Beschwerden im Schulter-/Nackenbereich zu leiden. Auffällig war hierbei insbesondere, dass mit 16 Bediensteten über die Hälfte des Gesamtkollektives (53 %) sowohl Sehbeschwerden als auch Beschwerden im Schulter-/Nackenbereich angaben. Die angegebenen Beschwerden zeigen, dass bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten eine Beurteilung des Sehvermögens alleine ohne ergonomische Beratung nicht zielführend ist.

    Der orientierende Online-Sehtest kam im Rahmen der hier durchgeführten Pilotstudie als eine Art Screening-Instrument zum Einsatz. Es war nicht geplant, hierdurch einen validierten Sehtest zu ersetzen. Da es sich um eine bisher noch nicht standardisierte oder validierte Methode handelt, sollten erste Erfahrungen in der Durchführung im arbeitsmedizinischen Kontext gesammelt werden. Zu diesem Zweck wurde ein vereinfachter Sehtest (lediglich beidäugige Testung des
    Visus im individuellen Bildschirmsehabstand mittels Landolt-Ringen) angeboten. Eine Kalibrierung an die jeweiligen Bedingungen des Bediensteten (Bildschirmdiagonale, Auflösung etc.) wurde mittels einer Scheckkarte vorgenommen (siehe oben, „Material und Methoden“). Einschränkend muss bedacht werden, dass eine Standardisierung der Untersuchungsbedingungen in Bezug auf unter anderem Beleuchtung und Abstand vom Bildschirm nicht durchgeführt wurde und auch kaum zu realisieren sein dürfte. Es stellte sich die Frage, ob ein orientierender Online-Sehtest dennoch im arbeitsmedizinischen Kontext unterstützend einsetzbar ist.

    Ein Vorteil des Online-Sehtests stellt aus Sicht des Autorenteams die Tatsache dar, dass die Bediensteten von der Ärztin/dem Arzt während des orientierenden Online-Sehtests mittels Webcam über die Software der Online-Videosprechstunde beobachtet werden. Diese Beobachtung lieferte wichtige Informationen zur Körperhaltung, zur Verwendung der Sehhilfe, zu auffälligen Kopfbewegungen mit dem Zweck den Leseabstand anzupassen oder bezüglich offensichtlichen Anstrengungszeichen wie zum Beispiel dem Zusammenkneifen der Augen. Die ersten Erfahrungen weisen darauf hin, dass gerade diese Erkenntnisse in Zusammenschau mit den anamnestischen Angaben wichtig sind, um eine zielführende Beratung zu Ergonomie und zum möglichen Nutzen einer speziellen Sehhilfe für den Bildschirmarbeitsplatz durchzuführen. Das als Zahl angegebene Ergebnis des Online-Sehtests kann hier als ergänzender Baustein betrachtet werden. Dieser kann nach unserer Erfahrung in keinem Fall als alleiniges „diagnostisches“ Kriterium betrachtet werden.

    Es zeigte sich bei den meisten Teilnehmenden ein Ergebnis von mindestens 0,8 im orientierenden Online-Sehtest. Dennoch wurden anamnestisch Sehprobleme am Bildschirmarbeitsplatz angegeben und/oder es wurden bei der Durchführung des orientierenden Online-Sehtests Auffälligkeiten beobachtet. Somit kann der orientierende Online-Sehtest als ergänzender Baustein in Zusammenschau mit den anamnestischen Angaben dienen. Ein Sehtest und die Refraktionsbestimmung durch eine Optikerin/einen Optiker oder die Augenärztin/den Augenarzt blieb im Zuge der Anpassung einer speziellen Sehhilfe für den Bildschirmarbeitsplatz (Bildschirmbrille) natürlich notwendig.

    Die grundsätzliche technische Durchführbarkeit eines Online-Sehtests im Rahmen einer Videosprechstunde hat sich im Rahmen dieser Pilotstudie bewährt und sollte in zukünftigen Studien an größeren Kollektiven überprüft werden. Konzipiert wurde die Beratung auf Basis einer Online-Videosprechstunde, eines standardisierten Fragebogens sowie eines orientierenden Online-Sehtests. Bis auf vier Ausnahmen wegen Problemen auf Seiten der Bediensteten konnten die Online-Videosprechstunden erfolgreich durchgeführt werden.

    Die Verwendung eines von der KBV gelisteten, nach Bundesmantelvertrag Ärzte zertifizierten Online-Videosprechstunden-Anbieters stellte sich als praktikabel und unkompliziert in der Durchführung heraus. Die Online-Videosprechstunde hat sich in der betriebsärztlichen Betreuung von Bediensteten an Schulen in Rheinland-Pfalz in der Vergangenheit bereits im Kontext der Corona-Wunschvorsorge bewährt (Kegel et al. 2021).

    Limitationen ergeben sich insbesondere durch das kleine Kollektiv und durch die Selektion (Bedienstete, die eine Bildschirmbrille beantragten und bereits Sehhilfen nutzten). Damit ist eine Übertragbarkeit auf die Grundgesamtheit der Bediensteten an Schulen derzeit nicht möglich. Bei der vorliegenden Auswertung handelt es sich um erste Daten einer Pilotstudie, in der die grundsätzliche Praktikabilität einer Online-Vorsorge für Tätigkeiten am Bildschirmarbeitsplatz bei Bediensteten an Schulen in RLP getestet wurde

    Schlussfolgerungen

    Die im Rahmen dieser Pilotstudie gewonnenen ersten Erfahrungen und Ergebnisse zeigen, dass sich die Online-Videosprechstunde grundsätzlich als Mittel zur Durchführung einer Vorsorge zum Thema Bildschirmtätigkeit eignen könnte. Alle für den hier vorliegenden Kontext notwendigen Informationen und Beratungsinhalte können mit den Teilnehmenden besprochen werden. Gegenüber einem Telefonat bestehen deutliche Vorteile. In der Online-Videosprechstunde besteht die Möglichkeit, Einsicht in Dokumente zu nehmen und die Bediensteten während der Sprechstunde zu beobachten. Somit können wichtige Informationen in Bezug auf die ergonomischen Gegebenheiten, die Körperhaltung, die Sehhilfe und die Arbeitsumgebung gesammelt werden und in die Beratung einfließen. Prinzipiell wäre auch im Rahmen der Videosprechstunde eine orientierende ergonomische Beurteilung des speziellen Arbeitsplatzes, von dem aus die Videosprechstunde durchgeführt wird, möglich und sollte bei weiteren Untersuchungen berücksichtigt werden.

    Der standardisierte Fragebogen hat sich sowohl als Gesprächsleitfaden als auch zur strukturierten Dokumentation gut bewährt.

    Ein orientierender Online-Sehtest kann hierbei als ergänzender Baustein unter Beachtung bestimmter Limitationen (u.a. fehlende Standardisierung der Untersuchungsbedingungen) in die Online-Videosprechstunde integriert werden. Eine Standardisierung und Validierung gegenüber einem handelsüblichen Sehtest ist notwendig, um valide Aussagen zur Wertigkeit des orientierenden Online-Sehtests zu treffen. Aufgrund der Konzeption des orientierenden Online-Sehtests als beidäugige Testung ausschließlich in der individuellen Bildschirmdistanz können die Anforderungen nach AMR 14.1 an eine „angemessene Untersuchung der Augen und des Sehvermögens“ nicht erfüllt werden. Es zeigt sich aber bereits jetzt, dass insbesondere durch die Möglichkeit, die Bediensteten während der Testdurchführung zu beobachten, in Verbindung mit einer orientierenden Untersuchung des Sehvermögens am betreffenden Arbeitsplatz beratungsrelevante Erkenntnisse gesammelt werden können.

    Gegenüber einer persönlichen Konsultation muss einschränkend erwähnt werden, dass die untersuchende Person nicht direkt vor Ort Hilfestellung zum Beispiel bei ergonomischen Problemen oder Anpassungen von Arbeitsmitteln geben kann.

    In einem nächsten Schritt soll die Studie über einen Zeitraum von einem Jahr an etwa 1000 Personen an einem weniger selektierten Kollektiv weitergeführt werden. Im Anschluss an die Online-Videosprechstunde mit ausführlicher arbeitsmedizinischer Beratung inklusive orientierendem Online-Sehtest soll in der geplanten Weiterführung ein Sehtest mit einem handelsüblichen Sehtestgerät vor Ort nach AMR 14.1 in den Schulen durchgeführt werden. Es ist geplant, dann Daten zur Vergleichbarkeit der Beratungs- und Ergebnisqualität zwischen reiner Online-Vorsorge mit orientierendem Online-Sehtest und der Kombination aus Online-Vorsorge mit orientierendem Online-Sehtest und Untersuchung nach AMR 14.1 zu generieren. Durch die geplante Studie wird sich die Praktikabilität und diagnostische Wertigkeit des orientierenden Online-Sehtests im Rahmen der arbeitsmedizinischen Beratung zur Tätigkeit an Bildschirmgeräten besser beurteilen lassen.

    Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Bekanntmachung von Arbeitsmedizinischen Regeln. hier: AMR 14.1 „Angemessene Untersuchung der Augen und des Sehvermö- gens“. Bek. d. BMAS v. 4.12.2013 - IIIb1-36628-15/2. GMBl 2013; 63: 1264. (https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…k/AMR/pdf/AMR-14-1.pdf?__blob=publicationFile&v=1).

    Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2022): Verordnung zur
    arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Arbeitsmedizinische Vorsorge nach
    der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Stand Juli 2019. https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/a453-arbeitsm… (zuletzt aktualisiert am 28.07.2022, zuletzt geprüft am 28.07.2022).

    Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Bekanntmachung von Empfehlungen von Arbeitsmedizinischen Regeln. Hier: AMR Nr. 2.1 „Fristen für die Veranlassung/das Angebot arbeitsmedizinischer Vorsorge“. Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed), 2016, zuletzt geprüft am 29.07.2022.

    Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bekanntmachung der Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die Länder nach Artikel 104c des Grundgesetzes zur Förderung der kommunalen Bildungsinfrastruktur Verwaltungsvereinbarung DigitalPakt Schule 2019 bis 2024). Unter Mitarbeit von Ingo Ruhmann. Berlin: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 2019, zuletzt geprüft am 29.07.2022.

    Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV): DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen. 1. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2022.

    Golinelli D, Boetto E, Carullo G, Nuzzolese AG, Landini MP, Fantini MP: Adoption of digital technologies in health care during the COVID-19 pandemic: Systematic review of early scientific literature. J Med Internet Res 2020; 22: e22280.

    Huber SG, Helm C, Günther PS, Schneider N, Schwander M, Pruitt J, Schneider JA: COVID-19: Fernunterricht aus Sicht der Mitarbeitenden von Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. PFLB 2020; 2: 27–44.

    Institut für Lehrergesundheit (2019): Gesundheitsbericht über die staatlichen Bediensteten im Schuldienst in Rheinland-Pfalz. Schuljahr 2016/2017. Unter Mitarbeit von Letzel S, Beutel T, Bogner K et al. 2019. https://www.unimedizin-mainz.de/fileadmin/kliniken/ifl/Dokumente/2018-1….

    Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV): Zertifizierte Videodienstanbieter (Stand: 27.07.2022).

    Kegel P, Becker J, Dahlke E, Rose D-M, Letzel S: Corona-Wunschvorsorge via Telefon und Online- Videosprechstunde. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 4: 204–214.

    Kittel R: Brillenversorgung am Bildschirmarbeitsplatz. Fehlsichtigkeiten und deren Korrektion – Brillenverordnung – Brillenpass. ASU Arbeitsmed Sozialmed umweltmed 2017; 52: 813–817.

    Kraus T, Panter W: Evaluation und Monitoring der arbeitsmedizinischen Versorgung. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: 473–479.

    Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz: Umsetzung des Zusatzes zur Verwaltungsvereinbarung DigitalPakt Schule 2019 bis 2024 („Leihgeräte für Lehrkräfte“)
    in Rheinland-Pfalz. Einrichtung von Pools mobiler Endgeräte an Schulen zur Aus­leihe an Lehrkräfte. https://isb.rlp.de/fileadmin/user_upload/Foerderprogramme/
    DigitalPakt_IV/Zusatzvereinbarung.pdf (zuletzt geprüft am 02.08.2022).

    Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz: Umsetzung der Beschlüsse. 2020.
    https://corona.rlp.de/fileadmin/bm/Bildung/Corona/Umsetzung_der_Beschlu… (zuletzt geprüft am 29.07.2022).

    Pädagogisches Landesinstitut Rheinland-Pfalz: Hinweise für den Fernunterricht
    mit digitalen Systemen. 2020 (zuletzt geprüft am 29.07.2022).

    Sánchez-Brau M, Domenech-Amigot B, Brocal-Fernández F, Seguí-Crespo M:
    Computer vision syndrome in presbyopic digital device workers and progressive
    lens design. Ophthalm Physiol Optics 2021; 41: 922–931.

    Kontakt

    Dr. med. Fabian Darstein
    Institut für Lehrergesundheit am Institut für Arbeits- Sozial- und Umweltmedizin
    Universitätsmedizin Mainz
    Kupferbergterrasse 17
    55116 Mainz
    fabian.darstein@unimedizin-mainz.de

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