Den Einsatz der Ergometrie im Rahmen arbeitsmedizinischer Untersuchungen zu überprüfen, ist sicherlich angezeigt. An den Ausführungen in dem aktualisierten Leitfaden haben wir jedoch einige Kritikpunkte, wie folgend dargestellt. Hiermit wollen wir auch anregen zu überdenken, welchen Stellenwert die Ergometrie in der arbeitsmedizinischen Vorsorge in Zukunft haben soll.
1. Die präventiv-diagnostische Indikation für eine Ergometrie
Die Ausführungen hierzu entsprechen nicht dem aktuellen Wissenstand. So wurde von den entsprechenden Fachgesellschaften die Ergometrie im Sinne einer „Untersuchungsmethode als erste Stufe der Diagnostik“ bezüglich arterieller Hypertonie, koronarer Herzkrankheit (KHK) oder Herzrhythmusstörungen abgelehnt. Diese Diagnosen werden im Leitfaden jedoch explizit als präventiv-diagnostische Indikation für eine Ergometrie genannt. Dies ist zu verneinen. Im Einzelnen:
Arterielle Hypertonie: Die Ergometrie ist nicht einmal Bestandteil des diagnostischen Algorithmus für die arterielle Hypertonie, weder in der Leitlinie des American College of Cardiology 2017 noch in der Leitlinie der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC) 2013. In Letzterer wird sie im Rahmen der Diagnostik nur für Endorganschäden, kardiovaskuläre Erkrankungen oder chronische Nierenerkrankungen und nur in den folgenden Fällen empfohlen:
Koronare Herzerkrankung: Die Ergometrie ist keine Screening-Methode für augenscheinlich Gesunde bezüglich einer KHK. In der nationalen Versorgungsleitlinie KHK 4. Auflage, 2016, wird die Ergometrie als eine mögliche nichtinvasive Untersuchungsmethode in Ergänzung weiterer Methoden (Myokard-Perfusions-SPECT, Stress-Perfusions-MRT, Dobutamin-Stress-MRT) nur bei Patienten mit „mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit“ empfohlen. Die Einschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit orientiert sich an den Beschwerden (Angina pectoris, nichtanginöser Brustschmerz) sowie an Geschlecht und Lebensalter des Probanden (Roffi et al. 2016). Die mittlere Vortestwahrscheinlichkeit entspricht einer Wahrscheinlichkeit/einem Risiko von 15–65 % für das Vorliegen einer KHK.
Herzrhythmusstörungen: Nach Stellungnahme der European Society of Cardiology (ESC), 2013, kann die Ergometrie als Provokationstestung bei Verdacht auf intermittierende bradykarde Herzrhythmusstörung indiziert sein, jedoch nicht als Screening-Untersuchung.
Grundsätzlich ist bei einer Entscheidung über die Anwendung einer Screening-Untersuchung immer zu berücksichtigen, dass falsch-negative und falsch-positive Befunde zu Schäden führen können, durch Unterlassung weiterer sinnvoller Diagnostik oder durch unnötige risikobehaftete weitere Diagnostik.
2. Leistungsuntersuchung mittels Ergometrie
Zumindest bei Untersuchungen nach ArbmedVV für schweren Atemschutz (bzw. G 26.3 nach DGUV) und bei Untersuchungen nach Druckluftverordnung für Taucher und Arbeiten im Überdruck (G 31 nach DGUV) ist eine Spiroergometrie zur Beurteilung der maximalen Leistungsfähigkeit zu empfehlen. Durch die spiroergometrische Erfassung der Sauerstoffaufnahme kann die Leistung des Organismus insgesamt, also das Zusammenwirken von Muskulatur, Herz-Kreislauf-System und Lunge, zugleich beurteilt werden. Entscheidend für die körperliche Leistungsfähigkeit und insbesondere für die Ausdauerleistung ist, wie viel Sauerstoff im Muskelstoffwechsel für die aerobe Energiegewinnung zur Verfügung gestellt wird.
Die Ermittlung der ventilatorischen Schwelle (VT 1) im Rahmen der Spiroergometrie ermöglicht die Bestimmung der aeroben Belastbarkeit und damit der Ausdauerleistung. Eine Dauerleistung muss deutlich unterhalb der individuellen VT 1 liegen. Nach bisherigen Studien und Vorgaben wird empfohlen, dass der O2-Verbrauch 30–35 % der VO2max bei einem Arbeitsumfang von 480 Minuten nicht überschreiten sollte (Ilmarinen et al. 1991; Jorgensen 1985; Rutenfranz 1976). Neuere Daten zeigen, dass auch Dauerbelastungen von 35–50 % der individuellen VO2 toleriert werden (Dube et al. 2015; Preisser et al. 2016; Taylor et al. 2015). Bei ausreichenden Pausen oder kürzeren Arbeitszeiten kann ein Grenzwert von 45 % der VO2max toleriert werden (Wu u. Wang 2002).
Als „Nebeneffekt“ wäre über eine Spiroergometrie auch noch eine adäquate individuelle Trainingsberatung der Untersuchten möglich, die dem Erhalt oder der Verbesserung der beruflichen Leistungsfähigkeit dienen könnte.
Die Heranziehung der W150 bzw. W170 alleine zur Darstellung der Leistungsfähigkeit erscheint nicht ausreichend, da diese keine ausreichende Validierung aufweist und im Individualfall die Leistungsfähigkeit nicht korrekt abbildet. Die maximale Leistungsfähigkeit, optimal dargestellt durch die peakVO2 oder die maximal erreichte Wattleistung sollte daher immer in der Beurteilung berücksichtigt werden. Minderungen >20 % des entsprechenden Sollwertes werden als pathologisch eingestuft.
3. Sollwerte
Auch in der aktualisierten Fassung werden noch immer die sehr alten Sollwerte für die maximale Wattleistung von Reiterer aus 1975 zugrunde gelegt. Hier könnten aktuelle Sollwerte für die Wattleistung, z.B. nach Gläser et al. (Glaser et al. 2013; Koch et al. 2009) herangezogen werden.
4. Finanzielle Erwägungen
Wenngleich die Geräteinvestition für eine Spiroergometrie höher liegt als für ein Ergometer, so ist der personelle Aufwand entgegen den Ausführungen nicht wesentlich höher. Über das Nichtveranlassen aussageloser ergometrischer Untersuchungen unter so genannten „präventiv-diagnostischen Indikationen“ ließen sich sicher genügend Gelder einsparen, um den Berufsgruppen der Berufsfeuerwehr und Berufstauchern indizierte und sinnvolle Spiroergometrien nicht vorenthalten zu müssen.