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Stellungnahme zur Veröffentlichung von M. Chatterjee et al. in ASU 2017; 52: 913–921

„Aktualisierter Leitfaden für die Ergometrie im Rahmen arbeitsmedizinischer Untersuchungen“

Den Einsatz der Ergometrie im Rahmen arbeitsmedizinischer Untersuchungen zu überprüfen, ist sicherlich angezeigt. An den Ausführungen in dem aktualisierten Leitfaden haben wir jedoch einige Kritikpunkte, wie folgend dargestellt. Hiermit wollen wir auch anregen zu überdenken, welchen Stellenwert die Ergometrie in der arbeitsmedizinischen Vorsorge in Zukunft haben soll.

1. Die präventiv-diagnostische Indikation für eine ­Ergometrie

Die Ausführungen hierzu entsprechen nicht dem aktuellen Wissenstand. So wurde von den entsprechenden Fachgesellschaften die Ergometrie im Sinne einer „Untersuchungsmethode als erste Stufe der Diagnostik“ bezüglich arterieller Hypertonie, koronarer Herzkrankheit (KHK) oder Herzrhythmusstörungen abgelehnt. Diese Diagnosen werden im Leitfaden jedoch explizit als präventiv-diagnostische Indikation für eine Ergometrie genannt. Dies ist zu verneinen. Im Einzelnen:

Arterielle Hypertonie: Die Ergometrie ist nicht einmal Bestandteil des diagnostischen Algorithmus für die arterielle Hypertonie, weder in der Leitlinie des American College of Cardiology 2017 noch in der Leitlinie der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC) 2013. In Letzterer wird sie im Rahmen der Diagnostik nur für Endorganschäden, kardiovaskuläre Erkrankungen oder chronische Nierenerkrankungen und nur in den folgenden Fällen empfohlen:

  • Bei allen Patienten mit Hinweisen auf bestehende Arrhythmien in der Anamnese oder körperlichen Untersuchung sollte ein Langzeit-EKG und im Falle von belastungsinduzierten Arrhythmien ein Belastungs-EKG erwogen werden (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad C).
  • Wann immer der Verdacht auf eine Myokardischämie besteht, wird ein Belastungs-EKG empfohlen, … (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad C).
  • Koronare Herzerkrankung: Die Ergometrie ist keine Screening-Methode für augenscheinlich Gesunde bezüglich einer KHK. In der nationalen Versorgungsleitlinie KHK 4. Auflage, 2016, wird die Ergometrie als eine mögliche nichtinvasive Untersuchungsmethode in Ergänzung weiterer Methoden (Myokard-Perfusions-SPECT, Stress-Perfusions-MRT, Dobutamin-Stress-MRT) nur bei Patienten mit „mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit“ empfohlen. Die Einschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit orientiert sich an den Beschwerden (Angina pectoris, nichtanginöser Brustschmerz) sowie an Geschlecht und Lebensalter des Probanden (Roffi et al. 2016). Die mittlere Vortestwahrscheinlichkeit entspricht einer Wahrscheinlichkeit/einem Risiko von 15–65 % für das Vorliegen einer KHK.

    Herzrhythmusstörungen: Nach Stellungnahme der European Society of Cardiology (ESC), 2013, kann die Ergometrie als Provokationstestung bei Verdacht auf intermittierende bradykarde Herzrhythmusstörung indiziert sein, jedoch nicht als Screening-Untersuchung.

    Grundsätzlich ist bei einer Entscheidung über die Anwendung ­einer Screening-Untersuchung immer zu berücksichtigen, dass falsch-negative und falsch-positive Befunde zu Schäden führen können, durch Unterlassung weiterer sinnvoller Diagnostik oder durch unnötige risikobehaftete weitere Diagnostik.

    2. Leistungsuntersuchung mittels Ergometrie

    Zumindest bei Untersuchungen nach ArbmedVV für schweren Atemschutz (bzw. G 26.3 nach DGUV) und bei Untersuchungen nach Druckluftverordnung für Taucher und Arbeiten im Überdruck (G 31 nach DGUV) ist eine Spiroergometrie zur Beurteilung der maximalen Leistungsfähigkeit zu empfehlen. Durch die spiroergometrische Erfassung der Sauerstoffaufnahme kann die Leistung des Organismus insgesamt, also das Zusammenwirken von Muskulatur, Herz-Kreislauf-System und Lunge, zugleich beurteilt werden. Entscheidend für die körperliche Leistungsfähigkeit und insbesondere für die Ausdauerleistung ist, wie viel Sauerstoff im Muskelstoffwechsel für die aerobe Energiegewinnung zur Verfügung gestellt wird.

    Die Ermittlung der ventilatorischen Schwelle (VT 1) im Rahmen der Spiroergometrie ermöglicht die Bestimmung der aeroben Belastbarkeit und damit der Ausdauerleistung. Eine Dauerleistung muss deutlich unterhalb der individuellen VT 1 liegen. Nach bisherigen Studien und Vorgaben wird empfohlen, dass der O2-Verbrauch 30–35 % der VO2max bei einem Arbeitsumfang von 480 Minuten nicht überschreiten sollte (Ilmarinen et al. 1991; Jorgensen 1985; Rutenfranz 1976). Neuere Daten zeigen, dass auch Dauerbelastungen von 35–50 % der individuellen VO2 toleriert werden (Dube et al. 2015; Preisser et al. 2016; Taylor et al. 2015). Bei ausreichenden Pausen oder kürzeren Arbeitszeiten kann ein Grenzwert von 45 % der VO2max toleriert werden (Wu u. Wang 2002).

    Als „Nebeneffekt“ wäre über eine Spiroergometrie auch noch eine adäquate individuelle Trainingsberatung der Untersuchten möglich, die dem Erhalt oder der Verbesserung der beruflichen Leistungs­fähigkeit dienen könnte.

    Die Heranziehung der W150 bzw. W170 alleine zur Darstellung der Leistungsfähigkeit erscheint nicht ausreichend, da diese keine ausreichende Validierung aufweist und im Individualfall die Leistungsfähigkeit nicht korrekt abbildet. Die maximale Leistungsfähigkeit, optimal dargestellt durch die peakVO2 oder die maximal erreichte Wattleistung sollte daher immer in der Beurteilung berücksichtigt werden. Minderungen >20 % des entsprechenden Sollwertes werden als pathologisch eingestuft.

    3. Sollwerte

    Auch in der aktualisierten Fassung werden noch immer die sehr alten Sollwerte für die maximale Wattleistung von Reiterer aus 1975 zugrunde gelegt. Hier könnten aktuelle Sollwerte für die Wattleistung, z.B. nach Gläser et al. (Glaser et al. 2013; Koch et al. 2009) herangezogen werden.

    4. Finanzielle Erwägungen

    Wenngleich die Geräteinvestition für eine Spiroergometrie höher liegt als für ein Ergometer, so ist der personelle Aufwand entgegen den Ausführungen nicht wesentlich höher. Über das Nichtveranlassen aussageloser ergometrischer Untersuchungen unter so genannten „präventiv-diagnostischen Indikationen“ ließen sich sicher genügend Gelder einsparen, um den Berufsgruppen der Berufsfeuerwehr und Berufstauchern indizierte und sinnvolle Spiroergometrien nicht vorenthalten zu müssen.

    Uta Ochmann, Dennis Nowak, Alexandra Preisser

    Literatur

    Dube PA, Imbeau D, Dubeau D, Auger I, Leone M: Prediction of work metabolism from heart rate measurements in forest work: some practical methodological issues. Ergonomics 2015; 58: 2040–2056.

    Glaser S, Ittermann T, Schaper C et al.: [The Study of Health in Pomerania (SHIP) reference values for cardiopulmonary exercise testing]. Pneumologie 2013; 67: 58–63.

    Ilmarinen J, Louhevaara V, Korhonen O, Nygard CH, Hakola T, Suvanto S: Changes in maximal cardiorespiratory capacity among aging municipal employees. Scand J Work Environ Health 1991; 17 (Suppl. 1): 99–109.

    Jorgensen K; Permissible loads based on energy expenditure measurements. ­Ergonomics 1985; 28: 365–369.

    Koch B, Schaper C, Ittermann T et al. (2009). Reference values for cardiopulmo­nary exercise testing in healthy volunteers: the SHIP study. Eur Respir J 2009; 33: 389–397.

    Mancia G, Fagard R, Narkiewicz K, Redón J, Zanchetti A, Böhm M, Christiaens T, Cifkova R, De Backer G, Dominiczak A, Galderisi M, Grobbee DE, Jaarsma T, Kirchhof P, Kjeldsen SE, Laurent S, Manolis AJ, Nilsson PM, Ruilope LM, Schmieder RE, Sirnes PA, Sleight P, Viigimaa M, Waeber B, Zannad F; Task Force Members: ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). J Hypertens 2013; 31: 1281-1357.

    Preisser AM, Zhou L, Velasco Garrido M, Harth V: Measured by the oxygen uptake in the field, the work of refuse collectors is particularly hard work: Are the limit values for physical endurance workload too low? Int Arch Occup Environ Health 2016; 89: 211–220.

    Roffi M, Patrono C, Collet JP et al.: Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent, S. T. S. E. o. t. E. S. o. C. 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: Task Force for the Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent ST-Segment Elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2016; 37: 267–315.

    Rutenfranz J, H. T., Ilmarinen J, Klimmer F: Beurteilung der Eignung zu schwerer körperlicher Arbeit. In: Drasche EH, Florian HJ et al. (eds.): Ökologischer Kurs:
    Teil Arbeitsmedizin. Stuttgart: Enke, 1976, S. 12–24.

    Taylor C, Nichols S, Lee Ingle L: A clinician‘s guide to cardiopulmonary exercise ­testing 1: an introduction. British Journal of Hospital Medicine 2015; 76: 192–195.

    Whelton PK, Carey RM, Aronow WS, Casey DE Jr, Collins KJ, Dennison Himmelfarb C, DePalma SM, Gidding S, Jamerson KA, Jones DW, MacLaughlin EJ, Muntner P, Ovbiagele B, Smith SC Jr, Spencer CC, Stafford RS, Taler SJ, Thomas RJ, Williams KA Sr, Williamson JD, Wright JT Jr: ACC/AHA/AAPA/ABC/ACPM/AGS/APhA/ASH/ASPC/NMA/PCNA Guideline for the Prevention, Detection, Evaluation, and Management of High Blood Pressure in Adults: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 2017; S0735-1097: 41519-1

    Wu HC, Wang MJ: Relationship between maximum acceptable work time and physical workload. Ergonomics 2002; 45: 280–289.

    Für die Verfasser
    Dr. med. Uta Ochmann
    Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
    Klinikum der Universität München
    Ziemssenstr. 1
    80336 München