Einleitung
Arbeitsmedizinische Regeln (AMR) geben den Stand der Arbeitsmedizin und sonstige gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse wieder. Sie werden vom Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) ermittelt oder angepasst und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl) bekannt gegeben. Sie finden sich auch auf der Homepage des AfAMed (s. Weitere Infos). Bei Einhal-tung der AMR kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die in der AMR konkretisierten Anforderungen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) erfüllt sind (Vermutungswirkung, § 3 Absatz 1 Satz 3 ArbMedVV). Wählt der Arbeitgeber eine andere Lösung, muss er damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen.
Im Rahmen dieser Serie werden folgende (und weitere) AMR abgedruckt:
Folge 1: AMR Nr. 1 zu § 5 ArbMedVV Anforderungen an das Angebot von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen (GMBl 35/36 2011, S. 712–713)
Folge 2: AMR Nr. 1 zu § 6 ArbMedVV Fristen für die Aufbewahrung ärztlicher Unterlagen (GMBl 35/36 2011, S. 714–715)
Folge 3: AMR Nr. 2.1 Fristen für die Veranlassung/das Angebot von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen (GMBl 2012, 1285–1291; zuletzt geändert und ergänzt: GMBI 2013, S. 906–907)
Folge 4: AMR Nr. 3.1 Erforderliche Auskünfte/Informationsbeschaffung über die Arbeitsplatzverhältnisse (GMBl 65/66 2012, S. 1291–1293, zuletzt geändert: GMBl 5, 2014, S. 86ff.)
Folge 5: AMR Nr. 6.2 Biomonitoring (GMBI 2013, S. 623–628; GMBI 2013, S. 951, zuletzt geändert: GMBl 5, 2014, S. 91ff.)
Folge 6: AMR Nr. 13.1 Tätigkeiten mit extremer Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen können (GMBl 65/66 2012, S. 1293–1295, zuletzt geändert: GMBl 5, 2014, S. 87ff.)
Folge 7: AMR Nr. 6.3 Vorsorgebescheinigung (GMBI 5, 2014, S. 100ff.)
Folge 8: AMR Nr. 14.1 Angemessene Unter-suchung der Augen und des Sehvermögens (GMBI 63, 2013, S. 1264).
Der Abdruck der AMR in ASU ist möglich durch die freundliche Genehmigung des Carl Heymanns Verlags – einer Marke von Wolters Kluwer Deutschland.
AMR 13.1 „Tätigkeiten mit extremer Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen können“
Bekanntmachung von Arbeitsmedizinischen Regeln des BMAS vom 02. 12. 2013 – IIIb1-36628-1/34 –; hier: AMR 13.1 „Tätigkeiten mit extremer Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen können“; Abschrift der im GMBL formulierten Fassung (GMBL Nr. 5, 2014, S. 97).
Gemäß § 9 Absatz 4 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge macht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die anliegende vom Ausschuss für Arbeits-medizin beschlossene Arbeitsmedizinische Regel bekannt. Die Bekanntmachung berück-sichtigt die Änderungen der ArbMedVV durch die Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge vom 23. 10. 2013 (BGBl. I, S. 3882 ff.). Mit dieser Bekanntmachung verliert die Bekanntmachung vom 30. 10. 2012 (GMBl. S. 1293 ff.) ihre Gültigkeit.
Arbeitsmedizinische Regel (AMR) Tätigkeiten mit extremer Hitze-belastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen können AMR Nummer 13.1
Die Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) geben den Stand der Arbeitsmedizin und sonstige gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse wieder. Sie werden vom Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) ermittelt oder angepasst und vom Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl.) bekannt gegeben.
Diese AMR konkretisiert im Rahmen ihres Anwendungsbereichs die Anforderungen des § 4 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 3 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Bei Einhaltung der AMR kann der Arbeitgeber insoweit davon ausgehen, dass die entsprechenden Anforderungen der Verordnung erfüllt sind. Wählt der Arbeitgeber eine andere Lösung, muss er damit mindestens denselben Sicherheits- und Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen. Der Arzt oder die Ärztin im Sinne des § 7 ArbMedVV hat diese AMR als dem Stand der Arbeitsmedizin entsprechende Regel zu berücksichtigen (§ 6 Absatz 1 Satz 1 ArbMedVV).
1 Vorwort
- 1. Diese AMR konkretisiert den Begriff „extreme Hitzebelastung“ und beschreibt beispielhaft Tätigkeiten, die durch diese Belastung zu einer besonderen Gefähr-dung führen können. Arbeitgeber haben für Beschäftigte, die einer extremen Hitze-belastung ausgesetzt sind, arbeitsmedi-zinische Pflichtvorsorge zu veranlassen (§ 4 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 3 Absatz 1 Nummer 1 ArbMedVV).
- 2. Treten an Arbeitsplätzen jahreszeitlich bedingte Temperaturschwankungen auf, so sind diejenigen Temperaturen zu berücksichtigen, wie sie üblicherweise in der warmen Jahreszeit auftreten.
- 3. Extreme Außentemperaturen erfordern primär arbeitsorganisatorische Maßnah-men und lösen grundsätzlich nicht das Erfordernis einer Pflichtvorsorge aus.
2 Begriffsbestimmungen und Erläuterungen
- 1. Extreme Hitze im Sinne dieser AMR ist ein Klimazustand, bei dem aufgrund äußerer Wärmebelastung die Abfuhr der vom Körper erzeugten Wärme erschwert ist. Sie wird als klimatischer Einfluss, bestehend aus Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit und Wärme-strahlung verstanden, der durch Klima-summenmaße beschrieben werden kann. Klimasummenmaße sind errechnete Grö-ßen, die jeweils mehrere der zuvor genannten Messparameter berücksichtigen.
- 2. Die Normal-Effektivtemperatur (NET, °C) ist ein ermittelter Zahlenwert für die Temperaturempfindung von Personen mit Straßenbekleidung, wobei die Lufttemperatur, die Luftfeuchtigkeit und die Luftgeschwindigkeit, jedoch nicht die Wärmestrahlung berücksichtigt werden. Zur Ermittlung der Normal-Effektivtem-peratur werden zunächst die Lufttempera-tur, die Luftfeuchtigkeit und die Luftgeschwindigkeit gemessen, anschließend wird mithilfe eines Nomogramms die Feuchttemperatur ermittelt. Dann wird die Normal-Effektivtemperatur aus der Lufttemperatur und der Feuchttemperatur mithilfe eines Nomogramms nach Yaglou ermittelt (Berufsgenossenschaft Holz und Metall 2008; Deutsches Insti-tut für Normung 2011).
- 3. Die Effektive Bestrahlungsstärke (W/m²) berücksichtigt ausschließlich die Wärmestrahlung. Sie kann direkt mit geeigneten Messgeräten gemessen werden.
- 4. Die Mittlere Strahlungstemperatur ist eine Größe, die zur Kennzeichnung der Wärme-strahlung benutzt wird. Sie wird aus der Effektiven Bestrahlungsstärke bestimmt.
- 5. Ein deutlicher Wärmestrahlungsanteil liegt vor, wenn die Mittlere Strahlungstemperatur oberhalb der mit einem Trocken-thermometer gemessenen Temperatur liegt.
- 6. Arbeit in „extremer Hitze, die zu einer besonderen Gefährdung führen kann“, ergibt sich aus der Kombination von klimatischem Einfluss, Arbeitsbekleidung, Arbeitsschwere und -dauer.
3 Arbeitsmedizinisch-physiolo-gische Grundlagen
- 1. Hohe Umgebungstemperaturen und kör-perliche Arbeit erfordern eine Wärmeabgabe des Körpers, weil eine Temperatur-konstanz im Körper erforderlich ist. Die Wärmeabgabe wird durch Kleidung, ins-besondere auch durch Hitzeschutzkleidung, behindert.
- 2. Wesentlichen Anteil an der Wärmeabgabe hat die durch Schweißabgabe pro-duzierte Verdunstungskälte auf der Haut, deren Bildung durch gesteigerten Luftaustausch auf der Körperoberfläche ge-fördert wird. Durch eine hohe Luftfeuch-tigkeit und eine geringe Luftbewegung wird die Wärmeabgabe behindert.
- 3. Allgemeine Folgen der Hitzebelastung sind zunächst eine vermehrte Beanspruchung des Herz-Kreislauf-Systems, ein erheblicher Flüssigkeitsverlust und ein Nachlassen der Aufmerksamkeit. Hierdurch kann die Unfallhäufigkeit steigen. Auf eine ausreichende Flüssigkeitszu-fuhr ist unbedingt zu achten. Geeignete Getränke sind Trink- und Mineralwasser (nur wenig Kohlensäure) sowie unge-süßter Tee. Die zusätzliche Gabe von Elektrolyten in fester oder gelöster Form ist in der Regel nicht erforderlich. Übermäßige Wärmebelastung über längere Zeiträume führt schließlich zur Hitzeerschöpfung durch Flüssigkeitsverminderung und Elektrolytverlust, zum Hitze-kollaps (generalisierte Gefäßerweiterung mit Schwindel und Schwäche) und zum Hitzschlag (ZNS-Schädigung durch Hirnödem), der sich insbesondere in Verbindung mit schwerer körperlicher Arbeit entwickelt. Der Hitzschlag endet häufig tödlich. Deswegen sollen grundsätzlich Körpertemperaturen von 38° C nur kurzfristig, von 39 °C nicht überschritten werden (Landau u. Pressel 2004).
- 4. Bei akuten Erkrankungen kann die Hitze-toleranz vermindert sein.
4 Kriterien für die Veranlassung von Pflichtvorsorge
Mithilfe der in 4.1 bis 4.4 beschriebenen Prüfungsabfolge sollen die betrieblich Verantwortlichen in die Lage versetzt werden, praxisnah und möglichst ohne Inanspruchnahme externer Fachleute oder messtechnischer Dienste die Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich extremer Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen kann, am Arbeitsplatz durchzuführen und die Indi-kation zur Veranlassung von Pflichtvorsorge zu stellen.
4.1 Arbeitsverfahren / -bereiche, bei denen eine Belastung mit extremer Hitze vorliegt
- 1. Tätigkeiten mit extremer Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen kann, können bereits vorliegen, wenn schon bei körperlicher Ruhe in der kühlen Jahreszeit über einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Stunden pro Schicht die Regulation der Körper-temperatur über Schwitzen erfolgt (Seidel u. Bittighofer 1997). Dies allein ist jedoch kein Kriterium für die Veranlassung von Pflichtvorsorge.
- 2. Insbesondere bei folgenden Tätigkeiten liegt nach arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Erfahrungen eine extreme Hitzebelastung vor, die zu einer besonderen Gefährdung führen kann:
- Arbeiten an vorgewärmten Pfannen (z. B. Pfannenplatz, Pfannenkippstuhl) im Stahlwerk;
- Flämmen von warmen Brammen (thermisches Entfernen von Oberflächenverunreinigungen);
- Schweißarbeiten in und an größeren (Gewicht > 0,5 t) vorgewärmten (> 80 °C) Werkstücken;
- Befahren oder Besteigen von sowie Arbeiten in Behältern, Kesseln, Industrieöfen, Trocknungsanlagen, die noch nicht vollständig abgekühlt sind, einschließlich Reaktoren in der chemischen Industrie (NET > 25 °C);
- Arbeiten auf der Ofendecke von Ko-kereien und Auswechseln von Steigrohren und Reparaturarbeiten an Koksofenbatterien;
- Anodenwechsel an Elektrolyseöfen;
- Arbeiten mit glühenden größeren Werkstücken (z. B. Schmiede, Gewicht > 100 kg).
4.2 Anhaltspunkte zur Beurteilung weiterer Tätigkeiten
- 1. Abgesehen von den unter Punkt 4.1 auf-geführten Tätigkeiten gibt es weitere Tätigkeiten mit extremer Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen können. Um diese zu ermitteln, ist zu prüfen, ob mindestens einer der folgenden Parameter vorliegt:
- Lufttemperatur über 45 °C und Beschäftigungsdauer > 15 min;
- Lufttemperatur über 30 °C mindestens vier Stunden pro Schicht und gleichzeitig hohe Luftfeuchte (gekennzeichnet beispielsweise durch feuchte oder nasse Haut);
- Flüssigkeitsaufnahme über vier Liter pro Schicht;
- Wärmestrahlung im Gesicht uner-träglich.
- 2. Bei Vorliegen eines Parameters ist be-reits bei leichter bis mittelschwerer Tätigkeit eine Pflichtvorsorge zu veran-lassen.
4.3 Beurteilung über Klimasummenmaße
- 1. Ist der zu begutachtende Arbeitsplatz nicht eindeutig einem der in 4.1 beschriebenen Arbeitsbereiche zuzuordnen oder herrschen abweichende Bedingungen von denen in 4.2 genannten vor, sind als Beurteilungskriterien die Normal-Effektivtemperatur oder die effek-tive Bestrahlungsstärke heranzuziehen.
- 2. Extreme Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen kann, liegt an Arbeitsplätzen ohne deutlichen Wärmestrahlungsanteil vor,
- wenn eine Normal-Effektivtempera-tur > 25 °C während einer Einsatzzeit von 60 min erreicht oder überschritten wird,
- wenn eine Normal-Effektivtemperatur von 30 °C während einer Einsatzzeit von 15 min erreicht wird,
- bei Tätigkeiten mit einem Arbeitsenergieumsatz > 300 W, sobald eine Normal-Effektivtemperatur von 35 °C überschritten wird.
- 3. Extreme Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen kann, liegt an Arbeitsplätzen mit deutlichem Wärmestrahlungsanteil vor,
- wenn eine Normal-Effektivtempera-tur > 23 °C während einer Einsatzzeit 60 min erreicht oder überschrit-ten wird,
- wenn eine Normal-Effektivtemperatur 28 °C während einer Einsatzzeit von 15 min erreicht wird,
- bei Tätigkeiten mit einem Arbeitsenergieumsatz > 300 W, wenn eine Normal-Effektivtemperatur von 33 °C überschritten wird.
- 4. Extreme Hitzebelastung, die zu einer besonderen Gefährdung führen kann, liegt unabhängig von der Normal-Effektivtemperatur auch an Arbeitsplätzen vor, an denen in Abhängigkeit von der Arbeitsschwere die in der Tabelle 1 genannten Bestrahlungsstärken erreicht werden.
Literatur und sonstige Hinweise
Die Literaturangaben und sonstigen Hinweise dienen allein der Information. Sie sind von der Vermutungs-wirkung nach § 3 Absatz 1 Satz 2 ArbMedVV aus-genommen.
Berufsgenossenschaft Holz und Metall (ehemals Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft; Hrsg.): BG-Information „Hitzearbeit; Erkennen – beurteilen – schützen“. BGI 579; November 2008.
Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): DIN 33403-3 „Klima am Arbeitsplatz und in der Arbeitsumgebung; Beurteilung des Klimas im Warm- und Hitzebereich auf der Grundlage ausgewählter Klimasummenmaße“. 2011.
Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): DIN EN 27726 „Umgebungsklima; Instrumente und Verfahren zur Messung physikalischer Größen“.
Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): DIN-Fachbericht 128 „Klima am Arbeitsplatz und in der Arbeitsumgebung – Grundlagen zur Klima-ermittlung“.
Landau K, Pressel G: Gesundheitliche Folgen der Hitzearbeit. In: Landau K, Pressel G (Hrsg.): Medi-zinisches Lexikon der beruflichen Belastungen und Gefährdungen. Stuttgart: Gentner, 2004, S. 361 ff.
Seidel H-J, Bittighofer PM: Hitzearbeit. In: Check-liste Arbeits- und Betriebsmedizin. Stuttgart: Thieme, 1997, S. 434.
Weitere Infos
Klima-Bergverordnung vom 9. Juni 1983 (BGBl. I, S. 685).
http://www.gesetze-im-internet.de/klimabergv/index.html
DGUV-Information „Handlungs-anleitung für die arbeitsmedizini-sche Vorsorge nach dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 30 ‚Hitze‘“ (BGI/GUV-I 504-30; Februar 2010).
Aufbereitet von
Dr. med. A. E. Schoeller
Bereichsleiterin im Dezernat 5 – Versorgung und Kooperation mit Gesundheitsfachberufen
Bundesärztekammer, Berlin
Herbert-Lewin-Platz 1 – 10623 Berlin