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Harnblasenkarzinom als Berufskrankheit?

Zur Krankheitsvorgeschichte

Der im Jahr 1945 geborene Versicherte (A. H.) erkrankte in 2006, d. h. im Alter von 61 Jahren, an einem Urothelkarzinom der Harnblase. Der Tumor konnte mittels TUR vollständig entfernt werden. Ein Tumorrezidiv war nicht aufgetreten.

Der Patient hat bis 1985 geraucht und rund 22 Packungsjahre konsumiert.

Arbeitsanamnese

Der Versicherte arbeitete von 1973 bis zum Beginn seiner Erkrankung in 2006 als Tankschutzmonteur. Er berichtete, dass es beim Anschließen und beim Entfernen der Tankschläuche immer wieder zu Hautkontakt mit Heizöl gekommen war. Ferner wird eine Kontamination der Hände und der Arbeits-kleidung mit Heizöl beim Reinigen der Tanks geschildert. Handschuhe habe er bei den Tätigkeiten nicht verwendet.

Dem Versicherten war bekannt, dass den Mineralölen Farbstoffe zugesetzt waren, die als krebserzeugend gelten.

Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung hat die Berufsgenossenschaft ermittelt, dass zum Markieren von Mineralölen folgende Farbstoffe eingesetzt wurden bzw. werden: Solvent Yellow 124, Solvent Red 19, Sudan Rot 7B, Sudan Rot M462. Hierbei handelt es sich um Azofarbstoffe auf der Basis krebs-erzeugender Amine, aus denen nach reduktiver Spaltung o-Toluidin und o-Aminoazotoloul entsteht.

Die Frage, ob es sich bei Urothelkarzinom des Versicherten um eine Berufskrankheit 1301, d. h. um einen Krebs der Harnwege durch aromatische Amine, handelt, wurde im Verwaltungsverfahren und im daran anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren von den Ärzten bzw. den Gutachtern unterschiedlich beantwortet.

Im Verwaltungsverfahren wurde lediglich der zuständige staatliche Gewerbearzt gehört, der das Vorliegen einer Berufskrank-heit deshalb verneint hat, weil die arbeits-technischen Voraussetzungen nicht gegeben waren. Daraufhin hat die Berufsgenossen-schaft eine BK 1301 abgelehnt und dies damit begründet, dass der Versicherte keinen Umgang mit krebserzeugenden aromatischen Aminen gehabt habe. Gegen den Ablehnungsbescheid hat der Versicherte Einspruch eingelegt und anschließend Klage vor dem Sozialgericht erhoben. Im sozial-gerichtlichen Verfahren wurde als Sachverständiger zunächst ein Urologe gehört, der zu der Schlussfolgerung gelangte, dass das Urothelkarzinom infolge der Tätigkeit als Tankschutzmonteur hervorgerufen wurde. Als Ursache kommen nach seiner Einschätzung verschiedene aromatische Amine einschließlich 2-Naphthylamin in Betracht.

Nachdem die beklagte Berufsgenossenschaft dargelegt hatte, dass keine Gefährdung im Sinne der BK 1301 bestanden hat, beauftragte das Sozialgericht einen Arbeitsmediziner mit einem weiteren Gutachten. Dieser gelangte zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 1301 mit „Non-Liquet“ beurteilt werden müssen. Der Sachverständige hat weitere Ermittlungen zu den Farbstoffkonzentrationen im Heizöl empfohlen. Nachdem diese Informationen vorlagen, hat der Arbeitsmediziner unter den vom Kläger gemachten Angaben gefolgert, dass pro Arbeitstag über die Haut maximal 1,25 mg o-Toluidin aufgenommen wurde. Damit sind, so der Gutachter, die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine BK 1301 gegeben.

Diese Schlussfolgerung hat die Berufsgenossenschaft kritisiert und die Berechnungen des Gutachters in Frage gestellt. Sie folgerte, dass die angenommene perkutane Aufnahme stark überhöht ist.

Das Sozialgericht hat daraufhin den Be-scheid der Berufsgenossenschaft aufgeho-ben und festgestellt, dass die Harnblasen-krebserkrankung des Klägers Folge einer BK 1301 ist. Es ist in seiner Urteilsbegründung davon ausgegangen, dass der Kläger über die Haut pro Jahr 44 bis 137 mg o-Toluidin aufgenommen hat. Grundlage hier-für waren die Angaben des Klägers, wonach seine Hände und die Arbeitskleidung regelmäßig mit Heizöl benetzt gewesen waren, so dass von einem Hautkontakt von etwa einem Liter Heizöl pro Tag ausgegangen wurde. Ferner nahm der Arbeitsmediziner an, dass zwischen 10 % und 25 % des im Heizöl enthaltenen Farbstoffs (4–6 mg/l Heizöl) über die Haut aufgenommen und mindestens die Hälfte des aufgenommenen Farbstoffes in das krebserzeugende o-Toluidin verstoffwechselt wurde. Das konkurrierende Risiko durch den Zigarettenkonsum wurde vom Sachverständigen und dem Gericht als gering eingeschätzt, da die Menge an o-Toluidin lediglich 25 mg/Jahr ausgemacht hat.

Gegen das Urteil hat die Berufsgenossenschaft Berufung vor dem Landessozialgericht eingelegt und dies im Wesentlichen mit der relativ geringen beruflichen Gefährdung begründet.

Der für das LSG tätige sachverständige Arbeitsmediziner hat zunächst darauf hingewiesen, dass es keine belastbaren Daten für das Ausmaß einer Hautresorption für diese Farbstoffe gibt. Eine quantitative Aussage ist demzufolge nicht möglich. Die von dem Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren angenommene Resorptionsquote von 50 % ist wissenschaftlich nicht belegt.

Wenn man zur Abschätzung die für Textil-farbmittel vorliegenden dermalen Resorptionsquoten heranzieht, ist von Penetrationsraten von unter 1 % auszugehen.

Der Sachverständige für das Sozialgericht ging von der Annahme aus, dass der Versicherte gegenüber o-Toluidin dermal exponiert war. Diese Annahme ist deshalb unzutreffend, da die Heizöle Azofarbstoffe enthielten, die im Vergleich zu o-Toluidin weniger gut durch die Haut penetrieren. Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass o-Toluidin erst nach einer enzymatischen Spaltung des Azofarbstoffs freigesetzt wird und dass diese Enzyme vorwiegend in der Leber lokalisiert sind.

Im Hinblick auf die eingesetzten Farbstoffe ist festzustellen, dass vor 1977 zur Markierung steuervergünstigter Mineralöle der Farbstoff 4-Amino-Azobenzol-2-Ethyl-amin-Naphthalin (Solvent Red 19) verwendet wurde. Bei Berücksichtigung der chemischen Strukturformel dieses Farbstoffes ist nach reduktiver Spaltung eine Freisetzung von humankanzerogenen aromatischen Aminen nicht möglich. Die Azospaltung von Solvent Red 19 führt nachweislich nicht zur Freisetzung von o-Toluidin, sondern zu 4-Aminoazobenzol und Ethylaminonaphthalin, die nach derzeitiger Kenntnis für den Menschen nicht gesichert krebserzeugend sind (keine K1-Stoffe).

Seit 1977 wird zur Färbung von Heizöl Sudan Rot 462 verwendet. Aus diesem Azo-farbstoff entstehen nach reduktiver Spaltung o-Toluidin und o-Aminoazotoluol.

o-Toluidin gehört zu den aromatischen Aminen, die gesichert beim Menschen Uro-thelkarzinome zu verursachen vermögen (sog. K1-Stoffe). Die Arbeitsstoffkommission der DFG hat o-Toluidin im Jahr 2007 bewertet und nach den Ergebnissen neuerer Kohortenstudien an Beschäftigten in der Gummiindustrie gefolgert, dass es als aromatisches Amin Blasenkrebs verursacht.

Diese Studienergebnisse sind für die Einschätzung der Gefährdung wichtig, da der Kläger nicht in der chemischen Industrie bzw. in der Gummiindustrie tätig gewesen war, sondern als Heizungsmonteur gearbeitet hat. Auch eine „Worst-case-Betrachtung“, so der Sachverständige, führt noch nicht zu einer Risikoeinschätzung, die mit der eines Chemiearbeiters vergleichbar ist.

Entscheidung des LSG (L 14 U 97/12)

Der Senat hat in seinem Urteil gefolgert, dass die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers durch die allein im Wege des Hautkontakts in Betracht kommenden Einwir-kungen im naturwissenschaftlichen Sinne nicht wesentlich verursacht worden ist. Ge-gen die Annahme eines Ursachenzusammenhangs spricht, dass keine quantitativen Aussagen zur Einschätzung sowie zur anschließenden Resorption von Azofarbstoffen bzw. von aromatischen Aminen ge-macht werden können. Untersuchungen in Form von Fall-Kontroll-Studien zum Harnblasenkrebsrisiko in der Berufsgruppe der Tankschutzmonteure liegen nicht vor. Für den Senat ist nachvollziehbar, dass anhand der arbeitsmedizinischen Literatur ein stark erhöhtes Risiko für Harnblasenkrebs ausschließlich bei solchen Beschäftigen bestanden habe, die in der Produktion und Verarbeitung von 2-Naphthylamin, Benzidin und o-Toluidin einer hohen Exposition durch Stäube ausgesetzt gewesen waren. Einer vergleichbaren Belastung wie bei Chemiearbeitern war der Kläger während seiner Tätigkeit als Tankschutzmonteur nicht ausgesetzt gewesen. Der Senat konnte daher eine BK 1301 nicht feststellen. 

    Aufbereitet von

    Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. Gerhard Triebig

    Arbeits- und Sozialmedizin

    Universitätsklinikum Heidelberg

    Voßstraße 2 – 69115 Heidelberg

    gtriebig@med.uni-heidelberg.de

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