Das Thema „Kabinenluft in Flugzeugen/Fume Events“ wird nicht nur in der Wissenschaft seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Auch in den Medien besteht ein mitunter starkes Interesse. Im Zuge der Pressearbeit zur DGAUM Jahrestagung 2017 in Hamburg hatten wir mehrere Anfragen von Pressevertretern, die dazu thematische Programmangebote besuchen wollten. Darunter war auch ein TV-Team, das unter der Leitung des Journalisten Axel Kreutz einen Beitrag für die ZDF-Sendereihe „ZDFzoom“ vorbereitete. Die DGAUM hatte dem Wunsch der Medienvertreter entsprochen. Da der Vorstand der Fachgesellschaft uneingeschränkt zur Pressefreiheit steht, konnte das TV-Team um Axel Kreutz bei der Jahrestagung 2017 vollkommen frei filmen und mit Experten Gespräche und Interviews führen.
Nachdem der Beitrag mit dem Titel „Dicke Luft im Flieger“ am Mittwoch, 26. Juli 2017, um 23:45 Uhr im ZDF gesendet wurde, müssen wir feststellen, dass es sich dabei um eine wenig ausgewogene Berichterstattung handelt, wenn man sich an der derzeitigen wissenschaftlichen Faktenlage zum medizinischen Forschungsstand orientiert. Außerdem wird unterstellt, die DGAUM habe versucht, auf die Berichterstattung und die Recherche des TV-Teams Einfluss zu nehmen. Das entspricht nicht den Tatsachen. Im Nachgang zur Hamburger Jahrestagung hatte die DGAUM einen umfangreichen Fragenkatalog erhalten, der zeitnah umfassend beantwortet wurde.
Dr. phil. Thomas Nesseler
Hauptgeschäftsführer DGAUM
Schreiben der DGAUM vom 19. Juni 2017 an M.E.Works GmbH, z.H. Herrn Axel Kreutz, Schanzenstr. 41a, 51063 Köln
Sehr geehrter Herr Kreutz,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne entsprechen wir Ihrer Bitte um Stellungnahme zum Fragenkatalog vom 13. Juni 2017 wie folgt:
Zu 1. Seit wann beschäftigt sich die DGAUM mit dem Thema Fume Events?
Die DGAUM als wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft beschäftigt sich nicht erst seit dem Absturz der Germanwings-Maschine im Frühjahr 2015 mit den sogenannten Fume Events. Die DGAUM hat bereits 2008 ein Forschungsvorhaben zur „Exposition und Belastung von Flugpersonal durch Tricresylphosphat“, das von drei Mitgliedern der DGAUM 2007 beantragt worden war, mit Sachmitteln unterstützt. Dieser neurotoxische Stoff wurde lange Zeit als Ursache für das Phänomen Fume Events angesehen.
Zu 2. Wieso beschäftigt sich die DGAUM mit dem Thema Fume Events?
Die DGAUM beschäftigt sich gemäß ihrer Definition mit den Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Gesundheit von Beschäftigten. Bereits seit Ende der 1950er Jahre berichten Piloten und Flugbegleiter, aber auch Passagiere nach Geruchsereignissen an Bord von Flugzeugen von Symptomen wie Übelkeit, Schwindel, Herzrasen, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. In der wissenschaftlichen Literatur werden diese Geruchsereignisse inzwischen als sog. Fume Events bezeichnet. Dies war für die Fachgesellschaft ein wichtiger Anlass, sich ausführlicher wissenschaftlich mit diesem Themenkomplex zu beschäftigen. In den Medien wurden solche Reaktionen u.a. auch als „aerotoxisches Syndrom“ oder „Sick-Aeroplane-Syndrom“ diskutiert.
Zu 3. Sehen Sie beim Thema Fume Events akuten Handlungsbedarf?
Die Ergebnisse der bisherigen wissenschaftlichen Forschungen können noch keinen akuten Handlungsbedarf begründen im Sinn einer evidence based prevention. Allerdings besteht weiterhin ein Forschungsbedarf, um mehr evidenzbezogenes Wissen über das Phänomen Fume Events zu erhalten.
Zu 4. Wenn ja warum?
Siehe Antwort 3
Zu 5. In einer Pressemitteilung der DGAUM vom 15.03.2017 haben wir folgendes gelesen: „Nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens gibt es allerdings keine wissenschaftlich anerkannte Ursache dieses Phänomens. Zur Klärung des Sachverhaltes sind nach Auffassung des Präsidenten der DGAUM, Professor Dr. med. Hans Drexler, weitere Forschungsarbeiten unverzichtbar.“ Inwieweit engagiert sich die DGAUM für mehr Erkenntnisse in Form von Studien oder anderen Untersuchungen?
Wie eingangs erläutert, hat die DGAUM derartige Forschungsvorhaben initiiert und damit auch die wissenschaftliche Diskussion in Deutschland angestoßen. Die Forschungsarbeit dazu läuft aktuell u.a. in wissenschaftlichen Arbeitsgruppen an der Universität Göttingen oder dem Institut für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Darüber hinaus war die DGAUM im Januar 2017 im Vorfeld der Erstellung einer Sicherheitsempfehlung zum Thema Fume Events von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) kontaktiert worden, um die Frage zu klären, ob eine wissenschaftliche Leitlinie zum Humanbiomonitoring von Betroffenen nach Fume Events erarbeitet werden kann. Die Meinungsbildung dazu ist im Vorstand der DGAUM noch nicht abgeschlossen.
Zu 6. Bei der wissenschaftlichen Jahrestagung sprachen die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), die BG Verkehr, Frau Dr. Heutelbeck von der Uni Göttingen und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zu dem Thema. Wie wurden diese Redner ausgewählt?
Frau Dr. Heutelbeck sprach im Rahmen einer Veranstaltung des Forums Atemwege/Lunge, Herr Dr. Harenzda beim Symposium „Innenraumluft“. Die Auswahl der Vorträge beim Forum Atemwege/Lunge oblag allein der gleichlautenden Arbeitsgruppe der DGAUM. Hintergrund dafür ist, dass im Rahmen der wissenschaftlichen Jahrestagungen alle sieben Arbeitsgruppen der Fachgesellschaft die Möglichkeit haben, Programmsitzungen mit Vorträgen abzuhalten, um den internen wissenschaftlichen Diskurs im Fachgebiet zu fördern.
Im Gegensatz dazu erfolgt die Auswahl der Vorträge zum allgemeinen, wissenschaftlichen Programm der Jahrestagungen auf einem anderen Weg: mittels Abstract-Einreichung bis zu einem bestimmten Stichtag sowie deren anschließendes Reviewing (Bewertung) durch das wissenschaftliche Komitee der Jahrestagung. Dem Komitee für die Jahrestagung 2017 gehörten insgesamt sieben Personen aus arbeitsmedizinischer Wissenschaft und Praxis an.
Zu 7. Beschreiben Sie bitte die Aufgaben und das Selbstverständnis der DGAUM.
Die DGAUM wurde 1962 gegründet und ist eine gemeinnützige, wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft der Arbeitsmedizin und der klinisch orientierten Umweltmedizin. Ihr gehören heute fast 1100 Mitglieder an, die auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin und Umweltmedizin arbeiten, vor allem Ärztinnen und Ärzte, aber auch Angehörige anderer Berufsgruppen wie etwa Natur- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Die Mitglieder der Fachgesellschaft engagieren sich nicht nur in Wissenschaft und Forschung, um bereits bestehende Konzepte für die Prävention, die Diagnostik und Therapie kontinuierlich zu verbessern, sondern sie übernehmen die ärztliche und medizinische Beratung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an der Schnittstelle von Individuum und Unternehmen. Darüber hinaus beraten die Mitglieder der DGAUM alle Akteure, die ihren Beitrag zu der medizinischen Versorgung leisten und auf Fachwissen aus der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention, der arbeits- und umweltbezogenen Diagnostik und Therapie, der Beschäftigungsfähigkeit fördernden Rehabilitation sowie aus dem versicherungsmedizinischen Kontext angewiesen sind.
Zu 8. Wie finanziert sich die DGAUM?
Die DGAUM finanziert sich aus den Mitgliedsbeiträgen sowie aus den Teilnehmergebühren von wissenschaftlichen Veranstaltungen, die die DGAUM entsprechend ihrer Satzung ausrichtet. Der wissenschaftliche Kongress wird zwar von einer Industrie-Ausstellung begleitet; die eingenommenen Gelder fließen ausschließlich an die Kongressagenturen, die mit der DGAUM bei der Organisation von Veranstaltungen zusammenarbeiten. Die DGAUM ist in ihrer Arbeit folglich unabhängig von der Industrie und wird nicht von ihr finanziert.
Zu 9. Erhalten Sie finanzielle Mittel von Unternehmen?
Die DGAUM erhält keine finanziellen Mittel von Industrie-Unternehmen. Es gibt zwei Kooperationen, die wir Ihnen gerne benennen:
1.) Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, der Spitzenverband der gesetzlichen Unfallversicherungen und der Berufsgenossenschaften, unterstützt die DGAUM mit einem nicht zweckgebundenen Zuschuss zur Verwirklichung ihrer Satzungsziele i. H. v. 20 TEUR p. a.
2.) Darüber hinaus besteht derzeit ein bis 2021 laufendes Kooperationsabkommen mit der Ersatzkasse BARMER zu dem Modellvorhaben nach § 20 g SGB V (Präventionsgesetz) „Gesund arbeiten in Thüringen (GAIT)“. Die hier zufließenden Mittel i. H. v. 200 TEUR p. a. sind für die Finanzierung von insgesamt drei Wissenschaftlerstellen notwendig.
Zu 10. Wenn ja, von welchen Unternehmen und in welcher Höhe?
Siehe Antwort 9
Zu 11. Wer kann Mitglied der DGAUM werden?
Mitglieder können arbeitsmedizinisch und umweltmedizinisch interessierte Ärzte und weitere arbeitsmedizinisch und umweltmedizinisch interessierte Wissenschaftler werden, wenn sie die Ziele der Gesellschaft gemäß der Satzung der DGAUM bejahen.
Zu 12. Uns liegen Informationen vor, dass unsere geplanten Dreharbeiten auf der wissenschaftlichen Jahrestagung im Vorfeld scheinbar intern diskutiert wurden. Wir würden Sie bitten, zu der folgenden Textpassage aus einem Mailverkehr Stellung zu beziehen und die nachstehenden Fragen zu beantworten:
[…] „Unter Einbeziehung der Meinung des Präsidenten und des Vizepräsidenten der DGAUM haben wir dann folgenden Beschluss gefasst: Hinsichtlich der Anfragen von Pressevertretern zu Veranstaltungen zum Thema „Fume Events (Foren Gefahrstoff; Atemwege/Lunge; Symposium Innenraumluft) sowie zur Eröffnungsveranstaltung wird die Presse uneingeschränkt zugelassen, zumal wir Pressevertreter im Vorfeld der Jahrestagung via Vorfeld-PR explizit eingeladen hatten und auch die Foren als Teil des wiss. Programms ausgewiesen sind und dort nicht explizit als „geschlossene“ Veranstaltungen auftauchen. Dieser Beschluss ist ebenfalls in Abwägung der Umstände zu verstehen, dass ein Verbot zum Besuch und Filmen der o.g. Veranstaltungen durch die Presse für das Image der DGAUM weitaus schädlicher wäre und nur den Vorwurf erhärtet hätte, dass die Fachgesellschaft den Interessen Dritter „dient“. Zudem: Die Berichterstattung wird man ohnehin in keiner Weise beeinflussen können; es gilt das Grundrecht der Pressefreiheit. Um das Thema dennoch im Rahmen unserer Pressearbeit etwas zu „lenken“, soweit uns dies überhaupt möglich ist, wird dieses deshalb offensiv in der Pressekonferenz durch den Präsidenten der DGAUM besetzt. Die Einladung zur PK finden Sie im Anhang. Darüber hinaus werde ich selbst am Mi. u. Do. die Film-Leute begleiten, soweit mir dies möglich ist. Der Pressesprecher der BGV, Herr Schmitt, wird am Mittwoch bei der JT ebenfalls dabei sein und mitbeobachten.“ […]
Bei der von Ihnen zitierten E-Mail handelt es sich um eine interne E-Mail des Hauptgeschäftsführers der DGAUM vom 9. März 2017 an die Mitglieder der Organisationsgruppe zur Vorbereitung der Jahrestagung 2017. Der Hauptgeschäftsführer setzt sich in der E-Mail nachdrücklich für eine offene und transparente Diskussion und einen ebenso gestalteten Dialog mit der Presse ein.
Zu 13. Wieso wollten Sie unsere Berichterstattung im Rahmen Ihrer Pressearbeit lenken?
Bei aktuellen wissenschaftlichen Fragestellungen gibt es im Vorfeld allgemein als valide akzeptierter Erkenntnisse keine objektive Wahrheit. Es gibt nur den Wettstreit der Meinungen und um die Deutungshoheit von Zusammenhängen. Insofern ist auch die DGAUM Mitbewerber in unterschiedlichen Meinungsmärkten und muss wie alle anderen Akteure in diesem Geschehen versuchen, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die DGAUM hat als wissenschaftliche Fachgesellschaft durchaus die Aufgabe auf eine ausgewogene Berichterstattung hinzuwirken, in dem nicht nur Vertreter, die eine bestimmte Hypothese vertreten, Gehör bekommen. Die DGAUM möchte also dazu beitragen, dass die Öffentlichkeitsarbeit umfänglich darüber informiert wird, was die Wissenschaft über das Phänomen Fume Events weiß und was nicht. Der DGAUM geht es um eine Versachlichung der Diskussion.
Zu 14. In welche Richtung wollten Sie unsere Berichterstattung lenken?
In Richtung einer sachlichen und fundierten Berichterstattung, die auf Evidenz baut, da die bisherigen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse noch keine ausreichenden Erklärungen des Phänomens „Fume Events“ geliefert haben, insbesondere auch im Hinblick einer unnötigen Verunsicherung von Betroffenen und der Allgemeinheit.
Zu 15. Wie garantieren Sie, dass die Fachgesellschaft nicht den Interessen Dritter dient?
Durch den ergebnisoffenen und unabhängigen wissenschaftlichen Diskurs, etwa im Rahmen der DGAUM Jahrestagungen oder anderer Veranstaltungen. Dort ist es möglich, ganz unterschiedliche Forschungsergebnisse und Meinungen zu einem Thema zu diskutieren, um so neue Perspektiven und Fragestellungen zu entwickeln.
Zu 16. Wieso wurden uns – ohne unser Wissen – zwei Personen zur Seite gestellt, die unsere Dreharbeiten begleiten und beobachten sollten?
Dreharbeiten werden grundsätzlich aus Servicegründen von dem Pressesprecher begleitet. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Filmteams oft spezielle Fragen haben oder im Verlauf der Dreharbeiten der Wunsch nach weiteren Interviewpartnern aufkommt. Da ist es hilfreich, wenn ein Pressesprecher Dreharbeiten begleitet. Auch Ihnen konnten wir am Rande der Pressekonferenz zusätzliche Interviews mit Experten vermitteln. Zudem haben wir Ihnen die Möglichkeit geschaffen, sich frei und ohne Begleitung bewegen und nach Belieben Wissenschaftler ansprechen zu können.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Informationen gedient zu haben. Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Präsident
Hauptgeschäftsführer
Info
Für die interessierte Öffentlichkeit sowie unsere Mitglieder publizieren wir sowohl die Fragen des TV-Teams im Vorfeld der Recherchen zum Film als auch die Stellungnahme der DGAUM dazu. Der TV-Beitrag ist in der ZDF-Mediathek verfügbar:
zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-dicke-luft-im-flieger-100.html. (Anm. d. Red.: Link nicht mehr gültig)
Die Stellungnahme der DGAUM ist downloadbar unter