Die Arbeitsmedizin, die als vorwiegend präventiv orientierte Fachdisziplin sich sowohl mit der Untersuchung, Bewertung, Begutachtung und den Wechselbeziehungen zwischen Anforderungen, Bedingungen und Organisation der Arbeit als auch mit dem Menschen, seiner Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Krankheit beschäftigt, befindet sich unmittelbar an der Nahtstelle zwischen Arbeitskontexten und menschlichen Lebensformen und verfügt damit, wie kaum ein anderes medizinisches Fach, über einen ganz unmittelbaren Lebens- und Praxisbezug. Nicht zuletzt durch die grundlegenden Veränderungen unserer unmittelbaren Lebens- und Arbeitswelten in den vergangenen 25 Jahren fragen wir heute mehr denn je danach, wie wir unsere Lebens- und Arbeitsverhältnisse so lebenswert und erfüllend gestalten, dass wir nicht nur resultierende Erkrankungen minimieren oder vermeiden, sondern Arbeit vielmehr gesundheitsförderlich gestalten können. Vor diesem Hintergrund beinhaltet die Arbeitsmedizin nicht nur eine komplexe Aufgabenstellung, sondern ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Unterschied zu vielen anderen medizinischen Fächern vor allem im Bereich der Prävention und nicht auf dem Feld der kurativen Medizin.
Als wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft unterstützt die DGAUM die Initiative zur Etablierung eines Aktionsbündnisses zur Sicherung des arbeitsmedizinischen Nachwuchses, da keine andere medizinische Disziplin so viel dazu beitragen kann, um physischen und psychischen Fehbelastungen im Beruf wirksam entgegenzutreten oder sie gar bekämpfen zu können. Hierbei bedarf es sowohl des Nachwuchses für die arbeitsmedizinische Betreuung von Betrieben nach Arbeitssicherheitsgesetz als auch des wissenschaftlichen Nachwuchses für eine hochqualifizierte Weiter- bzw. Neubesetzung von Lehrstühlen und Forschungsinstituten. Vor allem aus der Forschung, die an unseren universitären Instituten täglich geleistet wird, erhalten wir jene dringend notwendigen Daten und Sachinformationen sowie Denkanstöße, um menschliche Arbeitskontexte und Lebenswelten besser und menschenwürdiger zu gestalten; gleich, ob es sich dabei um den Umgang mit Gefahrstoffen und deren Auswirkungen etwa auf Haut und Lunge oder um die Einrichtung eines Büroarbeitsplatzes handelt. Wissenschaft in diesem Zusammenhang verfügt damit über einen nachhaltigen Praxisbezug, den die Menschen bei der Gestaltung ihrer Arbeit und damit eines wesentlichen Teils ihres Alltagslebens unmittelbar nutzen können. Lassen Sie es mich dies etwas verkürzt auf den Punkt bringen: Wissenschaft ist sicher nicht alles, aber ohne Wissenschaft ist die Arbeitsmedizin nichts.
Umso mehr haben wir uns bezüglich der demografischen Entwicklungen in unserer Gesellschaft – immerhin sind von den heute 12 000 in Deutschland arbeitenden Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern, Betriebsärztinnen und Betriebsärzten die Hälfte 60 Jahre und älter – der Frage zu stellen, wie wir vor allem junge Menschen, Studierende der Humanmedizin, für eines der spannendsten medizinischen Fächer überhaupt gewinnen können. Denn im Fach Arbeitsmedizin und in der betriebsärztlichen Tätigkeit steht mit den Schwerpunkten Gesunderhaltung und betrieblicher Gesundheitsförderung wirklich der „ganze“ Mensch im Mittelpunkt des Interesses und der ärztlichen Bemühungen. Und dies ist in diesem Kontext ausnahmsweise keine Phrase.
Das Gewinnen von Nachwuchs ist das erste Standbein zum Erhalt einer funktionsfähigen arbeitsmedizinischen Struktur in Deutschland. Das zweite Standbein ist die Sicherung von qualifizierten Weiterbildungsstellen in Betrieben, in betriebsärztlich ausgerichteten Arztpraxen, bei überbetrieblichen arbeitsmedizinischen Dienstleistern und nicht zuletzt in universitären arbeitsmedizinischen Polikliniken und Forschungsinstituten. Nur umfassend ausgebildete Arbeits- und Betriebsmediziner können den komplexen, sich ständig wandelnden Herausforderungen der zukünftigen Arbeitswelt begegnen und zur Entwicklung von gesundheitsfördernden Arbeitsstrukturen und -prozessen beitragen.
Darüber hinaus ist aber zudem zu fragen, wie es möglich ist, Fachärzte anderer Disziplinen für die Arbeitsmedizin zu sensibilisieren und zu interessieren. Denn es gilt ja auch, den Austausch zwischen den einzelnen medizinischen Fachdisziplinen zu verbessern, wenn man erfolgreich präventiv arbeiten und somit mögliche berufsbedingte Erkrankungen und Beschwerden vermeiden helfen will.
Im Vorstand der DGAUM besteht uneingeschränkte Einigkeit, nicht nur das Vorhaben zur Etablierung eines Aktionsbündnisses zur Sicherung des arbeitsmedizinischen Nachwuchses zu unterstützen, sondern die Fachgesellschaft wird eigeninitiativ Maßnahmen zur Nachwuchsförderung in Wissenschaft und Forschung sowie der akademischen Lehre ergreifen.
Im Bereich von Wissenschaft und Forschung werden folgende Maßnahmen im Mittelpunkt stehen:
- Mentoringprogramm für Nachwuchswissenschaftler: Die DGAUM wird aus eigenen finanziellen und personellen Ressourcen ein Mentoringprogramm starten, das junge an der Arbeitsmedizin interessierte Nachwuchswissenschaftler und junge Studierende der Medizin berät, etwa in Fragen des Studiums, bei der Durchführung wissenschaftlicher Arbeiten oder Projekte. Ziel ist dabei die individuelle Beratung und Förderung: Jeder Mentee soll einen eigenen, in der Arbeitsmedizin erfahrenen Mentor erhalten. Gerade viele ältere, aus dem aktiven Dienst ausscheidende Arbeitsmediziner können sehr gut mit ihrer langjährigen Erfahrung beraten und unterstützen.
- Scoutprogramm zur Identifizierung geeigneter Nachwuchswissenschaftler durch die DGAUM: Vor allem an den medizinischen Fakultäten gilt es, geeignete Nachwuchskräfte für das Fach Arbeitsmedizin zu gewinnen. Dies gelingt aber oft nicht ohne eine gezielte Ansprache durch den Lehrstuhlinhaber für Arbeitsmedizin oder die Mitarbeiter am Institut. Scoutprogramme funktionieren umso besser, je mehr alle Repräsentanten des Faches an Universitäten und Universitätsklinika sich in ihrer wichtigen Multiplikatorfunktion bewusst und diese für das Fach zu nutzen bereit sind.
- Initiierung von Verbundforschungsprojekten für Nachwuchswissenschaftler, an denen Partner aus Wissenschaft und Praxis beteiligt sind.
- Unterstützung bei der Erstellung von Drittmittelanträgen: Die DGAUM wird eine Serie von Workshops anbieten, damit Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in diesem Rahmen lernen können, wie man erfolgreich Forschungsanträge ausarbeitet und in den Förderorganisationen platziert.
- Initiativen für wissenschaftliche arbeitsmedizinische Hochschulinstitute: Arbeitsmedizinische Lehre soll an allen medizinischen Universitäten als Lehrstuhle präsent sein. Nachwuchs kann nur durch Nähe angesprochen werden.
- Etablierung von Wissenschaftskooperationen für Nachwuchswissenschaftler mit der Industrie: Vor allem durch Traineeprogramme können Nachwuchskräfte gezielt für komplexe Arbeitsspektren und -abläufe geschult und auf eine neue Tätigkeit vorbereitet werden. Zusammen mit ausgewählten Industrieunternehmen wird die DGAUM geeignete Angebote entwickeln und das in der Fachgesellschaft vorhandene Know-how im Bereich Arbeits- und Betriebsmedizin einbringen.
- Etablierung von Promotionsprogrammen: Durch strukturierte Promotionsprogramme sollen die Promovenden von Anfang an kontinuierlich begleitet werden, damit einerseits die Qualität der Arbeit gewährleistet ist und damit andererseits die Arbeit auch zu dem gewünschten Abschluss führt.
- Spezielle Weiterbildungs- bzw. Fortbildungsveranstaltungen durch die DGAUM für Nachwuchswissenschaftler zur Methodenentwicklung: Wissenschaftliches Arbeiten setzt eine vielfältige und fundierte Kenntnis von Methoden voraus. Die Fachgesellschaft will künftig geeignete Veranstaltungsmodule anbieten, damit Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler spezielle Untersuchungsmethoden für die Laborarbeit oder für die epidemiologische Forschung erlernen können.
- Stellenbörse für den wissenschaftlichen Nachwuchs: Über die Homepage der Fachgesellschaft www.dgaum.de wird eine Stellenbörse eigens für Nachwuchswissenschaftler aufgebaut. Institutionen und Organisationen sowie Unternehmen können dort ihre Angebote für diese Zielgruppe einstellen.
- Vergabe von Wissenschaftspreisen speziell an Nachwuchswissenschaftler
Im Bereich der akademischen Lehre wird die DGAUM mit folgenden Maßnahmen unterstützen:
- Die DGAUM ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft in der Medizin in Deutschland, die als erste einen Lernzielkatalog für ihr Fach publiziert hat, wie dies in der Approbationsordnung für Ärzte gefordert ist. Die DGAUM wird diesen Lernzielkatalog weiter optimieren, um die Arbeitsmedizin für Studierende attraktiv zu gestalten. Dabei sollten die Inhalte stärker als bisher vereinheitlicht und aufeinander abgestimmt werden. Gerade vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren gestiegenen Anforderung nach einer adäquaten Qualitätssicherung in der medizinischen Aus-, Weiter- und Fortbildung ist es angezeigt, dass hier die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Arbeitsmedizin die Initiative ergreift.
- Kurse zur Methodenerweiterung in der Lehre für Nachwuchswissenschaftler: Im Rahmen der Ausarbeitung eines (Muster)Curriculums sollen darüber hinaus geeignete Kurse zur Erweiterung des Methodenhorizontes für Studierende und Nachwuchswissenschaftler/innen etabliert werden. Sowohl für die inhaltliche Gestaltung als auch bei der formalen Umsetzung wird die DGAUM das vorhandene Expertenwissen zur Verfügung stellen.
Darüber hinaus gilt es aber auch, intensiv Öffentlichkeitsarbeit für die Arbeitsmedizin und deren Nachwuchs zu machen. Die DGAUM hat dabei folgende Ziele:
- Darüber hinaus gilt es aber auch, intensiv Öffentlichkeitsarbeit für die Arbeitsmedizin und deren Nachwuchs zu machen. Die DGAUM hat dabei folgende Ziele:
- In Zusammenarbeit mit dem Gentner Verlag Etablierung einer Nachwuchsseite bzw. -rubrik im Verbandsorgan der DGAUM, der wissenschaftlichen Zeitschrift „ASU Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin“. Wir wollen damit unser Fachgebiet und auch unser Fachjournal attraktiv für Jungwissenschaftler machen.
- Spezielle Informationen für den Nachwuchs auf der Homepage der DGAUM: Die Homepage der Fachgesellschaft soll zu einer Informationsdrehscheibe für die Zielgruppe arbeitsmedizinischer Nachwuchs werden. Entsprechende Angebote werden sowohl im öffentlichen Teil, aber auch im Premiumbereich für Mitglieder abrufbar sein.
Darüber hinaus wird die DGAUM weitere Maßnahmen ergreifen, um die Nachwuchsarbeit für die Arbeitsmedizin zu unterstützen:
- Benennen eines Nachwuchsverantwortlichen im Vorstand der DGAUM: Im Rahmen der Vorstandsarbeit erhält das Thema arbeitsmedizinischer Nachwuchs ein besonderes Gewicht. Ein Mitglied im Vorstand wird künftig das Thema inhaltlich vertreten und kontinuierlich berichten.
- Etablierung einer Nachwuchsveranstaltung auf der Jahrestagung der DGAUM: Die Jahrestagung der Fachgesellschaft ist eine hervorragende Gelegenheit, um offensiv für das Fach zu werben und die Nachwuchsarbeit zu unterstützen. Geeignete Veranstaltungsangebote und -formate sollen hier den Austausch zwischen jungen Interessierten und erfahrenen Wissenschaftlern intensivieren helfen.
- Aufbau eines Hospitationsverbundes zwischen Industrie und Universität für Nachwuchswissenschaftler: Um Ein-blicke in die alltägliche Arbeit zu erhalten, sollen potenzielle Nachwuchskräfte die Möglichkeit erhalten, im Rahmen von Hospitationen erste Erfahrungen in der Arbeitsmedizin und dem betrieblichen Gesundheitsmanagement zu erhalten. Die Fachgesellschaft wird hier Kooperationen zwischen Instituten an Universitäten und Universitätsklinika sowie Industrieunternehmen anstoßen.
Die wissenschaftliche-medizinische Fachgesellschaft DGAUM ist sich ihrer Verantwortung bewusst, wenn es gilt, etwas für den arbeitsmedizinischen Nachwuchs zu tun. In diesem Sinne unterstützt die Fachgesellschaft das Aktionsbündnis zur Sicherung des arbeitsmedizinischen Nachwuchses uneingeschränkt. Damit dies gelingen kann, hat die DGAUM mit dem Beginn des neuen Jahres einen wichtigen Schritt zur Professionalisierung ihrer Arbeit gemacht und erstmals in ihrer Geschichte eine professionelle Geschäftsstelle mit einem Geschäftsführer in München eröffnet. Gemeinsam mit dem Vorstand bin ich als Präsident davon überzeugt, dass wir in den unterschiedlichen Öffentlichkeiten unserer Gesellschaft überzeugender auftreten müssen, um eine stärkere Aufmerksamkeit zu erhalten. Professionelle Strukturen helfen dabei und erleichtern diese Diskurse, wenn es gilt, im Wettbewerb mit anderen medizinischen und nichtmedizinischen Disziplinen für die Arbeitsmedizin Verbündete in der Politik und dem Gesundheits- bzw. Sozialwesen zu gewinnen. Denn: Das Fach Arbeitsmedizin hat Vieles zu bieten. Überzeugen wir die Öffentlichkeit von unseren Themen und unseren Tätigkeiten. Gewinnen wir den Nachwuchs für uns und für die Menschen, für die wir als Arbeitsmediziner und Betriebsärzte arbeiten!
Verabschiedet durch den Vorstand der Fachgesellschaft am 14. 01. 2013
Prof. Dr. med. Hans Drexler
Präsident der DGAUM