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Der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Für krankheitsbedingte Erwerbsminderungsrenten mussten 2022 rund 20 Mrd. Euro aufgewendet werden; bezogen auf alle Renten lag der Anteil der Erwerbsminderungsrenten bei 22 %. Bei einer durchschnittlichen Erwerbsminderungsrente von unter 1000 Euro im Monat galt ein Drittel der Beziehenden vor Erreichen der Altersgrenze als armutsgefährdet. Die Geldleistungen für Grundsicherung bei Erwerbsminderungsrente (und im Alter) beliefen sich 2022 auf
8,8 Mrd. Euro.

Dieser Zahlenausschnitt verdeutlicht die immense sozioökonomische Bedeutung der direkten und indirekten Kosten von „Krankheit“ für die Gesamtgesellschaft und die individuell betroffenen Menschen. Nun ist die Bundesagentur für Arbeit (BA) weder der zuständige Kostenträger für akut-medizinische und medizinisch-rehabilitative Maßnahmen, noch für Rentenleistungen. Gesundheitliche Einschränkungen führen jedoch auch für die BA zu signifikanten Kosten: Die 10,1 Mrd. Euro, die 2024 für „aktive Arbeitsförderung“ eingeplant sind, entsprechen knapp einem Viertel der BA-Gesamtausgaben (42,2 Mrd. Euro). In diesem Paket sind (berufliche) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) enthalten, die Kunden mit inte­grationsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen unterstützen. Lange bekannt sind auch die sich gegenseitig verstärkenden negativen Wechselwirkungen zwischen Krankheit und Arbeitslosigkeit.

Die Mitarbeitenden der BA werden täglich mit den teilweise komplexen gesundheitlichen Einschränkungen ihrer Kundinnen und Kunden konfrontiert, die es bezüglich ihrer Relevanz für die Leistungsfähigkeit für Arbeit (in der Regel den Allgemeinen Arbeitsmarkt) und Ausbildung zu bewerten gilt. Zur Unterstützung bei dieser Aufgabe steht den Mitarbeitenden der Arbeitsagenturen (und über Dienstleistungsverträge optional auch der Jobcenter) als Fachdienst der Ärzt­liche Dienst der BA zur Verfügung, dessen Struktur und vielschichtige sozialmedizinische Tätigkeit in diesem Heftschwerpunkt vorgestellt werden soll. Bei einem jährlichen Volumen von etwa 3,5 Millionen Beratungsgesprächen und rund 24 Millionen Kundentelefonaten der BA, beauftragen die Mitarbeitenden den Ärztlichen Dienst in einer Größenordnung von 500.000 sozialmedizinischen Stellungnahmen per annum. Der Ärztliche Dienst nimmt hierbei keine kurativen medizinischen Maßnahmen vor; seine Kernaufgabe stellt die sozial­medizinische Begutachtung und Beratung dar. Zu berücksichtigen sind ausschließlich integrationsrelevante gesundheitliche Funktionseinschränkungen, die die Leistungsfähigkeit der Kundinnen und Kunden beeinträchtigen.

In einzelnen Praxisbeiträgen wird nach einem einführenden Text zur Arbeit des Ärztlichen Dienstes von Hubert G. Hotz et al. exem­plarisch das Vorgehen des Ärztlichen Dienstes bei der Begutachtung von häufigen und in Bezug auf berufliche Leistungsfähigkeit wichtigen Krankheitsbildern beleuchtet. Der Anteil von psychischen Erkrankungen an den Arbeitsunfähigkeitstagen in Deutschland ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, und so überrascht es nicht, dass psychomentale Beschwerden und manifeste psychische Erkrankungen der BA-Kundinnen und Kunden einen häufigen Anlass für die Einschaltung des Ärztlichen Dienstes darstellen. Gabriel Ehren, der neben seiner langjährigen leitenden sozialmedizinischen Tätigkeit im Ärztlichen Dienst auch als Psychotherapeut wirkt, stellt in seinem Beitrag die spezifischen Aspekte der Begutachtung von Menschen mit psychischen Erkrankungen im Ärztlichen Dienst der BA auch anhand von Fallbeispielen dar.

Bei Suchterkrankungen liegen häufig psychomentale Komorbiditäten vor. Ihre sozialmedizinische Begutachtung wird durch die Vielgestaltigkeit (und häufige Uneindeutigkeit) von Konsummustern und ihre unterschiedlichen Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit erschwert. Von besonderer Relevanz sind Suchterkrankungen bei BA-Kundinnen und Kunden, wenn es um (aufwändige) Ausbildungsmaßnahmen oder aber berufliche Tätigkeiten geht, bei denen ein relevantes Risiko für Eigen- und/oder Fremdgefährdung vorliegt. Andreas Franke von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim, hat sich als Psychiater und Sozialwissenschaftler dem Thema Suchtmedizin in der sozialmedizinischen Begutachtung angenommen.

Begutachtungsaufträge bei dermatologischen Krankheitsbildern spielen quantitativ eine eher untergeordnete Rolle in der Alltags­praxis des Ärztlichen Dienstes. Sie sind jedoch für die Betroffenen und die Solidargemeinschaft von erheblicher Bedeutung, weil die Begutachtung häufig mit der Frage verknüpft ist, ob die bisherige (vermeintlich kausal hautbelastende) Tätigkeit noch möglich ist oder gegebenenfalls Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne einer Umschulungsmaßnahme angezeigt sind. Die Begutachtung ist den Mitarbeitenden des Ärztlichen Dienstes nicht selten durch Faktoren wie eine unvollständige externe fachärztliche Befundlage, nicht ausgeschöpfte präventive und Behandlungsmaßnahmen sowie eine parallele (und noch nicht abgeschlossene) Evaluierung durch eine Berufsgenossenschaft erschwert. Elke Weisshaar gibt als Berufsdermatologin und Sozialmedizinerin des Universitätsklinikums Heidelberg eine Übersicht mit praktischen Fallbeispielen über die wichtigsten Grundzüge einer dermatologischen Begutachtung und weist insbesondere auf das Potenzial von rechtzeitigen Präventions- und Behandlungsmaßnahmen zur Vermeidung von berufsbedingten Hauterkrankungen hin.

Neurologische Krankheitsbilder können sich in vielfältiger Weise auf die allgemeine und spezifische Leistungsfähigkeit von betroffenen Kundinnen und Kunden auswirken. Typische Fragestellungen an den Ärztlichen Dienst umfassen die Funktionseinschränkungen bei Epilepsie (z. B. für Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten), nach zerebralen Insulten (mit gegebenenfalls konsekutiver Langzeitarbeitsunfähigkeit bis hin zur Aussteuerung vom Krankengeldbezug) und bei kongenitalen Systemerkrankungen (bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Ausbildungsfähigkeit von jungen Kundinnen und Kunden). Philipp Fischer hat sich als Neurologe und sozial­medizinischer Gutachter des Ärztlichen Dienstes Wiesbaden in seinem Beitrag mit den integrationsrelevanten Aspekten des neurologischen Fachgebiets auseinandergesetzt.

Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems standen 2022 mit einem Anteil von 17,7 % an zweiter Stelle der Ursachen für Arbeits­unfähigkeitstage in Deutschland. Entsprechend häufig werden diesbezügliche Beschwerden und Erkrankungen auch von den Kundinnen und Kunden der BA vorgebracht und münden in einem Gutachtenauftrag an den Ärztlichen Dienst. Das breite Spektrum der Fragestellungen reicht von multilokulären Funktionseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparats mit Leistungsunfähigkeit für die bisherige (häufig körperliche) Tätigkeit, bis hin zur Beantragung einer technischen Teilhabeleistung in Form eines höhenverstellbaren Schreibtisches bei Rückenleiden und Büroarbeitsplatz. Neben seiner Expertise als Leitender Arzt des Agenturverbundes Karlsruhe-Rastatt des Ärztlichen Dienstes bringt Hans-Christian Pelger Erfahrungen aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst sowie aus der stationären und ambulanten Orthopädie in seinen Beitrag ein.

Sozialmedizinische Institutionen wie der Ärztliche Dienst der BA und ihre Aufgaben sind in der Öffentlichkeit, aber auch in der (kurativen) medizinischen Community wenig bis gar nicht bekannt. Das vorliegende Schwerpunktheft soll dazu beitragen, nicht nur die Vielfältigkeit und das breite Aufgabenspektrum des Ärztlichen Dienstes darzustellen, sondern den Interessierten auch nahe zu bringen, dass die sozialmedizinischen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes an Entscheidungen von erheblicher Tragweite für individuelle Kundinnen und Kunden der BA und die Solidargemeinschaft mitwirken.

Ihre

Hubert G. Hotz

Agenturverbund Baden-Württemberg des Ärztlichen Dienstes der BA, Mannheim

und

Gabriele Lotz-Metz

Bereichsleiterin, Zentrale des Ärztlichen Dienstes der BA, Nürnberg