Dank unserer Anatomie und Physiologie haben wir Menschen mit jedem Atemzug die Möglichkeit, die Qualität der eingeatmeten Luft, u. a. Temperatur, Feuchte und Reinheit, zu beurteilen und dadurch Einblick in unsere Umwelt zu bekommen. Der Geruchssinn erlaubt es uns hierbei, Gerüche wahrzunehmen. Wie wichtig unser Geruchssinn ist, wird oftmals erst bewusst, wenn er fehlt. Gerade in den vergangenen Jahren mussten viele Personen den (zeitweisen) Verlust des Geruchssinns im Zuge einer COVID-19-Erkrankung hinnehmen. Zahlreiche Berichte bestätigten, dass dadurch die Lebensqualität und psychische Gesundheit teilweise stark beeinträchtigt wird. Tatsächlich ist der Geruchssinn eine Informationsquelle, die oftmals als selbstverständlich und doch wenig wichtig angesehen wird: Gerüche werden sozusagen „nebenbei“ wahrgenommen. Erst wenn diese Informationsquelle fehlt, wird deutlich, wofür sie benötigt wird: zur Qualitätsbewertung von Lebensmitteln und anderen Objekten, zum frühzeitigen Erkennen von Gefahren, zur Wahrnehmung des eigenen, aber auch des Körpergeruchs anderer Menschen, für das hedonische Erleben von Aromen und Gerüchen, u. a. bei der Nahrungsaufnahme. Nach wie vor gilt es in Bezug auf den Geruchssinn viel zu entdecken: Viele Erkenntnisse wurden erst spät, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gewonnen. Ein wichtiger Schritt für die Aufklärung der physiologischen Grundlagen des Riechens beispielsweise gelang 1991 durch die späteren Nobelpreisträger Buck und Axel mit der Entdeckung der Genfamilie für eine bestimmte Art von Geruchsrezeptoren. Wenig später wurde gezeigt, dass solche Geruchsrezeptoren nicht nur in Riechsinneszellen im Riechepithel exprimiert werden, sondern auch in Zellen anderer Gewebe. Deren unterschiedliche Funktionen, beispielsweise in der Regulierung von Stoffwechselprozessen oder der Zell-Zell-Kommunikation, werden erst nach und nach klar. Auch die Bedeutung der Chemokommunikation beim Menschen ist erst in Ansätzen verstanden.
Es ist also zu erwarten, dass noch einiges über den menschlichen Geruchssinn und die Interaktion mit geruchsaktiven Substanzen gelernt werden muss. Hierbei ist es von Vorteil, dass mehr und mehr Methoden zur Verfügung stehen, um die chemischen Reize, die vom Geruchssinn oder von Geruchsrezeptoren im Allgemeinen erkannt werden, zu detektieren, zu charakterisieren und nachzubilden. Dies eröffnet diverse Möglichkeiten zur Anwendung des gewonnenen Wissens und zieht dementsprechend auch die Notwendigkeit einer sozialethischen Betrachtung nach sich. In Hinblick auf medizinische Prävention sind hierbei verschiedene Szenarien von Bedeutung: einerseits die Kontrolle oder aber die gezielte Nutzung einer Exposition gegenüber geruchsaktiven Substanzen mit gegebenenfalls über die reine Geruchswahrnehmung hinausgehender psychischer oder physiologischer Wirkung – in Innenräumen, in Arbeitsumgebungen, durch medizinische, kosmetische oder andere Produkte, durch Lebensmittel; andererseits die Nutzung flüchtiger, geruchsaktiver Substanzen zur Erkennung des physiologischen Zustands des Menschen.
Die Schwerpunktartikel der vorliegenden Ausgabe befassen sich mit einigen ausgewählten Aspekten mit Bezug zu den uns umgebenden flüchtigen, geruchsaktiven Verbindungen und dem Geruchssinn sowie dem jeweiligen Verhältnis zu Wohlbefinden und Gesundheit des Menschen. Andrea Burdack-Freitag, Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, erläutert am Beispiel eines fischigen Fehlgeruchs Vorgehen und Relevanz der Lokalisierung von Fehlgerüchen in Innenräumen und Baumaterialien. Gina Zeh und Tilman Sauerwald, Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV), geben einen Überblick über Technologien, die in Sensorsystemen zur Detektion von Gerüchen zum Einsatz kommen. Y Lan Pham, Fraunhofer IVV und Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), und Jonathan Beauchamp, Fraunhofer IVV, zeigen aktuelle Entwicklungen im Bereich der Atemgasdiagnostik auf. Inwiefern Aromaeindrücke bereits in früher Kindheit für unsere Nahrungsaufnahme von Bedeutung sind, beschreiben Andrea Knörle-Schiegg, Hochschule Albstadt-Sigmaringen, und Andrea Maier-Nöth, Hochschule Albstadt-Sigmaringen und Eat-Health-Pleasure GmbH, und führen Spiele auf, mit denen Kindern die Welt der Aromen und der Gerüche nähergebracht werden kann. In einem Übersichtsartikel im Wissenschaftsteil stellen Thomas Brüning und Kirsten Sucker, Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., schließlich aktuelle Methoden zur Bestimmung von Grenzwerten für Stoffe mit einer Reiz- und Geruchswirkung vor.
Den Autorinnen und Autoren möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich für ihre Beiträge danken. Durch die Zusammenstellung der Artikel hoffe ich, Sie neugierig gemacht zu haben – sicherlich gibt es noch viele weitere Aspekte im Kontext Geruchswahrnehmung und Gesundheit zu entdecken. Bei der Lektüre dieses Hefts wünsche ich Ihnen viele interessante Erkenntnisse, Anregungen und neue Ideen.
Ihre Helene Loos
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Erlangen, und Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV), Freising
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