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Kennen Sie das Havanna-Syndrom?

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Führten die ersten Fälle noch zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Kuba und den USA, in deren Folge die USA 2017 einen Großteil ihres Diplomatischen Corps aus Havanna abzog, erklärte eine Sprecherin der US-Geheimdienste 2022, es sei „höchst unwahrscheinlich“, dass „ausländische Gegner“ hinter dem rätselhaften Phänomen stehen könnten. In dem damals veröffentlichten Bericht der seither – neutral – als „anomalous health incidents“ (AHI, ungewöhnliche Gesundheitsvorfälle) geführten Untersuchungen wurden die meisten Fälle auf „bislang nicht diagnostizierte Krankheiten“ oder Stress zurückgeführt, einige ließen sich auch psychosomatisch einordnen. Chemische oder biologische Vergiftungen schienen nicht plausibel.

Hartnäckig hielt sich aber die Theorie, dass die Symptome auf einen Angriff mit elektromagnetischer Strahlung zurückzuführen seien. Mit bestimmten Geräten im Hochleistungsmikrowellen- und Radiowellen-Bereich ließen sich solche Funksignale in der Luft unsichtbar über Hunderte Meter übertragen. Gemeinsame Recherchen der US-Medien „60 Minutes“, „The Insider“ (RUS), dem „Spiegel“ in Deutschland und dem „Standard“ in Österreich haben nun Anfang April diesen Jahres durchaus bestätigt, dass der russische Geheimdienst „nonletale akustische Waffen“ einsetzt, aber auch die USA seit geraumer Zeit an solchen Waffen forschen und sogar im Ukraine-Krieg auf beiden Seiten ähnliche Waffen im Einsatz sind, die die Elektronik von Drohnen und Raketen stören und lahmlegen sollen.

Als Koordinator dieses Themenhefts wollte ich zunächst nicht über dieses Phänomen berichten, um nicht als Verschwörungstheoretiker in die ASU-Historie einzugehen. Immerhin hatte es das Havanna-Syndrom dann am 17. März 2024 auch noch in den Münster-Tatort „Unter Gärtnern“ der ARD geschafft, der Symptome und Wirkung der Mikrowellenstrahlung eindrucksvoll beschrieb. Nachdem das Bundesamt für Strahlenschutz in Deutschland auf Nachfrage des Redaktionsnetzwerkes Deutschland auf eine Analyse der amerikanischen National Academy of Sciences, Engineering and Medicine (NASEM 2020) verwiesen hatte, die die beschriebenen Symptome mit den Effekten hochfrequenter pulsierender elektromagnetischer Strahlung im Radiowellenbereich verglich, die ähnliche Effekte wie Mikrowellenstrahlung hervorrufen könne, aber tiefer in die Stoffe eindringe, wollte ich das Phänomen nicht länger totschweigen. Für Interessierte seien noch zwei aktuelle Studien in JAMA angeführt (Chan et al. 2024; Pierpaoli et al. 2024), die leider auch bei „dünner Datenlage“ trotz des möglichen Zusammenhangs der Symptome mit hochenergetischer Energie keine aussagekräftigen Untersuchungsergebnisse dokumentieren können. Grundsätzlich wird dies aber auch von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) für möglich gehalten (DGN 2024; Foster 2023).

Unzweifelhaft sind wir in allen Bereichen unseres Alltags zwischen Mobilfunk, WLAN, Haushaltsgeräten, Elektroinstallationen bis hin zu den Stromversorgungsnetzen ständig von hoch- und niederfrequenten elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern umgeben und erleben mit dem weiteren Ausbau der Digitalisierung und Kommunikationstechnik ein Vordringen dieser Technologien in alle Bereiche unseres Lebens. „Elektrosmog“ wird als Ausdruck dieser „unsichtbaren Gefahr“ in der Bevölkerung seit Jahrzehnten – manchmal aus Unkenntnis, oft auch aus Angst – für eine Vielzahl gesundheitlicher Beschwerden verantwortlich gemacht. In der Umwelt- und Arbeitsmedizin können wir uns daher diesem Thema nicht verschließen. Kompetente Beratung gründet sich gerade bei diesem Themenfeld auf physikalische Grundlagen, auf die kontinuierliche Bewertung der aktuellen internationalen Forschungslage und auf die Einhaltung der daraus resultierenden Grenzwerte zum Schutz der Bevölkerung. Darüber hinaus wird es aber weiterhin Menschen geben, die zum Beispiel als Implantatträgerinnen und -träger am Arbeitsplatz oder als elektromagnetisch hypersensible Personen einer individuellen Einschätzung bedürfen.

Die Breite dieses gesamten Themas kann das vorliegende ASU-Themenheft natürlich nicht im Ansatz abdecken. Die Autorinnen und Autoren versuchen jedoch, Teilbereiche praxisnah darzustellen und über die angebotenen Literaturhinweise auf die einschlägigen Regeln, Tabellenwerke und Studien, die überwiegend frei im Internet zugänglich sind, hinzuweisen.

Im ersten Beitrag gibt Andreas Deser einen Überblick über die physikalischen Grundlagen der elektrischen und magnetischen Felder und über Nieder- und Hochfrequenz der nichtionisierenden Strahlung. Er beschreibt das Phänomen der Induktion und stellt die wissenschaftlich nachgewiesenen Wirkungen von elektromagnetischen Feldern (EMF) und die sich daraus ergebenden Grenzwerte vor.

Der aktuelle Stand der Risikobewertung hochfrequenter elektromagnetischer Felder (z. B. „5G“) ist Thema des Beitrages von Bianca Pophof aus dem Bundesamt für Strahlenschutz. Sie bewertet die aktuell vorliegenden Ergebnisse systematischer Reviews zu den wichtigsten Endpunkten wie Krebs, thermischen Wirkungen und Fruchtbarkeit und bewertet auf dieser Grundlage die derzeit geltenden Grenz- und empfohlenen Höchstwerte. Hierzu bereitet auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aktuell eine Neubewertung vor, für die aber einige Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind.

Carsten Alteköster und Kollegen vom Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) liefern schließlich wichtige Grundlagen für eine „vereinfachte Gefährdungsbeurteilung“ am Arbeitsplatz durch Hinweis auf die vom Ausschuss für Betriebssicherheit beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeiteten technischen Regeln zur Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch elektromagnetische Felder (TREMF). Waren noch vor 10 Jahren aufwändige individuelle Messungen an den Arbeitsplätzen erforderlich, sind in den im Regelwerk der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erschienenen TREMF-NF, TREMF-HF und TREMF-MR enthaltenen Tabellen Expositionsmessungen von Musterarbeitsplätzen eingeflossen, die sowohl für die allgemeine Gefährdungsbeurteilung als auch für die besonderen Anforderungen bei Implantatträgerinnen und -trägern in vielen Fällen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse wiedergeben.

Der Beitrag von Edith Steiner führt uns in die Schweiz: Sie beschreibt die über 20-jährige Aufbauarbeit eines interkantonalen umweltmedizinischen Netzwerks, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit einem fachärztlichen Beratungsstab die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich der nichtionisierenden Strahlung (NIS) zu vertiefen, von elektromagnetischer Hypersensibilität (EHS) Betroffene besser medizinisch und psychologisch zu betreuen und das allgemeine Wissen über diese Thematik zu verbessern. In mehreren Projekten belegte die absolut zielorientiert arbeitende ärztliche Expertengruppe immer wieder, dass niederschwellige Versorgungsangebote und frühzeitige Abklärung über geschulte Konsiliarärztinnen und -ärzte im Rahmen der allgemeinen medizinischen Grundversorgung der Schweiz hierfür zielführend und hilfreich wären. Auch wenn die wissenschaftliche Evidenz zur Anerkennung von EHS als eigenständiges Krankheitsbild bisher nicht ausreichend ist, beschreibt die Autorin dennoch eindrucksvoll, wie viele Hürden über mehr als 20 Jahre zu überwinden waren, bis für Betroffene professionelle Unterstützung organisiert werden konnte. Erst 2020 beschloss dann der Schweizer Bundesrat im Rahmen des Ausbaus des 5G-Mobilfunknetzes schließlich eine medizinische Begleitung durch ein Beratungsnetzwerk für nichtionisierende Strahlung (MedNIS) unter Koordination des Hausarztinstituts der Universität Freiburg/Schweiz und mit Unterstützung des Bundesamts für Umwelt, das nach Vorbereitungsarbeiten zum September 2023 seine Arbeit aufnehmen konnte. Das Projekt wird nun von einer Kohortenstudie begleitet, die EHS-Betroffene mit verschiedenen Symptomen, die sie auf NIS zurückführen, in mindestens zweijährigen Abständen befragt.

Einen Einblick in die Organisation von MedNIS und den Umfang der Beratung und Betreuung gibt uns die Leitende Ärztin des MedNIS, Diana Walther abschließend im Interview. Sie beschreibt die Einbindung ihrer Einrichtung in das Schweizer Gesundheitswesen mit geschulten Konsiliarärztinnen und -ärzten und schildert ihre Erfahrungen in der praktischen Beratung.

Allen Autorinnen und Autoren gilt mein großer Dank für die engagierte Zusammenarbeit und die interessanten Beiträge zu diesem Thema. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie als Leserinnen und Leser daraus wertvolle Hinweise für Ihre Beratungspraxis im Umgang mit elektromagnetischen Feldern am Arbeitsplatz und in der Umwelt ableiten könnten. Vor dem Hintergrund aktuell laufender Forschungsprojekte und der geplanten Neubewertung elektrischer und magnetischer Felder durch die WHO und die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) wird es sicher in naher Zukunft auch Updates zu diesem Thema geben.

Literatur

Chan L, Hallett M, Zalewski CK et al.: Clinical, biomarker, and research tests among US Government personnel and their family members involved in anomalous health incidents. JAMA 2024; 331: 1109–1121.

DGN – Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Havanna-Syndrom: Zu wenig wissenschaftliche Daten, um die Ursache klar benennen zu können, Pressemitteilung vom 05.04.2024. https://nachrichten.idw-online.de/2024/04/05/havanna-syndrom-zu-wenig-w… (abgerufen am 12.04.2024).

Foster KR: Commentary: Can the microwave auditory effect be “weaponized”? Front Public Health 2023; 10: 1118762 (Open Access: doi:10.3389/fpubh.2022.1118762).

NASEM – National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine: An Assessment of Illness in U.S. Government Employees and Their Families at Overseas Embassies. Washington, DC: The National Academies Press, 2020 (Open Access: doi: 10.17226/25889).

Pierpaoli C, Nayak A, Hafiz R et al.: Neuroimaging findings in US Government personnel and their family members involved in anomalous health incidents. JAMA 2024; 331: 1122–1134.

Ihr
Hanns Wildgans

Arzt für Innere und Arbeitsmedizin, Umweltmedizin, Mitglied der ASU-Redaktion, München