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Ökonomie versus Humanität?

Leistungsbeurteilung

Das Studium der menschlichen Arbeitsleistung hat eine mehr als 4000-jährige Tradition. Soweit Dokumente existieren, lie-gen Hinweise zum leistungsgerechten Entgelt bereits bei den Sumerern vor. Systematische Anwendungen einer Leistungsmessung oder Leistungsbeurteilung kennt man aber eigentlich erst aus den letzten 100 Jahren. Es begann mit den Arbeiten Frederic W. Taylors zum Scientific Management, wurde fortgeführt mit der Bewegungsanalyse von Frank B. Gilbreth, der Etablierung der Betriebswissenschaften in Deutschland, der Fließfertigung von Henry Ford, der Human-Relations-Bewegung usw. bis letztlich zu den Implikationen der „Schlanken Fabrik“ oder der Entgeltrahmentarifverträge. Die Ar-beitsphysiologie, die Arbeits- bzw. Betriebsmedizin und die Arbeitswissenschaft beschäftigen sich ebenso seit rund 100 Jahren systematisch mit der Leistungsmessung und Leistungsbeurteilung – wenn auch unter einem anderen als dem o. g. Blickwinkel.

Grund genug also, sich in dieser Zeitschrift dem Thema Leistungsbeurteilung zu widmen.

Die Zielrichtungen der Leistungsbeurteilung in den unterschiedlichen Fachdisziplinen weichen durchaus voneinander ab: Geht es bei der Leistungsbeurteilung im Industrial Engineering darum, Mitarbeiter-aktivitäten an den Unternehmenszielen aus-zurichten und den Mitarbeitern eine Rück-meldung über ihre Arbeitsergebnisse und ihr Verhalten zu geben, dann geht es bei der Leistungsbeurteilung in der Arbeitsphysiologie darum, z. B. Aussagen zur ergometrischen Leistungsfähigkeit eines Probanden zu machen. In der Rehabilitation wiederum ist die Leistungsbeurteilung eines Patienten notwendig, um ihm die Rückkehr zum angestammten Arbeitsplatz oder einem neuen Arbeitsplatz zu ermöglichen.

Die Leistungsbeurteilung im Betrieb ist häufig sowohl bei Vorgesetzen als auch bei Untergebenen ein ungeliebtes Instrument. Sie ist in der Regel mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden. Im Rahmen des Führens durch Zielvereinba-rungen (Management by objectives) werden Leistungsbeurteilungen zur Festlegung der Vergütung, Personalplanung und Personalentwicklung benötigt. Die Leistungsbeurteilung ist ebenso notwendig beim Führen durch Ergebnisorientierung (Managements by results). Sie gibt damit den Beschäftigten eine Information darüber, wie der Vorgesetze ihr Arbeitshandeln, ihre Arbeitsergebnisse und ihre Teamfähigkeit einschätzt. Der Vorgesetzte kann die Stärke-/Schwäche-Analy-sen seiner Mitarbeiter zu einem Gesamtbild seiner Abteilung aggregieren und daraus strategische und taktische Maßnahmen für die Zukunft ableiten.

Die Leistungsbeurteilung ist auch eines der Werkzeuge zur Umsetzung eines leistungsreagiblen Entgeltsystems. Akkord- und Prämienlohn sind Leistungslohnsys-teme im Bereich gewerblicher Mitarbeiter und bedürfen einer kurzfristigen Ergebnis-rückkopplung auf einem metrischen Skalen-niveau. Dagegen dient die ordinal skalierte Leistungsbeurteilung der Entgeltdifferenzierung vorwiegend im Angestelltenbereich.

Leistungsbeurteilungsprozesse im Unternehmen sind häufig nur ein „notwendiges Übel“. Kritiker sehen sie als Instrumente „tayloristisch“ organisierter Unternehmen, die definierte Hierarchien vorsehen und das Instrument der Stellenbeschreibung voraus-setzen. Leistungsbeurteilungen bilden die heute üblichen Team- und Projektstrukturen nicht oder zuwenig ab – vor allem, wenn es darum geht, Teamleistungen nach den betroffenen Teammitgliedern zu differenzieren. Werden Leistungen falsch zugeordnet, dann wirken Leistungsbeurteilungen extrem demotivierend. Der bedeutendste Kritikpunkt ist die Rückwärtsgewandtheit der Leistungsbeurteilung. Man konstatiert, dass in den periodisch stattfindenden Mitarbeitergesprächen zu viel über Ergebnisse der Vergangenheit und zu wenig über zukünftige Ziele und Personalentwicklungen gesprochen wird.

Die Leistungsbeurteilung birgt also er-hebliche Konfliktpotentiale im Unternehmen, vor allem dann, wenn die Verfahren wenig standardisiert sind und zudem teststatistische Kriterien verletzt werden. Im Regelfall wird die Leistungsbeurteilung durch den direkten Vorgesetzten des betreffenden Stelleninhabers vorgenommen. Man spricht dann von einer Abwärtsbeurteilung. Ebenso möglich ist auch die Leistungsbeurteilung durch eine Beurteilungskommission. Sind in dieser Kommission Kollegen des betroffenen Mitarbeiters vertreten, dann spricht man von einer gleichgestellten Beurteilung. Immer mehr spielt auch die Vorgesetztenbeurteilung im Sinne einer Aufwärtsbeurteilung eine Rolle. Diskutiert wird ebenfalls das „360-Grad Feedback“, bei dem Beschäftigte von ihren Vorgesetzten, Untergebenen, Kollegen und Kunden beurteilt werden.

Für technische und kaufmännische Mitarbeiter decken die Beurteilungsmerkmale üblicherweise folgendes Spektrum ab: Arbeitsergebnis, Quantität, Qualität, Einsatzbereitschaft und betriebliche Zusammen-arbeit. Damit wird deutlich, dass Leistungsbeurteilungssysteme sowohl ergebnis- als auch verhaltensbezogen sind. Das Beurtei-lungsgespräch, das mindestens einmal im Jahr durchgeführt wird, dient dazu, das Be-urteilungsergebnis dem Mitarbeiter zu ver-mitteln. Das Beurteilungsgespräch ist damit die Grundlage von Personalentwicklungsmaßnahmen und der erhofften neuen Leistungsmotivation. Es steht außer Frage, dass auch nach diesen Kriterien entwickelte Leis-tungsbeurteilungssysteme nicht nur positiv zu bewertende Arbeitsmotivation, sondern auch einen beachtlichen Erfolgsdruck beim betroffenen Mitarbeiter verursachen können. Dies war der Grund dafür, in dieses Themenheft zur Leistungsbeurteilung auch Beiträge zu der beabsichtigten Anti-Stress-Verordnung aufzunehmen – ein weiterer interessanter Schwerpunkt in dieser ASU-Ausgabe.

Das Heft beginnt mit dem Beitrag von Landau mit grundsätzlichen Ausführungen zur Leistungsbeurteilung im Unter-nehmen. Der Artikel von Bokranz beschäftigt sich mit praktischen Bewertungssystemen nach dem Entgeltrahmenvertrag (ERA). In den Kurzbeiträgen von Hille und Sherman wird die Thematik eher aus Sicht der Sozialpartner beleuchtet.

Über die Leistungsbeurteilung in den Un-ternehmen hinaus geht der Aufsatz von Ulmer zur Leistungsbeurteilung am Beispiel der Ergometrie. Hier wird insbesondere auf die DGUV-Untersuchungsempfehlungen in ihrer Relevanz für den Betriebsarzt ein-gegangen. Auch der Beitrag von Behrens be-fasst sich mit der Rechtmäßigkeit von Eignungsuntersuchungen mit der Leistungsbeurteilung im weiteren Sinne.

Zum Thema Leistungsbeurteilung passt auch der Beitrag „Untersuchungen des Sehvermögens unter arbeitsmedizinischen Belangen“, der sich mit den gesteigerten Anforderungen an das Sehvermögen in der heutigen Arbeitswelt befasst.

Univ. Prof. Dr.-Ing. Kurt Landau

Technische Universität Darmstadt

Literatur

Bokranz R: Leistungsbeurteilung. In: Bokranz R; Landau K: Handbuch Industrial Engineering. Produktivitätsmanagement mit MTM, Band 2, 2. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2012, S. 703–706.

Dilcher B (Hrsg.): Leistungsorientierte Vergütung: Herausforderung für die Organisations- und Personalentwicklung Umsetzung und Wirkung von Leistungsentgeltsystemen in der Betrieblichen Praxis. Wiesbaden: Gabler, 2010.

Ehlscheid C, Meine H, Ohl K: Handbuch Arbeit, Entgelt, Leistung. Frankfurt Main: Bund, 2006.

Landau K: Leistungsbeurteilung. In: Landau K, Pressel G: Medizinisches Lexikon der beruflichen Belastungen und Gefährdungen. 2. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2009, S. 620–622.

Landau K: Mehr tun müssen? 100 Jahre Produk-tivitätsmanagement. Stuttgart: Ergonomia, 2013.

Rutenfranz J: Ergometrische Methoden zur Be-stimmung der körperlichen Leistungsfähigkeit. In: Konietzko H, Schuckmann F (Hrsg.): Verh. Dt. Gs. Arbeitsmed. – 24. Jahrestagung, Teil III. Stuttgart: Gentner, 1984, S. 37–52.

Ulmer H-V: Zur Problematik der arbeitsmedizini-schen Leistungsdiagnostik. In: Hofmann F, Kralj N (Hrsg.): Handbuch der betriebsärztlichen Praxis (Loseblattwerk). Kap. 10: Untersuchungsmethoden, 10.1.1. Landsberg: Ecomed, 2003, S. 1–16.

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