Die Idee zum Schwerpunktthema „Offshore-Arbeitsplätze“ entstand bereits beim Bremer Betriebsärztekongress 2013. Dort wurde über die neuen Arbeitsplätze und ihre Anforderungen an betriebsärztliche Betreuung berichtet. Atemberaubende Bilder von scheinbar mitten im Meer liegen-den Windrädern kommentierte einer der Referenten lapidar mit den Worten, alle Aufnahmen seien bei schönem Wetter entstanden. Das sei in der Nordsee aber selten der Fall.
Lässt die Energiewende etablierte Arbeits-plätze in Bergbau, Kohle- und Kernkraft-werken verschwinden und werden diese er-setzt durch Arbeitsplätze in zunehmend un-wirtlicher und lebensfeindlicher Umgebung? Außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes und unseres bewährten Rettungssystems liegend, förmlich einsam auf hoher See. Ent-stehen hier gar Arbeitsplätze mit aufgeweich-tem Arbeits- und Gesundheitsschutz?
Nach längerer Recherche zeigt sich ein überraschendes Bild: Trotz Arbeitszeit-regelungen, die im Offshore-Bereich Schicht-längen von zwölf Stunden zulassen und dies auch noch in einem 14-Tages-Intervall, liegen die Unfallzahlen vergleichsweise sehr niedrig. Die Beschäftigten sind offenbar gut trainiert und weisen ein hohes Sicherheits- und Gesundheitsbewusstsein auf. Straffe Organisa-tion und Standards, die allseits akzeptiert sind, sind offshore selbstverständlich und unverzichtbar. Dieses hohe Verantwortungs-bewusstsein sollte auch onshore, also auf dem Lande gelebt werden – so der Tenor bei der Diskussion des diesjährigen Emder Offshore Workshops.
Offshore-Arbeit scheint sicherer zu sein!
Permanente Weiterentwicklung der Sicher-heitsstandards und des Präventionsbewusst-seins funktioniert nur bei enger Kooperation aller Akteure der Offshore-Branche. Techni-sche Weiterentwicklung der Anlagen ist genauso notwendig wie die Etablierung neuer medizinischer Versorgungssysteme. Als Beispiel sei die Telemedizin genannt sowie der Einsatz besonders geschulter und befugter Rettungsassistenten und Ersthelfer. Dr. med. Markus Stuhr beschreibt die Schnittstelle zwischen Arbeits- und Notfallmedizin und erklärt die Besonderheiten der Ersten Hilfe und der Notfallversorgung in Offshore-Wind-parks. Eva Neuhöfer geht auf die betriebsärztliche Betreuung ein und zeigt anhand von Kasuistiken typische Arbeitsplätze und de-ren Arbeitsbedingungen. Solche Eindrücke, die auch Ortskenntnisse voraussetzen, sind für die Arbeit betreuender Betriebsärzte sehr wichtig. Offshore-Medizin bedeutet für die Betriebsärzte vielfach immer noch Pionierarbeit. Die besonderen Anforderungen an die Eignung der Arbeitnehmer beschreibt Dr. med. Alexandra Preisser. Sie stellt uns die neue AWMF-Leitlinie zu den Eignungsunter-suchungen von Offshore-Mitarbeitern vor.
Bewusstseinswende zu mehr Präventionskultur?
Bringen die Arbeitsplätze der Energiewende auch eine exemplarische Bewusstseinswende zu einer neuen Präventionskultur? Im ein-führenden Beitrag werden verschiedene As-pekte der Offshore-Arbeitsplätze dargestellt. Prof. Dr. phil. Gabriele Elke formulierte auf dem ASU-Präventionskongress 2015 „im-plizite“ und „explizite“ Regeln als Erfolgs-faktoren für eine gelingende Präventions-kultur. Sind „implizite Regeln“ wie Werte, Normen, gemeinsame Erfahrungen und auch Führungskräfte als Vorbild auf hoher See, also auch „offshore“ (überlebens-)wichti-ger als „onshore“? Werden „explizite Re-geln“ wie z. B. Strukturen, Standards, Ziele, Anreiz- und Rückmeldesysteme dort leichter akzeptiert und verinnerlicht und somit weniger ignoriert? Wird dort einfach weniger geschummelt und geschlurt (wie man in Norddeutschland sagt), weil man 100 km vor der Küste ein anderes Gefahren- und Risikobewusstsein hat? Offenbar herrscht dort eine andere Verbindlichkeit, ein anderes Aufeinanderangewiesensein als in der Reise-kostenabteilung einer mittleren Verwaltung. Die Gruppennorm „Regelverletzungen sind erwünscht“ würde offshore sicher sofort sichtbare und fatale Folgen haben.
Beim diesjährigen A + A-Kongress in Düsseldorf verkündete die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) ihre 2017 startende neue Präventionskampagne, die über zehn Jahre laufen soll, also mäch-tig dicke Bretter bohren will: Neue Präventionskultur in deutschen Betrieben. Vielleicht können die Offshore-Arbeitsplätze und de-ren Bedingungen uns heute schon einige Hinweise geben, wie eine solche neue Präventionskultur zu erreichen ist.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Dr. med. Ulrike Hein-Rusinek