Rechtliche Grundlagen
Die Information der Beschäftigten bzw. der Versicherten zu den vorhandenen Gefährdungen und den Maßnahmen zu Sicherheit und Gesundheitsschutz wird in vielen Vorschriften und Regeln gefordert (vgl. u. a. § 12 ArbSchG, § 81 BetrVG, § 14 GefStoffV, § 14 BioStoffV, § 12 BetrSichV, § 4 DGUV Vorschrift 1). Üblicherweise wird im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung ermittelt, welche verhaltensbezogene Maßnahmen notwendig sind. Diese werden in einer Betriebsanweisung festgehalten anhand derer die Unterweisung der Beschäftigten erfolgt.
Verhaltensbezogene Maßnahmen
Allgemein wird unter Verhalten jedes Tun in Form eines verbalen, mimischen oder gestischen Handelns verstanden. Auch das Nicht-Tun, z. B. das Unterlassen einer Reaktion auf einen äußeren Reiz, ist ein Verhalten. Verhalten im Sinne dieser Definition ist prinzipiell beobachtbar. Arbeitsschutzgerechtes Verhalten äußert sich im aktiven Tun oder im Unterlassen von Handlungen mit dem Ziel, die eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer zu schützen und zu fördern sowie im aktiven Mitwirken zur ständigen Verbesserung des Arbeitsschutzes. Dies gilt differenziert auf allen betrieblichen Hierarchiestufen. So ist z. B. bei Führungskräften ein vorbildhaftes arbeitsschutzrelevantes Führungsverhalten angezeigt.
Arbeitsschutzgerechtes Verhalten der Mitarbeiter umfasst:
- Reaktives Verhalten, das erforderlich ist, um Gefahren zu entgehen oder sie nicht entstehen zu lassen.
- Vermeiden von Verhaltensweisen, die begünstigend auf den Eintritt von Gesundheitsschäden wirken.
- Aktives Beteiligen beim Identifizieren, Beurteilen und Bekämpfen von nicht akzeptablen Gesundheitsrisiken, d. h. bei der Gestaltung und Weiterentwicklung sicherer und gesundheitsgerechter Arbeitssysteme.
Arbeitsschutzwidriges Verhalten bezieht sich im Gegensatz dazu auf das Fehlverhalten auf der Basis einer bewussten Entscheidung oder auf das Nichterkennen bzw. Nichtbewältigen von Arbeitsschutzerfordernissen.
Verhalten als beobachtbares und nach außen wirkendes Tun und Handeln eines Mitarbeiters ist das Ergebnis eines psychischen Steuerungsprozesses. Dieser kognitive Prozess lässt sich als dreistufiger Informationsverarbeitungsprozess beschreiben mit den Stufen Wahrnehmen der Situation, Bewerten der Situation und Entscheiden über das folgende Verhalten.
In Abb. 1 wird dieser Informationsverarbeitungsprozess auf eine Gefahrensituation bezogen. Die drei Stufen lauten hier:
- Wahrnehmen der Gefährdung (Gefährdungswahrnehmung)
- Bewerten der Gefährdung (Gefährdungsbewertung)
- Entscheiden über das folgende arbeitsschutzgerechte bzw. sicherheitswidrige Verhalten
Beeinflusst wird dieser Prozess sowohl vom Wissen (Kenntnisse, Fertigkeiten), Wollen (Motive, Einstellungen) und Können (Fähigkeiten) des Mitarbeiters als auch vom Dürfen, d. h. den wahrgenommenen Erwartungen und Anforderungen der Arbeitsgruppe und der Vorgesetzten. Arbeitsschutzgerechtes bzw. arbeitsschutzwidriges Verhalten eines Mitarbeiters wird wie jedes Verhalten von unterschiedlichen inneren Einflüssen bestimmt. Diese Einflüsse lassen sich in vier Gruppen einteilen:
Wissen
- Verfügt der Mitarbeiter über die notwendigen Informationen?
- Hat der Mitarbeiter ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen?
Können
- Verfügt der Mitarbeiter über die für seine Tätigkeit notwendige Qualifikation?
- Ist der Mitarbeiter persönlich für seine Tätigkeit geeignet?
- Ist der Mitarbeiter vorübergehend in seiner physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt?
Wollen
- Ist der Mitarbeiter motiviert, sicher zu arbeiten?
- Hat der Mitarbeiter die notwendige Einsicht?
- Verfügt der Mitarbeiter über eine positive Einstellung zum Arbeitsschutz?
Dürfen
- Erwartet der Betrieb arbeitsschutzgerechtes Verhalten (Sicherheitskultur)?
- Wird arbeitsschutzgerechtes Verhalten unterstützt?
- Üben Vorgesetzte und/oder Kollegen Druck aus sich sicherheitswidrig zu verhalten?
Der Begriff der Verhaltensbildung bezeichnet den abschließenden Lernprozess, der zur Entwicklung von Gewohnheiten führt. Das Entstehen arbeitsschutzgerechter bzw. arbeitsschutzwidriger Gewohnheiten ist das Ergebnis von Lern- und Rückkopplungsprozessen.
Unterweisung in der Maßnahmenhierarchie
Verhaltensbezogene Maßnahmen sind notwendige ergänzende Maßnahmen auch für die sicherheitstechnische Maßnahmen, organisatorische Maßnahmen und der Nutzung Persönlicher Schutzausrüstungen. Lediglich bei Maßnahmen der obersten Rangstufe (Gefahrenquelle vermeiden/beseitigen) werden das Entstehen von Gefährdungen und damit nicht akzeptable Risiken ausgeschlossen. Bei allen anderen Maßnahmen der folgenden Rangstufen wird diese hohe Reichweite bezüglich der Wirksamkeit nicht erreicht. Insofern sind verhaltensbezogene Maßnahmen ergänzend notwendig, um den verbleibenden Restrisiken zu begegnen.
Gute Unterweisungspraxis
Unterweisung ist mehr als das Vorlesen von Regeln oder das Verteilen von Flyern. Gute Unterweisung ist
- arbeitsplatzbezogen,
- interessant,
- lernzielorientiert,
- medial aufbereitet und
- teilnehmeraktivierend.
Inzwischen haben sich viele Formen des medienunterstützten Lernens entwickelt. Mittels multimedialer Softwarelösungen können komplexe Themen behandelt werden, so dass umfassende Kompetenzen erworben werden können. Diese Lerntechnologien können auch für Unterweisungen genutzt werden. Qualitätskriterien sind Art und Weise der Interaktion und der konkrete Betriebsbezug bzw. die Möglichkeit der Individualisierung und Anpassung an die betrieblichen Gegebenheiten. Eine einfache Aneinanderreihung von Grafiken wird diesen Anspruch kaum erfüllen.
Sinnvoll und z. B. in der Gefahrstoffverordnung auch gefordert ist die Dokumentation der Unterweisung. Der Betrieb kann somit den Nachweis führen, dass er seiner Informationspflicht nachgekommen ist.
Fazit
Der Dresdner Arbeitspsychologe Prof. Erwin Gniza (1910–2007) hat in seiner Beschreibung der 2-Wege-Theorie des Arbeitsschutzes aufgezeigt, dass es möglich ist, Sicherheit in Arbeitssystemen erstens durch entsprechendes Verhalten der Beschäftigten und zweitens durch die sichere Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu erreichen. Wirkungsvoller und zuverlässiger sei der zweite Weg, so seine Erkenntnis aus der psychologischen Forschung. Dieser sog. zweite Weg hat Eingang in das Regelwerk und die Maßnahmenhierarchie gefunden. Ergänzend notwendig und auch im Regelwerk gefordert ist die Unterweisung der Beschäftigten zu sicherem und gesundheitsgerechtem Verhalten. Gefordert ist im Arbeitsschutz (und nicht nur dort) die Wirksamkeit von Maßnahmen. Eine qualitativ hochwertige Unterweisung ist deshalb notwendig und sinnvoll.
Autor
Prof. Dr.-Ing. M. Schmauder
Professur Arbeitswissenschaft
Institut für Technische Logistik und Arbeitssysteme
Technische Universität Dresden
Dürerstraße 26 – 01062 Dresden