„Herzlichen Glückwunsch zum neuen Titel, Herr Professor Bosse“, sagte Keuner zu seinem Kollegen. Er wusste, dass Bosse etwas gedreht hatte, um den Titel zu bekommen. Deswegen legte er all seine ihm zur Verfügung stehende Ironie in die Lobpreisung.
„Vielen Dank, Herr Kollege, sehr freundlich von Ihnen!“
Keuner fragte: „Erzählen Sie doch mal, man hat ja im Vorfeld gar nichts mitbekommen?“
Bei der folgenden Reaktion war sich Keuner nicht sicher, ob Bosse die aufgestellte Falle gewittert hatte oder ob dessen Kritik-fähigkeit nicht ausreichte, seinen Operettentitel zu relativieren.
„Aber Herr Keuner, Sie wissen doch wie so etwas geht, Sie sind doch auch irgendwann mal Professor geworden.“
Noch bevor Keuners rechte Faust die Kinnspitze Bosses getroffen hatte, war dessen harte Linke auf dem Solarplexus von Keuner gelandet. Entweder, der Kerl war vollständig hypertrophiert oder er war von kompletter Ahnungslosigkeit und Ignoranz beseelt. Der hat vielleicht Chuzpe, stellte Keuner fest. Diese Urteilsfindung sah ihm Bosse auch an. Die beiden würden sich nie mit Respekt und Wohlwollen gegenüber stehen.
Keuner selbst war die akademische Ochsentour gegangen: Abgeschlossenes Studium mit Promotion und Auffinden eines Chefs, der Lust und Laune hatte, einen Mitarbeiter zu habilitieren und diesen samt seiner Habilitationsschrift in der Fakultät durchzu-boxen. Der Kandidat musste die richtige Mischung aus devoter Haltung und Durchsetzungsfähigkeit aufbringen, sollte der Plan gelingen. Einerseits war er dem Chef quasi in Leibeigenschaft aus-geliefert, andererseits wurden permanent Heldentaten gefordert. Es mussten Publikationen geschrieben werden, die in renommierten Fachzeitschriften zu erscheinen hatten: publish or perish. Später trat dann der Impact Factor immer mehr in den Vordergrund. Es zählten nur noch Arbeiten, die in gelisteten Peer Reviewed Journals abgedruckt und reichlich zitiert worden waren. Um Themen und Material für derartige Publikationen zu erhalten, brauchte man Drittmittelprojekte, deren Finanzierung zuerst in aufwändigen Verfahren einzuwerben war. Man musste von Kongress zu Kongress tingeln, um die neuen Botschaften durch Vorträge oder Posterpräsentationen zu verkünden und der Scientific Community zu zeigen, hallo Leute, hier ist der neue Star auf dem Forschungsboulevard.
Auf dieser Via dolorosa hatte sich Keuner des Öfteren gefragt, warum er sich das antat. Aber es trieb ihn auch eine gewisse Sucht, wahrscheinlich ganz banal das Streben nach Erfolg und Anerkennung und, weniger banal, die Vermeidung von Langeweile. Nach sieben Jahren Knechtschaft und zahlreichen Veröffentlichungen hatte er seine Habilitationsschrift fertig. Zwei Gutachter schrieben ihre Voten und die Schrift erschien später auch als Paperback. Das Thema war sehr speziell, die verkaufte Stückzahl dementsprechend mager.
Zuvor aber fand das Männleinlaufen statt. K. musste jedem Fakultätsmitglied seine Aufwartung machen. Die vorletzte Hürde war der Probevortrag vor der ganzen Fakultät, wo Sadisten und Wichtigtuer lauerten, um dem Novizen noch einmal so richtig einzuheizen. Schlusspunkt war die Antrittsvorlesung. Danach waren Sekt und Häppchen für alle obligatorisch. Dann war man also habilitiert und durfte den Dr. med. habil. führen. Den Titel „Privatdozent“ erhielt man vom Kultusminister.
Nach vollendeter Arbeit sackte K. erst mal ein wenig zusammen. Die Spannung war weg, doch das kräftezehrende Spiel ging weiter. Doch zunächst war Keuner glücklich, dieses Ritual hinter sich gebracht zu haben. Jetzt erfüllte er die unabdingbaren Voraus-setzungen, um den wirklich akademischen Professorentitel irgendwann einmal zu erhalten und an die großen Krippen, sprich leitenden Positionen heranzukommen. Er sah viele, die auf dieser Strecke ihre Nerven, ihre Gesundheit und ihre Familie verloren. Zu Workaholics auftrainiert, machten sie nicht selten eine Bruchlandung im Burnout.
Im zweiten Teil dieser Story berichtet Ironymus über die Hierarchie der Professorentitel und die moralische Seite von erfolgreichen Karrieren.
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