„Du, ich bin jetzt auch Professor“, diese sensationelle Mitteilung konnte Keuner schon nicht mehr hören. Er hatte dann je nach Gegen-über eine von drei Fragen parat. Erstens: „Was hast du dafür bezahlt?“ Zweitens: „Was für Liebesdienste hast Du denn gewährt?“ Oder drittens: „Ist das bei Deiner letzten Chinareise passiert?“
Die meisten der frisch gebackenen Professoren waren nämlich nicht habilitiert. Manche hatten viel Geld dafür ausgegeben oder hatten Sponsoren zur Hand. Geldhungrige Pseudouniversitäten im Ausland und dubiose Bildungseinrichtungen im Inland standen allzeit bereit, Professorentitel zu verteilen, wenn denn eine Gegen-leistung erbracht wurde oder der Kandidat in die politische Landschaft passte.
Und dann gab es da noch den Honorarprofessor, den Prof. h.c. und den Präsidenten und Professor qua Amt in staatlichen Einrichtungen. Ach ja, und da wären auch noch die Juniorprofessuren für Wissenschaftler mit herausragender Promotion, aber ohne Habilitation. Diese feingliedrige Nomenklatur, für Außenstehende völlig undurchsichtig, setzte sich dann bei den „wahren“ Professoren, den Habilitierten, fort: außerplanmäßiger Professor, Universitätsprofessor, früher C2-, C3-, C4-Professor (der Buchstabe C stand für die Beamtenbesoldungsstufe), neuerdings W1-, W2- und W3-Professor (das W steht für Wissenschaft). Der C4-, resp. W3-Professor als Ordinarius stellt die Krönung dar, nicht nur weil er Instituts- oder Klinik-chef ist, sondern weil er jedenfalls früher auf eigene Rechnung liquidieren konnte. Professor war also nicht gleich Professor. Auf dem Kongress stand aber auf dem Namensschild am Revers bei jedem Prof. soundso.
Doch waren die habilitierten wirklich die besten? Führte das Habilitationsverfahren tatsächlich zu einer Positivauslese? Bei Keuner kamen immer mehr Zweifel auf. Die Grundprinzipien, die ihm sein akademischer Lehrer mit auf den Weg gegeben hatte (okay, der Chef hatte sich auch nicht immer daran gehalten), nämlich "Leben und leben lassen" und "Geben und Nehmen" existierten für das Gros der Auserwählten schlichtweg nicht. Das zeigte sich besonders bei dem Gerangel um Chefpositionen und Lehrstühle.
Charakterliche Unzulänglichkeiten schienen stil-prägend zu werden. Entscheidend war, was der eine zum anderen an der Theke über den einen oder anderen meist Mieses zu berichten wusste. Billiges Geschwätz, statt offener fairer Auseinandersetzung. Es wurde gefälscht, betrogen und geblufft. Große Geister wurden untergebuttert und gingen in die wissenschaftliche Emigration. Dünnbrettbohrer wurden zu Stars, die sich mit fremden Federn schmückten.
Keuner ließ nicht locker. Er sagte zu Bosse: „Nicht dass Sie sich den Titel an einer kolumbianischen Universität abgeholt haben. Das kann eine üble Kampagne auslösen.“
Sein Gegenüber bemerkte die versteckte Drohung. Der Keuner wäre imstande gewesen, ihn zu denunzieren.
„Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Der Titel wurde mir von der Fachhochschule verliehen.“
„Aber ich habe nie mitbekommen, dass Sie dort Vorlesungen ge-halten hätten, geschweige denn wissenschaftlich engagiert gewesen wären“, ätzte Keuner.
„Das ist auch nicht erforderlich“, erklärte Bosse ultimativ. Die Unterhaltung war für ihn damit beendet. In Zukunft war Keuner für ihn nicht mehr der Herr Professor Keuner. Genüsslich ließ er den Titel weg und sprach ihn nur noch mit Herr Keuner an.
Dich kriege ich noch, stand für Keuner fest. „Herr Bosse, angenommen, Sie sitzen mit noch ein paar anderen im Korb eines Heißluftballons. Das Gas ist ausgegangen, die Flamme erloschen, Sie fahren im Sinkflug direkt auf eine Hochspannungsleitung zu. Der Crash ist vorprogrammiert. Am Korb hängen Sandsäcke. Die Säcke symbolisieren Werte wie Gerechtigkeit, Moral, Offenheit, Wahrhaftigkeit, Nächstenliebe etc. Auf einem Sack steht auch Professor. Welchen Sack schneiden Sie ab?“
Bosse überlegte nicht lange. „Gar keinen“, kam es wie aus der Pistole geschossen.“
„Dann stürzen aber alle ab.“
„Was würden Sie denn machen?“, kam die Gegenfrage.
„Natürlich würde ich den Professorensack kappen“, sagte Keuner ohne Umschweife.
„Das wäre eine Möglichkeit.“
„Jetzt sind Sie dran. Sie haben mir immer noch nicht verraten, wie Sie sich und die anderen Ballonfahrer retten wollen?“
„Ganz einfach, einer muss springen.“
„Das macht doch keiner freiwillig.“
„Dann muss man eben nachhelfen.“
„Das wäre dann Mord, zumindest Totschlag.“
„Nein. Das Beste ist es, das jemand anderen erledigen zu lassen.“
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