Wenige Wochen später war es so weit. Er hatte einen Termin vereinbart. Ob er etwas vorbereiten solle? Nein, man brauche keine Agenda.
Das Büro des Vorsitzenden befand sich im elften Stock der Firmenzentrale, eine Etage unter den Räumlichkeiten der Geschäftsführung. Im Vorzimmer des Herrn Fuchs saßen zwei Sekretärinnen. Es wurde ihm ein Stuhl angeboten und er bekam einen Kaffee hingestellt. Der Chef habe noch Besuch. Aber es würde nicht mehr so lange dauern. Zehn Minuten später ging die Tür auf, und heraus kam der Betriebsratsvorsitzende. Dr. Benning kannte sein Bild aus der Firmenzeitschrift.
„Herzlich willkommen im Vorhof zum Olymp. Zwischen der obersten Heeresleitung und dem Politbüro befindet sich nur ein dünner Fußboden“, begann Fuchs jovial. Er wollte gleich von Anfang an klarstellen, dass bei ihm oben war. „Auf unserer Etage befindet sich auch der Personenschutz für die Geschäftsführung. Wir vom Betriebsrat sind ebenfalls so eine Art Sicherungstruppe, die Ungemach vom Unternehmen und den Mitarbeitern abhält.“
„Na, da sitzen wir ja alle im selben Boot“, sagte Benning, „auch ich sehe meine Aufgabe darin, Schaden von den Mitarbeitern abzuwenden.“
„Sehr gut. Nichts anderes habe ich von Ihnen erwartet. Im Übrigen ist das ja auch gesetzlich verankert. Aber – und damit komme ich gleich zu meinem Hauptanliegen – wir sollten uns dabei nicht in die Quere kommen.“ Der Ton des Betriebsratsvorsitzenden war immer noch verbindlich, sein Blick hingegen eiskalt. Wenn es um die Gunst der Mitarbeiter ging, duldete er keinen Nebenbuhler.
„Wieso, haben Sie diesen Eindruck?“
„Wir haben da leider ganz konkrete Hinweise. Es handelt sich um unser Kurwesen, welches sich jahrzehntelang bewährt hat und Vorbild für viele andere Unternehmen gewesen ist.“
„Und was werfen Sie mir da vor?“
„Wie Sie sicherlich mitbekommen haben, handelt es sich dabei um eine soziale Einrichtung, und so etwas ist mitbestimmungspflichtig.“
„Na klar, die entsprechende Betriebvereinbarung ist mir sehr wohl bekannt.“
„Aber warum richten Sie sich denn dann nicht auch danach?“
„Ich lese die Betriebsvereinbarung so, dass erholungsbedürftige Mitarbeiter Zugang zu unseren firmeneigenen Erholungseinrichtungen haben sollen.“
„Allerdings wird gefordert, dass sie mindestens zehn Jahre im Unternehmen tätig gewesen sind.“
„Richtig. Ich bin also hergegangen und habe diejenigen Mitarbeiter, die in meiner Ambulanz aufgetaucht sind und von denen ich den Eindruck hatte, dass bei ihnen ein ganz besonders dringlicher Erholungsbedarf besteht, für die Kur vorgeschlagen.“
„Und genau das war Ihr Fehler.“
„Aber wieso denn? Ich darf in diesem Zusammenhang an mein Eingangsstatement erinnern.“
„Ihnen ist doch aber auch sicherlich bekannt, dass wir nur ein begrenztes Kontingent an Plätzen zur Verfügung haben.“
„Sicherlich. Deswegen habe ich in meiner Liste eine Priorisierung nach Dringlichkeit vorgenommen.“
„Das ist nicht Ihre Aufgabe. Seit jeher ist es bei uns so, dass das Kontingent an freien Plätzen auf der Basis der Personalstandszahlen in den einzelnen Bereichen aufgeteilt wird. Dann werden von uns Vorschläge gemacht, wer zur Kur fahren soll und die jeweilige Leitung stimmt dem im Allgemeinen zu. So war es und so soll es auch bleiben.“
„Dagegen ist ja auch überhaupt nichts einzuwenden. Was ich bloß nicht ganz verstehe, ist die gängige Praxis, die ausgewählten Kandidaten zu mir zu schicken mit der Frage, ob sie für eine Hochgebirgs-Trainings-Kur geeignet sind. Gelegentlich muss ich das aufgrund vorbestehender Herz-Kreislauf-Erkrankungen verneinen. Und das gibt dann permanent Stunk mit den Probanden, die sich schon auf einen schönen Erholungsurlaub gefreut hatten. Die beschweren sich bei ihren Mitarbeitervertretungen und die stehen dann zentnerschwer in meiner Ambulanz.“
„Das sind eben die Regeln.“
„Ja, aber Regeln kann man doch auch ändern, wenn man festgestellt hat, dass es bessere Kriterien gibt. Es ist doch absurd, wenn ich als Arzt lediglich die Kurfähigkeit attestiere, zur Kurbedürftigkeit aber nichts sagen soll.“
„Es geht nicht um Ihre Befindlichkeiten, es geht darum, dass Sie ihren Job richtig machen. Und wenn Sie das in unserem Unternehmen weiter tun wollen, dann kann ich Ihnen in aller Freundschaft nur empfehlen, keine Revolutionen anzuzetteln.“
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