Im Normenkontrollratsgesetz ist u. a.verankert, dass die Regierung und das Parlament dem Normenkontrollrat, einem unabhängigem, beim Bundespräsidenten angesiedeltem Gremium, Zahlenangaben zu Bürokratie- und Folgekosten vorlegen müssen, bevor über Gesetze entschieden wird. Das sei keine Schönwetterveranstaltung, sondern eine gesetzliche Vorgabe, so der Vorsitzende des Rats, Johannes Ludewig. Offensichtlich bestehen hier jedoch große Interpretationsspielräume, so dass das „Wetter“ von der initiierenden Stelle – hier dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Falle der Dritten Veränderung der Berufskrankheitenverordnung – selbst gemacht werden kann.
Mit der 3. BKV-ÄndV werden vier weitere Berufskrankheiten neu in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommen: Das Larynxkarzinom durch Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen, das Karpaltunnelsyndrom, das Hypothenar- und Thenar-Hammer-Syndrom und die Plattenepithelkarzinome oder auch die multiplen aktinischen Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung. Im entsprechenden Referentenentwurf vom 11. 09. 2014 werden Zahlen zu den zu erwartenden Haushaltsausgaben und zu den Erfüllungsaufwendungen für Wirtschaft und Verwaltung sowie für die Leistungsausgaben bei den Unfallversicherungsträgern vorgelegt. Es handelt sich um Millionenbeträge, die aber angesichts der Gesamtleistungsaufwendungen der Unfallversicherung in Höhe von rund 9 Milliarden Euro als marginal dargestellt werden. Immerhin werden Verwaltungskosten in Höhe von 20 Mio. Euro und Leistungsausgaben im Umfang von 12 Mio. Euro pro Jahr veranschlagt, angeblich mit abnehmender Tendenz.
Bemerkenswert sind auch die Berechnungsmethoden. So liest man im Referentenentwurf, dass die neuen BKn bei den Unfallversicherungsträgern nicht zu neuen Leistungspflichten führen würden, da diese Krankheiten aufgrund der veröffent-lichten Empfehlungen des Ärztlichen Sachverständigen-beirats „Berufskrankheiten“ beim BMAS bereits seit geraumer Zeit gem. § 9 Abs. 2 SGBVII wie eine Berufskrankheit zu entschädigen seien. Die rechtsförmliche Aufnahme der Erkrankungen in die Verordnung schreibe die bestehende Entschädigungspflicht lediglich fest. Dies mag formaljuristisch zwar richtig sein, trifft aber die sozioökonomische Dimension nur unzureichend. Die Grundgeschwindigkeit wird hier – wie in der eingangs dargestellten Allegorie – ausgeblendet. Darüber hinaus sind die Grundannahmen zur Folgenkostenberechnung wenig transparent und lückenhaft. So fehlen beispielsweise die Ausgaben für die konsekutive medizinische Begutachtung.
Bürokratieabbau wird u. a. durch Prozessoptimierung erreicht. In diesem Zusammenhang sind das BK-Verfahren und insbesondere die Indikation zur BK-Meldung zu nennen. Die früher vom Sachverständigenbeirat formulierten Merkblätter zu den einzelnen Berufskrankheiten, die eine wertvolle Hilfe bei den BK-Anzeigen darstellten, werden schmerzlich vermisst. Deren Aktualisierung und Neuerstellung wurde aus unerfindlichen Gründen eingestellt. Resultat sind mehr unzureichend begründete BK-Meldungen mit Erhöhung des Erfüllungsaufwands in Form zusätzlicher BK-Verfahren. Und es werden bei den betroffenen Versicherten Erwartungen geweckt, die letztendlich nicht oder nur zum Teil erfüllt werden können. Ratlos bleibt der unbedarfte Leser, wenn er erfährt, dass wegen der spezifischen Voraussetzungen die Berufskrankheit Larynxkarzinom durch schwefelsäurehaltige Aerosole nur extrem selten auftritt und bisher keine Anerkennungsfälle als Wie-BK vorliegen.
Ratlos wird auch der eine oder andere medizinische Gutachter bleiben, wenn er begründen soll, ob das als Volkskrankheit einzu-stufende Karpaltunnelsyndrom im Einzelfall denn nun berufsbedingt ist oder nicht. Leider gibt es hier, wie im Übrigen auch bei den anderen orthopädischen Berufskrankheiten, kein belastungskonformes Schadensbild. Daraus entsteht eine gewisse Beliebigkeit in der Anerkennungspraxis, die ebenfalls nicht zum Bürokratieabbau beiträgt.
Zugegeben, eine Gesetzesfolgenabschätzung im Berufskrankheitenrecht erfordert vielschichtige Vorüberlegungen mit vielen Unbekannten. Sie ist ebenso mit Unsicherheiten belastet, wie die langfristige Wettervorhersage. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass in der vorliegenden Folgenkostenabschätzung zur 3. BKV-ÄndV einmal mehr eine zu optimistische Wetter-, bzw. Finanzprognose gestellt worden ist.
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