Die Reporterin des Fernsehregionalsenders interviewt den Leiter der internen Kommunikation eines mittelständischen Maschinenbauers.
„Wir haben am zweiten Tag unserer Strategietagung auf eine Ansprache unseres Vorstandsvorsitzenden verzichtet“, berichtet der Kommunikationsexperte. „Stattdessen wurden alle Teilnehmer aufgefordert, in Turnhose und Sportschuhen zu erscheinen. Zwei Stunden Bewegung und Meditation. Wir wollten ein Zeichen setzen. Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“
„Ist das Prävention, was Sie da betreiben?“, fragt die Reporterin.
„Selbstverständlich. Natürlich haben wir uns mit dem Präventionsberater unserer Betriebskrankenkasse abgestimmt. Bei uns werden nur bewährte Verfahren zur Gesundheitsvorsorge eingesetzt.“
„Böse Zungen behaupten nun, dass diese Art von Vorsorgeprogrammen hauptsächlich dem Marketing der BKK dient. Es sollen damit neue Kunden angelockt werden.“
„Das ist Unsinn. Wenn die AOK Gesundheitstage bei uns veranstalten will, dann ist auch sie herzlich willkommen.“
„Was nicht ausschließt, dass die dann auch Werbung machen.“
„Sie sind zu sehr auf das Marketing fixiert. Schauen Sie, wir ha-ben einen Workshop unter fachkundiger Leitung einer renommierten Psychologin veranstaltet. Hier konnten unsere Mitarbeiter Ideen über gesundheitsfördernde Maßnahmen auf betrieblicher Ebene ein-bringen. Das Ergebnis werden wir sukzessive in unsere betriebliche Praxis umsetzen.“
„Das scheint ja eine Renaissance der Gesundheitszirkel aus den 1980er und 1990er Jahren zu sein. Erzählen Sie doch mal, was da raus gekommen ist.“
„Wir haben einen knackigen Slogan gesucht und auch gefunden. Er lautet: 'Obst statt Kekse'.“
Die Reporterin schaut den Kommunikationsexper-ten fassungslos an. „Sind Sie der Meinung, dass Kekse im Allgemeinen gesundheitsschädlich sind?“
„Nein, natürlich nicht. Mit diesem Slogan wollen wir ein Umdenken herbeiführen. Schauen Sie, die ganzen Aufrufe zur Bewegung, wie 'Aufzug meiden – Treppe benutzen' oder 'Einmal pro Tag schwitzen' oder 'Fit for fun' haben doch nicht viel gebracht. Die Leute werden immer dicker. Nur die, die schon vorher gesundheitsbewusst gelebt haben, machen da mit und werden immer dünner.“
„Leichtes Übergewicht wird allerdings schon seit einiger Zeit als eher ge-sundheitsfördernd eingestuft. Je nach Studienlage verschieben sich da die Orientierungswerte.“
„Wir wollen die Gesundheit nicht an einzelnen Parametern fest-machen, sondern orientieren uns an der WHO: Gesundheit ist demnach der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens.“
„Das ist natürlich ein außergewöhnlich hochgestecktes Ziel, das nur in Ausnahmefällen und nicht auf Dauer erreicht werden kann. Also eine Fiktion. Was machen Sie denn mit jemand, der Obst nicht mag und der sich mit seiner Wampe pudelwohl fühlt?“
„Das ist dann ein hoffnungsloser Fall.“
„Aber ist denn 'Obst statt Kekse' nicht einfach nur ein Ablenkungsmanöver. Die Arbeits- und Organisationspsychologen sagen uns doch, dass der ungute Stress am Arbeitsplatz durch Organisationspathologien und insuffizientes Führungsverhalten verursacht wird.“
„Dafür haben wir die Gefährdungsbeurteilung.“
„Und haben Sie daraus schon Konsequenzen gezogen?“
„Nein, bislang noch nicht, aber wir haben das alles sauber doku-mentiert.“
„Wenn ich zusammenfassen darf, dann ist für Sie Wohlfühlen gleich Prävention.“
„Wir wollen natürlich mehr, als nur Wohlfühlgefühl. Wir wollen auch die Gesundheit fördern.“
„Das geht aber doch nur, wenn man die Mitarbeiter dahin bringt, dass sie Dinge tun, bei denen sie lieb gewordene Verhaltensweisen über Bord werfen, indem sie ein Teil Wohlfühlen für präventive Verhaltensweisen opfern. Das bedeutet für die meisten Mühsal. Und außerdem: Diese Präventionsstrategien befinden sich auch auf dem Prüfstand.“
„Darf ich Ihnen ein Geheimnis verraten – off the records? Natürlich will die BKK neue junge Mitglieder gewinnen. Die reprä-sentieren die guten Versicherungsrisiken. Erreicht werden die in den Firmen. Gleichzeitig sollen bei den Personen, die bereits Mitglied sind, die Erkrankungsrisiken gesenkt werden – Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen hin oder her. Das ist Kostendegression durch qualifizierte Mengenausweitung. Unsere Mitarbeiter profitieren dabei in zweierlei Hinsicht: Sie sind zufriedener und die Beiträge zur Krankenkasse können zumindest stabil gehalten werden.“
„Noch eine letzte Frage. Welche Rolle hat denn Ihr Betriebsarzt bei der ganzen Aktion gespielt?“
„Der hat sie wohlwollend begleitet. Seine Einsatzzeiten haben aber nicht ausgereicht, um da aktiv mitzumachen.“
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