Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Sparfüchse

Erstes Telefonat:

„Guten Morgen, Herr Weinmann, hier spricht Keuner.“ Weinmann war Leiter der Abteilung Unfallsachbearbeitung bei der BG.

„Grüß Gott aus dem schönen Frankenland, Herr Professor.“ Herr Prof. Dr. Keuner war der Gutachter, ein anerkannter Spezialist für asbestbedingte Lungenerkrankungen.

„Ich habe ja ein Gutachten angefertigt, wo es um die Differential-diagnose hinsichtlich Amyloidose und Asbestose ging. Erinnern Sie sich?“, fragte Keuner.

„Freilich. Vielen Dank, ein wirklich hervorragendes Gutachten“, antwortete Weinmann.

„Das war ein harter Brocken, auch wegen der diversen Vorgutachten. Das Gutachten umfasst 65 Seiten und beinhaltet eine aufwändige Literaturrecherche. Die entsprechenden Leitziffer 165 im Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger kann diesen Aufwand nicht abbilden.“

„Aber diese Gebühr wurde doch erst zum 01. 04. 2014 von 317,58 auf 360,00 Euro erhöht.“

„Lächerlich! Das war die erste Erhöhung seit 12 Jahren, also pro Jahr gerade mal 1 %. Das ist nicht einmal der Inflationsausgleich. Ich hatte Ihnen einen Kostenvoranschlag über 2500 Euro zukommen lassen und mich dabei an der Entschädigung gem. M3 auf der Basis des JVEG orientiert. Den Preis hatten Sie akzeptiert. Jetzt haben Sie aber lediglich 1500 Euro überwiesen. Was ist denn schief gelaufen?“

„Ähh …“

„Hallo, sind Sie noch dran?“

„Ja, schon. Es ist leider so, dass ich nur bis 1500 Euro zeichnungs-berechtigt bin. Wenn ich mehr genehmige, dann riskiere ich meinen Arbeitsplatz.“

„Gott bewahre. Dennoch müssen Sie auch mich verstehen. Sie bezahlen mir einen Stundensatz von vielleicht mal 35 Euro. Dafür kommt kein Schornsteinfeger.“

„Herr Professor, vielleicht können wir es so machen: Der Vorgutachter wird sicherlich eine Replik formulieren. Ihre Stellungnahme dazu könnte ich dann ebenfalls mit 1 500 Euro honorieren.“

„Also gut, so könnten wir das wieder geradebiegen.“

Nie wieder hörte Keuner etwas in dieser Angelegenheit.

Zweites Telefonat:

Doch den Sachverstand von Professor Keuner wollte man dennoch weiter anzapfen. Daher versuchte Weinmann einen Ausgleich dergestalt hinzubekommen, dass er Erstgutachten und Nachbegutachtungen bezüglich asbestassoziierter Erkrankungen vermehrt zu Keuner schickte. Das Gutachterauswahlrecht seitens der Patienten gem. § 200 SGB VII wurde hier durch die BG ausgehebelt, indem man den Versicherten gegenüber erklärte, dass es nur wenige Spezialisten für diese Problematik geben würde. Einer davon sei Keuner.

„Herr Weinmann, hier bin ich schon wieder“, sagte Keuner am Telefon.

„Grüß Gott, Herr Professor. Was kann ich für Sie tun?“

„Eine Menge. Die MdE-Nachbeurteilungen werden immer auf-wendiger. Um hier eine nachvollziehbare Einschätzung treffen zu können, muss ich den Verlauf der Lungenfunktionswerte chronologisch darstellen. Bei Vorgeschichten über mehrere Jahrzehnte und Aktenlagen von 300 Seiten oder mehr ist das sehr aufwendig. Außerdem habe ich mir die radiologischen Bilderserien genau anzuschauen. Da kann schon mal mehr als eine Stunde draufgehen. Die Leitziffer 160, die Sie hier ansetzen, deckt mit 180 Euro Gebühr den Aufwand in der Regel nicht ab.“

„Aber mir sind auch hier die Hände gebunden.“

„Und ich muss als selbständiger Gutachter auf Wirtschaftlichkeit achten. Was mich darüber hinaus irritiert, ist, dass Sie die radiologischen und lungenfunktionsanalytischen Untersuchungen vor Ort durchführen lassen und der Gutachter den Patienten beim nach-folgenden Aktengutachten gar nicht zu Gesicht bekommt.“

„Aber Sie wissen doch: die Reisekosten!“

„Für mich maßgebend sind die entsprechenden Begutachtungsrichtlinien in der Falkensteiner Empfehlung und in der AWMF-Leitlinie. Und danach ist eine körperliche Untersuchung im Rahmen der Begutachtung unabdingbar. Wenn man sich vergegenwärtigt, welche Summen für Kompensation und Rehabilitation im BK-Bereich aufzubringen sind, dann fallen die Begutachtungskosten doch kaum ins Gewicht. Und ausgerechnet hier wollen Sie sparen. Das ist eigentlich ein Fall für das Bundesversicherungsamt oder das BMAS. Mich wundert außerdem, dass ihre Vertreterversammlung bei dieser Politik mitmacht.“

„Ich sage es Ihnen zwar ungern, aber es ist die Wahrheit. Unsere Berufsgenossenschaft ist pleite. Wir hängen am Tropf des Solidarfonds.“

Professor Keuner dachte an die wunderschöne Altbausanierung der BG-Geschäftsstelle im historischen Teil der Stadt. Er erinnerte sich, dass der Hauptgeschäftsführer auf der letzten wissenschaftlichen Jahrestagung mit Chauffeur vorgefahren war. Und er beschloss, künftig nur noch Gutachtenaufträge mit leistungsgerechter Bezahlung zu akzeptieren, mit der Folge, dass er nie wieder etwas von dieser BG hörte.

    Schreiben Sie uns!

    Ironymus freut sich auf Ihre Beiträge!

    E-Mail: ironymus@hvs-heidelberg.de

    Die Zuschriften werden selbstverständlich anonym behandelt. Diese werden die nächsten Glossen entscheidend prägen.

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen