O. E.: Worum geht es bei der Alexander-Technik?
S. T.: Diese Methode wurde vom australischen Schauspieler F.M. Alexander etwa um 1900 entwickelt. Oftmals wird sie von Schauspielern, Tänzern oder Sängern eingesetzt, findet aber auch häufig Anwendung bei Ärzten, Politikern und Managern.
O. E.: Warum ist diese Technik heute noch aktuell?
S. T.: Heutzutage hetzen wir in unserem Leben häufig von A nach B, wir machen vieles richtig und wollen in jedem Fall gut sein, geliebt werden und Ziele erfüllen. Selten stellen wir die Art und Weise „wie“ wir dabei mit uns selbst umgehen in Frage: Wir haben Karrieremodelle oder Lebensentwürfe und möchten uns gerne in einem dieser Modelle wiederfinden.
Radikale Änderungen unserer Sichtweise lassen wir nur bei einem Schicksalsschlag oder einer nicht mehr zu ignorierenden Krankheit zu, wie beispielsweise einem Burnout. Und selbst dann ist die Verlockung sehr groß, doch so weiter zu machen wie bisher. Es fühlt sich eben bekannt und dadurch richtig an. Wir haben es hierbei mit fundamentalen Gewohnheiten im tiefsten inneren unserer Seele und unseres Herzens zu tun. Die Alexander-Technik kann uns dabei helfen, eine grundlegende Änderung herbeizuführen.
O. E.: Und das Besondere an dieser Technik?
S. T.: Mit dieser Arbeit kann man einen Weg finden, gelassener und angemessener auf den jeweiligen Reiz zu reagieren. Anstatt den Körper in der Aktion zusammen zu ziehen und zu verkürzen, agiert man aufrecht und ruhiger. Die Anwender dieser Technik bedienen sich eines ausgefeilten Ablaufs mentaler Anweisungen und dem immer wieder trainierten „Loslassen“.
Die Anweisungen werden vom gesamten kinästethischen Sinn erkannt, und die Muskeln, Sehnen und Bänder freuen sich über die konstruktive Beschäftigung mit dem Selbst. Die Wirbelsäule richtet sich auf, und fast nebenbei verabschieden sich die Rücken- oder Nackenschmerzen. So wird der Mensch klarer und achtsamer, behält viel leichter den Überblick und kann sich kompetenter vor dem Ausgebranntsein schützen. Man hat am Ende des Tages mehr Energie, obwohl man weniger tut!
O. E.: Können Sie beschreiben, wie so eine Behandlung konkret abläuft?
S. T.: Da sind wir an einem sehr wichtigen Punkt: Es handelt sich nicht um eine Behandlung, sondern um eine Technik! Sie basiert auf der Überzeugung, dass der Mensch ein Organismus ist, in dem alle geistigen, seelischen und körperlichen Prozesse untrennbar miteinander verbunden sind. Durch seine Methode verbindet Alexander mentale und körperliche Prozesse.
So wird verstehbar, dass die Technik via Unterricht vermittelt werden muss. Dem Schüler wird beispielsweise unmittelbar ver-mittelt, dass die Grundhaltung die aufrechte Haltung bei gleichzeitig größtmöglicher Gelöstheit der Muskulatur ist. Der Unterricht erfolgt in oftmals langsamen Tempo, in dem sich der Schüler seiner Empfindungen auch bei kleinsten Haltungs- und Bewegungsunterschieden bewusst werden kann. Der Lehrer (Coach) gibt sowohl Handlungs-anweisungen und greift auch mit unterricht-begleitenden, sanften manuellen Korrekturen ein.
O. E.: Beschreiben Sie doch bitte typische Übungen.
S. T.: Spezielle Übungen gibt es in meinem Coaching nicht. Stattdessen geht es um all-tägliche Bewegungen wie Gehen, Sitzen, Bücken oder auch Schreibtischarbeit: Alles was der moderne Mensch an kleinen oder größeren Erledigungen am Tage zu verrich-ten hat. Diese automatischen Muster werden bewusst gemacht und auf eine fast spielerische und leichte Art verändert. In der Regel begegnen sich Coach und Lernen-der in Einzelstunden. Im Allgemeinen werden zunächst 25 bis 30 Lektionen von ca. 50 Minuten empfohlen. Die Schulung kann allerdings auch in Gruppen als Seminar stattfinden.
O. E.: Und es funktioniert?
S. T.: Diese Frage bejahe ich sowohl aus eigener Erfahrung als auch vor dem Hintergrund jahrelangen Trainings mit zahlreichen Kunden. Leider gab es bislang nur wenige objektive Untersuchungen. So konnten beispielsweise Fotostudien von Wilfred Barlow aus dem Jahr 1973 eindeutig die durch Ale-xander-Technik bewirkten Haltungsänderungen dokumentieren. Im wissenschaftlichen Kontext konnten Hinweise auf positive Effekte bei der Behandlung des Morbus Parkinson nachgewiesen werden. Laut einer randomisierten wissenschaftlichen Studie von 2008 sind bereits sechs Unterrichtsstunden in Alexander-Technik ausreichend, um positive Langzeiteffekte bei chronischen Rückenschmerzen zu erzielen.
O. E.: Wer profitiert nach Ihrer Erfahrung besonders?
S. T.: An vielen Musik- und Schauspielschulen im In- und Ausland ist die Alexander-Technik fester Unterrichtsbestandteil. Vor allem Schauspieler, Musiker und Tänzer, aber auch Menschen, die viel am Computer arbeiten oder aus anderen Gründen an Schmerzen leiden, nutzen die Alexander-Technik. Von Ärzten, Politikern und Managern in der Wirtschaft ganz zu schweigen.
O. E.: Bezahlen die Krankenkassen für die Kurse?
S. T.: Die Kosten für das Coaching auf Basis der Alexander-Technik werden von den Kran-kenkassen bislang leider nur selten übernommen. Eine große Krankenkasse bezeichnete die Methode sogar abfällig als „ein Element der persönlichen Lebensgestaltung“. Das ist sehr schade, zumal es jenseits unserer Grenzen positive Beispiele gibt: Viele Zusatzversicherungen in der Schweiz beteiligen sich an den Kosten für die Lektionen, wenn es beispielsweise um Kopfschmerzen, Schleudertrauma, Rückenschmerzen, Nackenverspannungen, Kniebeschwerden und zahlreiche weitere Indikationen geht.
O. E.: Wer nimmt an Ihren Kursen teil?
S. T.: Die Alexander-Technik ist jedermann uneingeschränkt zu empfehlen. Besonders häufig wird sie von Führungskräften und Kreativen genutzt. Ebenso kommen von Parkinson und MS-Betroffene zu mir, aber auch Menschen mit Burnout oder solche, die einen Schlaganfall erlitten haben. Grund-sätzlich eignet sich die Technik wirklich für alle Menschen, die sich eine tiefgreifende Veränderung ihres Verhaltens auf allen Ebenen wünschen.
O. E.: Beschreiben Sie doch bitte die mittel- bis langfristigen Effekte.
S. T.: Es ergibt sich ein verbessertes Lebensgefühl und mehr Leichtigkeit im Sein. Das seelische Wohlbefinden wird gestärkt und inspiriert durch die leichtfüßige Art und Weise, wie man diese mentalen Direktiven anwendet. Die Auswahl der Worte liegt beispielsweise bei „LASSEN“ oder „DARF“ anstatt von „MÜSSEN“ und „SOLLEN“.
Wenn sich Körperteile beziehungsweise das gesamte Körpersystem von Dauerbelas-tungen (auch psychischer Belastung) erholen kann, fühlt man sich schlicht und ergrei-fend besser. Viele Anwender der Technik sprechen von mehr Zufriedenheit und Gelassenheit.
Ein weiterer Aspekt ist die erhöhte Präsenz und Klarheit, wichtig beispielsweise für Chirurgen, Ärzte oder sich in der Öffent-lichkeit präsentierende Menschen: Politiker oder auch viele bekannte Hollywood-Schau-spieler profitieren vom Anwenden der Technik, denn das Loslassen von alten (schlechten) Gewohnheiten verstärkt die unmittelbare Präsenz und Umsichtigkeit in jeder Art von Aktivität und Handlung.
O. E.: Wie und wo kann man die Alexander-Methode ausprobieren oder erlernen?
S. T.: Weltweit gibt es Alexander-Technik Gesellschaften mit Listen von Lehrern in der Nähe. Man kann eine Probestunde buchen und so diese hochinteressante Methode di-rekt und praktisch erleben und dann beurteilen.
O. E.: Vielen Dank für das Gespräch.
Vorbemerkung zu dem nachfolgenden Interview mit Herrn Steven Töteberg über die “Alexandertechnik“
Mit dem Abdruck des folgenden Interviews geht die ASU versuchsweise einen neuen Weg. Nach intensiver und konträrer Diskussion in der Redaktion zusammen mit der Verlagsleitung wurde gefolgert, dass zukünftig auch Themen angesprochen werden sollen, die fernab der Schulmedizin liegen. Der Redaktion ist dabei durchaus bewusst, dass sie damit ein Stück weit den Weg der Wissenschaftlichkeit und der „Evidence-based Medicine“ verlässt.
Die im Interview propagierte „Alexandertechnik“ ist in der Vergangenheit in wissenschaftlichen Studien mehrfach untersucht worden. In einer Metaanalyse von 18 Publikationen gelangten Woodmann und Moore in Int J Clin Pract 2012; 66: 98–112) zu dem Ergebnis, dass die Evidenz der Wirksamkeit der Alexandertechnik schwach ist.
Eine ähnliche Schlussfolgerung publizierten Klein et al. zwei Jahre später (BCM Complement Altern Med 2014; 14: 414). Die Autoren konnten in ihrem systematischen Review keinerlei Vorteile des Verfahrens feststellen.
Im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Fakten wird verschiedentlich die Meinung vertreten, dass die Alexandertechnik ein geeignetes Verfahren zur Schmerzlinderung und zum Stressabbau darstellt.
Angesichts der kontroversen Auffassungen wäre es für die Redaktion deshalb wichtig, die Meinung unserer Leserinnen und Leser zu erfahren. Bitte nehmen Sie sich einige Minuten Zeit und schicken Sie uns Ihren Kommentar an die folgende E-Mail-Adrresse:
meinung@asu-arbeitsmedizin.com
Prof. Dr. med. T. Küpper, Mitglied der Redaktion
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Steven Töteberg
oder
Alexander-Technik-Verband Deutschland e. V.
Postfach 5312
79020 Freiburg