Ziel des Dialogforums ist „der wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Austausch zwischen Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit zum Wohle der arbeitenden Menschen“, betont Prof. Dr. Stephan Letzel, Mainz, Vizepräsident der DGAUM und Wissenschaftlicher Leiter der Tagung.
Die große Zustimmung der anspruchsvollen Fortbildung zeigte sich daran, dass nahezu bis zum Ende alle Stühle besetzt blieben. In den Pausen nutzten die Teilnehmer die Veranstaltung zum fachlichen und kollegialen Austausch und Dialog im Themenspektrum betriebliche Prävention und Gesundheitsförderung. In seinem Grußwort machte Dr. med. Dipl.-Chem. Paul Otto Nowak für die Landesärztekammer Hessen deutlich, dass diese Tagung die derzeit Einzige in Hessen dieser Art sei, die auch der Vernetzung der Kolleginnen und Kollegen in der Region diene. In einer Zeit, in der das zur Verfügung stehende Wissen sich innerhalb kürzester Zeit vervielfache, gehöre eine qualitätsorientierte Fortbildung zum A und O, auch und gerade in der Arbeitsmedizin. Die Landesärztekammer Hessen hat sich für die betriebsärztliche Betreuung besonders engagiert durch Änderung der Weiterbildungsordnung Arbeitsmedizin, der Umsetzung der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie und der Implementierung der alternativen bedarfsorientierten Betreuung von Arztpraxen (AbBA).
Das Programm spiegelte die Bandbreite der Arbeitsmedizin. Neuesten Erkenntnissen wurde dabei genauso Rechnung getragen wie den „klassischen“ Themen, bei denen aufgrund von deren Komplexität oder Fortentwicklung Informations- und Diskussionsbedarf besteht.
Es wurde erstmals in diesem Rahmen das Präventionsgesetz, das am 1. Januar 2016 vollständig in Kraft getreten ist, mit seinen Chancen und Risiken für die Arbeitsmedizin vorgestellt. Prof. Dr. Thomas Weber, konnte im Besonderen auf die gestärkte Bedeutung der Prävention und Gesundheitsförderung in Betrieben eingehen. Für Weber liegt ein klarer Schwerpunkt des Präventionsgesetzes im Setting-Ansatz (Lebensweltenansatz). Dieser hat die Förderung von Gesundheit in alltägliche Lebensbereiche hinein verlegt, so Wohnen, Schule und – ganz besonders – den Betrieb. Hier sind Menschen für Gesundheitsförderung erreichbar. Es würden Strukturen, Projekte oder ein noch nicht vorhandenes Betriebliches Gesundheitsmanagement gestärkt, vernetzt oder aufgebaut. Bedarfsgerecht soll vor allem in den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gefördert werden. Das Präventionsgesetz sehe auch finanzielle Mittel vor. So werden 7,– Euro pro Versichertem gesetzlicher Krankenkassen aufgewandt, 2,– Euro davon für Gesundheit im Betrieb. Kontrovers diskutiert wurde die Realisierung der im Gesetz vorgesehenen Einbindung von Betriebsärzten in die mit Krankenkassen abrechenbaren Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen.
Chancen und Risiken der Telemedizin in der Arbeitsmedizin, auf dem Boden von Arbeit 4.0, wurden von Prof. Dr. Stephan Letzel, dargelegt. Es könne, so erläuterte Letzel, die Telemedizin den persönlichen Arztkontakt nicht ersetzen, sondern helfen, Defizite auszugleichen. Sie könne hilfreich sein, wenn z. B. Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, die weit entfernt tätig sind, zu einer ersten Einschätzung zu Arbeitsplatzproblemen ihren Arbeitsmediziner per Telemedizin kontaktieren könnten. Oder auch als Telekonsil zur Beratung eines Arztes vor Ort zur besseren Einschätzung eines unklaren Hautbefundes durch einen Hautspezialisten. Es sei noch vieles zu klären; so gelte es Datenschutz und Qualität sicherzustellen, auch sei eine Fernbehandlung weder nach dem Standesrecht zulässig noch ärztlich sinnvoll. Insbesondere ersetze die Telemedizin auch nicht die persönliche Kenntnis des Arbeitsplatzes durch den Arbeitsmediziner.
Beim Impfforum wurden aktuelle Aspekte arbeitsmedizinisch relevanter Impfungen von Prof. Dr. Dirk Matthias Rose, Universität Mainz, dargestellt. Der Bogen reichte vom Hintergrund von Impfängsten in Teilen der Bevölkerung über die Stärkung der Impfprävention durch das neue Präventionsgesetz bis zu der jetzt lebenslangen Gültigkeit der Gelbfieberimpfungen.
Prof. Dr. Dennis Nowak, München, gab ein praxisbezogenes Update „Pneumologie“. Spannend berichtete er vom Vorkommen neuer arbeitsbezogener Erkrankungen wie der Silikose beim Schleifen künstlicher Granite im Mittelmeerraum, der Sinnhaftigkeit eines neuen Früherkennungsverfahrens für Atemwegserkrankungen analog dem bei Hautkrankheiten erfolgreichen Hautkrebsscreenings. Praxisrelevant auch die Vorstellung deutlich individuellerer neuer GLI (Global lung function initiative) Lungenfunktionsreferenzwerte.
Priv.-Doz. Dr. Christoph Oberlinner stellte das Betriebliche Gesundheitsmanagement anhand seiner hier vorbildlichen Entwicklung bei BASF dar, lange bevor es heutige Arbeitsschutzgesetze oder das Präventionsgesetz gab. Das globale Gesundheitsmanagement von BASF beeindruckte inhaltlich, weil es eine hohe Akzeptanz und Durchdringungsrate bei den Mitarbeitern hat.
Anlass zur Diskussion gab auch ein weiterer Vortrag von Prof. Dr. Dirk Matthias Rose, mit „Fume Events: das Sick-Building-Syndrom im Flugzeug?“. Smoke- und Smell-Events (Fume-Events), so Rose, sind ein „extrem seltenes Vorkommnis“ und treten in etwa 0,15 % aller Flüge der zivilen Verkehrsluftfahrt auf. Dabei klagen einzelne Fluggäste und Besatzungsmitglieder über Geruchsbelästigung mit einhergehenden körperlichen Krankheitssymptomen, wie Übelkeit, Schwindel und andere Symptome. In den meisten gemeldeten Fällen traten nur kurzfristige Beschwerden auf. In den letzten Jahren seien die gemeldeten Fallzahlen allerdings kontinuierlich angestiegen. Die Messungen der Kabinenluft hätten bislang keine eindeutigen Ergebnisse geliefert. Daher bliebe derzeit nur die Möglichkeit, entsprechende Ereignisse an Bord von Verkehrsluftfahrzeugen zu dokumentieren und zu archivieren, um ggf. zu einem späteren Zeitpunkt diese Ereignisse ursächlich zu bewerten. Derzeit ist allerdings nur die Feststellung eines Arbeitsunfalls möglich, die Anerkennung einer Berufskrankheit würde zwingend die Kenntnis der auslösenden Ursache voraussetzen
Dr. Jörg Hedtmann, Leiter des Geschäftsbereich Prävention BG Verkehr, zeigte die Herausforderungen und Tücken der Fahrerlaubnisverordnung für Arbeitsmediziner. Notwendige Eignungsuntersuchungen erfordern, bedingt durch eine komplexe Rechtslage, z. T. umfangreiche Untersuchungen bis hin zur Durchführung und Bewertung von psychometrischen Tests.
Der Tag der Arbeitsmedizin mit namhaften Referenten aus ganz Deutschland führte zu einem kritischen und spannenden Erfahrungsaustausch „mit einem großen Nutzen für die Praxis im Betrieb“ wie es der Betriebsarzt eines größeren Unternehmens aus der Region beim Hinausgehen formulierte.