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Kosten von arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankungen im internationalen Vergleich

Kosten von arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankungen im internationalen Vergleich

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) haben eine neue Schätzung der Kosten von mangelhaftem Arbeits- und Gesundheitsschutz durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass weltweit arbeitsbedingte Unfälle und Erkrankungen zu einem Verlust von 3,9 % der BIP führen, also zu jährlichen Kosten von € 2680 Milliarden, und für die EU zu einem Verlust von 3,3 % des BIP (€ 476 Milliarden). Die Kosten von arbeitsbedingten Krebserkrankungen betragen allein € 119,5 Milliarden. Die Ergebnisse des Projekts sind als interaktive Datenvisualisierung auf der Webseite der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) zu sehen. Diese Studie kann dazu beitragen, die Anstrengungen von öffentlichen und privaten Organisationen gezielter zu steuern und die Prioritäten in der Präventionsarbeit dort zu setzen, wo der höchste gesellschaftliche Nutzen erwartet werden kann.

Die Methodik der Kostenberechung basiert auf Schätzungen der Disability Adjusted Life Years (DALYs, behinderungsbereinigte Lebensjahre), die durch verschieden Erkrankungen und Verletzungen verursacht werden. Dies wird verglichen mit dem Idealfall, dass ein Land oder eine Region überhaupt keine DALYs verlieren würde, weder durch arbeitsbedingte Fehlzeiten, noch durch tödliche Unfälle oder Erkrankungen.

Die hier entwickelte Methodik basiert auf international verfügbaren Daten von ILO, WHO und Eurostat und liefert ein Näherungsmodell der Kosten auf gesellschaftlicher Ebene. Trotz aller Einschränkungen der Qualität der Daten, wie etwa mögliches Underreporting oder mangelnde Vergleichbarkeit der Statistiken, liefert dieses Model robuste und verlässliche Schätzungen. Die Durchführung der einzelnen Schritte des Modells ist genau auf der Webseite von EU-OSHA beschrieben, so dass die Berechnungen völlig transparent und nachvollziehbar sind.

Schlüsselwörter: Kostenschätzung – Kosten von arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankung – Kosten von arbeitsbedingten Krebserkrankungen – Prozent vom BIP –Behinderungsbereinigte Lebensjahre (DALY)

Cost of work-related accident and injury: an international comparison

The European Agency for Safety and Health at Work (EU-OSHA) and the International Labour Organization (ILO) have presented new estimates of the cost of inadequate occupational safety and health (OSH). The findings reveal that work-related injury and illness worldwide result in the loss of 3.9 % of GDP, at an annual cost of roughly € 2680 billion, and for the EU 3.3 % of GDP (€ 476 billion). The cost of work-related cancers alone amounts to € 119.5 billion. The project results are available on the website of EU-OSHA as an interactive data visualisation. This study can contribute to managing the efforts of public and private organisations in a more targeted manner and to setting priorities in prevention work wherever they are expected to provide most benefit to society.

The method is based on estimates of disability adjusted life years (DALYs), which can be caused by illnesses and injuries. This is compared with the ideal scenario, in which a country or a region would lose no DALYs at all, either through work absences or fatal accidents or illnesses.

The methodology developed here is based on the internationally available data from the ILO, WHO and Eurostat and provides an approximation model of the costs to society. Despite all the limitations on the quality of the data, such as possible under-reporting or insufficient comparability of the statistics, this model delivers robust and reliable estimates. The execution of each individual stage of the model is described in detail on the EU-OSHA website, so the calculation is completely transparent and traceable.

Keywords: cost estimation – cost of work-related accidents and injuries – cost of work-related cancer – percentage of GDP – disability adjusted life years (DALY)

D. Elsler1

J. Takala2

J. Remes3

(eingegangen am 18. 07. 17, angenommen am 15. 09. 17)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2017; 52: 762–767 doi: 10.17147/ASU.2017-10-02-02

Einleitung

Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, die ökonomischen Kosten von mangelhaftem oder nichtexistenten Arbeits- und Gesundheitsschutz abzuschätzen, um für die gesellschaftsrelevanten Akteure (z. B. in Politik, Wirtschaft, Forschung, Sozialversicherungen) Anreize zu schaffen, die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern und die identifizierten Risikofaktoren zu reduzieren. Diese Forschungsergebnisse können dazu beitragen, die Anstrengungen von öffentlichen und privaten Organisation gezielter zu steuern und die Prioritäten in der Präventionsarbeit dort zu setzen, wo der höchste gesellschaftliche Nutzen erwartet werden kann.

So wurden in den letzten Jahren Forschungsprojekte zu Kosten-Nutzen-Analysen von Arbeitsschutzmaßnahmen für KMU (kleine und mittlere Unternehmen, EU-OSHA 2014a) durchgeführt. Zudem wurden die Möglichkeiten von wirtschaftlichen Anreizen zur Prävention analysiert, etwa durch Bonus-Malus-Systeme der Unfallversicherungen (EU-OSHA 2010, 2011). Besonders untersucht wurden dabei die Effektivität der verschiedenen Anreizsysteme (Elsler et al. 2010) sowie deren Übertragbarkeit auf die Gegebenheiten verschiedener Länder (Elsler u. Eeckelaert 2010). Das jüngste Projekt von EU-OSHA legt den Fokus nun auf die Makro-Ebene und untersucht, welche gesellschaftlichen Kosten durch mangelhafte Prävention entstehen können, und zwar im europäischen und internationalen Vergleich. Dies entspricht dem Arbeitsauftrag von EU-OSHA durch die Europäische Kommission, festgelegt als Priorität im Strategischen Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2014–20201.

Eine umfassende Schätzung der gesellschaftlichen Kosten von arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankungen ist eine komplexe Aufgabe. Eine erste Analyse von EU-OSHA (2014b) zeigt, dass verschiedene Kostenarten zu berücksichtigen sind, wie etwa der Produktivitätsverlust, Gesundheits-, Verwaltungs- und Versicherungskosten sowie Einschränkungen der Lebensqualität. Diese Kosten werden wiederum zu unterschiedlichen Anteilen von den jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen getragen, wie etwa den Arbeitnehmern, den Arbeitgebern, der Sozialversicherung und der Regierung eines Landes. Für gesellschaftliche Entscheidungsträger ist es jedoch von hoher Wichtigkeit, die Auswirkungen von mangelhafter Prävention zu erkennen und daraufhin effektive Maßnahmen in verschiedenen Politikbereichen zu planen. Wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebensqualität der Menschen nicht in entsprechenden Geldeinheiten dargestellt werden, besteht die Gefahr, dass sie nicht genügend Beachtung finden, sei es in der Politik oder im alltäglichen Leben der Menschen.

Die EU‑OSHA hat sich daher zum Ziel gesetzt, im Rahmen ihres in zwei Phasen gegliederten Übersichtsprojekts zu „Kosten und Nutzen von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit“ ein Modell für die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung zu entwickeln, mit dem sich zuverlässige Kostenschätzungen erstellen lassen. In der ersten Phase wurde eine groß angelegte Studie zur Ermittlung und Bewertung der in den einzelnen Mitgliedstaaten verfügbaren Daten durchgeführt, die für die Entwicklung eines Kostenrechnungsmodells herangezogen werden können (EU-OSHA 2017a).

Die zweite Phase, deren erste Ergebnisse hier vorgestellt werden sollen, besteht in der Erstellung eines Näherungsmodells für die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung auf der Grundlage international verfügbarer Datenquellen (EU-OSHA in Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation [ILO], dem Finnischen Ministerium für Soziale Angelegenheiten und Gesundheit, dem Finnischen Institut für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz [FIOH], dem Institut für Arbeitsschutz in Singapur und der Internationalen Kommission für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz [ICOH]).

Das Projekt beinhaltet ferner ein Seminar für Interessenträger, in dem im Jahr 2019 die Auswirkungen des Modells auf Politik und Praxis von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit erörtert werden sollen, sowie die für 2020 vorgesehene weitere Verbreitung und Evaluierung des Modells. Mit einem Datenvisualisierungstool und Infografiken sollen außerdem der einfache Zugang zu den Daten und deren Evaluierung ermöglicht werden.

Methodik

Die Methode basiert auf Schätzungen der Disability Adjusted Life Years (DALYs, behinderungsbereinigte Lebensjahre), die durch verschiedene Erkrankungen und Verletzungen verursacht werden. Dies wird verglichen mit dem Idealfall, dass ein Land oder eine Region überhaupt keine DALYs verlieren würde, weder durch arbeitsbedingte Fehlzeiten, noch durch tödliche Unfälle oder Erkrankungen.

Grundsätzlich basiert die Methode auf der Anzahl von arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen, die für ein bestimmtes Land identifiziert werden können: Verletzungen, Erkrankungen und Störungen, sowohl für tödliche als auch für nichttödliche Fälle. Dies wurde umgesetzt mit der Berechnung der Todesfälle, Years of Life Lost (YLL, durch vorzeitigen Tod verlorene Lebensjahre), Years Lived with Disability (YLD, mit Krankheit/Behinderung gelebte Lebensjahre) sowie deren Summe Disability Adjusted Life Years (DALY). Die Berechungen basieren auf aktuellen Zahlen der ILO und des Institute of Health Metrics and Evaluation (IHME). Die IHME-Daten werden jährlich durch das „Global Burden of Disease“(GBD 2015) -Projekt aktualisiert, zuletzt für das Jahr 2015. Diese Daten decken aber nur bestimmte arbeitsbedingte Risiken ab, so dass diese mit Hilfe der ILO-Daten (z. B. Takala et al. 2017) korrigiert werden müssen, weil es ansonsten zu einer Unterschätzung des Problems kommen würde. Der Anteil (Prozentsatz) der jährlichen, durch arbeitsbedingte Risiken verursachten DALYs, an der absoluten Anzahl von jährlichen Arbeitsjahren in einem Land bildet dann den prozentualen Anteil des Verlustes am Bruttoinlandsprodukt (BIP), der auch in monetären Werten ausgedrückt werden kann. Die Kosten werden berechnet durch die Multiplikation der DALYs eines Landes mit dem BIP pro Arbeitnehmer dieses Landes. Ausführliche Informationen zur Methodik sowie die entsprechende Datenvisualisierung finden Sie auf der Webseite der EU-OSHA (2017b).

Ergebnisse

Die weltweiten und europäischen Kosten von arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankungen sind erheblich.  Abbildung 1 zeigt die Kosten weltweit bei 2680 Milliarden Euro, was 3,9 Prozent des weltweiten BIP entspricht. Im Vergleich betragen die europäischen Kosten 476 Milliarden Euro, mit 3,3 Prozent am europäischen BIP liegen die Kosten somit anteilig unter dem weltweiten Durchschnitt. Die Aufteilung der Kosten zwischen tödlichen und nichttödlichen Fällen ist weltweit und in EU28 fast gleich, sie machen jeweils ungefähr die Hälfte der Gesamtkosten aus.

Weitere Unterschiede beim Vergleich der weltweiten und europäischen Schätzungen ergeben sich, wenn man nur die Fallzahlen der tödlichen Fälle betrachtet. In  Abb. 2 ist klar zu sehen, dass der Anteil von tödlichen Arbeitsunfällen an der Gesamtzahl der Todesfälle in Europa (1,8 %) wesentlich niedriger liegt als weltweit (15,8 %). Es ist anzunehmen, dass einerseits die bessere Arbeitssicherheit in Europa dazu beigetragen hat und andererseits sich auch die höhere Lebenserwartung in der EU in dem höheren Anteil der tödlich verlaufenden Erkrankungen widerspiegelt.

Die weltweiten Daten erlauben eine Aufschlüsselung nach den Weltregionen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), so dass noch differenziertere Analysen durchgeführt werden können. Die Zugehörigkeit verschiedener Länder zu den jeweiligen Regionen ist in  Abb. 3 dargestellt. Fast alle WHO-Regionen entsprechen geografischen Regionen, außer der HIGH-Gruppe, die sich auf die Länder mit hohem Einkommen bezieht. In der weiteren Analyse wurde zudem die Europäische Union (EU28) als zusätzliche Gruppe eingeführt, die sich aus Ländern der WHO-Regionen HIGH und EURO zusammensetzt.

Die Kosten in Prozent des BIP der WHO-Regionen für arbeitsbedingte Unfälle und Erkrankungen sind in  Abb. 4 zu sehen. Gegenüber den anderen Weltregionen hat die EU prozentual die geringsten Kosten. Als genereller Trend lässt sich feststellen, dass die Kosten in den wohlhabenderen Regionen anteilig geringer sind als in weniger entwickelten Ländern. Wie andere Studien ebenfalls gezeigt haben (World Economic Forum 20132), besteht ein positiver Zusammenhang zwischen gesunden Arbeitsbedingungen und dem Wohlstand sowie der Wettbewerbsfähigkeit einer Region. Die Investitionen in Prävention und Arbeitsschutz haben auf der gesellschaftlichen Ebene positive Effekte für den Wohlstand einer Region.

Der geringere Anteil von tödlichen Arbeitsunfällen in den Industrieländern an der gesamten Mortalität zeigt sich ebenfalls bei der Analyse der WHO-Regionen ( Abb. 5); die Regionen HIGH und EU28 weisen die geringsten Unfallraten auf. Neben der allgemeinen wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung in den betroffenen Ländern spielt sicherlich die wirtschaftliche Struktur der Regionen eine große Rolle. Weniger entwickelte Länder sind oft von einem hohen Anteil an Landwirtschaft und Bauindustrie geprägt, Branchen, die wesentlich höhere Unfallraten haben als der Dienstleistungssektor, der immer mehr die Industrieländer dominiert. Es ist bemerkenswert, dass die Anzahl berufsbedingter tödlicher Erkrankungen in den Regionen HIGH und EU28 höher liegt als in den meisten anderen Weltregionen. Die besseren Arbeitsbedingen in den Industrieländern wirken sich also vor allem auf die Unfallraten aus, nicht aber auf das Krankheitsgeschehen.

Da die EU-OSHA eine Organisation der Europäischen Union ist, wurden in diesem Projekt für die Länder der EU28 weitere detailliertere Analysen durchgeführt. Zunächst wurden die Hauptursachen für arbeitsbedingte Unfälle und Erkrankungen identifiziert, die für fast 80 % der Todesfälle verantwortlich sind, nämlich Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie tödliche Arbeitsunfälle ( Abb. 6).

Die DALYs für diese identifizierten Hauptursachen für arbeitsbedingte Mortalität und Morbidität wurden dann für alle Länder der Europäischen Union berechnet, so dass sich die prozentualen Anteile dieser Ursachen für jedes Land darstellen lassen.  Abbildung 7 zeigt für die gesamte EU28, durch welche arbeitsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen die meisten Lebensjahre (in DALYs) verloren gehen. Der Reihenfolge nach ist Krebs die Hauptursache, gefolgt von Muskel- und Skeletterkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Verletzungen. Die restlichen Erkrankungen sind in der Kategorie „Andere“ zusammengefasst, wie z. B. psychische Störungen oder Infektionskrankheiten.

Diese Analyse der Hauptursachen wurde von EU-OSHA für jedes EU28-Land sowie Norwegen und Island durchgeführt. In  Abb. 8 ist dies am Beispiel Deutschlands dargestellt, alle anderen Länder sind auf der Website von EU-OSHA einsehbar. Die Verteilung der Hauptursachen von arbeitsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen liefert den gesellschaftlichen Entscheidungsträgern wertvolle Hinweise, wo zukünftige Präventionsstrategien in ihrem Land ansetzen sollten.

Diskussion

Seit über 20 Jahren veröffentlicht die ILO regelmäßig globale Schätzungen zu arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankungen (ILO 2014; Takala et al. 2014). Auf Initiative der EU-OSHA wurde diese Methodik nun gemeinsam weiterentwickelt und erstmals auch detaillierte Daten über entstehende Kosten berechnet. Die Schwierigkeit bei internationalen Kostenschätzungen in diesem Bereich sind die Verfügbarkeit sowie die Vergleichbarkeit der Daten aus den verschiedenen Ländern und Regionen.

Die hier entwickelte Methodik basiert auf international verfügbaren Daten von ILO (Takala 2017), WHO (GBD 2015) und Eurostat (2016) und liefert ein Näherungsmodell der Kosten auf gesellschaftlicher Ebene. Trotz aller Einschränkungen der Qualität der Daten, wie etwa mögliches Underreporting oder mangelnde Vergleichbarkeit der Statistiken, liefert dieses Model robuste und verlässliche Schätzungen. Die Durchführung der einzelnen Schritte des Modells ist genau auf der Webseite von EU-OSHA beschrieben, so dass die Berechnungen völlig transparent und nachvollziehbar sind. Mit dem entwickelten Kostenmodell ist es möglich, die Hauptursachen für arbeitsbedingte Unfälle und Krankheiten zu identifizieren sowie die DALYs und entsprechenden Kosten für jedes Land einzeln zu berechnen.

Dabei ist davon auszugehen, dass dieses Modell eher eine konservative Kostenschätzung liefert, da viele Faktoren aufgrund mangelnder Daten noch nicht berücksichtigt werden konnten. Die verwendeten internationalen Gesundheitsdatenbanken liefern zwar die zurzeit besten international verfügbaren Daten, es muss aber angenommen werden, dass für viele Länder diese Daten eine Unterschätzung der wahren Probleme darstellen. Über das wahrscheinliche Underreporting allein schon auf EU-Ebene ist bereits vielfach berichtet worden (z. B. Kurppa 2015), weltweit ist von einer ähnlichen Problematik auszugehen.

Einige Risiken, wie manche Krebsarten, psychische Störungen oder Infektionskrankheiten sind noch nicht in die WHO-Schätzungen integriert. Zudem basiert die Kostenschätzung allein auf der verringerten Produktivität durch die verlorenen Arbeitsjahre in jedem Land. Viele andere Kostenfaktoren, wie z. B. Gesundheitskosten, Frühverrentungskosten oder Präsentismus (durcharbeiten, obwohl man krank ist) fehlen ebenfalls noch in diesem Modell. Zudem werden verschiedene Arbeitsformen gar nicht in die Berechnung einbezogen, wie etwa Kinderarbeit, illegale Beschäftigung und viele Formen informeller Arbeit, die in vielen Ländern einen Großteil des Arbeitsmarktes ausmachen.

Die ersten inhaltlichen Analysen bestätigen den Zusammenhang zwischen besseren Präventionsleistungen eines Landes und einer entsprechend geringeren Mortalität und Morbidität. Dies zeigt sich in entsprechend geringeren Kosten für arbeitsbedingte Erkrankungen und Unfälle im Verhältnis zum BIP eines Landes. Investitionen in präventive Maßnahmen sind auf gesellschaftlicher Ebene also für ein Land rentabel und tragen zum wachsenden Wohlstand bei.

Für den Bereich der EU wurden Krebserkrankungen als Hauptursache für arbeitsbedingte Mortalität und Morbidität festgestellt, mit 52 % Anteil an den arbeitsbedingten Todesfällen und 25 % Anteil an den verlorenen DALYs (behinderungsbereinigte Lebensjahre). Im Hinblick auf die Verringerung der Zahl der berufsbedingten Krebserkrankungen muss deshalb zweifellos noch mehr getan werden. Aus diesem Grund unterzeichneten am 25. Mai 2016 sechs europäische Organisationen ein Übereinkommen, in dem sie sich zu einem freiwilligen Maßnahmenprogramm zur Sensibilisierung für die Gefährdung durch Karzinogene am Arbeitsplatz und zum Austausch von guten praktischen Lösungen verpflichteten. Die Unterzeichner des Übereinkommens haben für das Programm einen Fahrplan für den Zeitraum von 2016 bis 2019 aufgestellt. Mitgliedstaaten, Sozialpartner, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und andere Organisationen in ganz Europa werden dazu ermutigt, sich an dem Programm zu beteiligen.

In einem bereits begonnenen Nachfolgeprojekt wird die EU-OSHA die spezifischen Kostenfaktoren in einigen Ländern noch genauer analysieren, welche gesellschaftsrelevanten Akteure diese Kosten zu tragen haben (z. B. in Politik, Wirtschaft, Forschung, Sozialversicherungen). Hierbei werden gezielt Länder mit besonders guter nationaler Datenlage ausgewählt und die Kostenschätzungen anhand von nationalen Quellen vorgenommen. Diese Bottum-up-Schätzung lässt sich dann mit dem bereits vorgestellten Näherungsmodell aus internationalen Datenquellen (top-down) vergleichen. Auf diese Weise können die Reliabilität und Validität des vorgestellten Modells evaluiert und in weiteren Schritten optimiert werden. Erste Vergleiche dieses Modells mit nationalen Kostenstudien, etwa zu berufsbedingten Krebserkrankungen (Zand et al. 2016), zeigen eine hohe Übereinstimmung der internationalen und nationalen Kostenschätzungen.3

Literatur

Elsler D, Treutlein D, Rydlewska I, Frusteri L, Krüger H, Veerman T, Eeckelaert L, Roskams N, Van Den Broek K, Taylor TN: A review of case studies evaluating economic incentives to promote occupational safety and health. Scand J Work Environ Health 2010; 36: 289–298.

Elsler D, Eeckelaert L: Factors influencing the transferability of occupational safety and health economic incentive schemes between different countries. Scand J Work Environ Health 2010; 36: 325–331.

EU-OSHA: Economic incentives to improve occupational safety and health: a review from the European perspective. Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2010 (Available at: https://osha.europa.eu/en/publications/economic-incentives-improve-occupational-safety-and-health-review-european-perspective)

EU-OSHA: How to create economic incentives in occupational safety and health: A practical guide. Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2011 (Available at: https://osha.europa.eu/en/publications/how-create-economic-incentives-occupational-safety-and-health-practical-guide).

EU-OSHA: The business case for safety and health: Cost–benefit analyses of interventions in small and medium-sized enterprises. Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2014a (Available at: https://osha.europa.eu/en/publications/business-case-safety-and-health-cost-benefit-analyses-interventions-small-and-medium).

EU-OSHA: Estimating the costs of accidents and ill-health at work — A review of methodologies. Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2014b (Available at: https://osha.europa.eu/en/publications/estimating-cost-accidents-and-ill-health-work-review-methodologies).

EU-OSHA: Fahrplan zu Karzinogenen: Aktionsprogramm zur Bekämpfung arbeitsbedingter Krebserkrankungen, 2016 (Available at: https://osha.europa.eu/de/themes/dangerous-substances/roadmap-to-carcinogens).

EU-OSHA: Estimating the costs of work-related accidents and ill-health: An analysis of European data sources. Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2017a (Available at: https://osha.europa.eu/en/publications/estimating-cost-work-related-accidents-and-ill-health-analysis-european-data-sources).

EU-OSHA: The economics of occupational safety and health – the value of OSH to society. Available at: https://osha.europa.eu/en/economics-occupational-safety-and-health-value-osh-society

EUROSTAT (2016). Accidents at work statistics, 2017b (Available at: ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Accidents_at_work_statistics).

GBD 2015 Mortality and Causes of Death Collaborators: Global, regional, and national life expectancy, all-cause mortality, and cause-specific mortality for 249 causes of death, 1980-2015: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2015. Lancet 2016; 388: 1459-544. See details from vizhub.healthdata.org/gbd-compare/ ICOH contributors included Tim Driscoll (GBD occupational risks coordinator), Ken Takahashi, Odgerel Chimed-Ochir, Jukka Takala.

ILO: Safety and Health at Work: a vision for sustainable prevention. XX World Congress on Safety and Health at Work, 2014, Global Forum for Prevention, Frankfurt. International Labour Office, Geneva, 2014, p. 41 (https://goo.gl/RxXHhU).

Kurppa K: Severe under-reporting of work injuries in many countries of the Baltic Sea region. Finnish Institute of Occupational Health, Helsinki, 2015.

Takala J, Hämäläinen P, Saarela KL, Loke YY, Manickam K, Tan WJ, Heng P, Tjong C, Lim GK, Lim S, Gan SL: Global Estimates of the Burden of Injury and Illness at Work in 2012. JOEH 2014; 11: 326–337 (open access, www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/15459624.2013.863131).

Takala J, Hämäläinen P, Nenonen N, Takahashi K, Chimed-Ochir O, Rantanen J: Comparative Analysis of the Burden of Injury and Illness at Work in Selected Countries and Regions. Central Eur J Occup Environ Med 2017; 23: 6–31.

WSH Institute and World Economic Forum Lausanne, Switzerland, 2012–2013 (www3.weforum.org/docs/WEF_GlobalCompetitivenessReport_2012–13.pdf).

Zand M, Rushbrook C, Spencer I, Donald K, Barnes A: Cost to Britain of work-related cancer. Health and Safety Executive, 2015 (Available at: www.hse.gov.uk/research/rrpdf/rr1074.pdf).

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Für die Verfasser

Dr. rer. pol. Dietmar Elsler

Project Manager, Prevention and Research Unit

European Agency for Safety and Health at Work

Santiago de Compostela 12

48003 Bilbao, Spain

elsler@osha.europa.eu

Fußnoten

1 European Agency for Safety and Health at Work, Bilbao, Spain

2 Workplace Safety and Health Institute, Singapore

3 Finnish Institute for Occupational Health FIOH, Helsinki, Finland

1 ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=151&langId=de

2 www3.weforum.org/docs/WEF_GlobalCompetitivenessReport_2012–13.pdf

3 Weitere Informationen unter: https://visualisation.osha.europa.eu/osh-costs#!/