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2. ASU-Präventionskongress am 17.06.2016 in Stuttgart/Leinfelden-Echterdingen

Wissenschaftlich fundierte Psychologie zum Arbeits- und Gesundheitsschutz

Gefährdungsanalyse

„Was kann die Fachpsychologie zu einer erfolgreichen Prävention beitragen?“, fragte Boris Ludborzs. Fachpsychologen, die sich auf Arbeits- und Gesundheitsschutz spezialisiert haben, haben umfangreiche Kernkompetenzen erworben, mit denen sie einen bedeutsamen Beitrag zur Verhaltensprävention leisten könnten. Psychologen sind beispielsweise hochkompetent in der Erfassung und Optimierung von psychischen Belastungen, Gefährdungen und Beanspruchungen. Sie sind fachlich versiert, um die Qualität von Instrumenten und die Verlässlichkeit und Reichweite der damit erzielten Ergebnisse einzuordnen, anzuwenden und integrativ zu interpretieren. Sie können die Effektivität von Maßnahmen einschätzen und evaluieren. Sie besitzen die Kernkompetenz für die Moderation von Gruppenprozessen, mit der Interessenkonflikte ausbalanciert werden können.

Die meisten dieser Kompetenzen könnten in der Praxis wirksam werden, wenn dies nicht durch Aufweichungen im Bereich untergesetzlicher Vorgaben verhindert würde. Das liegt vor allem daran, dass diese nur dem Stand der Technik entsprechen und in den Gremien der „interessierten Kreise“ konsensual ausgehandelt werden müssen. Psychologische Vorgaben sollten so einfach sein, dass der Betrieb auch alles selbst machen kann, denn „Psychologie kann jeder“. Ein Betrieb ist schon rechtssicher, wenn er nur einen Teil der Vorgaben umgesetzt hat, aber für den Rest ein zeitnahes Konzept anbieten kann. Das Etikett „psychisch“ wird inflationär verwendet, überwiegend von Nichtpsychologen, nur fehlt in der Packung häufig psychologische Fachexpertise. Diese ist ausreichend vorhanden, jedoch nützt sie den Arbeitenden natürlich nicht viel, wenn sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nicht konsequent und nachhaltig umgesetzt wird.

Arbeitswelt 4.0

Unter dem Titel „Arbeitswelt 4.0“ zeigten der Autor und Ulrich F. Schübel, wie Psychologie wirksam unter den zu erwartenden Bedingungen einer sich radikal verändernden Arbeitswelt zur Gestaltung von humanen Arbeitsbedingungen und zur Vorbeugung bei neuen Risiken für die Gesundheit der Mitarbeiter eingesetzt werden kann. Bei dem Versuch, die konkreten Veränderungen zu beschreiben, die sich hinter dem schillernden Begriff „Arbeit 4.0“ verbergen, kommt der Autor zu folgenden grundlegenden Entwicklungstendenzen:

  • Verstärkte Digitalisierung und weitgehend automatisierte Vernetzung vieler Arbeitsprozesse
  • Beschleunigung des Innovationstempos und infolgedessen auch schnellere Veränderung von Arbeitsabläufen und Organisationsstrukturen
  • Verstärkte Mobilität der Mitarbeiter
  • Explosionsartiges Wachstum der überwiegend elektronisch gestützten Kommunikation

Aus Sicht der wissenschaftlich basierten Psychologie besteht die Forderung nach folgenden präventiven Ansätzen:

  • Professionelle Personalauswahl: auf Basis von tätigkeitsgestützten Anforderungsprofilen, einer validen Messung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der psychosozialen Belastbarkeit
  • Professionelle Gefährdungsanalysen
  • Intensive Weiterbildung, sowohl fachlich als auch sozial-kommunikativ und in der Selbstreflexion, insbesondere bei Führungskräften
  • Organisationsentwicklung mit den Zielen einer fehlertoleranten Unternehmenskultur und offener Kommunikation
  • Professionelles betriebliches Gesundheitsmanagement

All dies sind Arbeitsbereiche, in denen wissenschaftliche Psychologie hoch relevant ist, umfangreiche Beiträge zum Know-how beiträgt, aber nach wie vor nur teilweise in ihrer Bedeutung ernst genommen wird.

Diversity

Beim Thema „Diversity“ in Bezug auf Veränderungen in der Arbeitswelt 4.0 schlussfolgert Ulrich F. Schübel, dass der gesellschaftliche Wandel zunehmen und die Beschäftigungsformen und Arbeitsverhältnisse sich wesentlich verändern werden, und dass sich damit auch die Anforderungen und Erwartungen von Beschäftigten an ihre Arbeitgeber neu ausrichten werden. Arbeitsplätze werden zu Lebensräumen, an denen Menschen sinnstiftende Arbeit und persönlichkeitsförderliche soziale Beziehungen erwarten. Dies geht mit steigenden Ansprüchen einher: an die eigene Selbstwirksamkeit am Arbeitsplatz und an die eigene Organisation, der Forderung nach Teilhabe und Beteiligung wie auch das Infragestellen klassischer Karrieremuster und Werte.

Zusätzlich erwarten Beschäftigte Unterstützung auch bei gesellschaftlich erwünschten Aufgaben im Lebensverlauf (Kindererziehung, Betreuung der Eltern, eigene Weiterbildung, soziales Engagement). Zunehmend mehr Menschen suchen sich daher mit hohen Erwartungen an Gestaltungsfreiheit und Zeitsouveränität, Eigenverantwortung und Life-Domain-Balance einen Arbeitgeber. Da inzwischen insbesondere im Bereich der Fachkräfte der Mangel und nicht der Überschuss den Arbeitsmarkt bestimmt, stehen Organisationen aller Art daher vor der Aufgabe, die personelle, soziale und kulturelle Vielfalt ihrer Belegschaft zu schätzen, sie zu fördern und erfolgreich mit heterogenen Teams zu arbeiten, um die eigene Leistungsfähigkeit zu sichern. Dies erfordert, die Potenziale aller Beschäftigten zu identifizieren, diese ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen gemäß einzusetzen, sie chancengleich zu (be)fördern sowie vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels neue Beschäftigtenpotenziale zu erschließen. Im Gegensatz zum vereinheitlichenden und normierenden Grundsatz des Personalmanagements in einer industriellen Massenproduktion gilt es, die unterschiedlichen Hintergründe und Lebensentwürfe, Fähigkeiten und Kompetenzen potenzieller und vorhandener Mitarbeiter als entscheidend für den eigenen Erfolg zu verstehen, und so das Wertesystem sowie die Personalpolitik und -strategie entsprechend auszurichten.

    Info

    Michael Ziegelmayer ist Diplom-Psychologe und Vizepräsident des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Der BDP vertritt die beruflichen und politischen Interessen der niedergelassenen, selbstständigen, angestellten und beamteten Psychologen und Psychologinnen aus allen Tätigkeitsbereichen. Diese sind unter anderem: Gesundheitspsychologie, Klinische Psychologie, Psychotherapie, Schulpsychologie, Rechtspsychologie, Verkehrspsychologie, Wirtschaftspsychologie, Umweltpsychologie und Politische Psychologie. Der BDP wurde 1946 gegründet und ist Ansprechpartner und Informant für Politik, Medien und Öffentlichkeit. Rund 11 500 Mitglieder sind im Berufsverband organisiert.

    autor

    Michael Ziegelmayer

    Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP)

    Am Köllnischen Park 2

    10179 Berlin

    m.ziegelmayer@bdp-verband.de

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