ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 197–198
doi: 10.17147/ASU.2018-03-07-03
Chronisch schlechter Schlaf beeinträchtigt Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und erhöht das Risiko für körperliche und psychische Erkrankungen. Von einer Insomnie spricht man, wenn Ein- oder Durchschlafstörungen mehrfach pro Woche auftreten, über einen Zeitraum von mindestens einem Monat andauern und die Tagesbefindlichkeit merklich beeinträchtigen. Durch Fehlzeiten oder Leistungsabfall am Arbeitsplatz verursachen Schlafstörungen auch relevante finanzielle Kosten.
In der S3 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) wurden bereits 2009 evidenzbasierte Vorschläge für die Diagnostik und Behandlung von Schlafstörungen und nicht erholsamem Schlaf veröffentlicht (Mayer et al. 2009). Leitlinien sind nicht rechtlich bindend, können klinisch tätige Ärzte und Psychologen jedoch durch die Zusammenfassung und Interpretation aktueller Forschungsergebnisse bei der Indikationsstellung und Behandlungsplanung unterstützen. Seit 2009 sind zahlreiche neue Forschungsarbeiten zum Thema Schlaf publiziert worden, so dass eine Überarbeitung der Leitlinie notwendig wurde. Das Update für den Teilbereich Insomnie wurde federführend von Prof. Dr. Dieter Riemann von der Universitätsklinik Freiburg und seinem Team aus 10 weiteren deutschen Experten übernommen (Riemann et al. 2017). Darüber hinaus wurde mit einem internationalen Expertenteam eine europäische Version der Leitlinie erarbeitet. Weiterhin befindet sich eine S2K Leitlinie zu Nacht- und Schichtarbeit der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) in Bearbeitung, bei der das Thema Schlaf und Schichtarbeit in einem ausführlichen Kapitel aufgegriffen wird.
Die Stärke des Empfehlungsgrades wird bei Leitlinien, in Abhängigkeit von der vorhandenen empirischen Evidenz, gewichtet (Grad A: höchste Evidenzstufe, durch qualitativ hochwertige Forschung abgesichert; Grad D: niedrigste Evidenzstufe, Expertenmeinung ohne gesicherte empirische Evidenz). Die Empfehlungen der neuen Leitlinie gliedern sich in Diagnostik und Therapie.
Die Diagnostik soll ein umfassendes Anamnesegespräch inklusive einer Abklärung körperlicher und psychischer Erkrankungen, eine körperliche Untersuchung sowie den Einsatz von Schlaffragebögen und Schlaftagebüchern umfassen (Grad A). Nach Substanzen, die den Schlaf stören können (beispielsweise Koffein, Nikotin, Alkohol, Drogen, Doping, Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel), soll gezielt gefragt werden (Grad A). Zusätzlich kann die Aktometrie, eine Aufzeichnung von Bewegungsdaten anhand eines am Handgelenk oder Knöchel getragenen Geräts, genutzt werden, um Schlaf- und Wachzeiten zu objektivieren (Grad C). Die Polysomnographie, eine umfangreiche nächtliche Schlafuntersuchung inklusive Elektroenzephalogramm, Elektrokardiogramm, Pulsoxymetrie sowie Messung von Atemfluss und Muskelspannung, soll bei begründetem Verdacht auf organische Schlafstörungen verwendet werden (Grad A). Organische Schlafstörungen sind beispielsweise ein Schlafapnoe-Syndrom (nächtliche Atemaussetzer), nächtliche Beinbewegungen und die Narkolepsie („Schlafsucht“ mit exzessiver Schläfrigkeit trotz ausreichender Schlafdauer).
Therapeutisch soll bei Erwachsenen mit Insomnie jeden Lebensalters eine kognitive Verhaltenstherapie durchgeführt werden (Grad A). Diese beinhaltet Ratschläge zur Verhaltensmodifikation, Entspannungsübungen und Techniken zur Veränderung schlafstörender Gedanken. Eine medikamentöse Therapie kann angeboten werden, wenn die Verhaltenstherapie nicht hinreichend effektiv war oder nicht durchführbar ist (beispielsweise aufgrund kognitiver Einschränkungen oder wenn in Wohnortnähe keine Behandlung verfügbar ist). Benzodiazepinrezeptoragonisten sind im kurzzeitigen Gebrauch (3–4 Wochen) effektiv in der Behandlung von Insomnien (Grad A). Die neuen Benzodiazepinrezeptoragonisten (Zolpidem, Zopiclon) sind dabei gleich wirksam wie die klassischen Benzodiazepine (z .B. Temazepam, Bromazepam; Grad A). Eine generelle Empfehlung zur Langzeitbehandlung von Insomnien mit Benzodiazepinrezeptoragonisten kann aufgrund der Datenlage und möglicher Nebenwirkungen/Risiken (z. B. Toleranz und Abhängigkeit, kognitive Defizite, Stürze, parasomnische Ereignisse) derzeit nicht ausgesprochen werden (Grad B). Die Kurzzeitbehandlung von Insomnien mit sedierenden Antidepressiva (z. B. Trimipramin, Trazodon) ist effektiv, wobei Kontraindikationen zu Beginn und im Verlauf geprüft werden sollen (Grad A). Eine generelle Empfehlung zur Langzeitbehandlung von Insomnien mit sedierenden Antidepressiva kann ebenfalls nicht ausgesprochen werden (A). Andere Medikamente (Antipsychotika, Melatonin, Phytopharmaka) werden zur Behandlung von Insomnien nicht generell empfohlen. Im Fall bestimmter Komorbiditäten können diese jedoch sinnvoll sein (z. B. Antipsychotika bei schweren psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie; Melatonin bei im Vordergrund stehenden Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus). Weitere Therapiemöglichkeiten wie z. B. Akupunktur, Aromatherapie, Bewegung, Homöopathie, Hypnotherapie, Lichttherapie, Massage, Meditation, Musiktherapie, Öl, Reflexzonenmassage, Yoga/Tai Chi/Chi Gong können aufgrund der schlechten Datenlage momentan ebenfalls nicht zur Insomniebehandlung empfohlen werden (Grad B).
Zusammenfassend wird von den Autoren der Leitlinie eine klare Empfehlung zur vorrangigen Behandlung von Insomnien mit kognitiver Verhaltenstherapie ausgesprochen, während eine Pharmakotherapie lediglich als zweiter Schritt in Erwägung gezogen werden sollte.
Literatur
Mayer G et al.: S3 Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf. Somnologie 2009; 13 (Suppl. 1): 1–160.
Riemann D et al.: S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie 2017; 21: 2–44.
Für die Verfasser
Dr. phil. Elisabeth Hertenstein
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Freiburg
Medizinische Fakultät
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Hauptstraße 5 – 79104 Freiburg im Breisgau
Fußnoten
1 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Ärztliche Direktorin: Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke), Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
2 Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA) (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Brüning)
3 Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (Direktor: Prof. Dr. med. Volker Harth), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)