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Agile Arbeitszeitgestaltung – Schichtarbeit ohne Schichtmodell

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Agile working time – shift work without a shift model

Flexible working time models are well-established in administrative areas but rare in production. There, rigid shift systems dominate, often leaving little room for individual needs. To better balance work and personal life, employees are demanding more flexibility. A possible approach is the self-organization of shifts, where employees set their working hours based on their own preferences and availability considering the companies capacity needs. This requires well-structured planning and the involvement of employees in the process. This practical article outlines a framework for the self-organization of shift work without a fixed shift model.

Kernaussagen

  • Aktuelle Schichtmodelle bieten Produktionsmitarbeitenden wenig Flexibilität und ­Gestaltungsspielraum in ihrer Arbeitszeit.
  • Selbstorganisation und agile Arbeitszeitmodelle bieten innovative Ansätze, die es Beschäftigten ermöglichen, ihre Arbeitszeiten selbstbestimmt nach individuellen Präferenzen, Verfügbarkeiten und betrieblich Erfordernissen zu gestalten, was die Work-Life-Balance verbessert.
  • Die Einführung agiler Schichtarbeit erfordert klare organisatorische Rahmenbedingungen, insbesondere Regeln zur Lösung von auftretenden Interessenskonflikten.
  • Agile Arbeitszeitgestaltung – Schichtarbeit ohne Schichtmodell

    Flexible Arbeitszeitmodelle sind in administrativen Arbeitsbereichen ein etabliertes Modell, in der Produktion jedoch selten. Dort dominieren starre Schichtsysteme, die oft wenig Spielraum für individuelle Bedürfnisse lassen. Um Berufs- und Privatleben besser vereinbaren zu können, fordern Beschäftigte mehr Flexibilität. Ein möglicher Ansatz hierfür ist die Selbstorganisation von Schichten, bei der Mitarbeitende ihre Arbeitszeiten nach eigenen Präferenzen und Verfügbarkeiten unter Wahrung der betrieblichen Besetzungsbedarfe und Erfordernissen festlegen. Dies erfordert eine gut strukturierte Planung und die Einbindung der Beschäftigten in den Prozess. Dieser Praxisbeitrag skizziert einen Rahmen für die Selbstorganisation von Schichtarbeit ohne Schichtmodell.

    Personalflexibilisierung in der Produktion

    In vielen administrativen Bereichen produzierender Unternehmen sind flexible Arbeitszeitmodelle mit variabler Arbeitsdauer sowie flexiblen Beginn- und Endzeiten bereits etabliert und weit verbreitet. Im Gegensatz dazu sind Mitarbeitende in den produzierenden Bereichen oft an starre Schichtzeiten und langfristige Schichtpläne gebunden, was ihnen deutlich weniger Gestaltungsspielraum bietet. Diese Diskrepanz zwischen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung in der Verwaltung und den rigiden Strukturen in der Produktion führt zu einer zunehmenden Ungleichheit.

    In den meisten Produktionsunternehmen wird flexible Arbeitszeit durch Schichtmodelle organisiert. Diese Modelle können periodische Schwankungen der Arbeitsbelastung abfedern und zusätzliche freie Tage für Beschäftigte regeln. Allerdings basiert jedes Schichtmodell auf einer mehr oder weniger komplexen Sequenz, die Schwankungen und freie Tage in eine strukturierte Abfolge bringt. Es existieren zahlreiche Sequenzen und Prinzipien, um Schichtmodelle an unterschiedliche Anforderungen und Arbeitsbelastungen anzupassen.

    Agilität und Selbstorganisation bieten innovative Ansätze, um starre, zentralisierte Planungsprozesse und feste Sequenzen zu überwinden. Insbesondere die Selbstorganisation stärkt die Fähigkeit von Unternehmen, auf unvorhersehbare Situationen und Anforderungen flexibel zu reagieren (Glasl u. Lievegoed 2016; Laloux 2014).

    Ein möglicher Lösungsansatz zur Überbrückung dieser Kluft und zur Förderung einer besseren Work-Life-Balance ist die Einführung agiler Arbeitszeitmodelle in der Produktion. Solche Modelle ermöglichen es Beschäftigten, ihre Arbeitszeiten selbstbestimmt nach individuellen Bedürfnissen und Verfügbarkeiten zu gestalten, anstatt sich an feste Schichtmodelle zu halten.

    Agile Organisation der Schichtarbeit

    „Agile Arbeitsorganisation“ ist eine von fünf betrieblichen Anwendungen im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekts „agileASSEMBLY“. Bei der „agilen Arbeitsorganisation“ wird ein Konzept zur Schichtarbeit ohne Schichtmodell erarbeitet und anschließend in einem Pilotbetrieb erprobt und validiert. ➥ Abbildung 1 zeigt dieses Konzept, dabei folgt der Arbeitseinsatz der Beschäftigten keinen festen Regeln oder einem festgelegten Modell. Statt nach festen Plänen zu arbeiten, können die Mitarbeitenden sich tagesgenau unterschiedliche Arbeits- und Schichtzeiten zuteilen, je nach individuellen Präferenzen und Verfügbarkeiten.

    Die Einführung der agilen Arbeitsorganisation erscheint auf dem ersten Blick unkompliziert. Die beteiligten Beschäftigten benötigen eine Plantafel, um ihre individuellen Arbeitszeiten zu organisieren und zu planen. Heutzutage bieten verschiedene Anbieter Apps für mobile Endgeräte an, die für die Verteilung von Dienstplänen geeignet sind. Die Anwendungen sind dabei einfach zu bedienen und benötigen keine spezielle Einweisung oder Installation (vgl. „KapaflexCy“,
    Bauer u. Gerlach 2015).

    Während die technischen Anforderungen mittlerweile leicht zu erfüllen sind, stellen sich viele organisatorische Fragen, denn während des agilen Prozesses zur Selbst­organisation der Arbeitszeiten können Planungskonflikte auftreten.

    Planungskonflikte agiler Schichtarbeit

    Die möglicherweise auftretenden Konflikte sind grundsätzlich lösbar, es gibt auch kein grundlegendes Problem bei der Suche nach Lösungen (➥ Tabelle 1). Das eigentliche Problem besteht darin, dass in einer Gruppe von Beschäftigten Menschen mit unterschiedlichen Vorlieben, Interessen und Verhaltensweisen diese regelmäßig auftretenden Konflikte lösen müssen. Es ist äußerst ratsam, verbindliche Regeln, die vor jeder selbstorganisierten Arbeitszuweisung beachtet werden müssen, sowie mögliche Lösungen für jeden Konflikt zu vereinbaren, bevor mit der agilen Organisation von Schichtarbeit begonnen wird. Fünf grundsätzliche Prinzipien für mögliche Lösungen sind denkbar:

    Möglich, aber nicht wirklich empfehlenswert, ist das Prioritätsprinzip, wobei der zuerst auftretende Vorgang berücksichtigt wird. Es handelt sich nicht um eine Vereinbarung zwischen den Mitarbeitenden, sondern eher um ein „Überleben der Schnellsten“, und langfristige Akzeptanz scheint schwierig zu erreichen zu sein.

    Für einige Planungskonflikte könnte eine „präzise berechnete“ Entscheidungsformel in Betracht gezogen werden. Dieses Prinzip ähnelt einer algorithmischen Planung, die bereits in vielen verfügbaren Planungstools umgesetzt ist. In jedem Fall ist es ratsam, Regeln und Formeln zur Berechnung von Anteilen an Schichten und Arbeitszuweisungen festzulegen. Dabei sollte berücksichtigt werden, wer wie oft bestimmte Schichten besetzt hat, wessen Arbeitszeitkonten sich nahe den Grenzen befinden und welche Aufträge bis zu einem bestimmten Termin bearbeitet werden müssen.

    Die Grundidee hinter der agilen Arbeitsorganisation ist, dass Selbstorganisation bessere Pläne hervorbringt als Algorithmen. Die oben genannten Zahlen können wichtige Hinweise darauf geben, wie Planungskonflikte gelöst werden können. Beschäftigte können jedoch möglicherweise bessere Lösungen im Hinblick auf weitere Einschränkungen, Aspekte und Hintergrundinformationen finden. Daher ist ein drittes Prinzip die „bilaterale Einigung“. Um einen Konflikt zu lösen, müssen die direkt beteiligten Mitarbeitenden sich auf eine Lösung einigen. Sie können die vorliegenden Zahlen (siehe Entscheidungsformel) als Orientierung nutzen, sind jedoch nicht daran gebunden und haben die Freiheit, das Problem entsprechend ihren individuellen Vorlieben innerhalb des organisatorischen Rahmens zu lösen.

    Einige Konflikte lassen sich besser durch eine Teamabstimmung lösen, insbesondere wenn es um die Aufteilung der Schichten für das gesamte Team oder einzelne Gruppenmitglieder geht.

    Wenn weder eine bilaterale noch eine Teamvereinbarung zustande kommt, ist eine Entscheidung der Vorgesetzten erforderlich. Gemäß dem agilen Prinzip der Selbstorganisation sollte dies nur als letzte Option verwendet werden, wenn aus irgendeinem Grund kein anderes Prinzip geeignet ist. Bilaterale oder Teamvereinbarungen sollten die vorherrschenden Prinzipien eines agilen Organisationsrahmens sein.

    Zusammenfassung

    Das Konzept der agilen Arbeitsorganisation zielt darauf ab, sowohl den Bedarf des Unternehmens nach flexiblen Kapazitätsanpassungen als auch die Wünsche der Beschäftigten nach attraktiveren Arbeitsbedingungen, flexiblen Arbeitszeiten und einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu erfüllen. Anstelle einer zentralisierten Planung und Schichtvergabe erfolgt die Einteilung der Schichten und Arbeitszeiten durch die Mitarbeitenden selbst, unterstützt durch eine mobile Planungstafel. Es ist wichtig, einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, insbesondere ein Regelwerk zur Lösung von Planungskonflikten, die bei der Selbstplanung der Arbeitszeiten zwischen den Mitarbeitenden auftreten können.

    Die bisher genannten Planungskonflikte und möglichen Lösungen bieten keinen umfassenden Überblick. Nach dem agilen Prinzip der Selbstorganisation sollten die Beschäftigten selbst Lösungen für die Planungskonflikte finden. Dies kann auch ihre individuellen Vorlieben berücksichtigen und muss spezifisch für jedes Unternehmen und jede Organisationseinheit definiert werden.

    Danksagung: Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „agileASSEMBLY“ ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreutes Projekt zum Thema Industrie 4.0 – Wandlungsfähigkeit von Unternehmen in der Wertschöpfung von morgen (InWandel) im Rahmen des Programms „Zukunft der Wertschöpfung – Forschung zu Produktion, Dienstleistung und Arbeit“. Weitere Informationen zum laufenden Forschungsprojekt befinden sich auf unter www.agileassembly.de.▪

    Interessenkonflikt: Die Erstautorin und ihr Koautor geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    Bauer, Wilhelm; Gerlach, Stefan (Hg.) (2015): Selbstorganisierte Kapazitätsflexibilität in Cyber-Physical-Systems. Abschlussbericht. Fraunhofer IAO, Stuttgart. Stuttgart: Fraunhofer Verlag.

    Glasl, Friedrich; Lievegoed, Bernard (2016): Dynamische Unternehmensentwicklung. Grundlagen für nachhaltiges Change Management. 5., erweiterte und aktualisierte Auflage. Bern, Stuttgart: Haupt Verlag; Verlag Freies Geistesleben.

    Laloux, Frederic (2014): Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Unter Mitarbeit von Mike Kauschke. 1st ed. München: Franz Vahlen.

    Online-Quelle

    agileASSEMBLY – Agile Gestaltung der späten Phasen der Produktentstehung
    www.agileassembly.de

    Tabelle 1:  Planungskonflikte und mögliche Lösungen

    Tabelle 1: Planungskonflikte und mögliche Lösungen

    Lesetipp

    Schwerpunktheft „Wechsel- und Nachtschichtarbeit“
    Ausgabe 5/2022

    www.asu-arbeitsmedizin.com/heftarchiv/ausgabe-05-2022

    Koautor

    Dr.-Ing. Stefan Gerlach
    Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO); Nobelstr. 12; 70569 Stuttgart

    Kontakt

    Nika Perevalova, MBA & Eng.
    Universität Stuttgart Institut für Arbeitswissenschaften und Technologiemanagement (IAT); Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO); Nobelstr. 12, 70569 Stuttgart

    Foto: Dante Busquets

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