Physikalische Medizin und Therapie
Im Bereich der physikalischen Medizin und Therapie verordnen, empfehlen oder therapieren Fachärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin (PRM) mit Heilmitteln, die physikalischen Ursprunges sind, die aus der Naturlehre stammen und die Wirkungen auf unseren Körper haben. Dazu gehören Heilmittel nach dem Heilmittelkatalog oder nach wissenschaftlichen Datenlagen bzw. nach Erfahrungen und persönlichen Kenntnissen des Arztes, die den Patienten angeboten werden. Das dabei wesentlichste Heilmittel, das in diesem Bereich verordnet wird, ist jegliche Form von Bewegung von spezifischer Krankengymnastik/Physiotherapie bis hin zu sportlichen Interventionen, aber auch Heilmittel, die re-aktiv auf die Menschen einwirken – wie z. B. thermische Einflüsse (Kälte und Wärme), Strom oder Schwingungen/Frequenzen/Musik/Schall/Ultraschall/Vibration – sowie Heilmittel, die auch andere spezifische Bereiche des menschlichen Körpers, des Geistes und des Verhaltens ansprechen wie z. B. Logopädie, Ergotherapie, Soziotherapie oder Ernährungstherapie.
In der Regel haben Fachärzte für PRM das größte Heilmittelbudget. – In manchen Bundesländern sind sie sogar budget- und somit regressfrei. Diese Freiheit in allen Bundesländern einzuführen wäre sinnvoll, denn Therapieplanung und -steuerung ist ein elementarer Bestandteil dieses Fachgebiets, wie im Folgenden näher ausgeführt wird.
Was ist Rehabilitative Medizin?
„Re-habilitare“ bedeutet wiederherstellen. Rehabilitative Medizin stellt Strukturen nicht operativ wieder her, sondern beschäftigt sich vielmehr mit der Frage, welche „Funktion“ wieder hergestellt werden muss. Ein Patient hat beispielsweise ein Knieleiden und kann oder möchte nicht operiert werden. Er hat - schmerzbedingt - eine eingeschränkte Gehstrecke und kann aufgrund dieser Schmerzen keine Treppe mehr benutzen, obwohl er im ersten Stock wohnt. In diesem Fall ist das rehabilitative Ziel bereits klar: Die Funktionen „Treppensteigen“ und vor allem „Teilhabe am Leben“ – z. B. sich selbstständig versorgen können, wie einkaufen, Freunde besuchen, Freizeitbeschäftigungen nachgehen – sind wesentliche Voraussetzungen, um trotz eines Knieleidens glücklich und „gesund“ zu bleiben.
Um dies zu erreichen wird auch ein Team von nichtärztlichen Mithelfern und Akteuren benötigt, das gemeinsam an der Umsetzung der oben genannten Ziele arbeitet.
In der Rehaklinik
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) und die berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherungen haben diese Denkweise schon seit Jahrzehnten verinnerlicht und so funktioniert Rehabilitation in DRV- und BG-Rehakliniken recht gut, da verschiedene Experten im Team vernetzt sind, die für eine individuelle rehabilitative Zielsetzung des jeweiligen Patienten erforderlich sind. Zu solchen Rehateams gehören immer ein Arzt, aber auch Therapeuten, Pflegekräfte, Sozialarbeiter und auch andere Experten, die in der Lage sind, aufeinander zu hören, Schnittstellen zu besprechen und somit die zusammen mit dem Patienten festgelegten Ziele zu verfolgen. Kompetenz im Team ist also nicht nur fachlich, sondern auch organisatorisch und menschlich erforderlich. Eine zusätzliche Herausforderung liegt vor, wenn die Rehabilitationsziele des Patienten nicht mit den Rehabilitationszielen des Teams in Einklang stehen. Hier sind dann oftmals weitere Experten mit einzubeziehen, beispielsweise Angehörige oder Freunde des Patienten oder auch neuropsychologische und manchmal auch richterliche Einschätzungen.
In der Akutklinik
Der Gesetzgeber hat erkannt, dass frühzeitige Rehabilitation in einigen Bereichen sinnvoll ist und so halten viele Kliniken nun Frührehabilitationsstationen vor, aus denen heraus interdisziplinär therapiert wird, so dass die Frage, wo und vor allem wie es nach der Entlassung weitergeht, in den Fokus rückt. Damit können „Drehtüreffekte“ einer schnellen und vorzeitigen Wiedereinweisung in die Klinik vorgebeugt werden. Für junge Assistenzärzte ist dies eine neue Denkform, denn der rehabilitative Blick und die Möglichkeiten, die ein Arzt in der Klinik und in der Praxis hinsichtlich versorgungsmedizinischer Fragen im Heil- und Hilfsmittelsektor mit Teilhabezielen hat, werden oft weder im Studium, noch in der praktischen Anwendung in der Klinik vermittelt.
In der Niederlassung
Nur etwa 600 der Fachärzte für PRM sind in Deutschland als niedergelassene Ärzte tätig. Grundsätzlich stehen sie allen Patienten zur Verfügung. Oft versorgen sie gemeinsam mit den Hausärzten chronisch kranke Menschen, aber ihre manualmedizinischen Kenntnisse bewirken, dass auch akute Schmerzpatienten in diesem Fachbereich gut aufgehoben sind. Der Blick auf den Patienten ist ein ganzheitlicher und ein Rückenschmerzpatient wird anstatt mit einer Röntgenaufnahme unter anderen Gesichtspunkten untersucht. Zum Rücken gehören für diese Fachärzte auch die Beine, die Füße, aber auch die Psyche, die ergonomischen Bedingungen am Arbeitsplatz, die Frage nach Ausgleichssport und ggf. das Übergewicht, das die Lende stark nach vorne zieht. Diese etwas umfangreichere Eingrenzung des Problemsbenötigt mehr Zeit, die aber auch in diesem Fachgebiet oft nicht wirklich ausreichend gegeben ist.
Die Rehabilitative Medizin kann zum einen im Kontext des Entlassmanagements und zum anderen durch ihre koordinierende Funktion wertvolle Unterstützung im System bieten. Entlassmanagement nach stationären Aufenthalten (aus GKV-, DRV- oder BG-Einrichtungen) und Koordination im Team stellen Kernkompetenzen des Fachgebiets dar, denn es beinhaltet komplexe Fragestellungen hinsichtlich therapeutischer, sozialmedizinischer und hilfsmittelrelevanter Versorgung. Im niedergelassenenen Bereich geht es oft darum, das Ausmaß von funktionellen Einschränkungen mit geeigneten Assessments zu erfassen, aus den Ergebnissen zielgerichtete Therapiekonzepte zu erstellen und diese dann auch zu überprüfen.
An diesem Punkt werden allerdings die Qualität und die Möglichkeiten der Versorgung durch gesetzliche Rahmenbedingungen auf den Prüfstand gestellt. Eine Rehabilitation, wie sie in Kliniken durch Fall- und Teambesprechungen gelebt wird, existiert in der Praxis quasi nicht, weil es keine oder nur wenige vernetzten Versorgungsformen gibt und somit Zeit und Geld für ein vernünftiges Schnittstellenmanagement gänzlich fehlen. Insbesondere erfolgt kaum ein Austausch mit der großen Gruppe der Therapeuten. Nach dem neuen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wird nun die Blankoverordnung eingeführt. In diesem Zusammenhang kann nur die dringende Empfehlung gegeben werden, dass neben einer Blankoverordnung bei bestimmten Patientengruppen auch eine „interdisziplinäre Reha-Verordnung“ existieren sollte, die eine Austauschpflicht zwischen Arzt und Therapeut beinhaltet. Gerade Fachärzte für PRM sind daran interessiert, Therapieziele gemeinsam mit den Patienten und Therapeuten zu formulieren. Rehabilitation im ambulanten Setting interdisziplinär umzusetzen, ist ein wichtiges Ziel, auch wenn dabei große Hürden genommen werden müssen.
Wertvoll wäre es, die Rehabilitative Medizin bei niedergelassenen Ärzten durch optimierte EBM–Ziffern (Einheitlicher Bewertungsmaßstab), Optimierung des Regelleistungsvolumens (RLV), Vermeidung von Regressangst und finanzielle Förderung von Weiterbildungsassistenten weiter zu unterstützen, denn in einigen Bundesländern gibt es noch Bedarfe in diesem Fachbereich und eine Niederlassung ist teilweise existenzgefährdend, da der betriebswirtschaftliche Druck sehr hoch ist.
Rehabilitation und Teilhabe
Wie bereits erwähnt, ist das Wiederherstellen oder auch ein Neuformulieren von Teilhabe unter andern Voraussetzungen als vorher wesentlicher Bestandteil der Rehabilitativen Medizin, denn es geht hierbei nicht um ICD10Diagnosen, sondern um Aspekte der ICF (= International Classification of Functioning). Nicht die ICD-10-Kodierung, die danach fragt, was die Ursache eines Schlaganfalls ist, steht im Vordergrund, sondern entscheidend ist die Frage, was der Patient nach einem Schlaganfall tun und was er mit welchen Therapiemitteln vielleicht erreichen kann. Natürlich müssen auch ggf. noch vorhandene medizinische Risikofaktoren, sofern möglich weiter reduziert werden.
Prävention und Rehabilitation
Definition und Versorgungsrealität
Nach dem vor einigen Jahren eingeführte Präventionsgesetz tritt neben der Rehabilitation nun auch die Prävention in den Fokus der Gesundheitssorge und das ist auch gut so.
Zum Verständnis sollen kurz die bestehenden Präventionsebenen definiert werden:
- Primärprävention: Hier geht es darum, dass die gesamte Bevölkerung Zugang zu medizinischem Wissen und medizinischen Kompetenzen erhält, und zwar unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildungsstand oder sonstigen Faktoren. Ziel ist ein gesundheitsgerechtes Verhalten der Menschen zu fördern.
- Sekundärprävention: Es liegen bestimmte Risikofaktoren vor, die eine Erkrankung begünstigen (z. B. Rauchen – Lungenerkrankungen, Übergewicht – Diabetes usw.). Eine manifeste Erkrankung besteht aber noch nicht.
- Tertiärprävention: Hier liegt bereits eine Erkrankung vor. Eine Therapie wird in der Regel von Haus- oder Fachärzten im ambulanten Sektor eingeleitet. Somit ist Tertiärprävention bereits Therapie und Rehabilitation im weiteren Sinne.
Ärzte und Prävention
Die Bedeutung von Prävention und Aufklärung hat durch das Präventionsgesetz gegenüber der Kuration auch bei Ärzten einen hohen Stellenwertbekommen. Primärpräventiv sind Ärztinnen und Ärzte noch zu wenig aktiv, da dies im Rahmen des Praxisalltags mit seiner großen Anzahl von Patienten meist nicht möglich ist. Neu ist seit dem Präventionsgesetz, dass Ärzte ihren Patienten nun nicht mehr lediglich das Rezept für Bewegung als Möglichkeit für gezielte Aktivität empfehlen können, sondern nun auch das Muster 36 – die Präventionsempfehlung – in ihrer Praxissoftware zur Verfügung haben, auch wenn diese vermutlich nur den wenigsten bekannt ist ( Abb. 1). Mit dieser Empfehlung können Patienten (nur die gesetzlich Versicherten!) bei ihrer Krankenkasse nachfragen, wo ein empfohlener Präventionskurs stattfindet und was ihm die Kasse bei regelmäßiger Teilnahme teilerstattet.
Präventionskurse sind in den Bereichen Bewegung, Entspannung, Ernährung und Sucht vorgesehen und sollen Patienten helfen, in diesen Gebieten Wissen und Kompetenzen zu erwerben. Die Prüfung solcher Kurse läuft über die zentrale Prüfstelle Prävention (ZPP), einer Institution, die die Daten aller zugelassenen Kurse allen gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung stellt.
Im Bereich Sekundärprävention sind Ärzte bereits mehr involviert, denn die Erfassung von Risikofaktoren zur differenzierten Abwägung bei gesetzlich festgelegten Vorsorgeuntersuchungen und der Übergang zu einer manifesten Erkrankung stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit den immerwährenden Diskussionen zu den WANZ-Kriterien1, die bei ärztlichen Entscheidungen nach gesetzlichen und politischen Vorgaben maßgeblich die Auswahl der therapeutischen Möglichkeiten beeinflussen.
Tertiärprävention ist Therapie. Hier sind alle Haus- und Fachärzte gleichermaßen involviert. In der Regel besteht hier bei den Patienten ein hoher Leidensdruck, mit dem auch die Compliance ärztlich empfohlener Maßnahmen steigt.
Krankenkassen und Prävention
Nach dem Präventionsgesetz sollen bestimmte Personengruppen durch die gesetzlichen Krankenkassen in den Fokus rücken, denn nach § 20a stehen die im Infokasten genannten Lebenswelten hinsichtlich Prävention im Blickfeld.
Rentenversicherung/Berufsgenossenschaften und Prävention
Durch die Gesetzgebung hat sich nicht nur in der Krankenkassenlandschaft das Thema Prävention durchgesetzt, auch die Berufsgenossenschaften und die DRV haben schon seit Jahren die Prävention in den Fokus gerückt. Ein interessantes Projekt ist zum Beispiel die Initiative „Gesund im Betrieb“ der DRV (s. Infokasten).
Versorgungsrealität zwischen Prävention und Rehabilitation
Die Auslegung des Präventionsgesetzes nimmt derzeit im GKV-System bizarre Formen an, denn hier mischen sich nun primärpräventive Ansätze mit sekundären oder gar tertiären therapeutischen Ansätzen.
Am Beispiel der Beckenbodenschule® – einem zertifizierten Kurs zur Vertiefung von Wissen und Kompetenz rund um den Beckenboden – konnten folgende Erfahrungen gemacht werden: Patienten mit vorliegender Beckenbodendysfunktion, die ein Rezept über 6-mal Krankengymnastik haben, , bekommen bei gleichzeitiger Teilnahme an einem Präventionskurs zur Beckenbodenschule die Kosten für diesen Kurs NICHT erstattet. Die Begründung seitens der Kassen: Es liege aufgrund der zeitgleichen Verordnung keine Primärprävention vor – denn die Patienten sind ja behandlungsbedürftig! Somit könne der Präventionskurs nicht erstattet werden! Macht diese Argumentation Sinn? Danach wären ja auch alle Kurse z. B. zur Ernährung bei Übergewichtigen ausgeschlossen, vor allem dann, wenn bei diesen Patienten ein behandlungspflichtiger Diabetes Typ II vorliegen würde!
Rehabilitation vor Rente und Pflege
Da „Rehabilitation vor Rente und Pflege“ einen wesentlichen Leitsatz darstellt, sollten sich gerade auch Fachärzte in Zielgruppen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko mit ihren sozialmedizinischen Möglichkeiten und koordinierenden Fähigkeiten einbringen können. Auseinandersetzungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) und dem Versorgungsamt sind auch bei niedergelassenen Ärzten an der Tagesordnung.
In Anbetracht des immer komplexer werdenden Versorgungssystems wäre es wünschenswert, in der ambulanten Versorgung sowohl mit Fachärzten der Rehabilitativen Medizin in koordinierender Funktion und anderen Fachrichtungen als auch mit nichtmedizinischen Berufsgruppen Praxisnetze aufzubauen. Zum einen sollte hier der Fokus auf das geriatrische Klientel – gemeinsam mit den (leider zu wenigen) niedergelassenen Geriatern gelegt werden, wobei aber auch eine enge Anbindung an die Hausärzte erfolgen sollte, und zum anderen sollte die Kooperation mit den Betriebsärzten optimiert werden, da Fachärzte für PRM in der Regel die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers beurteilen und Betriebsärzte die Leistungsanforderungen am Arbeitsplatz analysieren.
Geriatrie: Insbesondere im geriatrischen Kontext könnte in Kooperation mit dem Hausarzt und bei der Versorgung in Heimen ein sinnvoller rehabilitativer Beitrag geleistet werden, um pflegebedürftige Patienten zu rehabilitieren und Konzepte, wie beispielsweise die „Ambulante Mobile Geriatrische Rehabilitation“, wohnortnah einzuführen.
Allerdings hat der Gesetzgeber in seinen Anforderungen an eine geriatrische Versorgung die geriatrischen Kompetenzen von Fachärzten nicht immer ausreichend beachtet. So ist die „Ambulante Mobile Geriatrische Rehabilitation“ eine Rehabilitationsform, die vom Gesetzgeber seit Jahren vorgesehen ist. Leider existieren deutschlandweit jedoch erst 16 Einrichtungen, die eine Zulassung für diese Form der Rehabilitation haben. Als Chefarzt ist ein Internist mit Zusatzbezeichnung Geriatrie zugelassen; Fachärzte spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Dennoch sind Fachärzte für PRM in diesen Konzepten beispielsweise in Bad Kreuznach und Bremen vertreten und können ihren fachlichen Beitrag zu dieser Rehabilitationsform leisten.
In anderen Fällen existieren Konzepte, doch keine Kasse kümmert sich um deren Etablierung, wie zum Beispiel das Konzept der spezifischen geriatrischen Versorgung durch ein interdisziplinäres Team. Dies kann von einem Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin durchgeführt werden. Das Konzept wurde von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erarbeitet und wird bereits in einigen Landstrichen der Bundesrepublik umgesetzt. Aber wie kommt der niedergelassene Facharzt an die zuständigen Personen bei den Kassen, mit denen er eine Einzelverhandlung führen muss? Hier zeigt das System Hemmnisse, die zu optimieren wären.
Arbeitsmedizin/Betriebsmedizin: Zwei Fachbereiche in zwei Versorgungssektoren mit einem guten Ziel? Die Themen Arbeitsunfähigkeit und Leistungsfähigkeit sind sehr komplexe Themen und verursachen hohe Kosten. Wie oben beschrieben wäre eine Zusammenarbeit dieser zwei ärztlichen Fachbereiche mehr als sinnvoll.
Schnittstellen zwischen Kassensystem, Rentenversicherung, BG sowie Fachärzten und Betriebsärzten gäbe es genug, denn die Themen Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitation, Rehabilitationsnachsorge, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), Arbeitsunfälle oder Arbeitssicherheit betreffen nicht allein den Arbeitgeber, sondern gehen alle an. So stellt sich beispielsweise die Frage, warum es keine D-Ärzte in der Rehamedizin gibt, also „R-Ärzte“, die analog wie bei der BG sowohl für das Kassensystem als auch für die BG oder die DRV tätig sein könnten.
Da Fachärzte für PRM häufig in den Rehabilitationskliniken oder im Gutachtenwesen die individuelle Leistungsfähigkeit im sozialmedizinischen Kontext beurteilen, macht hier eine enge Zusammenarbeit mit den Betriebsärzten Sinn. Allerdings ist eine Zusammenarbeit in der Realität oft erschwert, da bereits auf die Frage, wer denn der zuständige Betriebsarzt ist, in vielen Fällen keine Antwort gewusst wird.
Hier gibt es insbesondere in der Rehabilitationsnachsorge Möglichkeiten, vor Ort die weitere Leistungsfähigkeit und den Arbeitsstatus (Arbeitsunfähigkeit, innerbetriebliche Umsetzung, stufenweise Wiedereingliederung etc.) gemeinsam mit dem Betriebsarzt zu klären.
Kooperationen zwischen diesen Ärztegruppen wären förderlich, um auch leistungsgeminderten Arbeitnehmern eine Art stufenweises Reha-Aufbauprogramm anzubieten und um sich im Betrieb von einem leidensgerechten leistungsgeminderten Arbeitsplatz zu einem leistungsverbesserten Arbeitsplatz sich „aufzutrainieren“.
Auch im Kontext von BEM könnten die Betriebe durch Kooperationen zwischen dem Betriebsarzt, den Krankenkassen, der DRV und den Arbeitgebern zur unterstützt werden.
Therapeuten: Hinsichtlich gezielter Rehabilitation ist eine Kooperation mit der großen Berufsgruppe der Therapeuten als wesentlicher nichtärztlicher Berufsgruppe sehr relevant. In den Rehakliniken begegnen sich die verschiedenen Fachrichtungen und Berufe wertschätzend und fachlich kompetent– warum sollte das in der ambulanten Versorgung nicht funktionieren? Der finanzielle Verteilungskampf sollte hierbei außer Acht lassen und de Patient in den Mittelpunkt gestellt werden. Im Zusammenhang mit der kommenden Blankoverordnung ist zu hoffen, dass es hierbei sich nicht um eine bloße Umverteilung handelt, sondern dass für spezifische Patientengruppen auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit vorgesehen ist.
Rehabilitationsmedizin – quo vadis?
Stand heute sind die Fachärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin ein kleines Fachgebiet, denn in den Universitäten wird dieses Fach kaum gelehrt, Lehrstühle fehlen flächendeckend und die vielfältigen Möglichkeiten der konservativen Medizin werden vor allem den jungen Unfallchirurgen/Orthopäden weder im Studium noch in der Assistenzarztausbildung ausreichend vermittelt. Medizinische Hauptthemen sind eher die Notfallversorgung, neue diagnostisch-technische Möglichkeiten, operative und pharmakologische Innovationen, Digitalisierung, schnelle Medizin durch Sprechstundenscheinzahlen durch RLV-Vergütungen und eine schnelle Entlassung nach diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG).
Der Fachbereich der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin findet sich hier nicht wirklich wieder. Diese Fachärzte hören aufmerksam zu und untersuchen mit Ohren, Augen und Händen und weniger mit Bildgebung. Dies braucht etwas mehr Zeit und ist vor allem bei Menschen mit Teilhabeeinschränkungen besonders wichtig. Denn das Ziel einer Intervention sollte sein, die Zuweisung und Überweisung zu Rehabilitationsmedizinern klüger zu steuern. Welcher Patient kann direkt zum Physiotherapeuten, welcher sollte zum Unfallchirurgen und Orthopäden und welcher MUSS zum Facharzt für PRM? In der Realität stellt sich letzteres Patientenklientel sehr inhomogen dar und häufig muss mit den hausärztlichen Kollegen individuell geklärt werden, welche Patientengruppen beim Rehabilitationsmediziner besonders gut aufgehoben sind.
Zudem würde der Facharzt für Rehabilitative Medizin gern auch ambulant im Team arbeiten. Zusammenarbeiten zwischen Ärzte und Therapeuten und anderen nichtärztlichen Berufsgruppen sieht das System so aber nicht vor. So scheitern Versuche, zum Beispiel einen besonderen Versorgungsvertrag zu etablieren, oft auch an dem Aspekt, dass die Vertreter der einzelnen Kassen dem Facharzt gar nicht bekannt sind. Sollte es nicht Aufgabe der Kassen und KVn sein, solche Vorschläge umzusetzen? Vielleicht schafft es die Rehabilitationsmedizin, zukünftig auch ihren Stellenwert in der Niederlassung zu bekommen. Die entsprechenden Akteure sind alle vorhanden, sie müssen nur lernen miteinander zu kommunizieren, um so Doppeluntersuchungen und Doppelversorgungen zu vermeiden, eine gemeinsame Therapiestrategie anzubieten und somit auch Edukation und Gesundheitskompetenz in den Fokus zu stellen.
Und schließlich: Wenn Kooperation gewollt ist, dann sollten mehr Gesetze bezüglich solcher Kooperationen im Gesundheitswesen folgen, um Vertrauen und Qualität in der Versorgung zu schaffen. Im kleinen Netz zwischen Arzt und Medizinischem Fachpersonal (MFA) funktioniert dies bestens. Warum nicht auch zwischen Arzt und Pflege oder Arzt und Therapeut? Wir sollten uns auf den Weg begeben!
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Fußnoten
1 WANZ = „wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig“ als Definition des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenkassen laut § 12 SGB V
Info
Die Definition und Weiterbildungsinhalte des Faches Physikalische und Rehabilitative Medizin (PRM) ist auf der Homepage der Bundesärztekammer als Muster zu finden und auf der Homepage der Landesärztekammer kann die jeweils geltende Fassung für den Kammerbereich gemäß der Kammer- und Heilberufegesetze eingesehen werden. Weitere aktuelle Informationen zum Fachgebiet sind auf den Homepages der Fachgesellschaft DGPRM und des Berufsverbandes BVPRM einsehbar (s. „Weitere Infos“).
Info
Prävention (und Rehabilitation?) in Lebenswelten
Das Präventionsgesetz sieht bestimmte Zielbereiche und -gruppen (so genannte Settings) vor, in die gesellschaftlich-medizinische Edukation und Kompetenz verlagert werden soll. Die Rentenversicherung und die Berufsgenossenschaften widmen sich diesen Themen insbesondere im beruflichen Bereich, die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) nehmen folgende Settings in den Fokus:
Setting Beruf
Gerade im beruflichen Kontext sind viele Akteure des Gesundheitssystems involviert. Aus rechtlichen Gründen, wie nach dem Arbeitsschutz-, Arbeitssicherheitsgesetz unterstützen die Berufsgenossenschaften und die jeweiligen Betriebsärzte die Arbeitgeber , um die Beschäftigten vor Gefahren durch die Arbeit zu schützen. und beraten die Arbeitgeber nach erfolgter Gefährdungsbeurteilung und schlagen Maßnahmen vor. Im Kontext von rehabilitativen Maßnahmen eines Arbeitnehmers hat auch die DRV eine bedeutsame Rolle bei der Steuerung von Leistungsfähigkeit, innerbetrieblicher Umsetzung und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Mit dem Präventionsgesetz richten nun vermehrt auch die gesetzlichen Krankenversicherungen ihr Augenmerk auf die Betriebe.
Setting Kindergarten und Kita/Schule/Familie/Altenheime
Auch in andere Settings wird von der GKV für Prävention und Gesundheitsförderung vermehrt Geld zur Verfügung gestellt. Gesundheit sollte beispielsweise auch in Kindergärten und Schulen groß geschrieben werden. Hinsichtlich der praktischen Umsetzung stecken allerdings viele Projekte noch in den Kinderschuhen. Aktuell versuchen z. B. ein versierter Kinderarzt und die Autorin, die Wirkungen von Energy Drinks auf Kinder und Jugendliche in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Aber sowohl im Kleinen: „Wie kann das Thema in den Schulen untergebracht werden?“ – noch im Großen „Was tut die Politik, um vor den Risiken und Nebenwirkungen von Energy Drinks zu warnen?“ sind noch viele Hürden zu bewältigen, um die Bevölkerung über den „richtigen“ Umgang mit diesen Produkten zu informieren. Nicht immer sind „höher, schneller und weiter“ die gesündesten Antreiber einer modernen Gesellschaft. Der Wunsch oder der Druck nach Leistungsfähigkeit fängt beispielsweise im Kindesalter an und begleitet die Menschen über das Studium/die Ausbildung bis hin in die Erwachsenenwelt. Eine Zunahme von psychischen Erkrankungen und Frühberentungen sind oft die Folge.
Es gibt bereits einige erfolgsversprechende Projekte zum dieser Thematik: Zusätzliche Unterstützung an Bildung und Teilhabe wird zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen angeboten, wo bereits im Kindergarten frühzeitig Fördermöglichkeiten einsetzen sog. „frühe Hilfen“. Auch in anderen Ländern beginnen sich solche Projekte zu entwickeln.
Info
„Gesund im Betrieb“ – Präventionsinitiative der Deutschen Rentenversicherung
(Siehe auch den Beitrag von Glaser-Möller in dieser Ausgabe)
Die Deutsche Rentenversicherung bietet seit 2017 die Präventionsmaßnahme „Gesund im Betrieb“ an! Es müssen lediglich bestimmte Funktionseinschränkungen vorliegen, um den Antrag genehmigt zu bekommen. Insbesondere Beschwerden des Bewegungsapparats, von Übergewicht, Stress und Herzkreislauferkrankungen stellen wichtige Indikationen dar.
Hinweise für Hausärzte und Fachärzte für PRM
Wie kann dies verordnet werden?
Ärzte können mit dem Vordruck G0190 die Maßnahme einleiten und mit dem Vordruck G0600 die Vergütung beantragen! Den Befundbericht können alle Hausärzte, Fachärzte und Betriebs- bzw. Werksärzte erstellen. Die oder der Versicherte muss die Formulare G0180 und G0185 ausfüllen und an seinen Rentenversicherer schicken.
Weitere Infos
Online-Formular „Ärztlicher Befundbericht zum Antrag auf Leistungen zur Prävention“
Deutsche Gesellschaft für Physikalische und Rehabilitative Medizin e. V. (DGPRM)
Berufsverband der Ärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin e. V.
Autorin
Dr. med. Silke von der Heide
Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin
Kasseler Landstr. 25 b
37081 Göttingen