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Arbeitsmedizin 4.0 aus Sicht des praktisch tätigen Arbeitsmediziners

Der Betriebsarzt in seiner Funktion als Berater und Gesundheitsmanager

Der Mensch steht bei der Gestaltung zukunftsweisender Produktionsprozesse in Industrie- und Dienstleistungsgewerbe auch zukünftig stark im Fokus. Veränderte Rahmenbedingungen einer Industrie 4.0 infolge Globalisierung und intensiver Vernetzung im Produktionsumfeld, speziell auch unter Berücksichtigung der aktuellen demografischen Entwicklung, fordern einschneidende Anpassungen bei der Gestaltung einer zielführenden arbeitsmedizinischen Betreuung: An der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine kommt dem Arbeitnehmer als Teil der Produktionskette eine wachsende Bedeutung zu. Dies gilt in besonderer Weise für Vorgesetzte, die zukünftig deutlich stärker in ihrer Führungskompetenz gefordert sein werden.

Flexibilität und Fähigkeit zur Anpassung an jeweils notwendige Arbeitsschritte bieten zwar eine gute Chance für mehr Kreativität bei der Bewältigung der zugewiesenen Aufgaben, allerdings ergibt sich hieraus auch die Gefahr, dass die Mitarbeiter sich aus produktionstechnischen Gründen verstärkt dem Takt der Maschinen unterwerfen müssen. Die große Herausforderung für erfolgreiche Unternehmen wird es sein, den Produktionsprozess menschenwürdig zu gestalten und damit Arbeit auch zukünftig als sinnstiftend erfahren zu lassen. Die Industrie 4.0 fordert eine spezielle noch mehr auf Prävention ausgerichtete Arbeitsmedizin 4.0 und wird zur obligaten Voraussetzung für ein effektives Prozessmanagement in erfolgreichen Industriebetrieben.

Die Schwerpunkte und damit assoziierten Aufgabenfelder des praktisch tätigen Betriebsarztes haben sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Bereits heute ist im Kontext der demografischen Entwicklung eine intensivere Auseinandersetzung mit der Arbeits- und den modernen Lebenswelten gefordert: Wertesysteme haben sich verschoben, nicht mehr allein materielle Belohnungssysteme werden von der jüngeren Generation gefordert, vielmehr ist der Wunsch nach flexibler Arbeitsgestaltung und einer wertschätzenden Feedback-Kultur verbunden mit persönlicher Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich einer ausgewogenen Balance zwischen Beruf und Familie immer stärker nachgefragt.

In den großen Unternehmen werden als Schwerpunkte für Prävention von Gesundheitsstörungen die Sicherstellung von somatischer und psychischer Gesundheit von Mitarbeitern durch eine nachhaltig betriebene Verhältnis- und Verhaltensprävention gesehen. Aufgrund weiter absehbarer Veränderungsprozesse in der sozioökonomischen Struktur mitteleuropäischer Gesellschaften und um das allgemeine Gesundheitssystem auch in Zukunft finanzierbar zu gestalten, ist bereits heute unbestritten, dass eine auf Prävention ausgerichtete Versorgungsstrategie zur maßgeblichen Säule im Gesundheitssystem werden muss. Primärprävention von Gesundheitsstörungen hat hierbei einen besonderen Stellenwert. Zur Implementierung eines solchen Systems können betriebliche Maßnahmen im Sinne eines effektiv gestalteten strategischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) einen maßgebenden Beitrag leisten.

Das betriebliche Setting ist besonders geeignet für eine effiziente Vernetzung von präventiven, kurativen und rehabilitativen Maßnahmen und kann somit das Gesundheitsniveau bei allen Beteiligten in den Unternehmen effektiv fördern, erhalten und wiederherstellen. Schwerpunkte bei der Gestaltung zukünftiger Schaffensräume von Betriebsärzten im Zusammenhang einer sinnstiftenden Arbeitsmedizin 4.0 sind neben der Beratungskompetenz bei der Vermittlung eines nachhaltigen somatischem und psychischem Gesundheitsmanagement insbesondere auch die Unterstützung bei der Prozessoptimierung durch wertschöpfende Führungskompetenz.

In einer zunehmend alternden Gesellschaft ist die Prävention von Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen bereits heute eine besondere Herausforderung. In den Industrieunternehmen spielt dabei heute bereits die Vermeidung von durch Mitarbeiter hervorgerufen Produktivitätsdefiziten eine herausragende Rolle. Dabei ist es prinzipiell unerheblich, ob diese durch Absentismus oder Präsentismus verursacht werden. Ausfallzeiten verursacht durch Gesundheitsstörungen und daraus resultierender passagerer und dauerhafter Abwesenheit vom Arbeitsplatz lösen speziell in unserer hochtechnisierten Arbeitsumgehung hohe Wertschöpfungsverluste aus. Die immer weiter steigende psychische Belastung, unter anderem infolge einer sich ausweitenden und auf unbedingter Flexibilität basierenden Arbeitswelt wie auch zunehmend einer verschwimmenden Grenze zwischen Arbeits- und Privatwelt, wirken sich ebenfalls belastend auf die Leistungsfähigkeit aus.

Neben der demografischen Entwicklung und dem daraus resultierenden Verteilungskampf um leistungsstarke und motivierte Beschäftigte werden die Betriebe durch die anstehenden Veränderungen im Arbeitsumfeld im Kontext einer Industrie 4.0 vor große Herausforderungen gestellt. Der zunehmende Drang nach permanenter Synergie und der Druck auf Optimierung der Prozesse weisen auf die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses hin, was sowohl für die technischen Optimierungsprozesse als auch im Personalmanagement gilt.

Best Practice BGM

Der Erfolg der Vernetzung einer auf Prävention ausgerichteten modernen Arbeits- und Versorgungsmedizin setzt neben einer intelligenten betrieblichen Personalpolitik eine intensive Zusammenarbeit auf allen Ebenen medizinischer Versorgungsstrukturen voraus. Der Betriebsarzt kann hierbei aufgrund seiner Sach- und Fachkompetenz als Berater und Gesundheitsmanager im Betrieb unterstützen.

Mit Blick auf ein betriebsökonomisch sinnvolles Angebot von Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) im Kontext eines wertschöpfenden BGM ist eine valide Datenbasis gefordert, um die verfügbaren finanziellen Ressourcen und sonstigen Werkzeuge effektiv einzusetzen. Ein ausführliches Check-up-System auf Basis gelebter BGF-Strukturen wird beispielsweise nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn aufgezeigte Defizite durch auf Nachhaltigkeit ausgelegte betriebliche Strukturen treffen und dann zu Verhaltensmodifikation führen. Verhältnis- und Verhaltensprävention sind unmittelbar miteinander verknüpft. Hierzu sind weitläufige betriebliche Unterstützungssysteme, wie beispielsweise das Angebot zur Aktivitätssteigerung und Möglichkeiten einer ausgewogenen Ernährung auf betrieblicher Ebene, genauso wichtig wie ein zeitnaher Zugang zu Unterstützungssystemen auf Seiten der Sozialversicherungsträger und medizinischen Versorgungseinrichtungen.

Im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen, die mit einer Arbeitswelt 4.0 einhergehen, spielt das Thema Mitarbeiterführung eine besondere Rolle. Ein als positiv bewerteter Führungsstil verbunden mit dem Gefühl einer organisationalen Gerechtigkeit wirkt sich unmittelbar förderlich auf die physische- und psychische Gesundheit der Belegschaft aus und verbessert das subjektive Gesundheitsgefühl beim Mitarbeiter. In diesem Kontext ist absehbar, dass die Herausforderungen im Rahmen einer sich permanent verändernden Arbeitswelt einen besonderen Anspruch an das Führungsverhalten von Vorgesetzten stellen. Der Betriebsarzt als vertrauensvoller Berater von Unternehmer und Mitarbeitern ist hierbei besonders geeignet, Rahmenbedingungen im Arbeitsumfeld sachkompetent zu analysieren und unterstützend zu beraten. Stressoren werden frühzeitig erkannt und im Zusammenspiel mit den technischen Rahmenbedingungen die individuellen Stärken und Schwächen im Belastungs-Beanspruchungsniveau eingeordnet.

Resümee

Spätestens seit Einführung der ArbmedVV ist der Arbeitsmediziner in besonderem Maße gefordert, eine Rolle als vertrauenswürdiger und kompetenter Partner von Unternehmer und Mitarbeiter zu übernehmen. Eine transparente Beratung zur Gesundheitsvorsorge und die Vermittlung einer Fähigkeit zur selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Entscheidung zu Gesundheitsfragen im Sinne einer individuellen Gesundheitskompetenz eröffnet den modernen Industrieunternehmen die Möglichkeit für einen effektiven Wertschöpfungsprozess auch unter den besonderen Rahmenbedingungen einer Arbeitswelt 4.0.

Die Aufgaben des Betriebsarztes orientieren sich damit nicht mehr ausschließlich an den klassischen Schwerpunkten einer traditionellen arbeitsmedizinischen Betreuung, vielmehr stellen die im Rahmen des demografischen Wandels und der anstehenden strukturellen und organisatorischen Veränderungen der Rahmenbedingungen im beruflichen Umfeld wesentliche Anforderungen an die ganzheitliche Betreuung einer Belegschaft dar.

Gesundheitsangebote, die zielorientiert auf die Belange der Mitarbeiter ausgerichtet sind, tragen langfristig stärker zum wirtschaftlichen Erfolg in Industrieunternehmen bei. Sowohl die Notwendigkeit zur Vermeidung von Gesundheitsschäden aufgrund der klassischen Risikofaktoren als auch die Reaktion auf zunehmenden psychischen Stressoren verbunden mit organisatorischen Veränderungen in der Arbeitswelt machen eine Unterstützung durch den „Gesundheitsberater und -manager“ Betriebsarzt erforderlich: Statt Verordnung von standardisierten Maßnahmenpaketen sind fachkompetente und auf die jeweilige Situation bezogene Beratung in Gesundheitsfragen unbedingte Voraussetzung für eine Sicherung der Wertschöpfung in der Arbeitswelt 4.0.

Ein solches umfassende System zur Unterstützung der Sensibilisierung für ein gesundes Arbeitsumfeld mit Angeboten zu individualisierten Supportsystemen und für gesundheitsbewusstes Verhalten verbunden mit stetiger Weiterentwicklung der eigenen Gesundheitskompetenz erfordert betriebliches, gesellschaftliches und politisches Engagement: Neben der Schaffung von betrieblichen Strukturen durch Implementierung eines strategischen BGM unter Einbindung arbeitsmedizinischer Kompetenz, ist die Weiterentwicklung geeigneter gesetzlicher Rahmenbedingungen erforderlich: Das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene Präventionsgesetz bietet hierfür eine gute Ausgangsbasis und weist dem Betriebsarzt bereits eine besondere Beratungsfunktion im Umfeld der allgemeinen Gesundheitsförderung zu. Weiter zu entwickeln aus Sicht des praktisch tätigen Betriebsarztes sind unter anderem die Möglichkeit zur tieferen Vernetzung in die Versorgungsmedizin, eine intensive und frühzeitige fachübergreifende Zusammenarbeit bei psychischen Stresszuständen und eine Optimierung der strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen für Frührehabilitation.

    Autor

    Dr. med. Michael Schneider

    Zentrum für Arbeitsmedizin und Medizinische Dienste

    Boehringer Ingelheim

    Binger Straße 173

    55216 Ingelheim am Rhein

    michael.schneider@boehringer-ingelheim.com

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