Einleitung
Die Verwendung von Asbest ist in Österreich seit dem Jahr 1990 verboten. Wie in allen westlichen Industrieländern wurde Asbest auch in Österreich bis dahin vielfältig eingesetzt. Die Blütezeit der industriellen Anwendung lag in den 1960er und 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Entwicklung der asbestbedingten Berufskrankheiten in Österreich in den Jahren 2000 bis 2018
In Österreich sind die asbestassoziierten Berufskrankheiten (BK) im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) Anlage 1 unter der Ziffer 27 geführt:
27a Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf
27b bösartige Neubildungen des Rippenfells, des Herzbeutels und des Bauchfells durch Asbest
27c bösartige Neubildungen der Lunge durch Asbest
27d bösartige Neubildungen des Kehlkopfes durch Asbest
Die offiziellen Zahlen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) lassen seit den 1990er Jahren einen stetigen Anstieg der malignen Asbesterkrankungen erkennen (➥ Abb. 1). Mittlerweile scheint ein Plateau erreicht.
Asbestassoziierte Krebserkrankungen entwickeln sich zumeist erst nach Jahrzehnten mit einer mittleren Latenzzeit von über 30–35 Jahren, beim malignen Mesotheliom können die Latenzzeiten auch deutlich darüber liegen; beschrieben sind Fälle mit einer Latenzzeit von über 70 Jahren (Bianchi 1997). Dementsprechend wird in vielen Ländern Westeuropas mit dem Erreichen des Erkrankungsgipfels erst 2020 und später gerechnet.
Das Asbestnachsorgeprogramm
Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl asbestassoziierter Malignome wurde auf Basis eines Pilotprojekts eines asbestverarbeitenden Unternehmens (2002–2004) seitens der AUVA 2004 die Entscheidung getroffen, ein flächendeckendes Nachsorgeprogramm für ehemals beruflich Exponierte zu etablieren. Dieses Programm verbindet ein medizinisches Untersuchungsangebot mit einer umfassenden psychosozialen Betreuung betroffener Personen und ihrer Familien. Das primäre medizinische Ziel ist es, asbestbedingte Lungenkarzinome in frühen kurativ behandelbaren Stadien zu detektieren. Gleichzeitig können Erkrankte im Rahmen der Asbestnachsorge Angebote zur ganzheitlichen Begleitung in Anspruch nehmen. Dargestellt werden hier die Charakteristika des österreichischen Nachsorgeprogramms. Medizinische Ergebnisse bis zur letzten umfassenden Evaluierung Ende des Jahres 2015 werden präsentiert. Auch werden die an Lungenkrebs erkrankten Programmteilnehmenden einer Gruppe von Erkrankten außerhalb des Programms gegenübergestellt und die Vorteile der Organisationsform beschrieben.
Organisation des Programms
Im Auftrag der AUVA wurden flächendeckend Beratungszentren eingerichtet, in denen Fachkundige aus den Bereichen Sozialarbeit und Psychologie sowie im Bedarfsfall Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stehen. Als wichtigstes medizinisches Angebot wurde eine Früherkennungsstrategie von Lungenkrebserkrankungen durch Low-dose-Computertomographie-Untersuchungen (LDCT) bei einer Hochrisikogruppe etabliert. Insgesamt nahmen bisher rund 9800 Menschen das Programmangebot in unterschiedlichem Umfang in Anspruch, ein Teil der betroffenen Personen wurde ebenso wie Angehörige ausschließlich im Rahmen des Case Managements betreut. Die Ergebnisse des Case Managements wurden 2013 evaluiert und ergaben eine hohe Akzeptanz und Abnahme der Verunsicherung (Dolezal-Berger 2013). Jede betroffene Person in Österreich, die im Laufe ihres Lebens beruflichen Kontakt mit Asbeststaub hatte, kann sich mit Fragen an die Beratungszentren für Menschen mit beruflicher Asbestexposition wenden. Über die Beratungszentren erfolgen die Erhebung der individuellen Asbestexposition, die Organisation von Untersuchungen, ärztliche Befundbesprechungen, Meldungen bei Verdacht auf Berufserkrankung, Beratungen zur Raucherentwöhnung, Schnittstellenmanagement zu behandelnden Haus- bzw. Fachärztinnen und -ärzten beziehungsweise zu entsprechenden stationären Einrichtungen im Erkrankungsfall. Im Erkrankungsfall werden psychologische Unterstützung sowie Unterstützung bei der Organisation von Reha-Aufenthalten, Heilbehelfen etc. angeboten (Dolezal-Berger 2013).
Medizinisches Untersuchungsangebot
Voraussetzungen sind
Nach detaillierter Berufsanamnese und approximativer Abschätzung des Expositionsausmaßes in Faserjahren (BK Report Faserjahre in der jeweils gültigen Fassung, s. „Weitere Infos“) wird eine Zuordnung gemäß der Risikoeinschätzung für eine asbestassoziierte Lungenkrebserkrankung vorgenommen. Versicherte, die der Hochrisikogruppe („high risk“ = HR) zugeordnet werden, werden in jährlichen Abständen zu LDCT-Untersuchungen eingeladen. Grundvoraussetzung für das Angebot regelmäßiger CT-Untersuchungen im Programm ist eine geschätzte Exposition von mindestens 20 Faserjahren (FJ), die als Anerkennungskriterium für asbestbedingten Lungenkrebs als Berufskrankheit in Österreich gilt.
Das Hochrisiko wird auf Basis einer Risikoformel definiert, in die Alter, Ausmaß der Asbestexposition (FJ) und Rauchverhalten eingehen (Zschiesche 2003; Das 2007). Dieses Berechnungsmodell war zum Zeitpunkt des Programmstarts die einzig verfügbare Grundlage für eine Hochrisiko-Abschätzung bei dieser speziellen Risikogruppe. Darüber hinaus wurde die Entscheidung getroffen, alle mit Asbest Arbeitenden mit einer Exposition ab 40 Faserjahren der Hochrisikogruppe zuzuordnen.
Die Low-dose-Computertomographien wurden ab Programmbeginn gemäß den Empfehlungen radiologischer Fachleute zur Aufnahmetechnik (Hering 2004, 2014; Hofmann-Preiß 2016; Rehbock 2017; Falkensteiner Empfehlung 2011, s. „Weitere Infos“) bei der Hochrisikogruppe jährlich vorgesehen. Die CT wurden von speziell geschulten Radiologieinstituten durchgeführt, befundet und nach der ICOERD- Klassifikation kodiert. Technische Grundvoraussetzung waren seit 2004 Multi-Slice-CT-Geräte mit entsprechenden Verbesserungen der Geräteausstattung in den Folgejahren gemäß der fortschreitenden technischen Entwicklung. Rundherde <10 mm wurden ihrer Größe entsprechend mittels LDCT kontrolliert (Valic 2011). Bei Rundherden ab 10 mm beziehungsweise bei Größenzunahme wurden die Untersuchten an pneumologische Zentren zur Abklärung weitergeleitet.
Case Management in den Beratungszentren für Menschen mit beruflicher Asbestexposition
Vorrangige Zielsetzung im Case Management ist der Erhalt oder die Wiederherstellung vor allem der psychischen Lebensqualität der betroffenen Personen und ihrer Angehörigen (BBRZ QM Handbuch 2012). Als hauptsächliche Probleme zeigten sich mangelndes Wissen über die generellen Auswirkungen von Asbeststaubbelastung und über die eigene Betroffenheit sowie das fehlende medizinische Verständnis/Wissen über Asbesterkrankungen und deren Prognosen mit Angst und großer seelischer Belastung. Diese seelische Belastung tritt nicht nur bei Erkrankung auf, sondern kann schon durch den Umstand der latenten und unmittelbaren Bedrohung für die eigene Gesundheit eine wesentliche Verminderung der Lebensqualität mit sich bringen. Ausgangspunkt jeder Handlung, die im Case Management gesetzt wird, ist die individuelle Situation der einzelnen betroffenen Personen und die individuelle Vereinbarung zwischen ihnen und den Beratungsstellen (Case Manager) (Dolezal-Berger 2013).
Die Qualitätssicherung im Programm erfolgt durch Schulungen der teilnehmenden Radiologieinstitute und stichprobenartige Zweitbefundungen, zum Teil durch Radiologinnen und Radiologen aus der Gruppe der Untersuchenden, zum Teil durch externe Fachkräfte. Die LDCT-Befunde wurden nach der ICOERD-Klassifikation kodiert.
Datenerfassung
Es erfolgt eine datenbankmäßige Erfassung aller Versicherten im Screening, ebenso wie der Erkrankten im Programm. Darüber hinaus gehen alle außerhalb des Nachsorgeprogramms an die AUVA gemeldeten Asbesterkrankungen in die Datenerfassung der Asbestdatenbank der AUVA ein. Es werden so außer den am Programm Teilnehmenden auch alle Fälle asbestassoziierter (Krebs-)Erkrankungen außerhalb des Programms erfasst, wenn ein Berufskrankheitenverdacht an die AUVA gemeldet wird. Dadurch, dass die Daten wieder in eine Hand zusammenlaufen, können auch „Programmaussteiger“, die nach unserer Erfahrung lückenlos als BK-Verdachtsfälle an die AUVA gemeldet wurden, im Erkrankungsfall ausgewertet werden. Wer jemals im Programm war, bleibt als teilnehmende Person erkennbar.
Ergebnisse des medizinischen Untersuchungsprogramms
Dieser Auszug aus der Auswertung der Ergebnisse der Früherkennung erstreckt sich auf den Zeitraum zwischen 2004 und 2015. Beschrieben werden zunächst die untersuchte Personengruppe sowie Charakteristika der Erkrankten mit speziellem Fokus auf die Lungenkrebsfälle, die im Rahmen des Programms durch die Screeninguntersuchungen erfasst wurden. Ausgewertet wurden darüber hinaus die (invasiven) diagnostischen Maßnahmen bei suspekten beziehungsweise unklaren radiologischen Rundherdbefunden, bei denen sich der Malignitätsverdacht nicht bestätigte. Weiters wurde eine Evaluierung der Treffsicherheit der Berechnungsformel der Hochrisikoeinschätzung durchgeführt.
Statistische Methoden
Zur Beschreibung der personenbezogenen Charakteristika und Risikofaktoren wurden deskriptive Maßzahlen (Minimum, Maximum, 1. Quartil, Median, 3. Quartil, Mittelwert und Standardabweichung) sowie absolute und relative Häufigkeiten herangezogen. Die Unterschiede der angeführten Prävalenzraten wurden mittels zweiseitigem Anteilstest auf Signifikanz getestet.
Untersuchtes Kollektiv
Von 7934 Versicherten im Programm wurden 6682 mit Eintrittsdatum vor dem 31.12.2015 mindestens einmal im Programm untersucht, davon konnte bei 6630 Personen eine Risikozuordnung durchgeführt werden. Die Versicherten, die ins Programm eingeschlossen, jedoch der Gruppe mit geringerem Risiko („low risk“ = LR) zugeordnet wurden, wurden mittels Röntgen-Übersichtsaufnahme (p.a. + seitlich) in 2-jährigen Abständen untersucht.
Hochrisikogruppe („high risk“ = HR)
1784 Asbestexponierte wurden der Hochrisikogruppe zugeordnet. Es handelt sich um 1641 Männer (92%) und um 143 Frauen (8%). Das mittlere Alter der Untersuchten lag bei 71,4 Jahren, die Faserjahre im Median bei 53,4 Jahren. Was den Raucherstatus innerhalb der Hochrisikogruppe betrifft, so stehen 629 Nichtrauchende (35,4%) 884 Exrauchenden (49,8%) und 263 Rauchenden (14,8%) gegenüber. Nicht alle in die Hochrisikogruppe eingeschlossenen Personen wurden mittels CT untersucht (sehr hohes Alter mit Multimorbidität, fehlendes Einverständnis etc.). Bei 1717 Personen wurden Low-dose-Computertomographien (LDCT) in jährlichen Abständen bis zum Auftreten einer Tumorerkrankung oder bis zum Ausscheiden aus dem Programm durchgeführt.
Auswertungen zu den Erkrankungsfällen
Zahl und Charakteristika der Lungenkarzinomfälle
Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass es sich bei unserem Programm nicht um eine wissenschaftliche CT-Screening-Studie handelt, sondern um eine Früherkennungsmaßnahme von Lungenkrebs in einem teils hoch exponierten Asbestarbeiterkollektiv. Auch sind Versicherte zu unterschiedlichen Zeitpunkten ins Programm eingetreten. Außerdem gibt es Personen, die nach einigen Jahren keine weiteren regelmäßigen CT-Screenings wünschten und deswegen das Programm beendeten. Dargestellt werden hier die Fälle von Lungenkrebserkrankungen, die im Nachsorgeprogramm bei radiologischen Untersuchungen diagnostiziert wurden. Nicht besprochen werden die Lungenkrebsfälle Asbestexponierter, die nach extern gestellten Krebsdiagnosen Betreuung und Case Management im Programm in Anspruch nahmen. Im Rahmen der Screening-Untersuchungen wurden 52 Lungenkarzinome diagnostiziert. 36 der bestätigten Fälle waren der HR-Gruppe zugeordnet, 14 der LR-Gruppe, bei 2 Fällen lag keine Berechnung vor. Die Erkrankten verteilten sich auf 51 Männer und 1 Frau. Das mittlere Alter der Erkrankten lag bei 67,1 Jahren, die Asbestexposition lag im Median bei 27 Faserjahren. 21,1% (n=11) waren Rauchende und 73,1% Exrauchende (n=38), 5,8% (n=3) waren Nichtrauchende. Histologisch handelte es sich bei 53,8% (n=28) um Adenokarzinome. Die Charakteristika sind in den ➥ Tabellen 1 und 2 dargestellt. 30,8% (n=16) der Erkrankten hatten radiologisch asbesttypische pleurale und/oder pulmonale Veränderungen.
➥ Tabelle 3 zeigt die Stadienverteilung der bestätigten Lungenkarzinome. 22 Fälle wurden im Stadium Ia oder Ib diagnostiziert (42,3%), weitere 8 Fälle (15,4%) im Stadium II. Die übrigen Fälle verteilen sich auf Stadium III und Stadium IV. Bei 4 Erkrankten war keine Information zum Stadium verfügbar. Sieben der 52 Lungenkarzinome wurden auf der Basis von Rundherdkontrollen diagnostiziert.
Falsch-positive Befunde
Bei 49 Erkrankten mit unklaren/suspekten Rundherden in der Computertomographie, die zur Abklärung an pneumologische Zentren weitergeleitet wurden, ließ sich der zunächst ausgesprochene Karzinomverdacht nicht bestätigen (= 0,7% aller, die zumindest eine radiologische Untersuchung im Programm hatten; n=6682). In der überwiegenden Zahl dieser Fälle erfolgte die Evaluierung durch weitere engmaschige CT-Kontrollen bzw. PET-CT. 11 Fälle mit suspekten Befunden wurden invasiv abgeklärt (= 0,16%) In einem Fall fand sich dabei eine Metastase eines bis dahin nicht bekannten Magenkarzinoms. Die übrigen 10 Fälle erwiesen sich als benigne. In einem Fall kam es zu einer Komplikation (Pneumothorax mit Drainagebehandlung).
Überprüfung der Risikozuordnung
Bei 6630 Personen erfolgte eine Risikozuordnung. Innerhalb dieser Gruppe beträgt der Anteil der durch Screening bestätigten Lungenkarzinome 0,75%. Der Anteil der bestätigten Lungenkarzinome in der LR-Gruppe beträgt 0,28%. In der HR-Gruppe beträgt der Anteil der bestätigten Lungenkarzinome 2,1%. Dies entspricht einer Differenz von 1,81% (➥ Tabelle 4), die bei einem Signifikanzniveau von 5% signifikant ist (p-Wert <0,001). Die Erkrankungszahlen in der HR-Gruppe sind gegenüber der LR-Gruppe signifikant erhöht. Das spricht dafür, dass die von der Aachener Gruppe vorgeschlagene empirische Risikoformel eine gute Definition der asbestexponierten Personen bedeutet, die von einem Lungenkrebsscreening mit CT profitieren können (Das 2007; Kraus 2019). Das überrascht insofern nicht, als die wesentlichen Risikofaktoren Nikotinkonsum, Alter und Asbestexposition in die Berechnung eingehen. Es bestätigt die seinerzeit getroffene Entscheidung der Hochrisikodefinition als gezieltes Angebot an mit Asbest Arbeitenden, wobei auch Exponierte mit nur geringem oder fehlendem Nikotinkonsum, aber entsprechend hoher Exposition eingeschlossen werden können.
Gruppenvergleich mit „Nicht-Teilnehmenden“
Wie bereits ausgeführt, erfolgte in einer dafür konzipierten Asbestdatenbank der AUVA eine Dokumentation aller Erkrankungsfälle sowohl im Nachsorgeprogramm als auch eine Erfassung aller an die AUVA gemeldeten Lungenkrebsfälle bei asbestexponierten Versicherten, die niemals am Programm teilgenommen hatten. Dadurch konnte die Gruppe der am Programm teilnehmenden Erkrankten der Gruppe an Lungenkrebs Erkrankten außerhalb des Programms gegenübergestellt werden. Es wurden alle im Programm diagnostizierten Lungenkarzinome bis zum 31.12.2015 herangezogen (Programmgruppe n=47; ➥ Tabelle 5). Die Differenz von 5 Fällen zur vorangehenden Auswertung erklärt sich durch methodisch unvermeidbare unterschiedliche Einschlusskriterien (Eintrittsdatum ins Programm vs. Diagnosedatum). Die Vergleichsgruppe (n=477) besteht aus allen bis Ende 2015 bestätigten Lungenkrebsfällen von Asbestexponierten aus der Datenbank der AUVA, die nicht am Nachsorgeprogramm teilgenommen haben. Verglichen wurden die beiden Gruppen unter anderem im Hinblick auf Alter, Rauchverhalten und Expositionsausmaß. Die Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich Raucherstatus (p-Wert <0,001), Alter (p-Wert = 0,048) und Faserjahren (p-Wert <0,001). Alle Ergebnisse werden in der nachfolgenden Tabelle 5 zusammengefasst. Bemerkenswert ist, dass die Erkrankten in der Vergleichsgruppe im Durchschnitt jünger sind als die Programmteilnehmenden.
Die nachfolgende ➥ Tabelle 6 zeigt den Gruppenvergleich im Hinblick auf die Stadienverteilung. Dabei ist in der Programmgruppe eine Verschiebung in Richtung der niedrigeren Stadien erkennbar. In der Programmgruppe wurden 59,6% der bestätigten Lungenkarzinome bis inklusive Stadium IIb diagnostiziert. In der Vergleichsgruppe wurden hingegen 22,9% der Lungenkarzinome bis Stadium IIb diagnostiziert. Hier zeigt sich, dass 34,2% der bestätigten Lungenkarzinome bei der Vergleichsgruppe erst im Stadium IV diagnostiziert wurden, in der Programmgruppe sind es 19,1%.
Diese Ergebnisse entsprechen dem, was man sich von einem Screeningprogramm erhofft, wobei klar ist, dass die guten Ergebnisse durch die Vorverlegung des Diagnosezeitpunkts verstärkt werden. Das ist allerdings die Zielsetzung eines derartigen Programms, vorausgesetzt, die frühere Diagnose bedeutet auch Überlebensvorteile für die Betroffenen. Bei einer Gegenüberstellung der Programmgruppe mit der Vergleichsgruppe fanden wir klare Vorteile im 5-Jahres-Überleben, auch wenn unsere Auswertung nicht den Anspruch auf wissenschaftliche Aussagekraft erhebt. Wissenschaftlich belegt sind Überlebensvorteile bei Früherkennung von Lungenkrebs durch LDCT mittlerweile durch mehrere internationalen Studien (NLST, NELSON).
Wesentliche Erkenntnisse und Fazit
Das österreichische Asbest-Nachsorgeprogramm erstreckt sich mittlerweile über einen Zeitraum von 15 Jahren.
Was sind die Herausforderungen eines derartigen Programms?
Zum einen ist dies erfahrungsgemäß die nachhaltige Qualitätssicherung der Low-Dose-HR-Volumen-CT-Untersuchungen, insbesondere im Hinblick auf die durchgängige Einhaltung der technischen Vorgaben zur Minimierung der Strahlendosis, wobei eine wünschenswerte Konzentrierung auf wenige Zentren oft an den Bedürfnissen der Versicherten (Wohnortnähe) scheitert. Im deutschen erweiterten Vorsorgeangebot gibt es mittlerweile ein beispielhaftes EDV-Portal zur Qualitätssicherung, dessen Einsatz auch in Österreich angestrebt wird (Centmayer/Wolff: Vorsorge-Portal der GVS-Qualitätssicherung und Dokumentation der LD-HRCT). Die Einführung von Volumetrien zur Optimierung der Rundherddiagnostik als zukünftiger Standard ist in Diskussion, um falsch-positive Befunde zu minimieren (Horeweg 2014; DeKoning 2018). Eine weitere Herausforderung sind Personen, die aus dem Programm aussteigen, und die nach mehreren CT-Zyklen weitere regelmäßige Untersuchungen im Programm ablehnen, insbesondere mit zunehmendem Alter und abnehmender Mobilität. Einige Fälle von „Aussteigenden“, die später an Lungenkrebs erkrankt sind, sind im Programm dokumentiert. Hier spielen wohnortnahe Angebote und die Betreuung der Versicherten eine wichtige Rolle, zumal es bereits Empfehlungen eines fortgesetzten jährlichen Screenings bis zum Alter von 79 Jahren bei definierten Hochrisikogruppen gibt (Jaklitsch et al. 2012).
Positive Aspekte
Die gewählte Organisationsform hat sich sehr bewährt. Da ist zunächst die umfassende Betreuung der Betroffenen, die neben den Vorteilen eines Case Managements aus psychosozialer Sicht auch den medizinischen Programmteil erleichtert, indem in den Zentren das Schnittstellenmanagement in allen Ausprägungen zusammenläuft. Die enge Vernetzung mit den über die AUVA ablaufenden Berufskrankheitenverfahren ist sowohl aus Sicht der AUVA als auch aus Versichertenperspektive günstig. Rehabilitationsbedarf kann frühzeitig erkannt und Angebote zur (stationären) Raucherentwöhnung gemacht werden.
Zu den medizinischen Ergebnissen
Die Gesamtprävalenz in der Gruppe der zumindest einmal Untersuchten liegt bei 0,78% (52/6682). Im Vergleich mit internationalen Daten ergab eine Metaanalyse von Ollier, die sieben Studien von CT-Screening für Lungenkrebs bei Asbestexponierten einschloss und Gruppen beschreibt, die den eigenen Asbestarbeiterinnen und -arbeitern ähnlich sind, eine Prävalenz von 1,1% (95% Konfidenzintervall [0,6; 1,8%]) bei ca. 5000 Exponierten (Ollier 2014), womit die eigene Gruppe mit 0,78% im unteren Bereich liegt. In der Hochrisikogruppe liegt die Prävalenz allerdings bei den am Asbestnachsorgeprogramm Teilnehmenden bei 2,1% (36/1717). 42,3% aller durch Screening entdeckten Karzinome wurden im Stadium I diagnostiziert, bei 57,7% erfolgte die Diagnose bis zum Stadium IIb mit starken Hinweisen dafür, dass die erkrankten Programmteilnehmenden Überlebensvorteile gegenüber einer Vergleichsgruppe haben. Bezüglich des Stadienvergleichs wurden im National Lung Screening Trial (NLST) die Hälfte aller Lungenkrebsfälle im Stadium I diagnostiziert (NLST research team 2011), in der Metaanalyse von Ollier lag die Zahl der Fälle im Stadium I bei 49% (20–100%).
Zur Definition der Risikogruppe
Wenngleich zum Zeitpunkt des Programmstarts zwar eine höhere Früherkennungsrate gezeigt worden war (Henschke 1999), fehlten valide Ergebnisse zur Mortalitätssenkung. Mittlerweile wurde im Rahmen der NLST-Studie der Nutzen von Lungenkrebs-Screening durch LDCT mit einer Mortalitätssenkung bei einer Hochrisikogruppe von Rauchenden mit mindestens 30 Packyears bewiesen. Daran orientieren sich auch die später implementierten Screening-Programme für Asbestexponierte in Deutschland (Wiethege 2014) und in der Schweiz (Stöhr 2013, s. „Weitere Infos“). In Österreich wurde insofern ein anderer Ansatz gewählt, als das Nachsorgeprogramm der AUVA den Schwerpunkt auf ein Untersuchungsangebot für hochexponierte Asbestarbeiterinnen und -arbeiter legt. Bestätigt wird dies durch die Helsinki-Deklaration von 2014, wo erstmals ein LDCT-Screening bei allen Asbestexponierten gemäß den NLST-Empfehlungen vorgeschlagen wurde, darüber hinaus bei Beschäftigten mit Asbestexposition mit oder ohne Raucherstatus, deren Risiko allein oder in Summe dem gleich zu setzen ist, das als Einschlusskriterium für die NLST-Studie gilt (Wolff 2015). Diese zweite Empfehlung entspricht recht gut dem vorgestellten Ansatz, so dass die gewählte Risikodefinition auch in Zukunft beibehalten wird, zumal die für die Risikoabschätzung gewählte Berechnungsformel gute Treffsicherheit gezeigt hat.
Ausblick
Festzuhalten ist, dass das Programm in dieser Form aufwändig ist, wenngleich das Case Management teilweise von ehemaligen Asbestfirmen und Ländern finanziert wird. Die Fortführung des Programms ist aufgrund der guten Ergebnisse und der sehr positiven Resonanz der Betroffenen geplant.
Es ist allerdings zu hoffen, dass der Erkrankungsgipfel asbestbedingter Lungenkrebserkrankungen in näherer Zukunft endgültig überschritten ist, die Zahlen der Neuerkrankungen an Asbestlungenkrebs in Österreich deutlich zurückgehen werden und sich dieses traurige Kapitel der Industriegeschichte zumindest in den westlichen Industrieländern seinem Ende zuneigt.
Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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Weitere Infos
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Koautorinnen
Mitautorinnen des Beitrags sind: Mag. Ursula Berger, MBA (Unternehmensberatung), Dr. med Eva Valic, Mtox, und Mag. Julia Rohrbach (beide AUVA) sowie Mag. Maria Kohl (Data Technology).