Teer, Bitumen, Asphalt: Begriffliches
Inzwischen ist hinlänglich bekannt, dass Bitumen kein Teer ist. Teer bildet sich durch „Verschwelung“ von Kohle oder anderen organischen Materialien unter Sauerstoffabschluss. Seine Verwendung im öffentlichen Straßenbau ist obsolet.
Bitumen ist hingegen ein Destillationsrückstand aus Erdöl. Es besteht aus hochmolekularen Kohlenwasserstoffen mit schwankenden Schwefel-, Sauerstoff- und Stickstoffanteilen sowie zumeist niedrigen Metallgehalten. Das bei hohen Temperaturen aufgeschmolzene Destillations- oder „Straight-Run“-Bitumen kann mittels Einblasen von Luft unter kontrollierten Bedingungen modifiziert werden. Hierbei entstehen durch Dehydrierungsreaktionen neben Wasserdampf stärker vernetzte Moleküle und damit härtere und beständigere Bitumensorten. Je nach Intensität dieses Oxidationsprozesses entsteht schwach „angeblasenes“ („air rectified“) Bitumen oder aber das „vollgeblasene“ („fully blown“) Oxidationsbitumen.
Verwendet werden Destillations- und angeblasene Bitumina überwiegend im Straßenbau, wobei die üblichen Mischungen aus Bitumen und Mineralstoffen (Sand, kleinkörniger Schotter, Splitt) als „Asphalt“ bezeichnet werden. Oxidationsbitumina finden sich beispielsweise in Vergussmassen, die auch zur Abdichtung von Verkehrsflächen eingesetzt werden (Fugenverguss), sowie in Dach- und Dichtungsbahnen. Weitere wichtige Einsatzgebiete für Bitumen sind Estriche, Isolieranstriche, Kleber für Schaumglasdämmstoffe oder auch Antidröhnmatten für Kraftfahrzeugkarosserien.
Vorgeschichte
Die DFG-Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe („MAK-Kommission“) stufte im Jahr 2001 Dämpfe und Aerosole aus Bitumen bei der Heißverarbeitung als nachgewiesene Tierkanzerogene ein und stellte keinen MAK-Wert auf. Eine Technische Richtkonzentration des Ausschusses für Gefahrstoffe (AGS) in Höhe von 10 mg/m³ verschwand 2004/2005 mit der Abschaffung technikbasierter Luftgrenzwerte aus den deutschen Grenzwertlisten 1.
Seit den 1990er Jahren gab es in Deutschland vielfältige Bestrebungen, die Exposition gegenüber Dämpfen und Aerosolen aus Bitumen am Arbeitsplatz kontinuierlich zu reduzieren. Besonders hervorzuheben sind die Aktivitäten des sozialpartnerschaftlich organisierten „Gesprächskreises Bitumen“ unter der Obmannschaft der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU). Dieser propagiert schon lange den Einsatz von Asphaltmodifikationen, die bei niedrigeren Temperaturen verarbeitet werden können. Ermöglicht wird dies durch eine Veränderung der Mischtechnik, den Zusatz viskositätsmindernder Wachse, oberflächenaktiver Netzhaftmittel oder mineralischer Zeolithe. Die einfache Formel lautet: geringere Verarbeitungstemperatur = geringere Arbeitsplatzexposition. Eine Absenkung der Verarbeitungstemperatur hat aber auch Grenzen, die den technischen Anforderungen und der Haltbarkeit der Produkte geschuldet sind.
Beflügelt wurden diese Bemühungen zur Emissionsminderung durch die Veröffentlichung des Hersteller-DNEL (Derived No Effect Level) von 2,9 mg/m³ für Bitumen-Aerosole und Dämpfe im Rahmen der europäischen REACH-Verordnung. Nach dem in Deutschland geltenden technischen Regeln können DNEL in Abwesenheit verbindlicher Arbeitsplatzgrenzwerte oder MAK-Werte zur Expositionsbeurteilung herangezogen werden. Von der BG BAU kam das Angebot einer engmaschigen arbeitsmedizinischen Überwachung hoch exponierter Beschäftigter.
Die Industrie beteiligt sich nicht nur durch die Identifizierung geeigneter Baustellen für Messkampagnen und die Unterstützung bei der Erstellung von Expositionsbeschreibungen typischer Arbeitsplätze, sondern auch an der Finanzierung wissenschaftlicher Projekte zur Erforschung gesundheitlicher Wirkungen von Dämpfen und Aerosolen aus Bitumen bei der Heißverarbeitung.
In den vergangenen beiden Dekaden sind entscheidende neue Erkenntnisse zur Toxikologie von Bitumen gewonnen worden. Hinzu kommt, dass die Internationale Krebsforschungsagentur IARC im Jahr 2013 eine umfangreiche Monografie vorlegte, in der sie eine differenzierende Perspektive einnahm: Expositionen gegen oxidierte Bitumina und deren Emissionen bei Dacharbeiten wurden in die Gruppe 2A krebserzeugender Stoffe („probably carcinogenic to humans“) eingestuft, während „Hartbitumina“ und deren Emissionen bei Gussasphaltarbeiten sowie „Straight-Run-Bitumina“ und deren Emissionen im Straßenbau der Gruppe 3 („possibly carcinogenic to humans“) zugeordnet wurden.
Neubewertung durch die MAK-Kommission
Die beschriebenen Entwicklungen veranlassten die MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die neuen Daten zu sichten und eine Aktualisierung ihres Begründungspapiers vom Anfang des Jahrhunderts in Angriff zu nehmen. Bezüglich der Einstufung folgte sie im Wesentlichen dem IARC-Vorschlag: Insbesondere auf der Grundlage von Hautpinselungsstudien an Mäusen mit Kondensaten aus Oxidationsbitumen, die zu lokalen Tumoren geführt hatten, entschied sich die Kommission für einen Verbleib von Oxidationsbitumen in der Kategorie 2 krebserzeugender Stoffe nach den Einstufungskriterien der DFG-Kommission („hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen“).
Vor einigen Jahren war in Hannover eine aufwändige Zweijahres-Ratten-Inhalationsstudie mit Kondensaten aus einem handelsüblichen Straßenbaumaterial abgeschlossen worden, das sich aus Destillations- und Air-Rectified-Bitumen zusammensetzte. Eine gegenüber der Kontrolle signifikant erhöhte Tumorrate konnte nicht beobachtet werden. Dieser Befund bewog die MAK-Kommission in Zusammenschau mit negativen Ergebnissen nach dermaler Applikation und unterstützenden Daten zur Gentoxizität, nicht geblasenes und angeblasenes Bitumen aus der Kanzerogenitätskategorie 2 herauszunehmen.
Gleichwohl heißt es im Begründungspapier: „Wegen der großen Spannbreite in der chemischen Zusammensetzung von Destillationsbitumen bleiben jedoch Verdachtsmomente bestehen. Folglich können schädigende Emissionen kanzerogener und mutagener Substanzen nicht vollständig ausgeschlossen werden.“ Unter anderem wurde dabei an polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe gedacht, deren Konzentration in Bitumen zwar um Größenordnungen niedriger ist als beispielsweise im Steinkohlenteer, für deren krebserzeugende Wirkung aber keine toxikologische Schwelle angegeben werden kann. Daher wurden bei der Heißverarbeitung von Destillationsbitumen und Air-Rectified-Bitumen entstehende Dämpfe und Aerosole in die Verdachts-Kategorie 3B nach dem DFG-Klassifizierungsschema für krebserzeugende Stoffe eingestuft („zur endgültigen Entscheidung sind weitere Untersuchungen erforderlich“).
Die erwähnte Hannoveraner Inhalationsstudie versetzte die Kommission auch in die Lage, einen MAK-Wert für Destillations- und Air-Rectified-Bitumen abzuleiten. Ausgehend von einer „No Observed Adverse Effect Concentration“ von 6 mg/m³ für Entzündungszellen im nasalen Epithel sowie vermehrtes Auftreten einer bronchioalveolären Hyperplasie ergab sich unter Verwendung der etablierten Umrechnungsfaktoren zur Überbrückung toxikokinetischer und -dynamischer Unterschiede zwischen ruhendem Versuchstier und dem arbeitenden Menschen eine maximale Arbeitsplatzkonzentration von 1,5 mg/m³. Sie ist zu verstehen als Summe der Dämpfe und Aerosole aus Bitumen in der Atemluft, bezogen auf einen Kondensatstandard. Dieser Wert wird gestützt durch die Resultate einer neueren, breit angelegten und gut dokumentierten deutschen „Humanstudie Bitumen“, mit der auch präklinische gesundheitliche Endpunkte an den Atemwegen von mit Gussasphalt Arbeitenden in Abhängigkeit von deren Expositionssituation erfasst worden waren.
Der MAK-Wert-Vorschlag wurde im Sommer 2018 offiziell bekannt gegeben. Gemäß den Gepflogenheiten der DFG-Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe ist damit eine Einladung an die interessierte Öffentlichkeit verknüpft, innerhalb eines halben Jahres wissenschaftlich fundierte Stellungnahmen abzugeben. Auf Anfrage wird zu diesem Zweck das Manuskript des zugehörigen Begründungsdokuments von der Kommission zur Verfügung gestellt. Im Falle der Bitumen-Neubewertung wurde von dieser Möglichkeit rege Gebrauch gemacht: Drei Konsortien reichten fristgerecht ihre Anmerkungen und Änderungswünsche ein, die eine intensive Beschäftigung der externen Expertinnen und Experten mit dem Begründungstext erkennen ließen. Die Kommentare bezogen sich überwiegend auf die technische Terminologie oder Systematik und enthielten Korrekturen redaktioneller Art sowie Anregungen zur Präzisierung einiger missverständlicher Formulierungen in dem über hundert Druckseiten umfassenden Papier. Der von der Kommission eingeschlagene Ableitungsweg zur Aufstellung eines MAK-Werts wurde nicht beanstandet. Inzwischen ist das Begründungspapier unter Berücksichtigung der Eingaben überarbeitet und publiziert worden. Die Einstufungen und der MAK-Wert blieben unverändert.
Beschlüsse des Ausschusses für Gefahrstoffe
Der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) ist ein Beratungsgremium des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Bonn und Berlin. Er setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, Arbeitsschutzbehörden und gesetzlicher Unfallversicherung sowie unabhängigen Sachverständigen. Neben zahlreichen weiteren Aufgaben erarbeitet er Empfehlungen zur Neuaufnahme oder Änderung von Luftgrenzwerten und Einstufungen für Arbeitsstoffe in das untergesetzliche Regelwerk.
Sein Unterausschuss III „Gefahrstoffbewertung“ prüft unter anderem Grenzwertvorschläge von dritter Seite unter toxikologisch-arbeitsmedizinischen Gesichtspunkten. In diesem Kontext gelangte auch das MAK-Begründungspapier für Bitumen auf die Tagesordnung des Unterausschusses. Nach kurzer Diskussion wurde Konsens darüber erzielt, dass es aus fachlicher Sicht keine Einwände gegen eine Übernahme des MAK-Werts in die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) Nr. 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“ gibt. Eine entsprechende Vorlage wurde dem Hauptausschuss zugestellt. Gleichzeitig wurde aber zu Protokoll gegeben, dass es speziell bei Asphaltierarbeiten zu erheblichen Problemen kommen werde, diesen Grenzwert einzuhalten.
Somit war der übergeordnete AGS im Zugzwang. Im Vorfeld seiner turnusgemäßen Zusammenkunft im November 2019 erreichten ihn fünf Anträge auf ein Moratorium. Das ist zwar ungewöhnlich, aber völlig legitim: Im Gegensatz zur MAK-Kommission kann der AGS in begründeten Fällen auch sozioökonomische Aspekte oder technische Hindernisse in Betracht ziehen und Übergangs- oder Ausnahmeregelungen aushandeln. Des ebenfalls vor der entscheidenden AGS-Sitzung an drei Bundesministerien verschickten pressewirksamen „Brandbriefs“ der Bauwirtschaft hätte es also zu diesem Zeitpunkt nicht bedurft.
Der AGS empfahl schließlich dem Arbeitsministerium, im deutschen Regelwerk einen Arbeitsplatzgrenzwert von 1,5 mg/m³ für Dämpfe und Aerosole aus Destillations- und Air-Rectified-Bitumen festzuschreiben. Den Anträgen für eine Übergangsfrist wurde insofern entsprochen, als dieser Grenzwert für die Bereiche Walz- und Gussasphalt sowie für Bitumen- und Polymerbitumenbahnen bis Ende 2024 ausgesetzt werden soll. Weiter wurde vereinbart, dass Baugewerbe und Bauindustrie zusammen mit der BG BAU konkrete Lösungsansätze erarbeiten, um die Unternehmen bei der Optimierung der Arbeitsschutzstandards zu unterstützen. Für Mai 2022 erwartet der AGS einen Zwischenbericht zum Umsetzungsstand und zur Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen.
Was ist zu tun?
Nach den verfügbaren Informationen liegen die Expositionen gegen Dämpfe und Aerosole aus heißem Bitumen in vielen Anwendungsbereichen nicht oder nur geringfügig über dem neuen Arbeitsplatzgrenzwert. Es gibt aber kritische und sehr kritische Branchen, wobei zuallererst der Asphalteinbau in den Blick genommen werden muss. Nach Schätzungen betrifft dies mehrere Tausend Beschäftigte.
Hier ist ein ganzes Maßnahmenbündel erforderlich, um eine deutliche Absenkung der notorisch hohen Konzentrationen in der Arbeitsplatzluft zu erreichen. Persönliche Schutzausrüstung wie etwa gebläseunterstützter Atemschutz darf nur die Ultima Ratio sein. Solche Vorrichtungen sind eine Belastung für die Arbeitenden, und das eingeschränkte Sichtfeld beim Tragen fremdbelüfteter Helme kann gerade auf Autobahnbaustellen zusätzliche Gefahren hervorbringen.
Bei der Neuanschaffung von Fertigermaschinen zum Einbau von Asphalt auf Straßen sollten Geräte gewählt werden, die über eine Bohlenabsaugung verfügen. Das ist Stand der Technik. Über die Förderschnecken der Bohle wird das Mischgut gleichmäßig auf die Straßenoberfläche verteilt. Die hinter dem Fertiger arbeitenden Bohlenführer sind hoch exponiert. Auch über eine Nachrüstung bereits vorhandener Geräte sollte deshalb nachgedacht werden. Die dafür notwendigen Investitionen sind sicher nicht leicht zu stemmen. Allerdings betragen sie nur einen Bruchteil der von Focus-Online am 19.11.2019 kolportierten 500.000 Euro pro modernisiertem Gerät – hier wurden offenbar die Kosten für die Nachrüstung mit dem Neupreis eines kompletten Fertigers verwechselt.
Die Industrie hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie die Verantwortung für die Gesundheit ihrer Beschäftigten ernst nimmt. Es ist zu hoffen, dass die bewährte sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit in der Tradition des „Gesprächskreises Bitumen“ konstruktiv und zielorientiert fortgesetzt wird.
Die Hersteller bitumenhaltiger Dach- und Dichtungsbahnen bieten längst auch Produkte an, die frei von krebserzeugendem Oxidationsbitumen sind. Während der vom AGS gewährten Übergangsfrist soll der Umstellungsprozess vollzogen und repräsentative Arbeitsplatzmessungen verwirklicht werden.
Auch die öffentlichen Auftraggeber müssen in die Pflicht genommen werden und bei Ausschreibungen die Verwendung von temperaturabgesenktem Asphalt begünstigen. Die zuständigen Behörden sollten das Regelwerk entsprechend anpassen und die technische Prüfung der Eigenschaften von temperaturabgesenktem Asphalt zum Abschluss bringen.
Es sei nicht verschwiegen, dass die Erfolgskontrolle mit besonderen messtechnischen Herausforderungen verbunden ist. Bitumen ist ein komplexes Naturprodukt von variabler Zusammensetzung, weswegen es eine spezifische chemische Nachweismethode für Dämpfe und Aerosole aus Bitumen nicht geben kann. Gemessen werden Molekülschwingungen an Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen mittels Infrarot-Spektroskopie. Dieses Verfahren erfasst aber ebenso andere organische Stoffe, seien es Emissionen aus dem Straßenverkehr oder von Lösemitteln, wie sie als Verdünner oder Trennmittel nicht selten auf Baustellen eingesetzt werden. Auf eine sorgsame Beurteilung dieser Störfaktoren muss bei jeder Messung unbedingt geachtet werden, um nutzlose Analysenwerte zu vermeiden, denen dann fälschlich das Etikett „Bitumen“ angeheftet wird.
Interessenkonflikt: Als Mitglied verschiedener nationaler regulatorischer Gremien war der Autor selbst an der beschriebenen Neueinstufung von Bitumen sowie der Ableitung und Verabschiedung der Luftgrenzwerte beteiligt.
Weitere Infos
Deutsche Forschungsgemeinschaft, Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe: Bitumen (Dampf und Aerosol bei der Heißverarbeitung), Nachtrag 2019
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1002/3527600418.mb805242d0067
International Agency for Research on Cancer: Bitumen and bitumen emissions, and some N- and S-heterocyclic polycyclic aromatic hydrocarbons. IARC monograph on the evaluation of carcinogenic risks to humans Nr. 103, 2013
https://monographs.iarc.fr/wp-content/uploads/2018/06/mono103.pdf
Welge et al: Aktuelle Bewertung von Bitumen in regulatorischen Gremien. IPA-Journal 3/2019
https://www.ipa-dguv.de/medien/ipa/publikationen/ipa-journale/ipa-journ…
Gesprächskreis Bitumen
https://www.bgbau.de/die-bg-bau/ueber-uns/netzwerk-und-kooperationen/ge…