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Aufgespießt — ein besonderer Arbeitsunfall

Einleitung

Die wichtigsten Inhalte der Baustellenverordnung werden Bauherren und Bauausübenden von den verschiedensten Institutionen und Behörden in Informationsbroschüren, wie z. B. in der Broschüre des Bayerischen Landesamt für Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Sicherheitstechnik „Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen“ (s. „Weitere Infos“) vermittelt. Diese beginnen regelhaft mit folgendem Zitat „Beschäftigte in der Bauwirtschaft sind einem besonders hohen Unfall- und Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Die Unfallhäufigkeit auf Baustellen in Deutschland ist mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt der gewerblichen Wirtschaft. Unfälle auf Baustellen haben im Vergleich zu den Unfällen in anderen Wirtschaftszweigen zudem meist deutlich schwerere Folgen.“

Solche Arbeitsunfälle auf Baustellen stellen aber auch für die im Rettungsdienst tätigen Notärzte und Rettungsdienstmitarbeiter eine besondere Herausforderung dar: Aufgrund der oftmals erschwerten Anfahrt (Zufahrt durch Baufahrzeuge verstellt, Anfahrtswege verschlammt/verschmutzt, fehlender Eintrag in Karten bei Neubaugebieten, fehlende Beschilderung, unübersichtliche Baustelle, keine einweisenden Personen vor Ort usw.) kann es daher zu erheblichen Verzögerungen bis zur Erstversorgung des oder der betroffenen Patienten kommen.

Des Weiteren besteht bei Einsätzen auf Baustellen für die Mitarbeiter des Rettungsdienstes ein erhebliches Gefährdungspotenzial z. B. durch nicht ausreichend abgesicherte Baugruben, fehlende Ortskenntnis, herumliegendes Werkzeug und Ähnliches mehr. Schließlich kann es zu einer nur zeitverzögerten Rettung kommen, weil bei der Alarmierung bestimmte Begleitumstände des Unfalls nicht oder nicht ausreichend der Rettungsleitstelle mitgeteilt worden sind. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn vom Rettungsdienst erst vor Ort erkannt wird, dass eine technische Rettung und somit die Hilfe der Feuerwehr, die dann nachalarmiert und zeitverzögert anrücken muss, erforderlich ist.

Im Folgenden berichten wir über einen Notarzteinsatz unseres Rettungsdienstbereichs bei einem Baustellenunfall, bei dem es bei einem Arbeiter zu einem penetrierendem Abdominaltrauma gekommen ist.

Fallbeschreibung

Zum Einsatzzeitpunkt herrschten Temperaturen um 15 °C bei leicht bewölktem Himmel. Um 10:58 Uhr erfolgte durch die ILST Ulm die Alarmierung des NEF Ulm 1. Die Einsatzmeldung lautete: „Penetrierendes Abdominaltrauma, m, 35 J“. Um 10:59 Uhr wurde mit der Anfahrt unter Sondersignal begonnen. Um 11:04 Uhr wurde der Unfallort durch das NEF erreicht, der gleichfalls alarmierte RTW hatte die Unfallstelle aufgrund einer kürzeren Anfahrt bereits um 11:03 Uhr erreicht.

Bei Eintreffen der Rettungskräfte zeigte sich folgendes Bild: Ein Bauarbeiter stand in einer ca. 1 m tiefen Baugrube, die mit einem Käfig aus ca. 8 mm dickem Armierungsstahl ausgelegt war. Offensichtlich sollte diese Grube später mit Beton ausgefüllt werden. Der Arbeiter wurde von zwei seiner Arbeitskollegen gestützt, um ihn von weiterem Druck auf den Käfig zu entlasten.

Der Patient war wach, fixierte und kommunizierte adäquat verbal. Er war voll orientiert und konnte sich an das genaue Unfallereignis erinnern. Zu Bewusstlosigkeit war es im Rahmen des Unfallereignisses nicht gekommen. Der Arbeiter berichtete, dass er auf der Baustelle einen Schritt nach hinten gegangen war und daraufhin auf einer Folie, die um den Rand der Baugrube ausgelegt war, ausgerutscht sei. Er sei in der Folge etwa einen Meter tief in die Grube gefallen und habe daraufhin einen starken Schmerz in der linken Flanke verspürt. Hierbei war es zu einer Pfählungsverletzung des Abdomens durch einen herausragenden Stahlstab von 8 mm Dicke gekommen (   Abb. 1 ).

Das eingedrungene Ende des Stahlstabes führte zu einer deutlich sicht- und tastbaren Vorwölbung im linken Unterbauch, die Haut stand hier unter starker Spannung. Das Abdomen war weich, es bestand keine Abwehrspannung. Ein Wiederaustritt des Stahlstabes wurde nicht festgestellt. Die Eindringtiefe des Stahlstabes wurde vor Ort auf ca. 15–20 cm geschätzt. Die sichtbare Blutung war im Bereich der Eintrittswunde minimal. Im Rahmen der Erstuntersuchung des Patienten wurden neben der beschriebenen abdominellen Pfählung keine weiteren Verletzungen festgestellt. Wegen der Art der Verletzung und der damit verbundenen Erfordernis der technischen Rettung wurde die Feuerwehr nachgefordert.

Die Atmung des Patienten war suffizient, die pulsoxymetrisch bestimmte Sauerstoffsättigung betrug 99 %. Der Blutdruck betrug 100 mmHg systolisch. Auskultatorisch fand sich ein vesikuläres Atemgeräusch beidseits. Die orientierende neurologische Untersuchung ergab keine pathologischen Befunde. Der Patient gab an, keine kardiopulmonalen Vorerkrankungen sowie keine Allergien zu haben. Aufgrund von starken Schmerzen (7/10 VAS) erfolgte nach Anlage eines periphervenösen Zuganges (14 G) am linken Unterarm die fraktionierte Gabe von Fentanyl i.v. (insgesamt 0,2 mg) sowie die Gabe von Ondansetron 4 mg i.v.

Aufgrund der präklinisch nicht sicher abschätzbaren Verletzungsschwere mit unklarer intraabdomineller Organ- bzw. Gefäßbeteiligung wurden zur Ermöglichung einer adäquaten Volumensubstitution im Falle des Eintretens einer fulminanten Blutung nochmals insgesamt zwei Venenverweilkanülen (14 G) am linken und rechten Unterarm gelegt. Des Weiteren wurden im Verlauf des insgesamt 1000 ml HAES 6 % sowie 1000 ml Jonosteril i.v. verabreicht.

Nach Entfernung der Kleidung mittels einer Schere erfolgte die ringförmige Auflage steriler Kompressen auf die abdominelle Wunde unter Belassung des Stahlstabes sowie die Fixierung der Kompressen mittels einer Mullbinde, die um das Abdomen gewickelt wurde. Somit konnte neben der Vermeidung von weiterem Eindringen von Schmutz in die Wunde zudem nach erfolgter Durchtrennung des Stahlstabes eine gewisse Fixierung des Stabes erfolgen.

Noch während des Eintreffens der Feuerwehr (ca. 11:12 Uhr) erfolgte die telefonische Kontaktaufnahme mit dem diensthabenden Arzt des Schockraums des Universitätsklinikums Ulm. Nach Schilderung der Situation sowie des Verletzungsbilds wurde die Aufnahmebereitschaft durch das Schockraumteam bestätigt, hierbei wurde eine geschätzte Rettungs- und Transportzeit von ca. 20 min geschätzt. Im Rahmen der technischen Rettung entschied sich die Feuerwehr in Absprache mit den anwesenden Rettungsdienstmitarbeitern zur Gewährleistung einer möglichst atraumatischen Rettung des Patienten zu einer Durchtrennung des penetrierenden Stahlstabes mittels Druckluft-Trennschleifer. Zur Minimierung einer thermischen Gewebeschädigung durch die entstehende über den Stahl gut fortgeleitete Reibungswärme beim Durchtrennen wurde hierbei in einem Abstand von ca. 10 cm zur Haut geschnitten, des Weiteren wurde während der Durchtrennung des Stahlstabes zur Minimierung der Hitzeentwicklung eine Kühlung mittels NaCl-Lösung durchgeführt. Auf ein Kappen des Stahls mittels Bolzenschneider wurde zur Vermeidung einer plötzlichen Dislokation des Stabes verzichtet.

Nachdem der Stahlstab durch die Feuerwehr durchtrennt war, wurde der Patient zunächst in stehender Position (und weiterhin von der Feuerwehr gestützt) belassen. Der Patient wurde dazu angehalten, auf ein Beugen der Beine sowie auf Bewegungen des Rumpfes zu verzichten, um eine intraabdominelle Dislokation des Stahlstabes sowie eine Penetration großer Gefäße bzw. umliegender Organe zu verhindern.

Die weitere Rettung erfolgte mittels Spineboard, und zwar in der Weise, als dass das Spineboard dem Patienten im Stehen auf den Rücken aufgelegt wurde. Anschließend erfolgte die Fixierung des Patienten mittels der vorhandenen Gurte. Nachfolgend wurde der Patient vorsichtig aus der Grube gehoben und auf die bereitgestellte Trage gelegt. Nach Verbringen des Patienten in den RTW wurde ein erneuter Bodycheck durchgeführt. Hierbei wurden keine weiteren Verletzungen festgestellt, das Abdomen war nach wie vor weich. Die Pulse beider Femoralarterien (Aa. femorales) waren jeweils gut palpabel.

Der Transport erfolgte mit Sondersignal zum Schockraum der Universitätsklinik Ulm. (Transportbeginn 11:29 Uhr). Der Patient war während der Fahrt hämodynamisch stabil und atmete weiterhin suffizient spontan, er erhielt aufgrund erneut zunehmender abdomineller Schmerzen nochmals 0,1 mg Fentanyl i.v.

Bei Ankunft im Schockraum um 11:36 Uhr war der Patient schmerzfrei. Es erfolgte die Übergabe des Patienten an das Schockraumteam. Im Rahmen der unmittelbar nach Ankunft des Patienten im Schockraum durchgeführten Sonographie konnte das Vorliegen freier intraabdomineller Flüssigkeit sowie Verletzungen von Milz und linker Niere zunächst ausgeschlossen werden. Ein in der weiteren Folge durchgeführtes kontrastmittelgestütztes Spiral-CT von Thorax und Abdomen ergaben folgenden Befund: „Oberhalb der linken Beckenschaufel Eintritt des Stahlbetongitters mit Ausdehnung bis in den Musculus obliquus externus links mit umgebenden Lufteinschlüssen ohne Hämatombildung oder venöses Pooling“ (   Abb. 2 ).

Der Patient blieb weiterhin kreislaufstabil, es erfolgte unmittelbar anschließend die operative Entfernung des Stahlstabes in komplikationsloser Allgemeinanästhesie sowie die Gabe von Cefuroxim i.v. Der Patient konnte bei komplikationslosem postoperativem Verlauf bereits drei Tage später in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden.

Fazit

Der Patient in diesem Fallbeispiel hat sicher großes Glück gehabt, denn es kam bei der Durchspießung zu keinerlei Mitbeteiligung von inneren Organen wie Leber, Milz oder den Hohlorganen des Verdauungssystems oder großen Gefäßen, was so leider nicht immer der Fall ist. Die Absicherung von Baugruben, gleich welcher Tiefe, ist daher die wichtigste Maßnahme zur Verhütung von Arbeitsunfällen wie in diesem Fall.

Kommt es aber trotz Beachtung aller Sicherheitsvorschriften zu einem solchen Fall, so sollte schon bei der Meldung des Notfalls und beim Absetzen des Notrufes darauf hingewiesen werden, dass es sich um eine Durchspießungs- bzw. Pfählungsverletzung handelt und dass eine technische Rettung sehr wahrscheinlich ebenfalls erforderlich wird. Essentiell in der präklinischen Versorgung ist die Vermeidung weiterer Verletzungen durch eine schonende technische Rettung sowie die Durchführung einer adäquaten Schmerztherapie. Keinesfalls sollte versucht werden, eigenständig den Fremdkörper aus der Wunde zu entfernen. Im Gegenteil: es ist von großer Wichtigkeit, dass der eingedrungene Gegenstand in der Wunde verbleibt (Feifel u. Hildebrandt 1983; Gorgaß et al. 2007), auch, wenn das mit einer entsprechend aufwändigen technischen Rettung verbunden ist. Tatsächlich kann das unkontrollierte Entfernen des Gegenstandes nämlich zum einen die Verletzung vergrößern, zum anderen kann es bei Mitbeteiligung entsprechend gut durchbluteter Strukturen aber auch zu unkontrollierbaren heftigsten Blutungen führen, was die Prognose für den Patienten maßgeblich verschlechtern kann. Bleibt der Gegenstand jedoch in eben der Position, ohne dass es durch Manipulationen zu Dislokationen kommt, kommt es in der überwiegenden Zahl der Fälle zu einer zumindest partiellen Kompression im Bereich der Wunde, was die Gefahr eines hämorrhagischen Schocks oder einer unkontrollierbaren Blutung zumindest vermindert. Es ist daher, wie im Fallbeispiel geschehen, in einem gewissen Abstand von der Eintrittsstelle eine Durchtrennung des Pfählungsgegenstandes anzustreben, wobei hier, wie erwähnt, auf ein schonendes Vorgehen geachtet werden muss. Die endgültige Entfernung erfolgt dann nach entsprechender radiologischer und sonografischer Diagnostik im traumatologischen OP unter aseptischen Bedingungen und antibiotischer Abdeckung (Dirks 2007). Bei der Erstversorgung vor Ort, die unter Umständen auch bereits durch einen anwesenden Arbeits- bzw. Betriebsmediziner erfolgen kann, ist zu beachten, dass wegen zu erwartenden Blutungskomplikationen möglichst früh zwei bis drei möglichst großlumige Venenverweilkatheter angelegt werden sollten. Allerdings hat ein entsprechender Volumenersatz zunächst zurückhaltend zu erfolgen. Gemäß der aktuellen Leitlinie für polytraumatisierte Patienten, die hier in gleicher Weise als Empfehlung herangezogen werden kann, ist es insbesondere bei Penetrationsverletzungen nicht empfohlen zu versuchen, eine Normotonie aufrechtzuerhalten, weil das die Blutungsgefahr erhöht. Stattdessen ist (mit Ausnahme des Schädel-Hirn-Traumas als alleinige oder begleitende Verletzung) eher eine kontrollierte Hypotension mit systolischen Blutdruckwerten bei 80 mmHg anzustreben. Als Infusionslösung werden kristalloide Infusionslösungen derzeit als am besten geeignet angesehen. Die im Rettungsdienst noch weitverbreiteten Kolloide, insbesondere die als Volumenersatz bislang so beliebten Hydroxyethylstärke-Lösungen (HAES), die auch in diesem Fall zum Einsatz kamen, werden derzeit sehr kritisch hinterfragt und eine Anwendung wird zunehmend als nicht mehr empfohlen angesehen. Da eine weitergehende Versorgung vor Ort nicht möglich ist, ist nach der schonenden aber zügigen Rettung bei abdominellen Pfählungsverletzungen eine Anmeldung im Schockraum sowie ein zügiger Patiententransport unabdinglich. 

Literatur

Dirks B (Hrsg). Die Notfallmedizin. Springer, Heidelberg, 2007

Feifel G, Hildebrandt U. Pfählungsverletzungen. Langenbecks Archiv Chir 1983;361:227–231

Gorgaß B, Ahnefeld FW, Rossi R, Lippert HD, Krell W, Weber G (Hrsg). Das RettungsdienstLehrbuch, 8. Auflage. Springer, Heidelberg, 2007

    Weitere Infos

    Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Baustellenverordnung – BaustellV

    http://www.gesetze-im-internet.de/baustellv/index.html

    LfAS – Bayerisches Landesamt für Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und Sicherheitstechnik. Broschüre „Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen“.

    http://www.verwaltung.bayern.de/egov-portlets/xview/Anlage/3810083/Sicherheit%20und%20Gesundheitsschutz%20auf%20Baustellen.pdf

    Leitlinie Polytrauma

    http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/012-019k_S3_Polytrauma_Schwerverletzten-Behandlung_2011-07.pdf

    Für die Autoren

    Lorenz Raming

    Sektion Notfallmedizin

    Klinik für Anästhesiologie

    Universitätsklinikum Ulm

    Prittwitzstr. 43 – 89075 Ulm

    lorenz.raming@uniklinik-ulm.de

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