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Die Bedeutung der Augenunter­suchung in der Verkehrsmedizin

The Importance of Eye Examination in Traffic Medicine

Einleitung

Die Verkehrsmedizin befasst sich unter anderem mit gesundheitlichen Anforderungen an das Führen von Fahrzeugen und anderen Transport- und Beförderungsmitteln auf der Straße, den Schienen, dem Wasser, in der Luft und im Weltraum. Um das Risiko von Unfällen zu minimieren, werden je nach Komplexität des zu bedienenden Verkehrsmittels unterschiedliche Anforderungen an die Eignung gestellt. Die medizinischen Untersuchungen werden von dafür qualifizierten Ärztinnen und Ärzten durchgeführt. Der Beitrag bietet einen Überblick über die erforderlichen Untersuchungen des Sehorgans durch Nicht-Augenärztinnen und -ärzte mit Hinweisen zur Durchführung. Für die Untersuchungen im Bereich See- und Binnenschifffahrt, Luftfahrt und Schienenverkehr werden neben einer fachärztlichen Qualifikation – wie zum Beispiel Arbeitsmedizin – Ermächtigungen, Zusatzqualifikationen oder behördliche Genehmigungen benötigt (Hedtmann u. Fischer 2012). Daher wird im Folgenden schwerpunktmäßig auf den Bereich Straßenverkehr eingegangen. Weil gelegentlich der (scherzhafte) Einwand zu hören ist, man verlange eine Weltraumeignung bei der Untersuchung von Lkw-Fahrenden, wird die Autorin, die tatsächlich auch Eignungsuntersuchungen für Astronautinnen und Astronauten durchführt, zum Vergleich und zur besseren Einordnung die Luft- und Raumfahrtanforderungen heranziehen.

Visus

Der Visus muss mit den Standardsehzeichen, dem Landoltring, geprüft werden – mit Öffnungen in acht verschiedenen Richtungen, also nicht nur in vertikaler oder horizontaler Position. Da die Anlage 6 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) die Einhaltung der Deutschen Industrienorm (DIN) 58220, Ausgabe Januar 1997 (➥ Tabelle 1), fordert, ist die Untersuchung der Tagessehschärfe nur mit Einblickgeräten möglich. Es ist hilfreich, der Bewerberin oder dem Bewerber vor der eigentlichen Untersuchung anhand von Beispielen auf Papier oder einem Übungssatz bei einem Visuswert von 0,32 das Sehzeichen zu demonstrieren. Es wird empfohlen, zwei Reihen unterhalb des zu erwartenden Visus mit der Prüfung zu beginnen. 60 % der Sehzeichen müssen korrekt benannt werden (d. h. drei von fünf oder sechs von zehn Sehzeichen), um die Visusstufe als gesehen zu werten. Ab der Visusstufe von 0,7 müssen zehn Sehzeichen angeboten werden. Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) empfiehlt als Lesezeit eine Sekunde pro Sehzeichen (DOG 2019). Zuerst soll unkorrigiert mit dem schlechteren oder dem rechten Auge begonnen werden, danach mit Korrektur. Die Testperson darf über Zwischenergebnisse nicht informiert werden.

Bei der Untersuchung für die Fahrzeugklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T durch Nicht-Augenärztinnen bzw. -ärzte muss primär ein Mindestvisus von 0,7 auf jedem Auge festgestellt werden, für Lkw- und Bus- sowie Taxifahrende liegt die Grenze bei 0,8 auf jedem Auge und 1,0 binokular.

Bei der Prüfung in Sehtestgeräten sollte genau beobachtet werden, ob die Bewerberin oder der Bewerber den Kopf gerade hält, denn Kopfzwangshaltungen können Augenmuskelstörungen und gegebenenfalls Doppelbilder maskieren (➥ Abb. 1). Weiterhin muss bei Trägerinnen und Trägern von Gleitsichtbrillen darauf geachtet werden, dass sie durch den für die Visusprüfung erforderlichen Bereich schauen, also beim Fernvisus oben, beim Nahvisus unten. Wird bereits bei der Prüfung der Sehschärfe für die Ferne das Kinn gehoben, um den Bereich der Zwischendistanz zu nutzen, so würde bei der Fahrtätigkeit entweder ein reduzierter Visus oder eine Kopfzwangshaltung resultieren.

Wird die Mindestsehschärfe nicht erreicht, ist eine augenärztliche Untersuchung erforderlich. Grund dafür ist, dass der Verordnungsgeber bei potenziell pathologischen Befunden immer eine qualifizierte fachärztliche Untersuchung fordert, sei es durch ein Gutachten bei sonstigen Organerkrankungen oder eben ein augenärztliches Zeugnis bei nicht ausreichender Sehfunktion. Sollte die Mindestsehschärfe bei augenärztlicher Untersuchung 0,8/0,5 (unkorrigiert nicht schlechter als 0,05) dennoch nicht erreicht werden, besteht keine Eignung beziehungsweise Untauglichkeit. In Ausnahmefällen darf bei den C-Klassen ein Visus bis 0,1 akzeptiert werden, dann ist aber ein augenärztliches Gutachten erforderlich. Ebenso ist den Augenärztinnen und -ärzten die Eignungsbeurteilung unter den Kriterien des Fahrerlaubniserwerbs vor 1999 vorbehalten, zum Beispiel bei Einäugig­keit. Zum Vergleich: Berufspilotinnen und -piloten müssen 0,7 monokular sehen und 1,0 binokular, Astronautinnen und Astronauten müssen jedoch mindestens 1,0 auf jedem Auge erreichen.

Wird der Mindestvisus nur mit Hilfe einer Korrektur erreicht, muss diese bei fliegerischer Tätigkeit getragen und eine Ersatzbrille mitgeführt werden.

Grundsätzlich müssen Fehlsichtigkeiten, auch im Straßenverkehr soweit möglich und verträglich korrigiert werden. Wenn Astronauteninnen und As­tronauten Brillen benötigen, so müssen diese ganz besondere Eigenschaften erfüllen: Beispielsweise darf das Gestell keine Schrauben enthalten, da diese sich lösen könnten und danach durch die Internationale Raumstation schweben, Geräte beschädigen oder Crewmitglieder verletzen könnten.

Eine ausreichende Sehschärfe ist zur Beurteilung der Geschwindigkeit anderer Verkehrsteilnehmenden und Abschätzung der Relativgeschwindigkeit auf große Distanz erforderlich. Je höher die Fahrgeschwindigkeit, desto besser muss der Visus sein. Außer­dem dient eine ausreichende Sehschärfe dem rechtzeitigen Erkennen von Hinweisschildern, Signalen und anderen Verkehrsteilnehmenden sowie dem Erkennen von Hindernissen auf der Landebahn und anderen Flugzeugen und der Abschätzung des Abstands zu ihnen. Auch in der Schifffahrt ist das rechtzeitige Erkennen wichtig, da die Manövrierzeiten hoch sind.

Zusätzlich zur Sehschärfe gibt es Beschränkungen bei Berufskraftfahrenden und Pilotinnen oder Piloten bezüglich der Refraktion. Personen mit den Fahrerlaubnissen der Gruppe 2 (C- und D-Klassen, Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, FzF) dürfen wegen der Verzeichnung mit prismatischen Aberrationen keine hyperopen Brillenkorrekturen von mehr als +8,0 Dioptrien (dpt) aufweisen, wobei hier der Wert des sphärischen Äquivalents gilt. Dafür wird zum sphärischen Wert die Hälfte des astigmatischen Wertes mit dem jeweiligen Vorzeichen des Astigmatismus addiert. Das bedeutet, dass sich die Hyperopie um die Hälfte des astigmatischen Werts bei einem Astigmatimus mit negativem Vorzeichen verringert, bei einem positiven Vorzeichen erhöht. Beträgt die Hyperopie zum Beispiel +8,75 dpt und der Astigmatismus –2,0 dpt, so beträgt das sphärische Äquivalent +8,75 plus die Hälfte von –2,0, was +8,75 – 1,0 = 7,75 ergibt.

Bei der kurzsichtigen Brillenkorrektur gibt es für Fahrpersonal keine Grenzwerte. In der Luftfahrt schreiben die Acceptable Means of Compliance (AMC) der European Aviation Saftey Agency (EASA) für das Cockpitpersonal (Klasse-1-Tauglichkeit) vor, dass eine Myopie (Kurzsichtigkeit) von mehr als –6,0 dpt im stärksten brechenden Meridian und Hyperopien (Weitsichtigkeiten) von mehr als +5,0 dpt sowie Astigmatismen (Hornhautverkrümmungen) und Anisometropien (Brechkraftunterschied zwischen beiden Augen) von mehr als 3,0 dpt unter bestimmten Bedingungen tauglich werden können. Leider errechnet sich die Refraktion im stärksten brechenden Meridian anders als das oben beschriebene sphärische Äquivalent. Ausschlaggebend hier ist die Bestimmung der objektiven Refraktion, bei jungen hyperopen Bewerberinnen und Bewerbern sogar in Zykloplegie aufgrund der noch hohen Fähigkeit der Akkommodation.

Tabelle 1:  Übersicht über die Inhalte der Anlage 6, in Verbindung mit den §§ 12 und 48 der FeV

Tabelle 1: Übersicht über die Inhalte der Anlage 6, in Verbindung mit den §§ 12 und 48 der FeV

Gesichtsfeld

Eine weitere Untersuchung in der Verkehrsmedizin, die häufig auch von Arbeitsmedizinerinen und -medizinern durchgeführt wird, stellt die Gesichtsfelduntersuchung durch automatische Perimeter dar (➥ Abb. 2). Gerade das zentrale 30°- und das horizontale Gesichtsfeld sind auf der Straße wichtig, zum Beispiel beim Spurwechsel, aber auch, weil dieser Teil des Gesichtsfelds den Korridor der Fahrtrichtung sowie den Querverkehr abbildet und für die rechtzeitige Reaktion unverzichtbar ist. Hier dürfen folglich keine Einschränkungen hingenommen werden. Für die fahrende Person praktisch entscheidend ist das binokulare Gesichtsfeld. Binokulare, sich deckende Gesichtsfelddefekte auch geringer Ausdehnung in den zentralen 25–30° bedeuten absolute Fahruntauglichkeit (DOG 2019), aber auch binokulare Defekte in der horizontalen Ausdehnung sind nicht zu tolerieren. In der Luftfahrt ist das gesamte Gesichtsfeld bis zu den horizontalen 80–90° wichtig zum Erkennen von anderen Luftfahrzeugen. Hier führen jegliche Gesichtsfelddefekte, die binokular zur Deckung kommen zur Untauglichkeit. Dass Astronautinnen und Astronauten ein intaktes Gesichtsfeld benötigen, versteht sich von selbst, damit sie zum Beispiel rechtzeitig herumschwebende Gegenstände sowie Geräteanzeigen erkennen können.

Bei der Gesichtsfelduntersuchung ist neben der Auswahl des richtigen Programmes darauf zu achten, dass höhere Fehlsichtigkeiten (> 1 dpt) mit der Brille oder einem Vorsatzglas korrigiert werden müssen und auf die sogenannten Brillenskotome geachtet werden muss. Bei der Alterssichtigkeit ist für die zentrale Gesichtsfeldprüfung eine Nahkorrektur erforderlich. In der Praxis sollte das bei über 50-jährigen Probandinnen und Probanden immer angesprochen und im Zweifelsfall ein Plus-Vorsatzglas verwendet werden. Jedes Auge wird einzeln geprüft; gegebenenfalls muss bei Defekten zum Ausschluss der Deckung noch ein binokulares Gesichtsfeld durchgeführt werden.

Im Straßenverkehr umfasst die Gesichtsfelduntersuchung mindestens 100 Prüfpunkte im Bereich von 30° nach oben und unten sowie 70° nach beiden Seiten. Es wird ausreichend überschwellig getestet, also reicht die Information aus, ob es sich um absolute und relative Defekte handelt. Das klingt kompliziert, aber in den meisten automatischen Perimetern kann aus den vorgegebenen Programmen das entsprechende „Führerschein“-Programm ausgewählt werden.

Die Kooperation der untersuchten Person wird durch die Abfrage der falsch-positiven und falsch-negativen Kontrollfragen sowie der Fixationskontrollen durch Projektion in den blinden Fleck festgestellt. Falsch-positive Antworten (die Person betätigt die Antworttaste, ohne dass ein Stimulus präsentiert wird) sind ein Indikator für einen unglaubwürdigen Test und dürfen 20 % nicht überschreiten. Diese treten speziell auf, wenn die Probandin oder der Proband an einem sehr guten Testergebnis interessiert ist, wie dies in der Verkehrsmedizin normalerweise der Fall ist. Bei der Fixationskontrolle sollten nicht mehr als 30 % Fehler angezeigt werden.
Falsch-negative Antworten treten auf, wenn die Testperson nicht auf Stimuli antwortet, obwohl sie diese eigentlich erkennen können sollte, zum Beispiel, weil sie stark überschwellig sind oder zuvor bereits erkannt wurden.

Bei der Beurteilung von Gesichtsfelddefekten ist es wichtig zu beachten, dass im zentralen 20°-Bereich des Gesichtsfelds keinerlei Defekte vorkommen dürfen, natürlich mit Ausnahme des physiologischen blinden Flecks. Bis 60° dürfen maximal zwei Defekte auftreten, allerdings nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander. Im Randbereich des Gesichtsfelds, beispielsweise nach oben, sind Defekte zulässig (Oberlidartefakte). Hier gilt, wie auch beim Visus, dass bei Nichterfüllen der Kriterien eine augenärztliche Untersuchung erfolgen muss (DOG 2019).

Das intakte Gesichtsfeld ist für das sichere Führen von Fahr- und Flugzeugen enorm wichtig. Dies wurde bereits in mehreren Studien belegt. Johnson und Keltner untersuchten 10.000 Personen und stellten fest, dass die Rate von Unfällen und Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten bei Menschen mit binokularen Gesichtsfelddefekten doppelt so hoch war wie im Vergleich zu der Gruppe ohne Ausfälle oder nur mit monokularen Ausfällen (Johnson 1983).

Abb. 2:  Gesichtsfeldprüfung des rechten Auges nach der Fahrerlaubnisverordnung (Quelle: C. Stern)

Abb. 2: Gesichtsfeldprüfung des rechten Auges nach der Fahrerlaubnisverordnung (Quelle: C. Stern)

Augenstellung und Motilität

Bei Lkw-, Bus- und Taxifahrenden sollten im Gebrauchsblickfeld keine Doppelbilder vorliegen, was für Nicht-Augenärztinnen oder -ärzte extrem schwierig festzustellen ist. Die Bewerberin oder der Bewerber sollte zu Doppelbildern befragt werden, bei positiver Anamnese sollte zu den ophthalmologischen Kolleginnen und Kollegen geschickt werden. Beim Vorliegen von Doppelbildern kann nicht zweifelsfrei von der untersuchten Person festgestellt werden, welcher Gegenstand der reale ist. Beim Fliegen ist eine Tauglichkeit in jedem Falle ausgeschlossen, man stelle sich vor, die Pilotin oder der Pilot fliegt die nicht existente der beiden gesehenen Landebahnen an.

Zum Ausschluss von Schielen und Doppelbildern muss bei der Untersuchung durch Nicht-Augenärztinnen und -ärzte ein konstantes binokulares Einfachsehen vorliegen. Man kann davon ausgehen, dass dies der Fall ist, wenn im Stereosehen 100“ erkannt werden. Es handelt sich um einen einfachen Siebtest, um Störungen des beidäugigen Sehens aufdecken zu können. Auch hier gilt bei Auffälligkeiten, die Person zur ophthalmologischen Kollegenschaft zu schicken. Stereosehen hilft bei der Abschätzung von Entfernungen und Geschwindigkeiten und ist somit in der Verkehrsmedizin extrem hilfreich, wenn vorhanden. In der Studie von Lachenmayr (1996) waren unter den Unfallfahrenden 11 %, die am Titmus-Test 100“ nicht gesehen hatten, während in der Vergleichsgruppe nur 4,8 % einen solchen Mangel aufwiesen. Nicht alle gängigen Testverfahren können die 100 Bogensekunden prüfen, worauf bei der Testauswahl geachtet werden muss. Beim Titmus-Test, der eine Prüfposition für 100“ enthält, sind leider auch die richtigen Antworten vielen Antragstellenden bekannt. Bei Stereotests ist es extrem wichtig, auf die richtige Durchführung zu achten.

Farbe

Um Farbstörungen zu erkennen, werden gerne pseudoisochromatische Tafeln wie von Ishihara oder Velhagen verwendet; diese sollten im Normalfall nicht älter als 10 Jahre sein. Leider sind diese Tafeln und ihre Lösungen für alle Interessierten im Internet einzusehen und somit die Prüfung damit nicht aussagekräftig. Ishihara gibt an, dass zwei Fehler bei 24 dargebotenen Tafeln erlaubt sind, allerdings war zu Zeiten von Ishihara an das Internet noch lange nicht zu denken. Deshalb sollte die Reihenfolge der Tafeln variiert und jeder Fehler individuell bewertet werden. Bei der Beleuchtung sollte es sich um Tageslicht vom nördlichen Himmel oder Normlichtart C handeln. Die Umgebung sollte neutral sein und keine farbigen Oberflächen enthalten. Die zu untersuchenden Personen sollten zuvor keinem hellen Licht ausgesetzt worden sein, die Fernkorrektur (keine gefärbten oder getönten Gläser) sollte getragen werden. Bei der Prüfung mit Ishihara-Tafeln ist darauf zu achten, dass sie im rechten Winkel im Abstand von 75 cm von den Untersuchenden gehalten und gewendet werden. Jedes Auge ist einzeln zu prüfen. Bei erstmals auffälligem Farbtest muss die Person in die augenärztliche Praxis geschickt werden, dort kann eine Untersuchung am Anomaloskop erfolgen. Sollte bei Lkw-, Bus- oder Taxifahrenden eine Rotschwäche mit einem Anomalquotienten < 0,5 oder Rotblindheit nachgewiesen werden, so ist die betreffende Person über die mögliche Gefährdung aufzuklären, da sie Brems- oder Positionslichter häufig schlechter oder deutlich später erkennen können (➥ Abb. 3). Deshalb muss insbesondere bei kritischen Sichtverhältnissen der Abstand vergrößert und gegebenenfalls die Geschwindigkeit reduziert werden. Bei Nachuntersuchungen ist der erneute Verweis zur augenärztlichen Untersuchung nicht mehr erforderlich, da sich eine Rotschwäche oder -blindheit im Allgemeinen nicht mehr verändert. Die Gefährdungsaufklärung muss allerdings dennoch erneut durchgeführt werden. Berufspilotinnen oder -piloten müssen nachweisen, dass sie trotz einer Farbsinnstörung (>0 Fehler in der 24-Ishihara-Tafel-Version) farbsicher sind, was mit speziellen luftfahrtmedizinischen Untersuchungen (Laternentests, Colour Assessment & Diagnosis Test) festgestellt werden kann. Astronautinnen und Astronauten müssen auf jeden Fall farbnormal sein.

Abb. 3:  a Proanomale oder b Protanope (Rotschwache oder -blinde) sehen rote Lichter deutlich dunkler als Farbnormale, dies stellt gerade im Bereich von Brems- und Positionslichtern ein erhöhtes Gefährdungspotenzial dar (Quelle: J. Hedtmann)

Fotos: Jörg Hedtmann

Abb. 3: a Proanomale oder b Protanope (Rotschwache oder -blinde) sehen rote Lichter deutlich dunkler als Farbnormale, dies stellt gerade im Bereich von Brems- und Positionslichtern ein erhöhtes Gefährdungspotenzial dar (Quelle: J. Hedtmann)

Dämmerungssehen und ­Blendempfindlichkeit

Das regelrechte Dämmerungssehen und eine normale Blendempfindlichkeit sind bei nächtlicher Teilnahme am Verkehr enorm wichtig. Gerade bei einer erhöhten Blend­empfindlichkeit kann durch entgegenkommende Fahrzeuge und/oder Straßenbeleuchtung oder beim Anflug auf einen Flughafen das Sehvermögen fast völlig ausgeschaltet werden. Aber auch beim Fahren und Fliegen gegen die Sonne kann durch eine erhöhte Blendempfindlichkeit das sichere Führen des Verkehrsmittels deutlich beeinträchtigt sein. Für Astronautinnen und Astronauten ist ein gutes Dämmerungssehen und eine normale Blendempfindlichkeit überlebenswichtig bei den sogenannten „Weltraumspaziergängen“, in denen sie alle 90 Minuten einen Sonnenaufgang und einen Sonnenuntergang erleben und unter schwierigen Lichtbedingungen Arbeiten an der Außenseite der Internationalen Raumstation verrichten müssen. Übertragen auf den Straßenverkehr sind hier starke Helligkeitsunterschiede durch Licht und Schatten, Tunnelein- und -ausfahrten etc. bedeutsam. Die Blendempfindlichkeit wird jedoch nicht routinemäßig im Rahmen der FeV untersucht.

Bei der Prüfung des Dämmerungssehvermögens wird der Testzeichenkontrast gegenüber dem Umfeld unter mesopischen (Dämmerungslicht!)-Bedingungen verändert. Danach wird eine Blendquelle 3° links vom Sehzeichen hinzugeschaltet. Auch bei dieser Untersuchung müssen jeweils 60 % der Sehzeichen richtig erkannt werden, damit die Kontraststufe als erkannt gilt. Die Bewerbenden sollen sich vor Beginn der Untersuchung für fünf Minuten in einem mäßig erhellten Raum (3–5 lux) adaptieren.

Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft definiert das in der Anlage 6 geforderte ausreichende Kontrast- oder Dämmerungssehen wie folgt: Für die D Klassen wird ein Dämmerungssehen mit einem Kontrast von 1:2,7 gefordert, was einem Normalwert entspricht. Fahrerende der C Klassen und von Taxen benötigen einen Kontrast von 1:5. Bei den Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T wird beim Dämmerungssehen ein Kontrast von 1:23,5 gefordert; allerdings wird dieses im Normalfall nicht getestet (DOG 2019, S. 29).

Fazit

Auch Berufskraftfahrende müssen keine Adleraugen wie Astronautinnen oder Astronauten haben (und selbst die brauchen mit zunehmendem Alter oft eine Lesebrille). Aber die in der FeV beschriebenen Mindeststandards müssen eingehalten werden, um dem berechtigten Anspruch aller Verkehrsteilnehmenden, vor ungeeigneten Fahrerinnen und Fahrern geschützt zu werden, zu genügen. Umgekehrt sichern diese Grenzwerte aber auch möglichst vielen Personen eine straßenverkehrsbezogene Berufsausübung. Die Untersuchungen des Sehorgans müssen daher mit der notwendigen Sorgfalt und Kompetenz durchgeführt werden, was auch in der arbeitsmedizinischen Praxis möglich ist (s. auch Hedtmann 2019). Hier gibt es, auch für zukünftigen Erkenntnisgewinn, eine gemeinsame Aufgabe von Arbeitsmedizin und Ophthalmologie, die zur Verkehrssicherheit relevant beiträgt.

Interessenkonflikt: Das Autorenteam gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Literatur

Empfehlung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands: Fahreignungsbegutachtung für den Straßenverkehr. 7. vollständig überarbeitete Auflage. DOG, 2019.

Hedtmann J, Fischer M: Tätigkeiten in der Verkehrsbranche. In: Eichendorf W, Hedtmann J (Hrsg.): Praxishandbuch Verkehrsmedizin. Wiesbaden, Universum, 2012, S. 23–35.

Hedtmann J: Eignungsfeststellung im Straßenverkehr. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 54: 162–166.

Johnson CA, Keltner JL: Incidence of visual field loss in 20,000 eyes and its relationship to driving performance. Arch Ophthalmol 1983; 101: 371–375.

Lachenmayr B et al.: Sehstörungen als Unfallursache. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Heft 65, 1996.

doi:10.17147/asu-1-273029

Kernaussagen

  • Ob im Weltraum oder auf der Straße: Zur Feststellung der Verkehrseignung ist ein für die ­jeweilige Arbeitsaufgabe ausreichendes Sehvermögen erforderlich.
  • Für den Straßenverkehr sind die Kriterien in der Anlage 6 der Fahrerlaubnisverordnung ­niedergelegt. Ihre Anwendung setzt jedoch für nicht-augenärztliche Untersucherinnen und Untersucher besondere Kenntnisse und Fertigkeiten voraus.
  • Auch die Rahmenbedingungen der Untersuchungen und mögliche Fehlerquellen müssen ­bekannt sein und beachtet werden. Nur dann können mit der nötigen Sicherheit Visusveränderungen, Farbsehschwächen, Störungen des binokularen Sehens und andere Sehstörungen mit Einfluss auf die Verkehrseignung erkannt werden.
  • Koautoren

    Dr. Jörg Hedtmann
    Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr), Gesetzliche Unfallversicherung, Hamburg

    Peter Tuschy
    Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Köln

    Kontakt

    Dr. Claudia Stern
    Deutsches Zentrum für ­ Luft- und Raumfahrt; Linder Höhe; 51147 Köln

    Foto: privat

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